Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nicolas Sarkozy, der Laizismus-Feind als Präsident der „laizistischen Republik“       
Sarkozys Rede in der Lateransbasilika in Rom: Eine Kampfansage an das Grundkonzept einer säkularen, aufgeklärten Republik
 

01/08

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Schon seit längerem sind die Kleriker im Vatikan seitens der französischen Republik nicht derart gut behandelt worden, wie jüngst. So viel Honig um den Mund eines amtierenden Papstes schmierte in jüngerer Zeit kein französischer Präsident, wie Nicolas Sarkozy. Und noch selten nahm ein französisches Staatsoberhaupt einen Besuch in Rom zum Anlass, um so offen Grundkonzeptionen des seit 1905 offiziell im Lande herrschenden Laizismus - also der Trennung zwischen Staat und Religion(en) - über Bord zu werfen. Sein in den Jahren 2003/04 ausprobiertes politisches Spiel mit den Repräsentanten „des Islam“ in Frankreich ist vorbei. Nunmehr hat Nicolas Sarkozy sich total auf das Christentum als gesellschaftlichen „Ordnungsfaktor“ eingeschworen. 

Am 20. Dezember 2007 nahm der aktuelle Staatschef Frankreich seine Funktion als „Ehrenstiftsherr der Lateransbasilika“ in Rom (auf französisch: ‚chanoine d’honneur de Saint-Jean-de-Latran’) an. Dieses Amt haben die französischen Staatsoberhäupter seit dem König Henri Quatre (Heinrich dem Vierten) inne, der sich im Jahr 1593 vom Protestantismus zum Katholizismus bekehrte und der römischen Lateransbasilika daraufhin das Benediktinerkloster von Clairac mitsamt größerer Länder vermachte. Zum Dank machte daraufhin der Stift – eine Art Vorstand – der bereits im vierten Jahrhundert n.u.Zeitrechnung erbauten christlichen Kirche daraufhin Henri IV zum „ersten und einzigen Ehrenstiftsherren“. Seitdem dürfen seine Nachfolger an der Spitze des französischen Staates, trotz Umbruchs von der Monarchie zur Republik, dieses Amt antreten und symbolträchtig auf einem Pferd in die Basilika einreiten.  

Nicht alle Präsidenten der laizistischen französischen Republik nahmen das Amt wirklich entgegen. Die Rechtspräsidenten Charles de Gaulle, Valéry Giscard d’Estaing und Jacques Chirac taten es, freilich ohne größeres Aufhebens darum zu veranstalten. Chirac, der letzte Amtsvorgänger des jetzigen Insassen im Elysée-Palast, hatte sich -- trotz ultrakatholischer, frömmelnder und bigotter Gattin (Bernadette Chirac) -- drei Jahre Zeit gelassen, bevor er sich in Rom blicken ließ. Der „sozialistische“ Präsident François Mitterrand und sein (post)gaullistischer Vorgänger Georges Pompidou hatten ihrerseits das Amt zwar nicht abgelehnt, aber auch keinen Abstecher nach Rom unternommen. 

Bei Nicolas Sarkozy wird alles anders. Er wollte anscheinend zum Helden der Kardinäle werden. Auch wenn der übernervöse und hektische Giftzwerg-Präsident es mit dem Protokoll nicht so genau nahm, während des Austauschs von Begrüßungen zwischen seiner Delegation und dem Papst einfach mal sein Handy konsultierte und dem Papst die ihn begleitenden Journalisten mit lockeren Sprüchen vorstellte – wo die Tradition eher Gesten der Unterwürfigkeiten vorsieht. (Sarkozy: „Und hier sehen Sie die Journalisten, die mich begleiten. Sie sind nicht immer nett zu mir.“ Ein Pressefritze zum Papst: „Aber zu Ihnen immer, Exzellenz!“ Sarkozy: „So ungerecht sind sie.“) Auch wenn der 52jährige zweifach geschieden ist – seit zwei Monaten nun auch von seiner, ebenfalls doppelt geschiedenen, letzten Ehefrau Cécilia. Auch wenn er seit kurzem mit einem ehemaligen Topmodell (Carla Bruni) „in Sünde“ zusammenlebt, ja sogar deren italienische Mutter gleich mit zur Audienz beim Papst schleifte. Auch wenn er, neben den beiden ihn begleitenden Intellektuellen -- seinem Redenschreiber Henri Guaino und dem Autor von Büchern über „große Männer“ und schwülstig-patriotischen Historienschinken, Max Gallo -- auch einen Komiker und Klamaukmacher mit Namen Jean-Marie Bigard in seiner Delegation dabei hatte.  

Was soll’s? Auf solche Kleinigkeiten kommt es nicht an. Zwar rümpfte man im Vatikan dann doch die Nase ob der Nachrichten über Sarkozys gar sündiges Privatleben. Dennoch mochte man „solche Gerüchte nicht kommentieren“, und die Protokollmeister sahen großzügig über gewisse Benimmverstöße hinweg; so wollte ein in ‚Le Monde’ zitierter Vatikan-Beamter die Anwesenheit der Mutter des aus Turin stammenden Ex-Mannequins Carla Bruni nicht bestätigen („wir kennen die Dame nicht“), „selbst als er zwei Schritte neben ihr stand“. Das Wesentliche lag nämlich woanders, und auch im Vatikan versteht man sich durchaus auf Realpolitik. „Wir empfangen nicht einen Politiker als solchen (als Privatmenschen), sondern Frankreich“ erklärte man dazu an der römischen Kurie.

Denn der Kern des Pudels liegt in folgenden Worten begraben: „Benedikt XVI. setzt auf Nicolas Sarkozy, um in Europa die Werte der Kirche zu verteidigen.“ So lautet die Überschrift eines vorab erschienen Hintergrund-Artikels im Thema, der am Tag von Nicolas Sarkozys Rombesuch in ‚Le Monde’ erschien. Und die entsprechenden Erwartungen wurden nicht enttäuscht. In seiner Ansprache in der Lateransbasilika, die er am Abend nach dem Empfang hielt (vgt. dazu den Redetext: http://www.vigile.net/Discours-de-Nicolas-Sarkozy-au), bemühte sich Nicolas Sarkozy um eine Definition eines „positiven Laizismusverständnisses“. Dieses soll zwar formal die in Frankreich gesetzlich festgeschriebene Trennung zwischen Kirche und Staat nicht aufbrechen. Wohl aber lässt Präsident Sarkozy durch die von ihm vorgenommene Umdeutung des Lazisimus- und Staatsverständnisses in dieses hinein gleiten, dass „die Republik Menschen, die glauben und (darum) hoffen benötigt“, um die Grundlagen einer gesellschaftlich verbindlichen Moral definieren zu können. Ansonsten drohten nämlich ethnische Anarchie und „Nihilismus“, folglich gerate eine Gesellschaft an die Abgründe von Verrohung und Verbrechen. Die Gläubigen aller Richtungen könnten solche moralischen Grundlagen vorgeben und darum Allen von Nutzen sei.

Sarkozy ging sogar so weit, sein eigenes Amt als Präsident (einer, wiederholen wir es noch einmal, laizistischen Republik) mit dem eines hauptamtlichen Klerikers zu vergleichen: „Man ist nicht Priester zur Hälfte (Anm.: d.h. wenn man nur halb bei der Sache ist). Glauben Sie mir, dass man auch nicht Präsident zur Hälfte ist. Ich verstehe die Opfer, die Sie bringen, um Ihrer Berufung entsprechend zu leben. Aber ich kenne jene (Anm.: Opfer), die ich gebracht habe, um die meine zu verwirklichen.“ Nicolas Sarkozy warnte vor den Gefahren, die von einem „ermüdenden“ Laizismus und dem auf seinem Nährboden gedeihenden (religionsfeindlichen) „Fanatismus“ ausgingen. Und er fügte hinzu: „Meine Anwesenheit unter Ihnen heute abend zeugt von der Treue Frankreichs zu seiner Geschichte und einer der hauptsächlichen Quellen seiner Zivilisation (Anm.: nämlich dem Christentum). Der christliche Glaube hat die französische Gesellschaft, seine Kultur, seine Landschaften zutiefst geprägt.“ Und: „Die Wurzeln Frankreichs sind im Wesentlichen (essentiellement) christlich.“ 

Nicolas Sarkozy hatte vor nunmehr gut drei Jahren – im Herbst 2004 – eine erste Kampagne für die Begründung eines neuen Republikverständnisses auf eine „Moral“, wie sie aus einem sich verbindlich wollenden religiösen Glauben erwächst, durchgeführt. Damals hatte er in einem Buch, von dem er jetzt dem Papst ein Exemplar überreichte, für eine Art Re-Spiritualisierung der französischen Politik und Gesellschaft geworben. Es heißt ‚La République, les religions, l’espérance’ (Die Republik, die Religionen, die Hoffnung/Zuversicht) und erschien in einem katholischen Verlag, Le Cerf. Während der Wahlkampfphase hatte Sarkozy jedoch Ambitionen, eventuelle Änderungen am französischen Laizismus vorzunehmen, auf Eis gelegt: Es wäre (für ihn) spürbar inopportun gewesen, eine Konfrontation zu diesem Thema im Wahlkampf zu riskieren. Nunmehr aber kommt das Thema erneut auf den Teppich.  

Zwar hat die französische Medienöffentlichkeit den Vatikan-Besuch Sarkozys inzwischen, nach den Feiertagen, in ihrem kurzlebigen Rhythmus auch bereits wieder vergessen und ist zu anderen Dingen übergegangen: Sarkozys halb aus Privaturlaub und halb aus Politterminen bestehendem Ägypten-Aufenthalt in der letzten Dezemberwoche, dann dem Wiederbeginn des politischen Lebens in Frankreich nach der Feiertagspause. Aber in der Sache, ideologisch hat Nicolas Sarkozy doch wichtige Pflöcke einrammen können. Welche Auswirkungen diese neue Episode seines öffentlichen Wirkens mittel- und längerfristig nach sich ziehen wird, ist noch nicht auszumachen. Fest steht jedoch, dass er definitiv Religion nicht so sehr als Quelle spiritueller Bereicherung durch Meditation (dazu hat der extreme Hektiker und Stresssüchtige Sarkozy ohnehin keine Zeit…), wohl aber als wichtigen sozialen Ordnungsfaktor betrachtet. Einen Ordnungsfaktor, den man nicht vernachlässigen dürfe. Insofern darf man damit rechnen, dass Sarkozy das Thema nicht auf sich beruhen lassen wird, da die jüngst von ihm ausgesandten Signale dazu weitaus eher politischem Kalkül denn tiefer innerer Überzeugung entsprochen haben dürften. 

Aus aktuellem Anlass, und um ein bisschen tiefer zu graben als die nur die Oberfläche berührende Medienberichterstattung, im Folgenden nun ein Artikel zu Sarkozys strategischer „Religionspolitik“ aus jüngerer Zeit. Er erschien im Oktober 2007 in der Herbstnummer der (ansonsten nur zu empfehlenden!) Vierteljahres-Zeitschrift ‚MIZ. Politisches Magazin für Konfessionslose und Atheist/inn/en’. Er hat nichts an Aktualität eingebüßt. 

 

PRÄSIDENT NICOLAS SARKOZY UND DIE ZUKUNFT DES FRANZÖSISCHEN LAIZISMUS

Streikrechtsreform, Steuerreform, Überstundenreform. Neue Ausländergesetze, Rentenreform im öffentlichen Dienst, Arbeitsmarktreform; Universitätsreform, Justizreform. Alles wird durcheinandergewirbelt, alles gerät unter die Räder. Seitdem der konservative Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy am 6. Mai 2007 zum französischen Staatsoberhaupt gewählt worden ist, wurden eine Reihe von Umwälzungen – bisher vorwiegend auf gesetzlichgeberischer Ebene – in Angriff genommen. Die meisten von ihnen gehen in eine wirtschaftsliberale Richtung, sofern es um soziale und ökonomische Belange geht, oder haben eine repressive Tendenz.

Eine der groben Fragen, die sich im Vorfeld der (erwarteten) Wahl Nicolas Sarkozys stellte, die aber im allgemeinen hektischen Eifer des Beginn seiner Amtszeit bisher noch zurückgestellt zu sein scheint: Was wird aus dem französischen Laizismus? 

Der französische Laizismusbegriff in der Praxis

Dieser Begriff - französisch ‚laïcité’ (also nicht mit dem –ismus, der Theorien und Ideologien kennzeichnet, sondern mit der –ität, die einen Zustand widerspiegeln soll) - bezeichnet die Trennung von Kirche und Staat, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts beschlossen worden ist. Die damalige historische Weichenstellung war eine unmittelbare Folge der aufgeheizten Atmosphäre im Frankreich de „Dreyfus-Affäre“ (1899 bis circa 1902), in dem sich Sozialdemokratie und liberale Republikaner auf der einen Seite, Klerus, Armeekreise und eine antisemitische Massenbewegung auf der anderen Seite gegenüber gestanden hatte. Eine sozialistisch-liberale Koalitionsregierung beschloss daraufhin, dass die bis dahin politisch dominierende katholische Konfession keinen Einfluss auf die Staatsgeschäfte mehr nehmen dürfte. Um die zehn unterschiedliche Gesetzentwürfe zum Thema wurden dem Parlament vorgelegt. Nach einer stürmischen Phase in den Jahren 1901 bis 1904, während derer viele politische Akteure der katholischen Kirche mehr oder minder direkt ans Leder wollten, wurde eine Art „historischer Kompromiss“ geschlossen: Das Gesetz, das schlussendlich am 9. Dezember 1905 in Kraft trat, greift nicht in die innere Verfasstheit und die inneren Angelegenheiten der Kirchen und anderen Glaubensgemeinschaften ein. Auch nicht der katholischen Kirche, die bis dahin von Abgeordneten als „monarchische Organisation“ und deswegen der Republik gegenüber grundsätzlich feindliche Struktur angeprangt worden war. Ihr innerer Aufbau blieb vielmehr ihr selbst überlassen. Allerdings durfte sie keinen Einfluss in der öffentlichen politischen Sphäre mehr geltend machen, etwa keinen Religionsunterricht an staatlichen Schulen mehr erteilen, und ihre Priester durften nicht länger vom republikanischen Staat bezahlt werden. Eine Ausnahme bleibt die Zulassung von Seelsorgern etwa bei der Armee und in Gefängnissen, die – individuell - von Gläubigen in Gewissensnöten oder bei gegenwärtiger Gefahr herangezogen werden dürfen.

Die beiden fundamentalen Bestimmungen des Gesetzes von 1905, das nach wie vor gültig ist und aus 44 Artikeln besteht,  finden sich in den beiden Artikeln 1 („Die Republik sichert die Gewissensfreiheit zu. Sie garantiert die freie Ausübung der Kulte“, also der unterschiedlichen religiösen Praxis) und 2 („Die Republik erkennt keinerlei Kultus an“, letzterer wird „weder entlohnt noch subventioniert“). Die Religionsgruppen können sich also frei organisieren, aber auberhalb des Staates und der politischen Sphäre. Die vor 1905 errichteten Gotteshäuser – Kirchen und Synagogen – fallen in den Besitz des Staates, der sie den Religionsgemeinschaften jedoch kostenlos zur Verfügung stellt. Neue Kultstätten (ob Kirchen, Moscheen oder Synagogen usw.) müssen jedoch durch die religiösen Gruppen selbst und auf ihre eigenen Kosten errichtet werden.

Dieser „historische Kompromiss“ gilt in ganz Frankreich mit Ausnahme des Elsass und des nördlichen Lothringen: Diese Gebiete gehörten im Jahre 1905 zum damaligen Deutschen Reich, und behielten nach ihrer Rückkehr zur Französischen Republik - 1919 - das Konkordat mit der katholischen Kirche unter gleichzeitiger Anerkennung der protestantischen Kirche und der jüdischen Religion bei. Im übrigen Frankreich hat man sich dagegen lange Zeit, und quasi auf allen Seiten, gut mit dem „Kompromiss“ aus dem frühen 20. Jahrhundert arrangiert. Auch die grobe Mehrheit etwa der katholischen Kirche stellte ihn nicht in Frage, denn letztendlich erachtete sie, dass es auch zu ihrem Vorteil gereiche, vor staatlichen Eingriffen in ihren inneren Organisationsbereich geschützt zu sein und ihre „Gewissensfreiheit“ zu behalten. So konnten Kirchenvertreter auch realtiv ungehindert, und ohne auf staatliche Subventionsgeber Rücksicht nehmen zu müssen, Stellung zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen nehmen. Diese fallen zwar zu bestimmten Themen (Homesexuellenehe u.ä.) natürlich erwartbar reaktionär aus. Auf anderen Gebieten hingegen – etwa bei christlich-humanistisch geprägten Stellungnahmen zu Verschärfungen der Ausländergesetze – profilieren sie sich zumindest in jüngerer Zeit eher mit relativ humaner Kritik zumindest an manchen staatlichen Vorhaben.

Mit dieser Praxis steht Frankreich übrigens im heutigen EU-Europa nach wie vor auf einer klaren Minderheitenposition. Die Mehrzahl der europäischen Staaten erkennen bestimmte Glaubensgemeinschaften an – die damit zu quasi-offiziellen Religionen werden, während die anderen, aubenvor gelassenen als Sekten firmieren – und subventionieren sie dafür, dass sie soziale Aufgaben übernehmen, oder lassen sie gar Religionsunterricht an staatlichen Schulen erteilen. Dies gilt etwa für die Bundesrepublik Deutschland. Manche EU-Länder verfügen auch noch über eine offizielle Staatskirche, wie die Lutherische Kirche in Dänemark und Norwegen, und im Vereinigten Königreich ist die britische König auch das Oberhaupt der Anglikanischen Kirche. Lediglich die (noch auberhalb der EU stehende) Republik Türkei inspiriert sich offiziell, seit 1928, vom französischen Laizismusmodell.  Es ist jedoch ebenfalls bekannt, dass der türkische Staat real der islamisch-sunnitischen Konfession klare Privilegien einräumt, ja sogar Minderheitsreligionen unterdrückt.

Sarkozys erste Vorstöbe zum Thema

Doch in allerjüngster Zeit ist in der französischen Politik eine Debatte über eine „notwendige Anpassung“, Überarbeitung, Reform.. des Gesetzes von 1905 in die Gänge gekommen. Einer ihrer Hauptprotagonisten war niemand anders als Nicolas Sarkozy, zu einer Zeit, als dieser noch als Minister – erst als Innen-, danach als Wirtschafts- und später wieder als Wirtschaftsminister – im Kabinett sab.   

Im Oktober/November 2004, während Sarkozy als Wirtschafts- und Finanzminister amtierte und sich anschickte, den Vorsitz der konservativ-liberalen Sammlungspartei UMP zu übernehmen, brachte er den Stein ins Rollen. Damals erschien im katholischen Verlag Le Cerf sein Buch La République, les religions, l’espérance (Die Republik, die Religionen, die Zuversicht), eine Aufzeichnung von Gesprächen mit dem Politiker, der bereits als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat galt. Wenige Monate vor dem einhundertsten Jahrestag der Verabschiedung des Gesetzes zur Trennung von Staat und Kirche sorgte Sarkozys offensive Positionierung für großes Aufsehen. 

„Der moralische Aspekt ist solider und stärker verwurzelt, wenn er einem spirituellen und religiösen Vorgehen entspringt, als wenn er seinen Ursprung in der politischen Debatte oder im republikanischen Ideal findet“, schrieb bzw. sagte Sarkozy, der sich selbst als unregelmäbig praktizierenden Katholiken darstellt. Und weiter: „Die Republik kennt kein Gut oder Böse. Sie verteidigt die Regel, das Gesetz, ohne sie an eine moralische Ordnung zu binden.“ Das könnte man als Ausgangspunkt eines autoritären Programms bezeichnen: Sarkozy ging es erklärtermaben darum, eine Moral des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu etablieren, die der demokratischen Debatte entzogen ist. Dies prägt im übrigen stark sein grundsätzliches Herangehen an die Frage des Umgangs mit den Religionen: Nicht eigener religiöser Fanatismus steht dabei im Vordergrund, sondern die Auffassung, religiöse Gemeinschaften hätten eine Rolle als sozialer Ordnungsfaktor zu spielen.  

Dies erinnert entfernt an die Ideen von Charles Maurras, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Vordenker der autoritär-nationalistischen (und monarchistischen) Vereinigung Action française war: Selbst Agnostiker, hielt Maurras dennoch die katholische Religion als Ordnungsstifter und moralisches Bindeglied für die Nation als unabdingbar. Anders war an diesem Punkt freilich das Herangehen Nicolas Sarkoyzs, denn mit einem offenen Eintreten für Änderungen am französischen Laizismusverständnis zugunsten der katholischen Kirche würde heutzutage jeder Politiker in Frankreich auf Granit beiben und starke Widerstandskräfte aufwecken. Nur ein Plädoyer für eine Aufweichung des Laizismus, die zur Einbindung und Gleichberechtigung der Minderheitsreligionen erforderlich sei, konnte und kann in diesem Kontext Erfolg versprechen. So bringt es die als „streng laizistisch“ geltende Journalistin Catherine Fourrest, in einem Beitrag für die Zeitschrift ‚Le Monde des Religions’ – eine Sonderpublikation der liberalen Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’, die über die Welt der Religionen informiert, ohne für eine von ihnen Partei zu ergreifen – in der Ausgabe März/April 2007 richtig auf den Punkt: „Selbstverständlich wird diese Reform in einem Land, wo der Antiklerikalismus noch so stark ist, niemals im Namen des Katholizismus erreicht werden. Nur eine Minderheitsreligion kann angerufen, ja instrumentalisiert werden, um eine Änderung an dem hundertjährigen Kompromiss zu erzielen: der Protestantismus oder der Islam.“ Denn diese beiden Religionen haben in jüngerer Zeit auf französischem Boden gröbere Verbreitung gefunden als früher, etwa aufgrund der Einwanderung sowie der Bekehrung v.a. mancher Afrikaner und Karibikfranzosen zum Protestantismus in seiner evangelikalen, missionarischen Variante.            

Konkret forderte Sarkozy damals die Integration der Ausbildung von Priestern, Rabbinern und Imamen in die Universitäten. Und in französischen Schulen, in denen bislang kein Religionsunterricht erteilt wird, die SchülerInnen aber in einer – bewertungsfreien – allgemeinen Geistesgeschichte der Religionen unterrichtet werden, solle zukünftig stärker (immanent) auf die Eigenheiten jeder Religion eingegangen werden. 

Dieses Programm brachte Sarkozy, neben seinem Buch, besonders deutlich in einem gleichzeitig erscheinenden Interview mit dem Wochenmagazin ‚L’Express’ – in Form eines konfrontativen Streitgesprächs mit dem Chefredakteur Denis Jeambar, der darin die traditionelle republikanisch-laizistische Staatsidee verteidigt – direkt mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen Frankreichs in Verbindung. Und konkret mit dem Problem der gesellschaftlichen Zerrüttung und Segregation in den Vorstadtsiedlungen oder Banlieues: „Wenn man diesen Jugendlichen, die nur die Religion des Geldes, der Drogen, der Gewalt und des Fernsehens kennen, den Respekt vor dem Anderen beibringen will, dann kann der Diskurs eines Glaubensmannes von Nutzen sein.“ 

Wie in manch anderen Dingen ist für den Wirtschaftsliberalen Sarkozy ansonsten auch beim Umgang mit der Religion die US-amerikanische Innenpolitik ein wichtiges Vorbild. In den USA, so sagte er dem Express, schwören die Präsidenten noch auf die Bibel, was zeige, dass das französische Konzept von Religion als Teil der Privatsphäre nicht universalisierbar sei. Normalerweise hätte Sarkozy damit in der französischen Gesellschaft eher schlechte Karten, wo nur 20 Prozent der Bevölkerung konfessionell gebunden sind (während in den USA über 40 Prozent der Wähler christliche Werte als entscheidend für ihre Stimmabgabe bei entscheidenden Urnengängen bezeichnen). Doch Nicolas Sarkozy hatte ein gewichtiges Argument gefunden, um die traditionellen Widerstände gegen eine Rekonfessionalisierung der französischen Politik zu unterlaufen: Er berief sich auf die Veränderungen, die durch die Herausforderung, den Islam zu integrieren, notwendig würden. Als letzte in Frankreich angekommene Religion sei der Islam besonders benachteiligt. 

Dabei berief der Politiker sich auch auf durchaus nachvollziehbare materielle Argumente: Diese Religionsgemeinde sei „ärmer als die anderen, da ihre Angehörigen die Nachfahren jener Einwanderer sind, die in den sechziger Jahren kamen, um Fahrzeuge und Autobahnen zu bauen“. Das stimmt selbstverständlich. Aber Sarkozy antwortete darauf nicht, dass er sich um die soziale Lage von arbeitslosen Industriearbeitern oder in Fastfood-Ketten jobbenden Einwandererkindern kümmern wolle. Vielmehr strebte er ihre Integration „als Muslime“ an. Dabei bezeichnen sich in Umfragen aus den Jahren 2003/04 die Immigranten aus mehrheitlich moslemischen Ländern und ihre Kinder nur zu (je nch Umfrage) 15 bis 36 Prozent als „gläubig und praktizierend“, fast die Hälfte dagegen als gläubig und nicht praktizierend, und rund 20 Prozent betrachten den Islam nur als „Religion ihrer Eltern“ und schreiben sich selbst gar keine Religion zu.  

Mit seinem Diskurs von der „notwendigen Anerkennung“ der rund 3,5 bis 4 Millionen offiziell als Muslime bezeichneten Einwanderer hob Sarkozy sich zwar mitunter positiv von den kolonialistisch geprägten, rassistischen Teilen der französischen Rechten ab. Doch er setzte ihnen eine neue Variante kulturalistischer und differenzialistischer statt universalistischer Politik entgegen.  

(Vorübergehende?) Kehrtwende

Den Worten lieb Nicolas Sarkozy auch Taten folgen. Schon ein Jahr vor Erscheinen seines Buches von 2004 hatte der damalige Innenminister Fakten geschaffen, als er „von oben“ über die Zusammensetzung eines Gremiums, das den französischen Islam repräsentieren sollte, entschied. Rund 3.000 Wahlmänner wurden bestimmt, um im März 2003 einen Französischen Beirat des islamischen Kultus (CFCM) wählten. Zweck der Gründung des CFCM - den bereits die sozialdemokratische Vorgängerregierung, darunter ihr „strikt laizistischer“ linksnationalistischer Innenminister Jean-Pierre Chevènement seit mehreren Jahren im Grundsätzlichen geplant hatte - war es einerseits, die praktizierenden Moslems mit den anderen Religionen auf eine Stufe zu stellen. Da es im sunnitischen Islam keinen Klerus gibt, verfügten sie nämlich auch über keine anerkannte Vertretung, wurden daher aber auch bei Gesprächen der Regierung mit den Religionsgruppen permanent übergangen. Es kann aber durchaus sinnvoll sein, wenn es etwa darum geht, Ansprechpartner zu haben, um über die Begräbnisvorschriften auf kommunalen Friedhöfen zu diskutieren. Oder darüber, wie man Schülerinnen und Schülern, die bestimmte Speisevorschriften einhalten, die Teilnahme am Kantinenessen ermöglichen kann statt ihren Ausschluss zu praktizieren. Insofern konnte es, auf prinzipieller Ebene, durchaus gute Gründe für die Einrichtung eines solchen Repräsentationsgremiums geben.  

Andererseits ging es der Regierung aber auch darum, dass das neue Gremium eine konservative, „stabilisierende“ Wirkung auf die Einwandererkinder entfalten solle. Im Konkreten bevorzugte das durch Nicolas Sarkozy ausgesuchte Wahlmännersystem dann unverkennbar die konservativen bis reaktionären, finanziell gut ausgestatteten Organisationen. Denn die Zahl der Wahlmänner (und –frauen) richtete sich nach der Zahl der Gläubigen, also nach Köpfen, sondern nach der Gröbe des Gebetsraums. Jene reaktionären Vereinigungen, die etwa von reichen Geschäftsleuten oder auch von üblen Staaten wie Saudi-Arabien finanziert werden, genossen damit einen eindeutigen Vorteil. Damit wurde die Sache aber bereits höchst zweifelhaft. Die konservativ-reaktionäre UOIF (Union des organisations islamiques de France), die auf internationale Ebene den Muslimbrüder nahe steht, wurde daraufhin zur zweitstärksten Gruppierung in dem neu gewählten Gremium – hinter einer moderat-konservativen Vereinigung, die den marokkanischen Behörden nahe steht. - Inzwischen ist der Repräsentativrat CFCM allerdings seit anderthalb bis zwei Jahren weitgehend funktions- und beschlussunfähig, aufgrund schwerer Konflikte unter den Mitgliedsorganisationen. 

Im November 2005 dann, als die Unruhen in den französischen Trabantenstädten (Banlieues) ausbrachen, setzte Nicolas Sarkozy zunächst aus die „beruhigende“ Wirkung der Wortmeldungen von Imamem und islamischen Verbänden. Die UOIF erlieb sogar eine „Fatwa“, in welcher sie das Randalieren und Abfackeln von Autos zum gottlose Akt erklärte. Allein, diese Strategie fruchtete nicht: Es hatte kaum oder keine Auswirkungen auf den Zorn der beteiligte Jugendlichen, von denen viele, aber nicht alle aus Einwandererfamilien kamen. Noch im Verlauf der Unruhen stigmatisierte Nicolas Sarkozy dann, in einem Interview, das am 10. November 2005 in der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ erschien, „islamische Fundamentalisten“, die (neben „Mafiagruppen“ aus der Organisierten Kriminalität) hinter den Riots stünden. Das Eine war dabei ebenso falsch wie das Andere - also die Hoffnung, islamische Verbände könnten die Wogen glätten, genauso unbegründet wie die vorgebliche Befürchtung, religiöse Extremisten heizten dieselben Unruhen an. Beides hatte keinen wichtigen Einfluss auf die Riots. 

Mutmablich auch auf diese Periode ist der Bruch zurückzuführen, den Nicolas Sarkozy bis im Wahlkampf der ersten Jahresmonate 2007 dann mit seiner zuvor verfolgten Strategie – insbesondere gegenüber dem Islam – vollzog. Denn im Wahlkampf zu Anfang 2007 warb der konservative Präsidentschaftskandidat vorwiegend in christlichen, aber auch dem Laizismus verbundenen sozialen Milieus um Sympathien.  

Der ‚Rapport Machelon’ 

Dazwischen liegt aber noch eine weitere Etappe, denn im September 2006 wurde der Untersuchungsbericht publiziert, den Nicolas Sarkozy zuvor einer Kommission unter Vorsitz des Juraprofessors Jean-Pierre Machelon (Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Paris-V) anvertraut hatte.   

In diesem Bericht der „Machelon-Kommission“ wird erneut einer „Überarbeitung“ des Gesetzes von 1905, im Sinne der früheren Vorstöbe Nicolas Sarkozys, das Wort geredet. Erneut dient das Argument der Gleichstellung zwischen den verschiedenen Religionsgruppen, u.a. aufgrund der Benachteiligung des Islam, als Rechtfertigung dafür. So sollen Kommunen das Recht erhalten, entgegen dem bisherigen Verbot die Errichtung neuer Gotteshäuser finanziell zu unterstützen. Diese Idee erntet allerdings von zwei unterschiedlichen Seiten her Kritik. In ihrem oben zitierten Artikel spricht sich Carolin Fourrest dafür aus, das bisherige Verbot aufrecht zu erhalten – denn einerseits sei es gefährlich, den „Kompromiss von 1905“ leichtfertig auszuhöhlen und ins Wanken zu bringen, andererseits drohe eine Klientelpolitik seitens der Rathäuser, die im Hinblick auf künftige Wahlen bestimmte Religionsgruppen entsprechend an sich zu binden versuchen könnten. Ferner sei eventueller Geldmangel seitens der Religionsgemeinschaften gar nicht wirklich das Problem. Haupthindernis bei der Errichtung neuer religiöser Stätten seien vielmehr die Praktiken bestimmter Kommunen, die „aus schlechten Gründen“, sprich aus rassistischen Motiven, bestimmte Religionsgruppen nicht zu ihrem Recht kommen lieben - indem sie von ihrem Vorkaufsrecht für Grundstücke Gebrauch machten, sobald von einer Moschee (statt etwa einer Kirche) die Rede ist. Es gehe also darum, das bestehende Gesetz von 1905 richtig anzuwenden, notfalls unter Einlegung von Rechtsmitteln gegen solche Tricks zu seiner Umgehung, nicht aber um seine Infragestellung. Auf der anderen Seite ist etwa auch die UOIF nicht sonderlich begeistert von dieser Vorstellung einer Finanzierung von Kultstätten durch die Kommunen – da sie einen Versuch der französischen Lokalbehörden, eine Aufsicht über die Inhalte der religiösen Lehre auszuüben und bestimmte Strömungen gegenüber anderen zu bevorzugen, fürchtet. 

Ein weiterer Vorschlag ist, religiösen Gruppen, die bisher zwingend eine besondere Rechtsform haben (‚Associations Loi 1905’), die Unterstellung unter das allgemeine Vereinsrecht – als so genannte ‚Associations Loi 1901’, die also nach dem Gesetz über die Vereinigungsfreiheit aus dem Jahr 1901 konstitutiert wurden – zu erlauben. Dies würde auch beinhalten, dass ihr Betätigungsfeld ausgeweitet wird. Denn während religiöse Gruppen bisher nur die Vorbereitung und Praktizieriung des Gottesdiensts zum Gegenstand haben dürfen, könnten sie nach dem Vorschlag nun eine breitete Palette von Tätigkeiten ausüben. Zudem schlägt der ‚Rapport Machelon’ vor, religiösen Vereinigungen vor diesem Hintergrund leichteren Zugang zur Anerkennung als „gemeinnützige Vereinigung“ zu geben. Dies würde ihnen zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten und –quellen zu verschaffen, da damit etwa Spenden und Gaben z.T. von der Steuer abgesetzt werden könnten. 

Ferner suggeriert der Untersuchungsbericht, das Prinzip, dass der französische Staat keine Religionsgemeinschaften „anerkennt“, habe „keinen Verfassungsrang“. Es könne also, auf dem Wege einer einfachen Gesetzesänderung, abgeändert oder aufgehoben werden. Diese Vorstellung hat jedoch breitere Kritik hervorgerufen als die übrigen Vorschläge der Kommission. Letztere wurden ansonsten bisher überwiegend von einem Expertenpublikum, aber noch nicht oder kaum durch die breite öffentliche Meinung zur Kenntnis genommen. 

Im Wahlkampf

Am 3. April 2007 kam dann die Kehrtwende: An diesem Tag erschien ein Interview in der katholischen, politisch gemäbigt ausgerichteten Tageszeitung ‚La Croix’ mit dem Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy[1]. Hierin erklärt Sarkozy, er „verzichte“ – so wurde die Quintessenz des Interviews in den darauffolgenden Stunden durch die Nachrichtenagenturen und durch die übrige Presse zusammengefasst – auf eine Überarbeitung des Gesetzes von 1905.  

Konkret sagte Sarkozy, auf die Frage hin, welche Mabnahmen er infolge des Untersuchungsberichts der Machelon-Kommission ergreifen werde: „Ich werde zu diesem Thema nicht vorwärts gehen, solange es keinen Konsens dazu gibt.“ Und auf die Nachfrage der Zeitung: „Sie verzichten also, darauf, das Gesetz von 1905 zu ändern?“ antwortete der demalige Kandida; „Ja. Ich werde die Diskussion mit sämtlichen Religionsgruppen fortsetzen. Es handelt sich um ein Thema, bei dem man nicht ohne Konsens voran gehen kann.“  

In Wirklichkeit fiel Sarkozys Antwort also relativ vage aus - verschwommener jedenfalls als die am selben Tag überall vernommene Meldung von seinem „Verzicht“ auf eine Umwälzung der Gesetzgebung zum Laizismus. In demselben Interview legte Nicolas Sarkozy im übrigen auch seine altbekannte Platte von den Religionsvertretern, die für „Frieden“ in den sozialen Brennpunkten der ‚Banlieues’ sorgen könnten, erneut auf: „Wenn man in (diesen) Wohnvierteln ein bisschen öfter vom Sinn des Lebens reden würde (...) hätten wie vielleicht ein bisschen weniger Gewalt (zu verzeichnen).“ Religiöse Nebelschwaden statt sozialstaatliche Strukturen, die dort schon lange auf dem Rückzug sind, für die sozialen Krisenzonen – ein wirklich tolles Programm. 

Aber es stimmt zugleich auch, dass das Vorhaben einer Änderung am französischen Laizismus nicht in seinem Präsidentschafts-Wahmprogramm stand. Nicht unbedingt, weil er mit seinen Absichten hinter dem Berg hätte halten wollen: In diesem Programm kündigte er ansonsten eine Menge Schandtaten – von der Einschränkung des Streikrechts bis zu Steuegeschenken für die Besser- und Bestverdienenden – offen an, auf dass man ihm nicht (wie seinem Amtsvorgänger) das Auseinanderklaffen von Wahlversprechen und späterem Handeln vorwerfen könne. In dem Interview mit ‚La Croix’ liefert Sarkozy dafür die Begründung, in seinem Buch von 2004 habe er „sehr persönliche Überlegungen“ zum Besten gegeben, nunmehr aber müsse er „ein Programm für Frankreich vorlegen“.  

Wahrscheinlich ist, dass Nicolas Sarkozy zwar noch immer eine  Umwälzung der französischen Politik in Sachen Trennung von Religion(en) und Staat beabsichtigt, diese aber als längerfristiges Projekt betrachtet – für den Fall, dass er sich in naher Zukunft mit seinen sonstigen „Reformen“ durchsetzen kann und danach an grundsätzlichere Vorhaben denken kann.  

Zudem wäre es Sarkozy schwer gefallen, schon im diesjährigen Präsidentschaftswahlkampf das Thema offensiv auf die Tagesordnung zu setzen, inklusive Ankündigung einer Änderung des Gesetzes von 1905. Denn seine frühere taktische Allianz mit konservativen islamischen Verbänden war zu dem Zeitpunkt erheblich angeknackst. Und dies aus verschiedenen Gründen; etwa weil diese ihm während der Unruhen in den Banlieues von 2005 nicht so hilfreich waren, wie er vielleicht angenommen hatte - oder auch aufgrund der anhaltenden Zerstrittenheit des Repräsentativrats CFCM. Deswegen konnte er, mangels stabilen Bündnispartners, nur bedingt das Argument der Gleichberechtigung der Religionen durch Aufweichen des Laizismus (zugunsten des bislang real benachteiligten Islam) heranziehen. Auch wenn er es in dem bereits zitieren Interview mit ‚La Croix’ ebenfalls bemüht – allerdings flankiert von dem anderen zugkräftigen Argument, es gehe ihm bei seinen Überlegungen über eine eventuelle staatliche Finanzierung von Religionsgruppen auch darum, die Ausübung des Islam in Frankreich besser zu kontrollieren und ihn „von ausländischen Einflüssen abzuschneiden“. Dieses zweite Argument hatte er bereits bei der Vorstellung des ‚Machelon-Reports’, ein halbes Jahr früher, in den Raum gestellt. 

In seinem Wahlkampf bemühte Sarkozy sich zudem real weitaus mehr andere Stimmenpotenziale, die dem Islam tendenziell eher feindlich gegenüberstehen: in erster Linie um christlich-konservative Stimmen, in zweiter Linie aber auch um laizistische Stimmen etwa aus dem linksliberalen Spektrum. Vor allem der katholischen Wählerschaft machte Nicolas Sarkozy eindeutige Identifikationsangebote - die dann auch dafür sorgten, dass er im ersten Wahlgang noch wesentlich mehr Stimmen gläubiger Katholiken erhielt als der Christdemokrat François Bayrou. (Bayrou, der Kandidat der Mitte-Rechts-Partei UDF, die vor ihrer Spaltung im Jahr 2002 ein Mehrparteienbündnis gewesen war, hatte früher in deren christdemokratischer Komponente – UDF-FD, ‚Force Démocrate’, den Vorsitz inne. Bayrou ist praktizierender Katholik, während Sarkozy sich selbst als gelegentlichen Kirchgänger bezeichnet.) Beispielsweise sprach Sarkozy sich klar gegen die Homo-Ehe und für die Suche nach anderen Formen einer steuerlichen und sonstigen Anerkennung homosexueller Paare, während Bayrou sich - auf der Suche nach einer liberalen Wählerschaft – auch für die Homoehe im Prinzip offen zeigte; Damit konnte Sarkozy ihm konservative christliche Wähler abjagen, für die das eine „Entweihung des heiligen Sakraments der Ehe“ und darum ein sehr wichtiges Symbol darstellte. In der letzten Wahlkampfphase bemühte Sarkozy zudem, mit sehr viel Pathos, den zwei Jahre zuvor verstorbenen Karol Woytila alias Papst Johannes Paul II.  Bei seinem Auftritt auf TF1, dem (privatisierten) ersten Sender des französischen Fensehens, am 16. April 2007 – dem letzten Montag vor dem ersten Wahlgang – nannte Sarkozy die beiden historischen Figuren, die ihn „am meisten geprägt hätten“: den historischen Übervater der bürgerlichen Rechten in Frankreich, Charles de Gaulle, sowie Johannes Paul II. Besonders habe ihn an dem verblichenen Papst fasziniert, dass er „den Mut hatte, den jungen Franzosen und der Jugend der Welt zuzurufen: ‚Habt keine Angst!’“ Damit spielte er auf eine Begebenheit anlässlich des katholischen „Weltjugendfestivals“ im August 1997 in Paris an. Auch beschwor Sarkozy um diese Zeit lautstark das „zweitausendjährige christliche Erbe Frankreichs“: Obwohl das Land laizistisch sei, habe sich dieser Teil seiner Geschichte unauslöschlich in seine „nationale Identität“ – letztere bildete eine weiteres Schlüsselwort von Sarkozys Wahlkampf – eingeschrieben. 

Aber auch bei den Anhängern einer laizistischen Politik bemühte Sarkozy sich in den Wochen zuvor noch um Stimmen – unter Verweis auf die Gefahren des militanten Islam. So sandte er anlässlich des Prozesses gegen die linksliberale Satirezeitung ‚Charlie Hebdo’ - die aufgrund ihrer Veröffentlichung der dänischen Mohammed-Karikaturen von konservativen islamischen Verbänden angeklagt worden war (und freigesprochen wurde) - im Februar 2007 in Paris einen Unterstützungsbrief für die Angeklagten. Dieser wurde auch im Gerichtssaal verlesen. In dem knappen Schreiben hieb es u.a., er ziehe „ein Übermab von Karikaturen dem Fehlen von Karikaturen vor“. Zu den Klägern zählte die UOIF (Union des organisations islamiques de France), die Sarkozy 2003 noch zum Ansprechpartner hochgepäppelt hatte. Auch der Christdemokrat François Bayrou und sozialdemokratische Politiker unterstützen ‚Charlie Hebdo’ in demselben Prozess. 

Aufgrund seiner Strategie, in diesen beiden Richtungen nach Wählern zu suchen, konnte Nicolas Sarkozy im muslimischen Spektrum nicht mehr glaubhaft um Stimmen werben – denn alle drei Optionen auf einmal konnte er dennoch doch nicht verfolgen. Den Islam instrumentalisierte der konservative Kandidat dieses Mal, vor allem in den ersten Jahreswochen 2007, eher als Schreckgespenst und malte ihn sein Schreckensbild von den drohenden Gefahren einer „ungezügelten Zuwanderung“ mit hinein. So sprach Sarkozy in seinem ersten längeren Fernsehauftritt als Kandidat, am 5. Februar dieses Jahres, von barbarischen Moslems, die sich „nicht an unsere Gesetze“ hielten und die zu Hause „Schafe in der Badewanne schlachten“. (Solche Erscheinungen hat es vor 30 bis 40 Jahren tatsächlich einmal gegeben, weil es damals noch kein Fleisch von nach moslemischen Speisevorschriften geschlachteten Tieren auf dem Markt gab. Zu gröberen Festen, etwa am letzten Tag des Fastenmonats Ramadan, kam es dann manchmals zu „wilden“ Schlachtversuchen. Aber das ist längst Vergangenheit, da die Schlachthöfe heute längst nach Halal-Speisevorschriften zubereitetes Fleisch auf den französischen Markt bringen.) Die Moslems wählten denn auch nur zu einem Prozent – so jedenfalls Zahlen aus dem französischen Fernsehen vom Wahlabend – bis zu 20 Prozent (laut Umfragen über ihre Sympathien für die verschiedenen Kandidaten) Sarkozy, und stimmten überwiegend für seine sozial- und christdemokratischen GegenkandidatInnen Ségolène Royal und Bayrou. Die konservativ-reaktionäre UOIF rief ihrerseits zur Wahl von François Bayrou auf, da der christdemokratische Kandidat der am wenigsten religionsfeindliche sei.

Die alte Strategie, sich unter Berufung auf die notwendige Einbeziehung der Minderheitenreligion Islam für eine „Lockerung“ des französischen Laizismus einzusetzen, passte zu dieser politischen Gesamtkonstellation erst einmal nicht. Abzuwarten bleibt, ob Nicolas Sarkozy dieses grundsätzliche Vorhaben nun später, zu einem anderen Zeitpunkt oder mit einer anderen Begründung, wieder ausgraben wird.

 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.