Die Aspekte Informationsverarbeitung und System besitzen
nämlich zugleich gegenüber dem Regelungsaspekt auch eine
selbständige, allgemeinere Bedeutung. Ihnen entsprechen objektiv
noch allgemeinere Informationsprozesse bzw. Systemeigenschaften
als nur die, die im Zusammenhang mit Regelung vorliegen. Deshalb
entwickeln sich die entsprechenden Wissenschaften, d.h. die
Informationstheorie und die Systemtheorie, zu selbständigen,
allgemeinen Disziplinen, die nur noch insoweit Teil der
Kybernetik im obengenannten Sinne bleiben, als ihre Erkenntnisse
zugleich grundlegende und wesentliche Eigenschaften und
Gesetzmäßigkeiten insbesondere auch der Regelungssysteme
widerspiegeln. So hat die Informationstheorie alle Prozesse der
Aufnahme, Speicherung, Verarbeitung usw. von Informationen zum
Gegenstand, die auch in Systemen ohne Rückkopplung, insbesondere
bei offener Steuerung, vorliegen bzw. die unabhängig von ihrer
Verbindung mit offenen Steuerungs- oder Regelungsprozessen
isoliert und speziell erforscht werden können. Auch die
Systemtheorie entwickelt sich zu einer gegenüber der Kybernetik
allgemeineren, relativ selbständigen Wissenschaft. Sie ist
insofern Teildisziplin der Kybernetik, als sie zur allgemeinen
Begründung der Theorie der kybernetischen, d.h. selbstregelnden
Systeme wesentlich ist; zugleich erfaßt sie in ihrem Gegenstand
darüber hinaus alle anderen komplexen dynamischen Systeme,
jedoch ebenfalls immer unter dem charakteristischen
Gesichtspunkt der Abstraktion von den spezifischen
stofflich-energetischen Besonderheiten des Substrats der
Elemente des Systems und damit zugleich der
stofflich-energetischen Seite ihrer Zustände und
Wechselwirkungen. Die Kybernetik untersucht also entsprechend
der oben angegebenen Definition ihres Gegenstandes dem Umfang
nach die gleiche Klasse von komplexen dynamischen Systemen wie
die (allgemeine, nicht nur technische) Regelur.gs-theorie, die
jedoch inhaltlich nur einen, nämlich den Regelungsaspekt dieser
Systeme und nicht zugleich die beiden anderen Aspekte
widerspiegelt. Dagegen ist die Klasse der
informationsverarbeitenden Systeme (als Gegenstand der
Informationstheorie) umfassender, enthält insbesondere die der
Regelungssysteme als spezielle Teilklasse und ist selbst wieder
nur eine Teilklasse der Systeme überhaupt (Schema, S. 641). Alle
genannten Einzeltheorien sind durch ihre Abstraktionsweise
verwandt. Deshalb ist es zweckmäßig, sie zusammen mit einer
Reihe ähnlicher spezifischer Theorien, die ebenfalls bestimmte
Seiten komplexer dynamischer Systeme (insbesondere
informationsverarbeitender und Steuerungssysteme) widerspiegeln,
in einer Gruppe, der der sog.
«kybernetischen Wissenschaften», begrifflich zusammenzufassen,
zu der dann vor allem die allgemeine Systemtheorie, die
Informationstheorie, die Regelungstheorie, ferner die
Algorithmentheorie, Spieltheorie, Theorie der abstrakten
Automaten, Theorie der Nervennetze, Theorie der
Steuerungsprozesse u. a. gehören. Ausgehend von diesem Umstand
ist es möglich, mit folgender erweiterter Definition zu
arbeiten:
Kybernetik (im weiteren Sinne) sind die Wissenschaften von
den allgemeinen wesentlichen Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten
der komplexen dynamischen Systeme, der Informationsprozesse, der
Steuerung und der Regelung. Da in der wissenschaftlichen
Forschung und in der gesellschaftlichen Praxis die
kybernetischen selbstregelnden Systeme mit ihrer Einheit
von System-, Informations-, Steuerungs- bzw. Regelungsaspekt die
weitaus wichtigste Rolle spielen und alle Teildisziplinen der
Kybernetik im weiteren Sinne in die Erforschung dieser
speziellen Systeme einmünden, ist die einleitend gegebene
Definition der Kybernetik nach wie vor bestimmende Grundlage.
Die Gesetzmäßigkeiten, die die Kybernetik untersucht,
unterscheiden sich in einer Beziehung prinzipiell gegenüber
denen der Wissenschaften von der Natur, der Gesellschaft oder
dem Bewußtsein, wie es z.B. Biologie, politische Ökonomie bzw.
Psychologie sind. Theoretisch-philosophischer Ausgangspunkt für
die Erklärung dieses selbständigen Typs von Gesetzmäßigkeiten
ist die durch den dialektischen Materialismus verallgemeinerte
und ausgearbeitete, von der Kybernetik erstmalig speziell
erfaßte Unterscheidung zwischen dem stofflich-energetischen und
dem System- oder Organisationsaspekt der Materie, wobei die
Kategorie der Organisation eines Systems eng mit der der
Information als Negentropie zusammenhängt. Beide Aspekte bilden
eine dialektische Einheit: jedes reale System ist realisiert und
determiniert durch eine bestimmte stoffliche und energetische
Natur seiner Elemente und deren Wechselwirkungen, die einer der
Bewegungsformen der Materie zugeordnet werden können; jedes
stofflich-energetische Objekt ist andererseits zugleich ein
System, für das die dem System- und Informationsaspekt
entsprechenden allgemeinen materiellen (nicht
stoff-spezifischen) Gesetzmäßigkeiten gelten. Diese letzteren
sind also nicht an eine einzelne, bestimmte, spezielle Form des
stofflich-energetischen Aspekts der Materie gebunden. Sie
bestimmen solche Strukturen, Funktionen und Verhaltensweisen,
deren Erklärung sich nicht auf die physikalischen Kategorien der
stofflichen Seite der Materie reduzieren läßt. So tritt z.B. der
Regelkreis als die elementare Grundform eines kybernetischen
Systems mit seiner informationellen Dynamik
(Informationsaufnahme, -Verarbeitung usw. im Regler; Funktion
der Rückkopplung, Steuerungsfunktion gegenüber der Regelstrecke
usw.) in dieser Determiniertheit als ein und dieselbe Struktur
und Dynamik im lebenden Organismus, im technischen Automaten, in
der Funktionsweise des Gehirns (bzw. Nervensystems) als auch in
gesellschaftlichen Prozessen auf.
Die Abstraktionsweise der Kybernetik geht also im Gegensatz
zur Physik, Biologie, politischen Ökonomie usw. - so vor, daß
sie von den spezifischen Eigenschaften (und damit Unterschieden)
des stofflichen Substrats der Systeme und Prozesse absieht und
jenes Allgemeine herausarbeitet, das dem System- und
Informationsaspekt entspricht. Für sie sind deshalb solche
Kategorien wie Masse, Energie, Atom, Molekül, Reiz,
Fortpflanzung, Arbeit, Ware, Vorstellung, Begriff usw. nicht
relevant, sondern sie arbeitet mit den Kategorien System,
Element, Verhalten, Struktur, Funktion,
Information, Signal, Rückkopplung, Stabilität, Algorithmus,
Programm, Speicher, Störung, Strategie, Ergodizität usw. So wie
jedoch die stofflich-energetisch orientierten
Einzelwissenschaften nicht ohne Bezug auf die System- und
Struktureigenschaften auskommen, so auch die Kybernetik nicht
ohne Beziehung zum Physischen als Stoff oder Feld. Die Kategorie
Signal z.B. ist eine Brücke der Kybernetik zum
stofflich-energetischen Aspekt der Materie, eine andere ähnliche
Verknüpfung besteht in der Dialektik von Organisation und
Entropie in Systemen, durch die die Kategorien Information und
Energie in einer Weise in Beziehung gebracht werden, die über
die rein physikalische oder rein kybernetische Fragestellung
hinausgeht. Die Kybernetik erfaßt also allgemeine, einheitliche,
bestimmte Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten solcher konkreten,
objektiv-realen bzw. wirklichen Systeme (einschließlich der
ideellen Prozesse des menschlichen Bewußtseins), die nach ihren
stofflich-energetischen Aspekten bzw. Grundlagen zugleich
Gegenstand anderer, unterschiedlicher, spezifischer Natur- oder
Gesellschaftswissenschaften sind, darunter vor allem auch
solcher wie Psychologie, Sprachwissenschaft, Pädagogik usw., die
als Bewußtseinswissenschaften bezeichnet werden könnten. Sie hat
im Vergleich mit ihnen Querschnittscharakter, d.h.: Obwohl sich
ihr Gegenstand vor allem im äußeren Vergleich der Gegenstände
verschiedener Einzel Wissenschaften (z.B. Neurophysiologie und
technisch-elektronische informationsverarbeitende Systeme)
aufdecken läßt, liegt er nicht an der Grenze bzw. zwischen
solchen Einzelbereichen, sondern ist in jedem von ihnen durchweg
enthalten, und zwar als ein kybernetisch Allgemeines gegenüber
dem stofflich-energetisch jeweils
Besonderen.
Die Kybernetik ist als Wissenschaft ebenso eine
Widerspiegelung objektiv-realer Gegenstände wie jede andere
Wissenschaft und muß wie jede von ihnen von bestimmten
konkreten, spezifischen Seiten ihres Gegenstandes mehr oder
weniger stark abstrahieren. Insbesondere in der Systemtheorie
ist der Grad der Abstraktion erheblich und führt an den der
Mathematik oder Logik heran. Jedoch ist die Kybernetik gegenüber
der Mathematik genauso eine selbständige Wissenschaft wie
gegenüber Logik und Philosophie. Sie unterliegt in starkem Maße
der mathematischen Darstellung. Solche mathematischen Methoden
und Disziplinen, die ihrem Gegenstand adäquat sind, werden in
ihr systematisch angewandt und sind eine ihrer theoretischen
Grundlagen (z.B. Algebra, Theorie der Halbgruppen für die
Theorie der Automaten, Wahrscheinlichkeitstheorie für die
Informationstheorie); neue mathematische Richtungen werden durch
sie angeregt. Wie in jeder Wissenschaft, werden in der
Kybernetik ihre Kategorien und Gesetze, die die wesentlichen
Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten ihres objektiven
Gegenstandes widerspiegeln, zu einem System von Aussagen
zusammengefaßt und als Theorie formuliert. Zugleich gibt
es dem Gegenstand entsprechende Methoden der Kybernetik.
Das muß als objektiv begründeter Ausgangspunkt vorausgesetzt
werden, wenn man die methodologische Funktion der Kybernetik
(Methodologie) gegenüber anderen Wissenschaften und der
gesellschaftlichen Praxis auch als «kybernetische Denkweise»
charakterisieren will, die dann also nicht etwa als nur
subjektiv motivierte, unverbindliche Denkhaltung, sondern als
mehr oder weniger bewußte und systematische Anwendung der
kybernetischen Theorie und Methode im konkreten Fachgebiet oder
Praxisbereich zu verstehen ist.
Aus dem Charakter als Querschnittswissenschaft und der
spezifischen Abstraktionsweise der Kybernetik ergibt sich ihr
Verhältnis als allgemeiner Theorie zu den unterschiedlichen
spezifischen Erscheinungsformen und Wirkungsweisen ihrer
Gesetzmäßigkeiten in den qualitativ verschiedenen
Einzelbereichen der Wirklichkeit (Lebens-, Be-wußtseins- und
Gesellschaftsprozesse sowie technische Systeme), den
entsprechenden Einzelwissenschaften und insgesamt ihre Stellung
im System der Wissenschaften: Alle objektiv gegebenen
kybernetischen Prozesse werden im Rahmen einer der an den
Bewegungsformen der Materie orientierten Einzelwissenschaften
zunächst als stoffiich-energetisch konkreter biologischer,
physiologischer, ökonomischer, soziologischer, psychologischer
oder technischer usw. Prozeß untersucht, jedoch jetzt im
Hinblick auf die Herausarbeitung der Steuerungs-
bzw. Regelungs-, Informations- und
Systemgesetzmäßigkeiten im konkreten Objekt. Die Kybernetik
entsteht als Verallgemeinerung aus diesen verschiedenen
kybernetisch-einzelwissen-schaftlichen Forschungen. Zugleich
sind diese selbst andererseits, von der Kybernetik als
allgemeiner Querschnittswissenschaft ausgehend, als Anwendung
und Konkretisierung der Kategorien und Gesetzmäßigkeiten der
Kybernetik auf den Einzelbereich bzw. in dieser
Einzelwissenschaft aufzufassen. Der Dialektik von kybernetisch
relevantem System- bzw. Informationsaspekt einerseits und dem
für die bisherige Entwicklung der Einzelwissenschaften
vorrangigen stofflichenergetischen Aspekt ihres Gegenstandes
andererseits als philosophischem Problem muß also (zumeist
zunächst der Form nach als kybernetische Forschungsrichtung) in
jeder dieser Einzelwissenschaften in spezifischer Weise Rechnung
getragen werden. So entwickeln sich mit der Kybernetik vor allem
folgende relativ unterschiedliche, abgegrenzte Fachdisziplinen,
die die spezifische Erscheinungsform und
Wirkungsweise der kybernetischen Gesetzmäßigkeiten in einem
konkreten Gegenstandsbereich bestimmter Natur-, Gesellschafts-,
Technik- oder Bewußtseinswissenschaften in ihrer jeweils
komplexen Einheit von Regelungs-, Informations- und Systemaspekt
untersuchen: Biokybernetik (Biologie), Neurokybernetik
(Physiologie), ökonomische Kybernetik (politische Ökonomie),
Organisations- und Leitungskybernetik (marxistisch-leninistische
Organisationswissenschaft, sozialistische Wirtschaftsführung u.a.),
Psychokybernetik (Psychologie), technische Kybernetik
(technische Regelungs- und Steuerungstheorie,
Nachrichtentechnik, Datenverarbeitung, Bionik u.a.m.), weiter
kybernetische Forschungsgebiete in der Linguistik, Pädagogik,
Soziologie, Militärwissenschaft, Staats- und Rechtswissenschaft
sowie im Rahmen philosophischer Wissenschaften, wie historischer
Materialismus, Erkenntnistheorie, Ästhetik und Ethik. Von dieser
Verflechtung mit einer Vielzahl von Wissenschaften unter ihrem
einheitlichen Gesichtspunkt ausgehend, hat die Kybernetik auf
der Grundlage des dialektischen Materialismus eine wichtige
integrierende Funktion in der Wissenschaftsentwicklung
übernommen. Für viele Einzelwissenschaften, wie z. B. Medizin,
politische Ökonomie und Psychologie, ist sie zugleich ein
wichtiges methodologisches Instrument zum jetzt systematischen
Übergang zur theoretischen Anwendung der Mathematik (auch
hinsichtlich der nichtkybernetischen Seiten des Gegenstandes)
und dem Einsatz der EDV-Technik in der wissenschaftlichen
Forschung.
In ihrer Stellung im System der Wissenschaften ist folglich
die Kybernetik weder allein den Natur-
noch den Gesellschafts-, den Bewußtseins- oder den technischen
Wissenschaften zuzuordnen. Dieses Gliederungsmerkmal, das vom
System der Bewegungsformen der Materie ausgeht, erweist sich als
für die Kybernetik nicht zutreffend und ist damit für die
Klassifizierung aller Wissenschaftstypen nicht mehr hinreichend.
Abgesehen von der Philosophie, der gegenüber alle anderen
Wissenschaften - in etwas anderem Sinne als z. B. bei den
Naturwissenschaften auch die Kybernetik und Mathematik -
Einzelwissenschaften sind, ergeben sich folgende Hauptklassen
von Wissenschaften als nebengeordnet: I. Mathematik, Logik; II.
Kybernetik (einschließlich System-, Informations-, Regelungs-,
Algorithmen theorie usw.); III. Natur-, Gesellschafts- oder
Bewußtseinswissenschaften; IV. technische Wissenschaften. Sie
unterscheiden sich jeweils nach Charakter und Typ der
Wissenschaft, wenn auch inhaltlich im einzelnen
Wechselbeziehungen auftreten, wie z. B. die kybernetischen
Forschungen in III. (z.B. Biokybernetik), wie die Wirkung von
Naturgesetzen in der Technik. Dies ist jedoch dem jeweils
abgrenzenden Hauptgesichtspunkt dieser Gliederung untergeordnet.
Der systematische Aufbau der Kybernetik als Wissenschaft,
insbesondere ihrer Kategorien, Gesetzmäßigkeiten, Theorien und
Methoden, kann heute vorerst nur in allgemeinen Zügen
festgestellt werden; denn sie ist - gemessen an dem Umfang ihres
Gegenstandes und ihrer prinzipiellen Bedeutung für das
wissenschaftliche Weltbild - eine noch junge, sich rasch
entfaltende und sich als Gesamtgebiet erst formierende, sehr
komplexe Wissenschaft.
Ihre Gesetzmäßigkeiten und Kategorien sind zwar gegenüber den
verschiedensten Natur-, Gesellschafts-, Bewußtseinsprozessen und
technischen Systemen im Rahmen des System- und
Informationsaspekts (bzw. der Steuerungsprozesse in den
entwickelten Formen der Materie) allgemeingültig und
einheitlich, sind aber spezifischer als jene, die zur
Philosophie gehören. Wenn man von der erweiterten Definition der
Kybernetik als Wissenschaft sowohl der komplexen dynamischen
Systeme überhaupt als auch der Informationsprozesse und der
Steuerung in speziellen Systemen ausgeht, so ist zugleich zu
beachten, daß die System- und Informationstheorie als Teil der
kybernetischen Wissenschaften zwar gegenüber den selbstregelnden
Systemen auch wesentlich allgemeinere Typen von Systemen
untersuchen (z.B. logische Netze, sog. «große Systeme») bzw. an
allgemeinere Probleme der Information herankommen (z. B.
Information und Selbstorganisation, Informationsmaß, Verhältnis
von Information und Entropie, Information als Maß der
Organisation), jedoch noch nicht die allgemeinste
Abstraktionsstufe der Kategorien System bzw. Information als
Aspekt der Organisation dynamischer Systeme enthalten, die erst
im dialektischen Materialismus erreicht wird. System und
Organisation sind demnach zunächst philosophische Kategorien,
weil sie allgemeinste Eigenschaften jeder Materie widerspiegeln,
während die Kategorien der kybernetischen Theorie der Steuerung
und Regelung nur für bestimmte Bewegungsformen der Materie
zutreffen.
Das System der Grundbegriffe der Kybernetik ergibt sich in
erster Näherung aus ihrer Zuordnung zu den Aspekten eines
kybernetischen Systems, wobei zunächst die seiner Definition
zugrunde liegenden drei Hauptkomponenten zu nennen sind:
Kategorien des Regelungs- bzw. Steuerungsaspekts:
z.B. Steuerung, Regelung, Rückkopplung, Regelkreis,
Führungsgröße, Vermaschung bzw. Hierarchie von Regelkreisen.
Kategorien des Informationsaspekts: z.B. Informationsaufnahme,
-speicherung, -Verarbeitung, Signal, Code, Redundanz,
Informationsgehalt. Kategorien des Systemaspekts: z.B.
Input-Output, Verhalten, Stabilität-Störung, ultrastabiles bzw.
multistabiles System, Transformation, Strukturmatrix.
Hinzu kommen solche Gruppen, die weiteren Aspekten der
kybernetischen Systeme entsprechen. Sie bauen auf den
vorgenannten auf, enthalten jedoch relativ eigenständige
Probleme: Kategorien der Strategie und Taktik des Verhaltens: z.
B. strategisches Spiel, Umwelt (als Gegenspieler), Gewinn, reine
oder gemischte Strategie. Kategorien der Algorithmierung und
Programmierung der Informationsverarbeitung: z. B. Algorithmus
der Steuerung, Operation, Adresse, Befehl, Sprungbefehl,
logische Funktionen, Programm, Unterprogramm, Iteration. Den
bereits genannten Aspekten entspricht das System von
Teildisziplinen der Kybernetik, die als Theorien entsprechende
Gesetzmäßigkeiten bestimmter Seiten der kybernetischen Prozesse
untersuchen: Die kybernetische Systemtheorie, die
Informationstheorie, die Steuerungstheorie, die
Regelungstheorie, die Spieltheorie, die Algorithmentheorie und
Theorie der Programmierung. Eine ganze Reihe von Kategorien
lassen sich jedoch nicht eindeutig nur einem der Aspekte
zuordnen, weil sie kybernetisches Systemverhalten und dem
zugrunde liegende komplexe Prozesse der Informationsverarbeitung
betreffen, die nur in der qualitativen Synthese mehrerer Aspekte
erklärt werden können, z. B. lernendes System, inneres Modell
der Außenwelt, Gestalterkennung, Versuch-Irrtum-Verhalten,
Anpassung, Selbstorganisation u. a. Zu der weiteren Entwicklung
der Kybernetik muß bei der Darstellung der Kategorien,
Gesetzmäßigkeiten und Theorien die methodisch notwendige, aber
relativ äußerliche Gegenüberstellung einzelner ihrer Aspekte
durch die synthetische Darstellung des kybernetischen Prozesses
bzw. Systems in der Einheit und Totalität seiner Aspekte ergänzt
werden. Dem Inhalt und Charakter der Kybernetik entsprechend,
entwickelt sie eigene, spezifische Methoden zur Beherrschung
ihres Gegenstandes, wie die Methode der Black-box-Analyse oder
der Blockschaltungsdarstellung komplexer Systeme. Sie setzt vor
allem die Modellmethode in spezifischer Weise ein, wobei die
Analogie zwischen biologischen, psychologischen und
gesellschaftlichen Prozessen hinsichtlich ihrer kybernetischen
Natur genutzt wird und durch die Konstruktion analoger
technisch-kybernetischer Modelle allgemeine kybernetische
Gesetzmäßigkeiten gegenüber ihren Erscheinungsformen in den
Einzelbereichen isoliert, objektiviert und meßbar dargestellt
werden können (z. B. kybernetische Schildkröten als Modelle für
Reflexverhalten, Homöostat von W. Ross Ashby
zur Darstellung des Prinzips der Ultrastabilität). Noch
bedeutsamer ist die Ausarbeitung theoretischer kybernetischer
Modelle der spezifischen, realen Einzelprozesse mit
dem Zweck, den System-, Informations- oder
Regelungsaspekt der Objekte von der jeweiligen konkreten stofflich-energetischen
Daseinsweise abheben und mathematisch-logisch idealisiert
systematisch untersuchen zu können. Die Kybernetik als
prinzipiell neuer, grundlegender Bestandteil des
wissenschaftlichen Weltbildes entstand mit der Entdeckung der
Existenz von sowohl im Organismus als auch in der Maschine, in
Gehirn und Automaten gleichermaßen gültigen, gemeinsamen und als
solche relativ eigenständigen Gesetzmäßigkeiten der Steuerung,
insbesondere der Regelung und Informationsverarbeitung (bei N.
Wiener als «control and communication in
the animal and the machine» bezeichnet). Obwohl praktisch
bereits früher kybernetische Mechanismen vom Menschen erfunden
und angewandt wurden (z. B. Fliehkraftregler der Dampfmaschine,
Entwicklung der Nachrichtentechnik im 19. und 20. Jahrhundert
als Informationsübertragung), wurden diese zunächst nicht als
Erscheinungsform der gegenüber konkreten stofflich-energetischen
Bauelementen allgemeinen Regelungs- und
Informationsgesetzmäßigkeiten bewußt erkannt. Die von Anfang an
objektiv existierende höchstentwickelte Form kybernetischer
Prozesse war die Funktionsweise des menschlichen Gehirns und des
übrigen Nervensystems; das zu entdecken, hätte dem Wesen nach
eine Teilselbsterkenntnis für den Menschen und sein Denken
bedeutet. Die dabei der objektiven Analyse nächstliegende,
einfachste, relativ isolierte Form psychisch-kybernetischer
Funktionen des Gehirns lag seit der industriellen Revolution in
der Bedienung der entwickelten Maschine durch den Menschen als
Regler vor (technische Revolution). Die bewußte Entdeckung der
kybernetischen Gesetzmäßigkeiten wurde demnach gesellschaftlich
erst notwendig und möglich, als diese Regelungsfunktion des
Menschen im Maschinensystem (Mensch-Maschine-System)
künstlichen, technischen Einrichtungen konstruktiv übertragen
werden mußte, d. h. die bewußte Anwendung einer neuen
Wissenschaft der Steuerung und Informationsverarbeitung als
unmittelbarer Produktivkraft zur Konstruktion dieser funktioneil
neuen Stufe der Technik historisch gesehen notwendig wurde.
Konkreter Anlaß dazu war Anfang der vierziger Jahre des 20.
Jahrhunderts der Zwang zur Automatisierung der
Regelungsoperationen des Menschen z. B. bei der Bedienung von
Waffensystemen der Flugabwehr und der Steuerung der
Rechentätigkeit der ersten Relais- und Elektronenrechenautomaten
- in beiden Fällen, weil die Steuerungs- und
Informationsverarbeitungsfähigkeit des Menschen sowohl nach
Reaktionsgeschwindigkeit als auch Aufnahme- und
Verarbeitungskapazität für Rückkopplungsinformationen (bzw.
Zwischenergebnisse) um ganze Größenordnungen hinter den
Erfordernissen der Praxis zurückblieb. Das damit objektiv
gegebene teilweise Heraustreten des Menschen aus dem
geschlossenen Regelkreis Maschine-Mensch durch Automatisierung
der unmittelbaren, einfachsten Stufe der kybernetischen
Steuerung der Arbeitsoperationen war also Voraussetzung und
zugleich Ursache für die Entdeckung der Allgemeingültigkeit der
Gesetzmäßigkeiten von Steuerungs- und Informationsprozessen
zunächst im Menschen und im Automaten. Hinsichtlich der
kybernetischen Analyse der übrigen, der
psychologisch-biologischen, gesellschaftlichen und
Bewußtseinsprozesse, war damit der Ausgangspunkt gegeben. Eine
entscheidende subjektive Bedingung für die rasche, bewußte
Herausarbeitung der Kybernetik als grundlegend neuer
Wissenschaft war das direkte Zusammenwirken von Mathematikern,
Technikern verschiedener Richtungen, Physiologen und Logikern
sowohl in experimentellen Untersuchungen (z. B. der
Neurophysiologie, der elektronischen Technik) als auch bei der
theoretischen Verallgemeinerung mit Mitteln der Mathematik.
Die große gesellschaftliche Bedeutung der Kybernetik ergibt
sich zunächst direkt aus dem Nutzen ihrer praktischen Anwendung
in der Entwicklung der Technik (Meß-, Steuerungs-, Regelungs-,
Datenverarbeitungstechnik, übrige Automatisierungstechnik;
Rückwirkungen auf Gerätetechnik, Maschinen- und Anlagenbau
hinsichtlich Steuerung und Informationsverarbeitung auf hohem
Niveau; Entwicklung kybernetischer Technik im Militärwesen, in
der Medizin, für Forschung, Berechnung und Dokumentation, für
Kommunikationsprozesse, in der Konstruktionstätigkeit und für
Unterrichtsprozesse). Im Endergebnis mindestens ebenso wichtig
wird in wachsendem Maße ihre Anwendung als Beitrag zur
theoretischen Beherrschung von Arbeitsprozessen (z. B. im
Arbeitsstudium, Ingenieurpsychologie) und vor allem von
Leitungsprozessen in Staat und Wirtschaft, die in dieser
Hinsicht eine konkrete Erscheinungsform der Steuerung, Regelung
und Informationsverarbeitung mit ihren Gesetzmäßigkeiten sind.
Großen Einfluß nimmt die Kybernetik auf die weitere Entwicklung
vor allem der Biologie, Medizin, Pädagogik, Erkenntnistheorie,
Psychologie und Sprachwissenschaft. Gerade für die exakte
Erforschung der verschiedenen Arten von Bewußtseinsprozessen
liefert sie theoretische Grundlagen, die in Verbindung mit
mathematischen Methoden eine rasche Entwicklung der Forschungen
auslösten. Für den dialektischen und historischen Materialismus
ergeben sich aus der Entstehung und Entwicklung sowohl vieler
kybernetisch-einzelwissenschaftlicher Forschungen als auch der
Kybernetik selbst umfangreiche und grundlegende
Verallgemeinerungen, die zur Bestätigung und zum Teil
Weiterentwicklung eines erheblichen Teiles der philosophischen
Kategorien und Gesetzmäßigkeiten führen und weitere Argumente
gegenüber dem philosophischen Idealismus darstellen. Um nur die
wichtigsten zu nennen, sei auf folgende philosophische Thesen
bzw. Probleme verwiesen, deren Entstehung oder Vertiefung durch
kybernetische Erkenntnisse veranlaßt wurde: Die Kybernetik
liefert einzelwissenschaftliche Bestätigungen und konkrete
Erklärungen für den System- und Organisationsaspekt der Materie,
unterstreicht damit die dialektische Natur ihrer Eigenschaften,
die eine Reduzierung auf den Stoff als Substrat ausschließt. Die
Entstehung und Entwicklung hochkomplexer Prozesse, wie die des
Lebens und des Denkens, ist durch Einbeziehung des Regelungs-
und Informationsaspekts wesentlich umfassender erklärt als
bisher: Funktionen wie Zielstrebigkeit, Zweckmäßigkeit,
Anpassung, Lernen, Vererbung (Reproduktion) und psychische
Funktionen werden einer rationalen Analyse als Rückkopplungs-
und Informationsprozesse unterworfen. Damit sind wichtige
traditionelle Argumente der idealistischen Schöpfungstheorien
widerlegt und ist eine konkretere Darstellung der materiellen
Einheit der Welt als bisher möglich. Im Mittelpunkt steht dabei
die dialektisch-materialistische Ausarbeitung der Kategorien
System, Information und Rückkopplung. Die Regelungsprozesse
erweisen sich als konkrete Erscheinungsform der Dialektik von
System-Umwelt, Inneres-Äußeres, Stabilität-Störung,
Notwendigkeit-Zufall usw.
Die Schöpfung kybernetisch-technischer Automaten durch den
Menschen, die komplizierte Steuerungs- und
Informationsverarbeitung in Analogie zu bestimmten Arbeits- und
Bewußtseinsfunktionen des menschlichen Gehirns, des
Nervensystems und der Sinnesorgane durchführen, wirft
weltanschauliche Probleme auf bezüglich der Grenzen der
kybernetischen Interpretation von Bewußtseins-, Gesellschafts-
und Lebensprozessen. Der Einsatz der kybernetischen Technik bei
der Durchführung der wissenschaftlich-technischen Revolution
löste eine Vielzahl sozialer und ökonomischer Folgen aus, die
sich im Sozialismus grundlegend von denen im Kapitalismus
unterscheiden.
Die Ausarbeitung und Entwicklung der Systemtheorie bereichert
solche Kategorien wie System, Element, Relation, Struktur,
Funktion, Verhalten, Dynamik, Veränderung und Entwicklung,
Ordnung, Organisation, Entropie u. a. Die Kategorien Kausalität
und Wechselwirkung werden durch die Ausarbeitung der
kybernetischen Erkenntnisse in Bezug auf
Steuerung und Rückkopplung als informationelle Kopplungen
bereichert. Die auf Grund der bisherigen
Wissenschaftsentwicklung relativ einseitig auf den Erkenntnissen
der physikalischchemischen Theorien aufbauende, vorwiegend
physisch-stofflich orientierte Grundlegung des
naturwissenschaftlichen Weltbildes wird erweitert durch die
System- und Informationsproblematik; in Verbindung mit der
Kybernetik wird sich dabei das Gewicht der Biologie und vor
allem das der Psychologie wesentlich erhöhen. Die umfassende
Ausarbeitung des System-, Informations- und Steuerungsaspekts
der gesellschaftlichen Prozesse, vor
allem im entwickelten gesellschaftlichen System des Sozialismus,
die von der Kybernetik ausgehend die spezifischen Besonderheiten
der gesellschaftlich-bewußten Gestaltung kybernetisch
sozialer Prozesse und Systeme betont, ist nicht nur eine
Aufgabe des historischen Materialismus, sondern löst auch in den
meisten einzelnen Gesellschaftswissenschaften wichtige Impulse
aus.
Editorische
Anmerkungen
Der Text wurde entnommen
aus:
Buhr, Manfred,
Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 2, Berlin 1970,
S.640-646
OCR-Scan red. trend