Es waren die ersten Rückschläge des „starken Mannes“, der seit
Jahren ununterbrochen an seinem Image gearbeitet hatte. Kurz vor
der Weihnachtspause sieht sich der französische Innenminister
und Anwärter auf die konservative Präsidentschaftskandidatur,
Nicolas Sarkozy, mit den ersten ernsthaften Problemen seiner de
facto längst begonnen Wahlkampagne konfrontiert. Es hätte so
schon sein können: Bei seinen ersten Großveranstaltungen im
Sommer dieses Jahres in Nîmes, Agen und Marseille hatte der Law
and Order-Politiker sich mit prominenten Unterstützern „aus der
Zivilgesellschaft“ schmücken können. Der alternde, aber noch
immer populäre Schnulzen-Rocksänger Johnny Halliday, der Rapstar
„Doc Gyneco“ und der prominente Animateur von Fernsehshows
Pascal Servan stiegen zusammen mit ihm auf die Bühne. Das Image
Nicolas Sarkozy sollte aufgelockert werden, der Mann sollte in
der Öffentlichkeit nicht mehr vorwiegend mit Polizeiuniformen
identifiziert werden. Modern und „branché“, also hip,
sollte er erscheinen. Ein Mann der Kommunikation und der Kultur.
Und dann das! Alle drei vorgenannten Prominenten wurden im
Dezember mit schweren Skandalen belastet. Johnny Halliday hatte
soeben angekündigt, er werde künftig die Hälfte eines Jahres im
Schweizer Luxusort Gstaad verbringen und dort seinen
Hauptwohnsitz wählen, um in Frankreich keine Steuern zu
bezahlen. Der Millionär ist nämlich der Ansicht, dass die
Steuerlast für die Reichen in Frankreich einfach zu hoch sei
(und der erste, der ihm darin in der Öffentlichkeit
beipflichtete, war der „Oberpatriot“ Jean-Marie Le Pen). In
Gstaad können besonders reiche Leuten mit den Behörden
individuell aushandeln, wieviel Steuern sie dort bezahlen. „Doc
Gyneco“ hatte schon zuvor als merkwürdiger Wegbegleiter des
Innenminister gegolten, denn der Rapper hatte in früheren Texten
auch den Hass auf die Polizei besungen und ist als
Drogenkonsument bekannt. Allerdings gehört das Beschwören des
rebellischen Gestus noch irgendwie zu den Erfolgsgrundlagen, um
im Rapgeschäft erfolgreich zu sein ; das hinderte „Doc Gyneco“
nicht daran, in Wirklichkeit ein konformistischer Karrierist zu
sein. Auch sein extremes Machotum, das sich bereits in seinem
Künstlernamen (eine Abkürzung für „Frauenarzt“) ausdrückt, wurde
großzügig übersehen. Wie die Pariser Enthüllungs- und
Satirezeitung ‚Le Canard enchaîné’ in ihrer Ausgabe vom 27.
Dezember 06 ausführlich (auf der Grundlage eines Interviews mit
dem Rapper) berichtet, war „Doc Gynéco“ bereits Ende 2005,
parallel zu den Unruhen in den Banlieues, in Kontakt mit dem
Innenminister getreten und über Monate hinweg zu dessen
Verbündetem aufgebaut worden. Zum ersten Mal präsentierten sich
der Innenminister und der Gansta-Rapstar am 3. September,
anlässlich der Sarzkoy-Show in Marseille, zusammen der
Öffentlichkeit. Manche Betrachter rümpften, ob dieser Annäherung
verwundert, die Nase. Aber am 8. Dezember 2006 wurde „Doc Gynéco“
noch zusätzlich wegen Steuerbetrugs verurteilt und dazu
verdonnert, 700.000 Euro nachzuzahlen, womit der Multimillionär
endgültig ins Zwielicht geriet und die Öffentlichkeit einen
Einblick in die Einkommensverhältnisse des Pseudo-Rebellen
erhielt.
Pascal Sevran schließlich stand und steht im Mittelpunkt eines
Skandals. In einem Buch und einem Zeitungsinterview vom Herbst
2006 hatte er sich mit rassistischen Äußerungen hervorgetan und
behauptet: „Der Schwanz der Schwarzen ist schuld am Hunger in
Afrika.“ Damit spielte er auf die Falschbehauptung an, dass
angeblich Überbevölkerung statt der Weltwirtschaftsstrukturen
für Nahrungsknappheit auf dem Kontinent sorge. Die Republik
Niger hat inzwischen angekündigt, gegen den Showanimateur vor
französischen Gerichten Klage zu erheben. Sein Arbeitgeber, der
öffentlich-rechtliche Fernsehsender France 2, hat ihm eine
Abmahnung erteilt.
Solches Ungemach hinderte Sarkozy nicht daran, in den
darauffolgenden Tagen wieder in die Offensive zu gehen. Anfang
dieser Woche wechselte er nunmehr total sein Register in Sachen
Wirtschafts- und Sozialpolitik, um als Kandidat der sozialen
Gerechtigkeit und des Versprechens auf Veränderungen zugunsten
der Ausgebeuteten und Bedrängten aufzutreten.
Vom Neoliberalen im Kampfanzug zum sozialen Rächer (der
Enterbten)
Nein, keine Sorge: Nicolas Sarkozy ist nicht plötzlich links
geworden. Aber sein heterogen zusammengesetztes Team aus
Kommunikationsberatern hatte ihm schon seit Monaten zu verstehen
gegeben, dass sein bisheriges – durchaus zutreffendes – Image
als knallharter Wirtschaftsliberaler ihm in Frankreich keinen
Wahlsieg bescheren könne. Bis dahin war Nicolas Sarozy vor allem
als Frontmann des neoliberalen Projekts eines Umbaus des
bürgerlichen Staates, im Sinne einer Verlagerung weg von den
sozialstaatlichen Funktionen und zugunsten der repressiven
Staatsaufgaben, aufgetreten. Er sprach sich für eine Lockerung
bestehender Regulierungen im Arbeits- und Wirtschaftsleben aus,
insbesondere im Bereich der Arbeitszeiten: Deren „freiwillige“
individuelle Ausdehnung werde es den Niedriglohnbeziehern
erlauben, endlich ihr Einkommen (dank Überstundenzuschlägen) zu
erhöhen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Von Lohnerhöhungen
auf anderem Wege war bei ihm natürlich nicht die Rede. Und
während des Abstimmungskampfs vor dem Referendum über die
EU-Verfassung im Mai 2005 hielt Sarkozy gar eine Schweiß- und
Tränenrede: „Dank Europa“ werde es endlich gelingen, Frankreich
umzubauen und einem schwerfällig gewordenen Sozialsystem („das
nicht mehr das beste ist, weil es keine Arbeit schafft“) ein
Ende zu setzen. Damit riskierte er zwar de facto, das Referendum
zum Scheitern zu bringen, was dann ja auch eintrat. Aber
vielleicht kam ihm das damals gerade recht, denn die Mehrheit
für das „Nein“ bei der Abstimmung stellte zugleich eine schwere
persönliche Niederlage für Präsident Jacques Chirac dar. Dass
die politische Karriere des Amtsinhabers damit endgültig auf ihr
Ende zuging, kam Sarkozy gerade recht. Es räumte seinen
Hauptkonkurrenten auf der politischen Rechten aus dem Weg.
Innerhalb der Regierungs- und konservativen Einheitspartei UMP,
deren Vorsitz Sarkozy Ende 2004 gegen den erklärten Willen ihres
Gründers Jacques Chirac übernommen hatte, stützte Sarkozy sich
lange auf die so genannten „Réformateurs“ um Hervé
Novelli und den erklärten Berlusconi-Nachahmer Alain Madelin.
Also auf den harten Kern der offensten Adepten des
Neoliberalismus. Letztere erklären sich nunmehr in den letzten
Monaten „enttäuscht“ von Sarkozy. Ebenso kritisiert der
wirtschaftsliberale Leitartikel-Ideologe bei Le Monde,
Eric Le Boucher, zunehmend dessen „sozialen Populismus“, der
entgegen der wirtschaftlichen Vernunft stehe. Aber das
gehört zum Spiel, und dies dürfte den Beteiligten mutmaßlich
auch klar sein. Denn mit diesem Profil lässt sich in Frankreich
keine Mehrheit gewinnen.
Eine ältere Masche
Nicht als Erster hat Nicolas Sarkozy dies erkannt, bereits ein
anderer hat den Trick vor ihm durchgespielt und rechtzeitig zum
Wahlkampf einen solchen Sinneswandel vollzogen. Ende 1994 und
Anfang 1995 geibelte
ein gewisser Jacques Chirac landauf landab „la fracture
sociale“, also den sozialen Riss, der durch die Gesellschaft
gehe. Den Begriff hatte er frisch bei dem, politisch schwer
einzuordnen, Sozialwissenschaftler Emmanuel Todd geklaut. Viele
Franzosen erkannten sich in diesem Diskurs wider, als Chirac
seinen bürgerlichen Konkurrenten – den damaligen Premierminister
Edouard Balladur – angriff. Vier Monate nach seiner Wahl trat
Chirac dann im französischen Fernsehen auf: I‘m sorry, folks,
leider hatte ich die wirtschaftlichen Probleme unterschätzt,
erklärte er dem Publikum im September 1995, daher wird aus den
versprochenen sozialen Verbesserungen vorläufig nichts.
Ob Nicolas Sarkozy damit durchkommt, dieselbe Masche nochmals
anzuwenden, bleibt abzuwarten. Seine Ausgangsschwierigkeit
besteht darin, dass er nicht in der (scheinbaren) Opposition
steht wie Chirac damals, sondern seit 2002 - mit halbjähriger
Unterbrechung nach seiner Wahl an die UMP-Spitze – als
wichtigster Minister in der Regierung sitzt. Dennoch schwingt er
sich zum Mann des radikalen Wandels auf. Im vorigen Jahr schrieb
er zunächst „la rupture“, also den Bruch mit dem
Bestehenden, auf seine Fahnen. Der angestrebte Wechsel war
damals noch ziemlich klar im neoliberalen Sinne aufzufassen.
Sein konservativer Rivale, der amtierende Premierminister
Dominique de Villepin, machte ihm diese Rhetorik zum Vorwurf:
Radikale Brüche hätte in Frankreich bisher immer zu
Blutvergießen geführt, behauptete der bürgerliche Politiker.
Sarkozy erwiderte, ohne Brüche habe nicht so nicht etwas
verändert. Nunmehr hat er seinen quasi-offiziellen
Wahlkampfslogan aber abgeändert, und verspricht „la rupture
tranquille“, also den stillen Bruch. Die Ergänzung um ein
Wort sollte die Öffentlichkeit beruhigen, nachdem sich gezeigt
hatte, dass Sarkozys Macher-Image ihrer Mehrheit eher Furcht
einflösste. Jetzt erinnert der Spruch an François Mitterrands
Parole vor seiner Wahl 1981: „La force tranquille“ (Die
stille Kraft).
Auftritt in der Krisenzone
Der „stille Bruch“ beinhaltet nunmehr auch ein soziales
Glücksversprechen. Auch wenn es inhaltlich reichlich unkonkret
bleibt, so soll doch der Ton die Musik ausmachen. Sarkozy füllt
es mit einer Rhetorik aus, die den „Unterklassen“ zumindest den
Eindruck vermitteln soll, von ihm ernstgenommen und respektiert
zu werden. In Charlesville-Mézières, der Bezirkshauptstadt der
Krisenregion Ardennes an der belgischen Grenze, die besonders
hart von den Abwanderung traditioneller Industrien und dem
Verschwinden von Arbeitsplätzen betroffen ist – mehrfach kam es
in den letzten Jahren dort zu Verzweiflungsaktionen bei
Massenentlassungen, in Form scheinbarer „Maschinenstürmerei“ –
rief Sarkozy am Montag vor Weihnachten 2006 aus: Er ehre „jenes
Frankreich, das an die Leistung und den Verdienst glaubt, das
hart arbeitet, jenes Frankreich, von dem man niemals spricht,
weil es sich nicht beklagt, keine Autos anzündet, keine Züge
blockiert.“ Letzteres ist eine Anspielung auf Streiks im
öffentlichen Dienst, wo Sarkozy im Falle seiner Wahl zum
Präsidenten noch in den zwei Monaten nach Amtsantritt das
Streikrecht einschränken möchte: Anfang Dezember kündigte er an,
„bis im Juli 2007“ eine gesetzliche Dienstverpflichtung in den
Transportbetrieben einzuführen, die auch streikwillige
Belegschaften zum Weiterarbeiten in bestimmten Proportionen
verpflichten würde. Diese Forderung ist umso populärer, je
weiter rechts man im politischen Spektrum kommt, und stößt auf
eine Mehrheit in der jeweiligen Wählerschaft der
christdemokratischen Zentrumspartei UDF, der regierenden UMP und
des rechtsextremen Front National (wo sie am stärksten
ausfällt).
Sarkozy strich nicht nur dem hart arbeitenden, aber nicht
protestierenden Teil der Lohnabhängigen symbolisch Honig um den
Mund. Er kündigte ihm auch an, Frankreich sei „nicht zum Ende
der Industrie, nicht zum Sinken der Löhne und nicht zum
Verschwinden der französischen Identität verurteilt“. Er
wetterte sogar gegen die „soziale Kapitulation“ der regierenden
Rechten: „In den letzten fünf Jahren haben wir aufgehört, vor
der Kriminalität, der nicht beherrschten Einwanderung, der
Staatsverschuldung zu kapitulieren. Aber wir haben bei unserer
sozialen Botschaft kapituliert. Wir müssen vom Aufgeben zur
Kühnheit übergehen.“ Auch dies erinnert an frühere Vorbilder,
wie Chirac Angriffe auf Balladur in den Jahren 1994/95, aber
auch die Kritik des gaullistischen Politikers (und
Arbeitsministers einer thatcheristisch orientierten
Chirac-Regierung Mitte der achtziger Jahre) Philippe Séguin an
einem „sozialen München“ in Gestalt des Maastricht-Vertrags von
1992 - unter Anspielung auf das Münchener Abkommen zwischen
Daladier, Chamberlain und Hitler.
Die Pariser Abendzeitung Le Monde hat freilich seinen
Auftritt in Charlesville-Mézières näher beobachtet und berichtet
darüber in ihrer Ausgabe vom 20. Dezember: „Der Kandidat hält
sich meistens bei Feststellungen (Anm.: über den Stand der
sozialen Krise) auf, und hat wenig neue Ideen vorgetragen. (…)
Aber um die desorientierten Wähler zur UMP zurückzubringen,
zählt der Kandidat offensichtlich mehr auf seine
Überzeugungskraft – auf die Gefahr hin, zu beschwören – denn auf
konkrete Maßnahmen.“
Starker Mann und Appell an „Eigenverantwortung“
Jenseits der puren Wahlkampfrhetorik schält sich eine politische
Methode heraus. Nicolas Sarkozy nimmt bei zahlreichen Anlässen
eine Pose ein, die zwei Elemente miteinander kombiniert: Sein
eigenes Auftreten als „starker Mann“, der dem Publikum Angebote
macht und der alles richten kann – und der Appell an die
„individuelle Verantwortung“, die den Angehörigen der sozialen
Unterklassen auferliege. Und wenn letztere das Angebot nicht
wahrnehmen, das ihnen den Austritt aus ihrer Armut zusichern
soll, dann tragen sie eben selbst Schuld daran, wenn sie es
nicht schaffen.
Im Mittelpunkt steht eine Masche, die Sarkozy bereits einfach
mehrfach angewandt hat: Befragt nach sozialen Problemen und fast
ausweglos erscheinenden Lebenssituationen, knüpft er einen
individuellen Kontakt mit der ihn befragenden Person, der er
eine Lösung ihrer Problem verspricht. Anfang Dezember etwa
absolvierte der Minister, der am 30. des Vormats seine
offizielle Bewerbung für die Kandidatenkür der UMP im Januar
abgegeben hatte (nachdem er seine Präsidentschaftsambitionen
schon in einer Talkshow im Herbst 2003 hinausposaunt hatte: „Ich
denke daran, nicht nur am Morgen, wenn ich mich rasiere“),
seinen ersten Fernsehauftritt als erklärter Kandidat. Drei
Stunden am Stück stand er Rede und Antwort. Befragt von einer in
Armut lebenden Frau und Mutter, die keine Wohnung finden kann,
antwortete er, unter seiner Präsidentschaft würden Personen wie
ihr in solchen Fällen Kredite durch die öffentliche Hand
angeboten. An ihr läge es dann, wieder eine Arbeit aufzunehmen
und den Kredit zurückzuzahlen. Aus gleichem Anlass versprach
Sarkozy, „denen zu helfen, die (aus der Armut) herauskommen
wollen, aber ohne Mitleid denen gegenüber zu sein, die nicht
herausfinden wollen“. Selbst Schuld werden also jene sein, die
am Schluss dann doch keinen Job finden werden, oder etwa nur
Teilzeitjobs (wie im Verkaufssektor) für erwerbstätige Frauen,
die sie noch tiefer ins Elend stoßen werden als die
Sozialleistungen – welch letztere Sarkozy verdammt, weil es jene
zu bevorzugen gelte, „die früh aufstehen, die sich anstrengen
und es aus eigener Kraft schaffen wollen“.
Ähnlich ist das Strickmuster, das bei Sarkozys Auftritten in den
sozialen Krisenzonen der Trabantenstädte zum Vorschein kommt.
Denn auch dort tritt der Mann mit Zuckerbrot und Peitsche auf,
und schafft es in der Praxis auch, die Einwohnerschaft
tendenziell auseinander zu dividieren. Bei seinem ersten
umstrittenen Besuch in einer Banlieue, im Juni 2005 in La
Courneuve, drohte Sarkozy mit einer „Säuberung der Siedlung mit
dem Hochdruckreiniger“, die sich gegen „illegale Immigranten,
Gesetzesbrecher und Dealer“ richten werde. Aber einige Wochen
später kehrte Sarkozy, dieses Mal weniger von den Medien
beachtet, an den Ort des Geschehens zurück. Dieses Mal brachte
er in seinem Gepräck das Versprechen von einigen hundert Jobs in
öffentlichen Betrieben, aber auch bei einigen – angeblich von
ihm dafür gewonnen - großen Privatfirmen, die in naher Zukunft
im Umland angesiedelt würden, mit. Neben Chancen für jene, die
deshalb künftig „früh aufstehen“ würden, drohte Sarkozy auch
jenen Unheil an, die danach noch immer keinen Willen zur
Eingliederung durch den Job zeigten. Nun mag die gezielte
Ansiedlung einerAnzahl von Jobs an jenem Ort tatsächlich einigen
Personen Arbeitsmöglichkeiten verschafft haben. Aber die
Gesamtzahl an Jobs für Banlieue-Bewohner und andere soziale
Marginalisierte, oder ganz generell für Lohnabhängige, ist damit
natürlich nicht gewachsen. Durch Sarkozys geschickte Verpackung
soll es aber künftig so aussehen, als trügen die Leute daran
allein selbst die Schuld. Bei jenen, die in Lohn und Brot stehen
und denen Sarkozy die harte Verfolgung „jener, die nicht
arbeiten wollen und straffällig werden“ verspricht, darunter
auch einer starken Minderheit von Banlieue-Bewohnern selbst,
kommt das durchaus gut an.
Duzfreund der Wirtschaftskapitäne
Dass Nicolas Sarkozy solche Versprechungen unter Einbeziehung
von Privatfirmen überhaupt machen kann, liegt auch an seinen
privilegierten Beziehungen zu führenden Großunternehmern. Einige
von ihnen sind mit dem Minister seit längerem per Du. Martin
Bouygues, Konzernerbe des Bouygues-Imperiums – sprichwörtlich
bekannter „Betonriese“, einer der Marktführer bei
Mobiltelefonangeboten und Eigentümer des 1987 von
Premierminister Chirac privatisierten ersten Fernsehkanals – ist
der Pate von Sarkozys Söhnchen Louis, und angeblich telefonieren
die beiden Männer täglich miteinander. Arnaud Lagardère, der
Sohn des 2003 verstorbenen Jean-Luc Lagardère (Gründer des
gleichnamigen Mischkonzerns: Rüstung, Medien u.a.) und
Eigentümer der Hälfte der französischen Printpresse, ist
ebenfalls ein Intimus des Präsidentschaftskandidaten. Der
ehemalige Wirtschaftsanwalt Sarkozy hat seine
Erbschaftsangelegenheiten in Ordnung gebracht. Der
Presseverleger sah sich gezwungen, das weit verbreitete Gerücht
zu dementieren, er habe im Herbst 2005 den ehemaligen
Chefredakteur des Regenbogenmagazins Paris Match – Alain
Genestar – aus dem Grund entlassen, weil die Zeitschrift kurz
zuvor auf ihrer Titelseite über den Seitensprung von Sarkozys
Ehefrau Cécilia berichtet hatte. Der Minister war damals schwer
erzürnt und kündigte an, „mit meinem Freund Lagardère“ darüber
zu sprechen. Nicht deswegen, sondern aufgrund einer sinkenden
Auflage habe Genestar gehen müssen, so lautet das lauwarme
Dementi Lagardères, das er kürzlich mit einjähriger Verspätung
ablieferte. Der Flugzeugbauer und Rüstungsindustrielle Serge
Dassault schließlich – Erbe von Marcel Dassault -, der 2004 über
30 Prozent der Zeitungslandschaft aufkaufte, ist ein ehemaliger
Klient von Sarkozys Anwaltskanzlei und lobte an ihm, dass er
„alle Qualitäten, die ich gern an meinem Sohn vorgefunden hätte“
aufweise. Nicht zuletzt ist Sarkozy auch deswegen mit vielen in
der High Society persönlich bekannt, weil der erste wichtige
Meilenstein seiner politischen Karriere darin bestand, dass er
1983 junger Bürgermeister des Pariser Nobelvororts
Neuilly-sur-Seine wurde. Dort ist ein nicht geringer Anteil des
französischen Reichtums konzentriert.
Bush-Adeptentum als Achillesferse
Sein wirtschaftsliberales Profil gehört zu den verletzlichen
Seiten des Politikers Nicolas Sarkozy, die der
Präsidentschaftskandidat jetzt in allerjüngster Zeit zu
überdecken versucht. Eine weitere Achillesferse, an der ihn
unzufriedene Gaullisten – die an den traditionellen Werten
Charles de Gaulles orientiert bleiben – und wohl auch die mit
ihm rivalisierenden Chirac-Anhänger zu packen versuchen werden,
ist die Außenpolitik. Nicolas Sarkozy ist ein extremer
Pro-Amerikaner und Bush-Anhänger, der sich nicht scheute, am 11.
September 2006 von New Yotk und Washington aus die französische
Politik unter seinem – geht es nach seinem Willen – künftigen
Amtsvorgänger Chirac zu denunzieren. Die französische Haltung
während des Irakkriegs 2003 sei ein Fehler gewesen, Paris sei
„arrogant“ gewesen und habe Amerika gar „erniedrigt“, tönte
Sarkozy. Bereits in den Tagen des Krieges war bekannt, dass
Sarkozy seine Ablehnung durch die französische Politik für
falsch befand, nur äußerte er sich damals noch nicht lautstark
darüber. Zu Hause nenne man ihn auch „Sarkozy den Amerikaner“,
fügte der Kandidat stolz – und nicht völlig der Wahrheit
entsprechend – hinzu.
Sarkozy war wohl der Auffassung, dieser Auftritt sei ihm
nützlich gewesen, da er an staatsmännischem Profil gewonnen
habe. Im Nachhinein wurde er jedoch zum halben Fiasko, und in
den Augen mancher Medien hat Sarkozy sich gründlich blamiert.
Das gemeinsame Foto des französischen Kandidaten mit
US-Präsident Bush, das veröffentlicht worden war, wurde bewusst
aus einem Winkel heraus aufgenommen, aus dem beide Herren gleich
groß aussehen. Mehrere französische Zeitungen erinnerten sich
jedoch daran, dass Nicolas Sarkozy 1,68 Meter misst, George W.
Bush jedoch 1,83 Meter. Und sie zögerten nicht, mittels
Computersimulation die tatsächlichen Größenverhältnisse
wiederherzustellen und den Bildschwindel auffliegen zu lassen.
Ansonsten kommt Sarkozys Nachahmung des „US-amerikanischen
Modells“ ebenfalls nicht überall gut an. Insbesondere träumt der
Kandidat von einer nachhaltigen Infragestellung des Laizismus
der französischen Republik. Als er dieses Anliegen 2004 in einem
Buch vortrug, versah er es einstweilen mit der
pseudo-fortschrittlichen Begründung einer „besseren Integration
des Islam in Frankreich“, die er damit zu einer kulturellen
Angelegenheit statt einer Frage endlich gleicher Rechte der
Immigranten erklärte. In Wirklichkeit ist es Sarkozy jedoch
darum bestellt, generell die soziale Ordnungsfunktion der
Religion im Alltag wieder zu entdecken, und sich dabei durch die
Rolle der Religionsgruppen in der US-Innenpolitik inspirieren zu
lassen. Auch dies gehört zu den Themen, bei denen er sich
möglicherweise im Wahlkampf bedeckt halten wird.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel wurde uns vom Autor am 3.1.2007 zur Veröffentlichung überlassen.