Am Ende doch enttäuschend
Wir sind das Projektil“
Interview mit Karl-Heinz Dellwo

 
von Peter Nowak

01/08

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Während Ex-Antideutsche am Beispiel der RAF ihren Frieden mit Deutschland machten, bleibt Karl-Heinz Dellwo auch in seinem neuen Interviewband Beweise für seine Selbstmordthese schuldig     

Auch mit dem Ende des Jubiläumsrummels um den Deutschen Herbst bleibt das Thema RAF und die Linke in der Debatte. Nur gibt es  jetzt Gelegenheit, über die wesentlichen Fragen in diesem Zusammenhang zu debattieren.   

Da fällt auf, dass an  die RAF noch immer ein Lackmusstest bei der Frage, wie hältst du es mit dem Staat ist. So kann man nirgends besser die Wandlung der einst antideutschen Bahamas zu Neokonservativen zeigen, als in ihrer Verachtung, ja ihren Hass auf die ProtagonistInnen des linken Aufbruchs. So schreibt der Bahamas-Aktivist der ersten Stunde Uli Krug in der Jungle World 1/2008 in einer Rezension von Jutta Ditfurths Ulrike-Meinhof-Biographie: „Ansonsten hat man eine derart verlogene Idyllisierung der DDR als dem Reich des Antifaschismus und der Volksbildung, in dem auf fröhlichen Künstlerfesten der Wodka floss, während in der Bundesrepublik überall Agenten schnüffelten und alles geradezu ungeheuer reaktionär war, schon lange nicht  mehr gelesen“.  Ob dieser Kotau eines ehemals Antideutschen vor dem  Nachfolgestaat des 3. Reiches reicht, um Krug endgültig in den Kreis der Springer-Deutschen aufzunehmen?  Wahrscheinlich zweifelt er selber daran. Deshalb hat Krug im selben Text die Isolationsfolter gegen Meinhof gleich noch als „für Meinhofs Seelenzustand zu harte Haftbedingungen“  umgelogen.

Es wird amüsant zu beobachten sein, wie tief  Krug und Co. sich noch verbiegen werden, bei ihrem Bemühen, ihren Platz in Großdeutschland zu bekommen. Sie haben ein Gespür dafür, dass sich das Abarbeiten an der besiegten RAF dafür besonders gut eignet. 

Kampf und Knast 

Dem langjährigen RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo kann man das auf keinen Fall vorwerfen.

 In dem aktuellen Buch „Das Projektil sind wir“ führt das amburger JournalistInnenduo Christoph Twickel und  Tina Petersen ein langes Interview mit ihm. In dem Band macht Dellwo deutlich, wie jemand wie er zur RAF kam. Er schildert sehr ausführlich sein Leben als Kind einer Großfamilie, die das Leben der prekären Boheme geführt hat. Dellwos Vater ist aus dem NS und dem 2. Weltkrieg mit einem gesunden Hass auf Deutschland zurückgekommen. Er engagierte sich in Gruppen links der SPD,  und hielt es auch mit den deutschen Sekundärtugenden wie Arbeitswahn etc. nicht mehr besonders. Dellwo macht deutlich, wie der Aufbruch der  68er-Bewegung auch einen jungen Menschen in der Provinz immer mehr in den Bann zog. Die anschaulichen Schilderungen einer Jugend im Deutschland der 60er Jahre machen schon eine Lektüre des Buches lohnend.

Wo es dann um Dellwos Umzug nach Hamburg und seinen Weg in die RAF geht, wird Dellwos Erzählstil offizieller. Für Widersprüche und Zwischentöne bleibt oft der Platz.  Das    wird beispielsweise an der Stelle deutlich, wo der Interviewer Dellwo mit der Wahrnehmung eines Freundes konfrontiert, der Dellwo in seiner Aktivität im antiimperialistischen Widerstand als arroganter Politrocker wahrgenommen hat. Sofort kommt die Abwehrreaktion, dass der ihn wohl nicht persönlich gekannt haben könne und dass ihm das Gebaren eines Rockers immer fremd gewesen sei.  Dass er für Außenstehende damals trotzdem so gewirkt haben könnte, diesen Gedanken lässt Dellwo bei aller Bereitschaft zu Kritik und Selbstkritik nicht an sich heran.  

Folter in deutschen  Knästen 

Sehr plastisch wird seine Schilderung wieder über die alltäglichen Torturen, die Dellwo und seine MitgenossInnen in den diversen Knästen ertragen mussten. Den Uli Krugs dieser Republik, die sich  mit der Leugnung von Isolationsfolter etc. ihren Platz in Deutschland erkaufen wollen,  müssten viel mehr solcher Erfahrungsberichte entgegen gehalten werden. Auch jene Linken, für die   Folterknäste erst mit Guantanamo während sie über die Haftbedingungen in Deutschland schwiegen und schweigen, werden mit Dellwos Schilderungen in ihre Schranken verwiesen.  

Am Ende enttäuschend

Doch die Mehrheit der RezensentInnen war von dem Interviewband angetan, weil Dellwo dort noch einmal seine seit 1997 bekannte Meinung verbreitete, dass die Gefangenen in Stammheim und auch Ulrike Meinhof unter staatlicher Kontrolle Selbstmord verübten.    Da die Frage Mord oder Selbstmord in Teilen der radikalen Linken zum Glaubensbekenntnis stilisiert wurde, sorgt diese Erklärung eines ehemaligen RAF-Mitglieds natürlich für Aufsehen. Doch gerade an dieser Stelle sind Dellwos  Aussagen schwach und enttäuschend. Nicht, weil er an einem vermeintlichen Tabu kratzt, das nie eines war, sondern weil er seine Selbstmordthese nicht begründet und weil er keine Zweifel erlaubt. Dabei ist die Frage von Mord oder Selbstmord keine Glaubensfrage, sondern muss sich aus der Untersuchung der konkreten Umstände ergeben. Für alle, die nicht direkt an den Ereignissen beteiligt waren,

muss daher zunächst gesagt werden, dass keine endgültige Aussage möglich ist. Es gab aber Untersuchungen einer Unabhängigen Kommission, in der WissenschaftlerInnen, Intellektuelle und JuristInnen mitarbeiteten, die eine Fülle von Details auflisteten, die zumindest deutlich machen, dass die offizielle Version des Todes der Gefangenen nicht stimmen kann.  Darauf angesprochen, verwies Dellwo lediglich darauf, dass  andere     auch anzweifeln, dass  Islamisten  am 11.09.2001 Flugzeuge in die Hochhäuser von New York und ins Pentagon steuerten. Hier aber bleibt Dellwo unter seinem Niveau und spielt mit Ressentiments, weil er diejenigen in die Nähe von VerschwörungstheoretikerInnen rückt, die sich auf die Ergebnisse der unabhängigen Untersuchungskommission stützen. Wenn Dellwo so überzeugt von seiner Selbstmordthese ist, dass er keine Zweifel zulässt, dann müsste er alle die Argumente    widerlegen können. Dabei geht er gar nicht darauf ein. Nur ein Beispiel. Dellwo stützt sich u.a. auf die Aussagen der Kronzeugen Volker Speitel und seines Bruders Hanns-Joachim Dellwo, die  die Waffen in die Zellen geschmuggelt haben wollen.  Nur  wurde sogar von JuristInnen festgestellt, dass  es unmöglich gewesen wäre, die Waffen in der Weise ins Gefängnis zu bringen, wie die beiden behaupteten. Deswegen gab es auch keine rechtskräftige Verurteilung wegen dieses angeblichen Waffenschmuggels. Darauf hat Peter O. Chotjewitz in seiner Croissant-Biographie noch einmal hingewiesen.

Gerade weil sonst niemand am Vorfall direkt beteiligt war, ist der Aussage der einzigen Überlebenden Irmgard Möller besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Dass heißt überhaupt    nicht, dass sie nicht hinterfragt werden kann und soll. Aber dazu müssen bitte detaillierte Argumente geliefert werden. Doch dazu findet sich  bei Dellwo überhaupt nichts. Es gibt nur einige Seitenhiebe auf die „Hamburger Tanten“, wie er die Gruppe um Möller bezeichnet, weil die eben seine Selbstmordversion nicht stützt.

Dabei hat Dellwo selber im Gefängnis  nach dem Tod von Ulrike Meinhof  in einem Brief geschrieben, dass es sich um Mord gehandelt hat. Dieses Schreiben bereut er heute.

Auch dazu ergäben sich Fragen. Wenn er neuere Informationen hat, die die Selbstmordthese untermauern, warum nennt er sie dann nicht? Wenn er, was anzunehmen ist, keinerlei weiteren Informationen hat, worauf stützt er dann seine These? 

Späte Gerechtigkeit für seinen Bruder

Da käme wieder sein Bruder Hanns-Joachim ins Spiel. Der war Zeitsoldat und hatte zunächst mit den politischen Ansichten von Karl-Heinz nicht das geringste zu tun. Gegen dessen Willen ging Joachim  am Höhepunkt des Deutschen Herbstes in den Untergrund, weil er seinen Bruder aus dem Gefängnis befreien wollte. Er wurde bald zum Kronzeugen und lebt heute mit einer völlig neuen Identität in Kanada. Dass erwähnt Karl-Heinz Dellwo, bleibt aber merkwürdig sprachlos zu dessen Kronzeugenrolle. Da  sein Bruder neben Speitel   der Hauptprotagonist der Behauptung wäre, dass die Gefangenen  in Stammheim Waffen hatten, stützt sich Karl-Heinz Dellwo jetzt auf diese Aussage. Will er damit nachträglich seinen  Bruder rehabilitieren?

Spielt dabei vielleicht sogar  ein Schuldgefühl eine Rolle, weil sich dieser Bruder tatsächlich nur wegen Dellwos Gefangenschaft  in politische Aktivitäten stürzte, die mit seinen Überzeugungen überhaupt nichts zu tun hatten? Diese Fragen müssen zumindest gestellt werden, solange Karl-Heinz Dellwo so ohne jeden Anflug vo Zweifel eine Selbstmordthese vertritt, die sich auf die Aussagen unter Anderem seines Bruders stützt,  ohne auch nur eine weitere Begründung anzuführen.

 


 

Karl-Heinz Dellwo
DAS PROJEKTIL SIND WIR
Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen
Gespräche mit Tina Petersen und Christoph Twickel

Deutsche Erstausgabe
Broschur, 224 Seiten,
€ (D) 14,90 / sFr 26,-
ISBN 978-3-89401-556-5
Edition Nautilus

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.