Editorial
Mythos Partei

von Karl Mueller

01/09

trend
onlinezeitung

Vor ziemlich genau 20 Jahren lud das "wi - westberliner info" - eine politische Vierteljahreszeitschrift - unter der Überschrift "Der Aufruhr braucht eine Partei - 70 Jahre KPD" zu einer Diskussion über die Möglichkeiten revolutionärer Betriebspolitik in den Kreuzberger Mehringhof ein. Als wi-Redakteur diskutierte ich mit Vertretern des Bundes Westdeutscher Kommunisten (BWK) und der Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP) über die Notwendigkeit der Gründung einer revolutionären Partei. Ich ging von den Erfahrungen mit der KPD-Partei-Gründung 1918 aus und wies auf, dass deren Parteikonzept  nicht aus der Analyse der Klassenverhältnisse  abgeleitet war, sondern eher einem Projekt zur formellen Sammlung linksradikaler Zirkel und Einzelpersonen glich. Und dabei war es der Spartakusgruppe nicht einmal gelungen, sich mit den revolutionären Obleuten zu verbinden.  Ich wollte diese Erkenntnisse den beiden Organisationen vorhalten, die damals ein ähnliches Parteibildungskonzept vertraten.
 



Im Dezember 1988 verteilt
 

VERANSTALTUNGSEMPFEHLUNG

Im Oktober 1986 hatte sich nämlich die VSP aus einem Zusammenschluss der KPD/ML (Ex-Hoxharisten) mit den Trotzkisten von der GIM (IV. Internationale) gebildet und seitdem liefen etliche Diskussionen mit anderen Zirkeln, wie etwa dem BWK, der aus einer Abspaltung aus dem maoistischen Bund Westdeutscher Kommunisten (KBW) entstanden war, auf additive Vereinigung. Ein wiederholtes Mal sollte seit 1968 in der BRD der Versuch unternommen werden, eine revolutionäre Partei voluntaristisch neben und unabhängig von den Kämpfen der Klasse und ohne Analyse der Klassenverhältnisse zu gründen.

Sowohl BWK und VSP haben mittlerweile "ihre" Partei. Sie arbeiten als Strömungen bzw. Arbeitsgemeinschaften in der sozialdemokratischen LINKEN. Für einige von ihnen war dieser Schritt sogar mit persönlicher Karriere verbunden. So z.B. Harald Wolf, der vor 20 Jahren die Position der VSP vertrat, ist heute gut verdienender Senator und Bürgermeister von Berlin.

Doch bitter stimmt nicht die Ironie des Schicksals jener beiden Gruppen, sondern bitter stimmt die Tatsache, dass Parteiprojekte immer wieder aufs Neue versucht werden, statt die Mythen der verflossener Parteigründungen zu hinterfragen, die seit dem orientiert am Leninschen Parteiprojekt gesponnen wurden. Die zentrale Argumentationsfigur in dieser Mythologie bildet die Behauptung, die Leninsche Partei sei wegen ihrer Erfolge in der Oktoberrevolution und in anderen Erhebungen für den späten Kapitalismus gleichsam zeitlos die einzig wahre Organisationsform.

Dabei wird jedoch geflissentlich übersehen, dass das Leninsche Parteikonzept das Ergebnis der Anwendung des wissenschaftlichen Sozialismus in der Gestalt der Klassenanalyse war, in dem die Notwendigkeit der spezifischen Organisierung in einer demokratisch-zentralistischen Partei aus der Wirklichkeit abgeleitet wurde. Heute hat sich dieser Ansatz in sein Gegenteil verkehrt. Bestehende oder im Aufbau befindliche linksradikale Parteien - legitimieren sich aus der Geschichte; formulieren damit Glaubenssätze und ersparen sich somit erhöhte theoretische Unkosten. Das Gesicht unmittelbar der Praxis zugewandt, gerät die Theorie - jenseits ihres dialektischen Verhältnisses zur Praxis - zu einem reinen Zweck-Mittel-Nutzen-Verhältnis.

Wir haben in dieser Ausgabe drei Leseauszüge über die Gründung der KPD und der KPD/ML veröffentlicht - die aktuellen Jahrestage nutzend - um die hier angedeutete Kritik zu illustrieren. Dass wir dabei auch auf Material der MLPD zurückgegriffen haben, sollte aber nicht so verstanden werden, dass die Gruppierung eine Partei sei, die mehr als nur wortradikalen Ökonomismus mit ML-Vokabular praktiziert. Tatsächlich unterscheidet sie sich substantiell nur wenig von den sozialdemokratischen Parteien der II. Internationale - gefangen im Gehäuse idealistischer Konstrukte: "Erst wenn die bürgerliche Ideologie endgültig besiegt ist, sterben Klassen und Staat ab und die klassenlose Gesellschaft beginnt." (Parteiprogramm der MLPD)

Dass der Wissenschaftliche Sozialismus  zu einem Zweck-Mittel-Nutzen-Verfahren verkürzt wird, kann ideologisch auf vielerlei Weise geschehen. In der vorliegenden Ausgabe wollen wir dies exemplarisch anhand von Texten aus dem Bereich der Philosophie darstellen. In der DDR gab es in Folge der revisionistischen Wende, festgeschrieben durch die Beschlüsse des VI. (15. bis 21. Januar 1963) und VII. Parteitages der SED (17. bis 22. April 1967), eine apologetische Übernahme kybernetischer Methoden aus den Automatisierungskonzepten kapitalistischer Betriebe. Statt die Kybernetik gleichsam im Rang einer (bürgerlichen) Methode zur  Steigerung der Mehrwertproduktion zu belassen, wurde sie in den Rang einer Wissenschaft erhoben, die dem Wissenschaftlichen Sozialismus verbal gleichgestellt - in der betrieblichen Praxis aber als Leitwissenschaft vorangestellt wurde. Dieses Zweck-Mittel-Nutzen-Denken prägte seitdem ganze Generation, die sich am DDR-Marxismus orientierten und und nach dem BRD-Beitritt 1990 zu Sozialdemokraten wurden.

Weitere Highlights in dieser Ausgabe sind zweifellos folgende Artikel, deren Kenntnisnahme wir dringend ans Herz legen:

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2009 wird für uns unter dem Gesichtspunkt "Jahrestage nutzen" ein besonders wichtiges Jahr werden. Denn nach Ansicht der Redaktion war 1969, um Lehren aus der Geschichte für die Entfaltung einer revolutionären Programmatik zu ziehen, viel wichtiger als 1968. Denn 1969 war in der BRD und Westberlin nicht nur das Jahr des Niedergangs der Jugendrevolte als Massenbewegung, sondern vor allem ein Aufbruch zum Proletariat als dem revolutionären Subjekt. Das wichtigste Ereignis für diese Hinwendung stellten die "Septemberstreiks" dar, auf die wir daher in diesem Jahr unsere Publizistik und eventuell auch Veranstaltungen fokussieren möchten.

In diesem Sinne erwarten wir für unsere LeserInnen - immerhin über eine Million (1.111.414) in 2008 - und uns ein erfülltes 2009.
 

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten* Zahlen:

Die BesucherInnenzahlen vom Dezember 2008, in Klammern 2007, 2006

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Interview mit René K. aus Berlin, der nach der Parada Równości zwei Monate in Warschau in Haft war.

Der am meisten gelesene TREND-Artikel der 12/2008- Ausgabe:
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Kommunismus - was sonst? Plädoyer für die Neubegründung einer
kommunistischen Bewegung