Ausweitung der Kampfzone?
Zum Hungerstreik einiger Arbeitsloser

Von Antonín Dick
01/07

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Treten misshandelte Gefängnisinsassen in den Hungerstreik, ist das ein letztes Mittel, die Gesellschaft zu treffen: Sie drohen mit dem Tod, zu dem sie ausdrücklich nicht verurteilt sind. Eingewiesen in ein Pflegeheim, will die Greisin fortan nicht mehr essen, weil sie sich aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen fühlt. Nach drei Wochen stirbt sie. Ottilie in Goethes Roman »Die Wahlverwandtschaften« verweigert jede Nahrungsaufnahme, weil sie einer Liebe entsagen muß, die ihr Leben ausmacht. Sie stirbt. Das sind existentielle Ausnahmesituationen, die keiner Erklärung oder Rechtfertigung bedürfen.

Anders der Vorschlag des Politikwissenschaftlers Peter Grottian und einiger Arbeitsloseninitiativen, die Kampfzone der Arbeitslosen um ein öffentliches Protesthungern zu erweitern, um so die Erfolgsaussichten des Kampfes um bessere Lebensbedingungen der Arbeitslosen generell zu erhöhen. Die Hungernden sollen ausgestellt werden. Aber ist das eigentlich noch sozialer Kampf? Appelliert man mit der Vorführung Hilfebedürftiger nicht vielmehr an Instinkte?

Und dann der Schmerz der Hungernden! In seinem Gedicht »Fest des Hungers« erkennt der Dichter der Pariser Kommune Jean Arthur Rimbaud nur einen solchen Hunger an, der Lust bereitet, und er, ein Revolutionär der Lust, führt uns vor, wie man das macht.

Von diesem Schmerz weiß auch Franz Kafka in seiner Erzählung »Ein Hungerkünstler« zu berichten, von einem Underdog, der »meist in trüber Laune« und »Traurigkeit« dahinlebte. Aber als an den sozialen Kämpfen Geschulte erfahren wir durch diesen Bericht auch, wo das Kampfhungern von Arbeitslosen wahrscheinlich enden wird. Kafka: »Man gewöhnte sich an die Sonderbarkeit, in den heutigen Zeiten Aufmerksamkeit für einen Hungerkünstler beanspruchen zu wollen, und mit dieser Gewöhnung war das Urteil über ihn gesprochen. Er mochte so gut hungern, als er nur konnte, und er tat es, aber nichts konnte ihn mehr retten, man ging an ihm vorüber.«

Der Berufshungernde, so Kafka, wurde durch dieses öffentliche Nichts um seinen Lohn, um Aufmerksamkeit und Bewunderung, betrogen. Die Pointe der Erzählung folgt dann in der Sterbeszene des gealterten Berufshungernden: Einem seiner Aufseher vertraut er an, daß er nur hungerte, weil er nicht die Speise finden konnte, die ihm schmeckt. »Hätte ich sie gefunden«, gesteht er kurz vor dem Ableben, »glaube mir, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und alle.«

Die Arbeitslosen werden nach einigen Jahren Kampfhungern vermutlich Ähnliches sagen: »Wir haben gehungert, weil wir nicht die politische Kampfform finden konnten, die uns schmeckt, mit der wir lustvoll und in Erwartung des sicheren Erfolgs für die Verbesserung unserer Daseins hätten kämpfen können.« Und die Pointe für die Bourgeoisie? »Was? Jahrelanges freiwilliges Hungern von Arbeitslosen? Das ist ein verdammt nützliches Experiment, das uns helfen wird, endlich präzise zu bestimmen, wie wir die Kosten für die Speisung der Millionen Arbeitslosen veranschlagen müssen!«

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor am 24.1.07 zur Veröffentlichung gegeben.