Bernard Schmid berichtet aus Frankreich  

Die wundersame Wandlung des Nicolas Sarkozy: Vom Neoliberalen im Kampfanzug zum Apostel der sozialen Gerechtigkeit?

01/07

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Es waren die ersten Rückschläge des „starken Mannes“, der seit Jahren ununterbrochen an seinem Image gearbeitet hatte. Kurz vor der Weihnachtspause sieht sich der französische Innenminister und Anwärter auf die konservative Präsidentschaftskandidatur, Nicolas Sarkozy, mit den ersten ernsthaften Problemen seiner de facto längst begonnen Wahlkampagne konfrontiert. Es hätte so schon sein können: Bei seinen ersten Großveranstaltungen im Sommer dieses Jahres in Nîmes, Agen und Marseille hatte der Law and Order-Politiker sich mit prominenten Unterstützern „aus der Zivilgesellschaft“ schmücken können. Der alternde, aber noch immer populäre Schnulzen-Rocksänger Johnny Halliday, der Rapstar „Doc Gyneco“ und der prominente Animateur von Fernsehshows Pascal Servan stiegen zusammen mit ihm auf die Bühne. Das Image Nicolas Sarkozy sollte aufgelockert werden, der Mann sollte in der Öffentlichkeit nicht mehr vorwiegend mit Polizeiuniformen identifiziert werden. Modern und „branché“, also hip, sollte er erscheinen. Ein Mann der Kommunikation und der Kultur. 

Und dann das! Alle drei vorgenannten Prominenten wurden im Dezember mit schweren Skandalen belastet. Johnny Halliday hatte soeben angekündigt, er werde künftig die Hälfte eines Jahres im Schweizer Luxusort Gstaad verbringen und dort seinen Hauptwohnsitz wählen, um in Frankreich keine Steuern zu bezahlen. Der Millionär ist nämlich der Ansicht, dass die Steuerlast für die Reichen in Frankreich einfach zu hoch sei (und der erste, der ihm darin in der Öffentlichkeit beipflichtete, war der „Oberpatriot“ Jean-Marie Le Pen). In Gstaad können besonders reiche Leuten mit den Behörden individuell aushandeln, wieviel Steuern sie dort bezahlen. „Doc Gyneco“ hatte schon zuvor als merkwürdiger Wegbegleiter des Innenminister gegolten, denn der Rapper hatte in früheren Texten auch den Hass auf die Polizei besungen und ist als Drogenkonsument bekannt. Allerdings gehört das Beschwören des rebellischen Gestus noch irgendwie zu den Erfolgsgrundlagen, um im Rapgeschäft erfolgreich zu sein ; das hinderte „Doc Gyneco“ nicht daran, in Wirklichkeit ein konformistischer Karrierist zu sein. Auch sein extremes Machotum, das sich bereits in seinem Künstlernamen (eine Abkürzung für „Frauenarzt“) ausdrückt, wurde großzügig übersehen. Wie die Pariser Enthüllungs- und Satirezeitung ‚Le Canard enchaîné’ in ihrer Ausgabe vom 27. Dezember 06 ausführlich (auf der Grundlage eines Interviews mit dem Rapper) berichtet, war „Doc Gynéco“ bereits Ende 2005, parallel zu den Unruhen in den Banlieues, in Kontakt mit dem Innenminister getreten und über Monate hinweg zu dessen Verbündetem aufgebaut worden. Zum ersten Mal präsentierten sich der Innenminister und der Gansta-Rapstar am 3. September, anlässlich der Sarzkoy-Show in Marseille, zusammen der Öffentlichkeit. Manche Betrachter rümpften, ob dieser Annäherung verwundert, die Nase. Aber am 8. Dezember 2006 wurde „Doc Gynéco“ noch zusätzlich wegen Steuerbetrugs verurteilt und dazu verdonnert, 700.000 Euro nachzuzahlen, womit der Multimillionär endgültig ins Zwielicht geriet und die Öffentlichkeit einen Einblick in die Einkommensverhältnisse des Pseudo-Rebellen erhielt.  

Pascal Sevran schließlich stand und steht im Mittelpunkt eines Skandals. In einem Buch und einem Zeitungsinterview vom Herbst 2006 hatte er sich mit rassistischen Äußerungen hervorgetan und behauptet: „Der Schwanz der Schwarzen ist schuld am Hunger in Afrika.“ Damit spielte er auf die Falschbehauptung an, dass angeblich Überbevölkerung statt der Weltwirtschaftsstrukturen für Nahrungsknappheit auf dem Kontinent sorge. Die Republik Niger hat inzwischen angekündigt, gegen den Showanimateur vor französischen Gerichten Klage zu erheben. Sein Arbeitgeber, der öffentlich-rechtliche Fernsehsender France 2, hat ihm eine Abmahnung erteilt. 

Solches Ungemach hinderte Sarkozy nicht daran, in den darauffolgenden Tagen wieder in die Offensive zu gehen. Anfang dieser Woche wechselte er nunmehr total sein Register in Sachen Wirtschafts- und Sozialpolitik, um als Kandidat der sozialen Gerechtigkeit und des Versprechens auf Veränderungen zugunsten der Ausgebeuteten und Bedrängten aufzutreten. 

Vom Neoliberalen im Kampfanzug zum sozialen Rächer (der Enterbten) 

Nein, keine Sorge: Nicolas Sarkozy ist nicht plötzlich links geworden. Aber sein heterogen zusammengesetztes Team aus Kommunikationsberatern hatte ihm schon seit Monaten zu verstehen gegeben, dass sein bisheriges – durchaus zutreffendes – Image als knallharter Wirtschaftsliberaler ihm in Frankreich keinen Wahlsieg bescheren könne. Bis dahin war Nicolas Sarozy vor allem als Frontmann des neoliberalen Projekts eines Umbaus des bürgerlichen Staates, im Sinne einer Verlagerung weg von den sozialstaatlichen Funktionen und zugunsten der repressiven Staatsaufgaben, aufgetreten. Er sprach sich für eine Lockerung bestehender Regulierungen im Arbeits- und Wirtschaftsleben aus, insbesondere im Bereich der Arbeitszeiten: Deren „freiwillige“ individuelle Ausdehnung werde es den Niedriglohnbeziehern erlauben, endlich ihr Einkommen (dank Überstundenzuschlägen) zu erhöhen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Von Lohnerhöhungen auf anderem Wege war bei ihm natürlich nicht die Rede. Und während des Abstimmungskampfs vor dem Referendum über die EU-Verfassung im Mai 2005 hielt Sarkozy gar eine Schweiß- und Tränenrede: „Dank Europa“ werde es endlich gelingen, Frankreich umzubauen und einem schwerfällig gewordenen Sozialsystem („das nicht mehr das beste ist, weil es keine Arbeit schafft“) ein Ende zu setzen. Damit riskierte er zwar de facto, das Referendum zum Scheitern zu bringen, was dann ja auch eintrat. Aber vielleicht kam ihm das damals gerade recht, denn die Mehrheit für das „Nein“ bei der Abstimmung stellte zugleich eine schwere persönliche Niederlage für Präsident Jacques Chirac dar. Dass die politische Karriere des Amtsinhabers damit endgültig auf ihr Ende zuging, kam Sarkozy gerade recht. Es räumte seinen Hauptkonkurrenten auf der politischen Rechten aus dem Weg. 

Innerhalb der Regierungs- und konservativen Einheitspartei UMP, deren Vorsitz Sarkozy Ende 2004 gegen den erklärten Willen ihres Gründers Jacques Chirac übernommen hatte, stützte Sarkozy sich lange auf die so genannten „Réformateurs“ um Hervé Novelli und den erklärten Berlusconi-Nachahmer Alain Madelin. Also auf den harten Kern der offensten Adepten des Neoliberalismus. Letztere erklären sich nunmehr in den letzten Monaten „enttäuscht“ von Sarkozy. Ebenso kritisiert der wirtschaftsliberale Leitartikel-Ideologe bei Le Monde, Eric Le Boucher, zunehmend dessen „sozialen Populismus“, der entgegen der wirtschaftlichen Vernunft stehe. Aber das gehört zum Spiel, und dies dürfte den Beteiligten mutmaßlich auch klar sein. Denn mit diesem Profil lässt sich in Frankreich keine Mehrheit gewinnen.  

Eine ältere Masche 

Nicht als Erster hat Nicolas Sarkozy dies erkannt, bereits ein anderer hat  den Trick vor ihm durchgespielt und rechtzeitig zum Wahlkampf einen solchen Sinneswandel vollzogen. Ende 1994 und Anfang 1995 geibelte ein gewisser Jacques Chirac landauf landab „la fracture sociale“, also den sozialen Riss, der durch die Gesellschaft gehe. Den Begriff hatte er frisch bei dem, politisch schwer einzuordnen, Sozialwissenschaftler Emmanuel Todd geklaut. Viele Franzosen erkannten sich in diesem Diskurs wider, als Chirac seinen bürgerlichen Konkurrenten – den damaligen Premierminister Edouard Balladur – angriff. Vier Monate nach seiner Wahl trat Chirac dann im französischen Fernsehen auf: I‘m sorry, folks, leider hatte ich die wirtschaftlichen Probleme unterschätzt, erklärte er dem Publikum im September 1995, daher wird aus den versprochenen sozialen Verbesserungen vorläufig nichts. 

Ob Nicolas Sarkozy damit durchkommt, dieselbe Masche nochmals anzuwenden, bleibt abzuwarten. Seine Ausgangsschwierigkeit besteht darin, dass er nicht in der (scheinbaren) Opposition steht wie Chirac damals, sondern seit 2002 - mit halbjähriger Unterbrechung nach seiner Wahl an die UMP-Spitze – als wichtigster Minister in der Regierung sitzt. Dennoch schwingt er sich zum Mann des radikalen Wandels auf. Im vorigen Jahr schrieb er zunächst „la rupture“, also den Bruch mit dem Bestehenden, auf seine Fahnen. Der angestrebte Wechsel war damals noch ziemlich klar im neoliberalen Sinne aufzufassen. Sein konservativer Rivale, der amtierende Premierminister Dominique de Villepin, machte ihm diese Rhetorik zum Vorwurf: Radikale Brüche hätte in Frankreich bisher immer zu Blutvergießen geführt, behauptete der bürgerliche Politiker. Sarkozy erwiderte, ohne Brüche habe nicht so nicht etwas verändert. Nunmehr hat er seinen quasi-offiziellen Wahlkampfslogan aber abgeändert, und verspricht „la rupture tranquille“, also den stillen Bruch. Die Ergänzung um ein Wort sollte die Öffentlichkeit beruhigen, nachdem sich gezeigt hatte, dass Sarkozys Macher-Image ihrer Mehrheit eher Furcht einflösste. Jetzt erinnert der Spruch an François Mitterrands Parole vor seiner Wahl 1981: „La force tranquille“ (Die stille Kraft). 

Auftritt in der Krisenzone 

Der „stille Bruch“ beinhaltet nunmehr auch ein soziales Glücksversprechen. Auch wenn es inhaltlich reichlich unkonkret bleibt, so soll doch der Ton die Musik ausmachen. Sarkozy füllt es mit einer Rhetorik aus, die den „Unterklassen“ zumindest den Eindruck vermitteln soll, von ihm ernstgenommen und respektiert zu werden. In Charlesville-Mézières, der Bezirkshauptstadt der Krisenregion Ardennes an der belgischen Grenze, die besonders hart von den Abwanderung traditioneller Industrien und dem  Verschwinden von Arbeitsplätzen betroffen ist – mehrfach kam es in den letzten Jahren dort zu Verzweiflungsaktionen bei Massenentlassungen, in Form scheinbarer „Maschinenstürmerei“ – rief Sarkozy am Montag vor Weihnachten  2006 aus: Er ehre „jenes Frankreich, das an die Leistung und den Verdienst glaubt, das hart arbeitet, jenes Frankreich, von dem man niemals spricht, weil es sich nicht beklagt, keine Autos anzündet, keine Züge blockiert.“ Letzteres ist eine Anspielung auf Streiks im öffentlichen Dienst, wo Sarkozy im Falle seiner Wahl zum Präsidenten noch in den zwei Monaten nach Amtsantritt das Streikrecht einschränken möchte: Anfang Dezember kündigte er an, „bis im Juli 2007“ eine gesetzliche Dienstverpflichtung in den Transportbetrieben einzuführen, die auch streikwillige Belegschaften zum Weiterarbeiten in bestimmten Proportionen verpflichten würde. Diese Forderung ist umso populärer, je weiter rechts man im politischen Spektrum kommt, und stößt auf eine Mehrheit in der jeweiligen Wählerschaft der christdemokratischen Zentrumspartei UDF, der regierenden UMP und des rechtsextremen Front National (wo sie am stärksten ausfällt). 

   Sarkozy strich nicht nur dem hart arbeitenden, aber nicht protestierenden Teil der Lohnabhängigen symbolisch Honig um den Mund. Er kündigte ihm auch an, Frankreich sei „nicht zum Ende der Industrie, nicht zum Sinken der Löhne und nicht zum Verschwinden der französischen Identität verurteilt“. Er wetterte sogar gegen die „soziale Kapitulation“ der regierenden Rechten: „In den letzten fünf Jahren haben wir aufgehört, vor der Kriminalität, der nicht beherrschten Einwanderung, der Staatsverschuldung zu kapitulieren. Aber wir haben bei unserer sozialen Botschaft kapituliert. Wir müssen vom Aufgeben zur Kühnheit übergehen.“ Auch dies erinnert an frühere Vorbilder, wie Chirac Angriffe auf Balladur in den Jahren 1994/95, aber auch die Kritik des gaullistischen Politikers (und Arbeitsministers einer thatcheristisch orientierten Chirac-Regierung Mitte der achtziger Jahre) Philippe Séguin an einem „sozialen München“ in Gestalt des Maastricht-Vertrags von 1992 - unter Anspielung auf das Münchener Abkommen zwischen Daladier, Chamberlain und Hitler.  

Die Pariser Abendzeitung Le Monde hat freilich seinen Auftritt in Charlesville-Mézières näher beobachtet und berichtet darüber in ihrer Ausgabe vom 20. Dezember: „Der Kandidat hält sich meistens bei Feststellungen (Anm.: über den Stand der sozialen Krise) auf, und hat wenig neue Ideen vorgetragen. (…) Aber um die desorientierten Wähler zur UMP zurückzubringen, zählt der Kandidat offensichtlich mehr auf seine Überzeugungskraft – auf die Gefahr hin, zu beschwören – denn auf konkrete Maßnahmen.“  

Starker Mann und Appell an „Eigenverantwortung“ 

Jenseits der puren Wahlkampfrhetorik schält sich eine politische Methode heraus. Nicolas Sarkozy nimmt bei zahlreichen Anlässen eine Pose ein, die zwei Elemente miteinander kombiniert: Sein eigenes Auftreten als „starker Mann“, der dem Publikum Angebote macht und der alles richten kann – und der Appell an die „individuelle Verantwortung“, die den Angehörigen der sozialen Unterklassen auferliege. Und wenn letztere das Angebot nicht wahrnehmen, das ihnen den Austritt aus ihrer Armut zusichern soll, dann tragen sie eben selbst Schuld daran, wenn sie es nicht schaffen.  

Im Mittelpunkt steht eine Masche, die Sarkozy bereits einfach mehrfach angewandt hat: Befragt nach sozialen Problemen und fast ausweglos erscheinenden Lebenssituationen, knüpft er einen individuellen Kontakt mit der ihn befragenden Person, der er eine Lösung ihrer Problem verspricht. Anfang Dezember etwa absolvierte der Minister, der am 30. des Vormats seine offizielle Bewerbung für die Kandidatenkür der UMP im Januar abgegeben hatte (nachdem er seine Präsidentschaftsambitionen schon in einer Talkshow im Herbst 2003 hinausposaunt hatte: „Ich denke daran, nicht nur am Morgen, wenn ich mich rasiere“), seinen ersten Fernsehauftritt als erklärter Kandidat. Drei Stunden am Stück stand er Rede und Antwort. Befragt von einer in Armut lebenden Frau und Mutter, die keine Wohnung finden kann, antwortete er, unter seiner Präsidentschaft würden Personen wie ihr in solchen Fällen Kredite durch die öffentliche Hand angeboten. An ihr läge es dann, wieder eine Arbeit aufzunehmen und den Kredit zurückzuzahlen. Aus gleichem Anlass versprach Sarkozy, „denen zu helfen, die (aus der Armut) herauskommen wollen, aber ohne Mitleid denen gegenüber zu sein, die nicht herausfinden wollen“. Selbst Schuld werden also jene sein, die am Schluss dann doch keinen Job finden werden, oder etwa nur Teilzeitjobs (wie im Verkaufssektor) für erwerbstätige Frauen, die sie noch tiefer ins Elend stoßen werden als die Sozialleistungen – welch letztere Sarkozy verdammt, weil es jene zu bevorzugen gelte, „die früh aufstehen, die sich anstrengen und es aus eigener Kraft schaffen wollen“.  

Ähnlich ist das Strickmuster, das bei Sarkozys Auftritten in den sozialen Krisenzonen der Trabantenstädte zum Vorschein kommt. Denn auch dort tritt der Mann mit Zuckerbrot und Peitsche auf, und schafft es in der Praxis auch, die Einwohnerschaft tendenziell auseinander zu dividieren. Bei seinem ersten umstrittenen Besuch in einer Banlieue, im Juni 2005 in La Courneuve, drohte Sarkozy mit einer „Säuberung der Siedlung mit dem Hochdruckreiniger“, die sich gegen „illegale Immigranten, Gesetzesbrecher und Dealer“ richten werde. Aber einige Wochen später kehrte Sarkozy, dieses Mal weniger von den Medien beachtet, an den Ort des Geschehens zurück. Dieses Mal brachte er in seinem Gepräck das Versprechen von einigen hundert Jobs in öffentlichen Betrieben, aber auch bei einigen – angeblich von ihm dafür gewonnen - großen Privatfirmen, die in naher Zukunft im Umland angesiedelt würden, mit. Neben Chancen für jene, die deshalb künftig „früh aufstehen“ würden, drohte Sarkozy auch jenen Unheil an, die danach noch immer keinen Willen zur Eingliederung durch den Job zeigten. Nun mag die gezielte Ansiedlung einerAnzahl von Jobs an jenem Ort tatsächlich einigen Personen Arbeitsmöglichkeiten verschafft haben. Aber die Gesamtzahl an Jobs für Banlieue-Bewohner und andere soziale Marginalisierte, oder ganz generell für Lohnabhängige, ist damit natürlich nicht gewachsen. Durch Sarkozys geschickte Verpackung soll es aber künftig so aussehen, als trügen die Leute daran allein selbst die Schuld. Bei jenen, die in Lohn und Brot stehen und denen Sarkozy die harte Verfolgung „jener, die nicht arbeiten wollen und straffällig werden“ verspricht, darunter auch einer starken Minderheit von Banlieue-Bewohnern selbst, kommt das durchaus gut an. 

Duzfreund der Wirtschaftskapitäne 

Dass Nicolas Sarkozy solche Versprechungen unter Einbeziehung von Privatfirmen überhaupt machen kann, liegt auch an seinen privilegierten Beziehungen zu führenden Großunternehmern. Einige von ihnen sind mit dem Minister seit längerem per Du. Martin Bouygues, Konzernerbe des Bouygues-Imperiums – sprichwörtlich bekannter „Betonriese“, einer der Marktführer bei Mobiltelefonangeboten und Eigentümer des 1987 von Premierminister Chirac privatisierten ersten Fernsehkanals – ist der Pate von Sarkozys Söhnchen Louis, und angeblich telefonieren die beiden Männer täglich miteinander. Arnaud Lagardère, der Sohn des 2003 verstorbenen Jean-Luc Lagardère (Gründer des gleichnamigen Mischkonzerns: Rüstung, Medien u.a.) und Eigentümer der Hälfte der französischen Printpresse, ist ebenfalls ein Intimus des Präsidentschaftskandidaten. Der ehemalige Wirtschaftsanwalt Sarkozy hat seine Erbschaftsangelegenheiten in Ordnung gebracht. Der Presseverleger sah sich gezwungen, das weit verbreitete Gerücht zu dementieren, er habe im Herbst 2005 den ehemaligen Chefredakteur des Regenbogenmagazins Paris Match – Alain Genestar – aus dem Grund entlassen, weil die Zeitschrift kurz zuvor auf ihrer Titelseite über den Seitensprung von Sarkozys Ehefrau Cécilia berichtet hatte. Der Minister war damals schwer erzürnt und kündigte an, „mit meinem Freund Lagardère“ darüber zu sprechen. Nicht deswegen, sondern aufgrund einer sinkenden Auflage habe Genestar gehen müssen, so lautet das lauwarme Dementi Lagardères, das er kürzlich mit einjähriger Verspätung ablieferte. Der Flugzeugbauer und Rüstungsindustrielle Serge Dassault schließlich – Erbe von Marcel Dassault -, der 2004 über 30 Prozent der Zeitungslandschaft aufkaufte, ist ein ehemaliger Klient von Sarkozys Anwaltskanzlei und lobte an ihm, dass er „alle Qualitäten, die ich gern an meinem Sohn vorgefunden hätte“ aufweise. Nicht zuletzt ist Sarkozy auch deswegen mit vielen in der High Society persönlich bekannt, weil der erste wichtige Meilenstein seiner politischen Karriere darin bestand, dass er 1983 junger Bürgermeister des Pariser Nobelvororts Neuilly-sur-Seine wurde. Dort ist ein nicht geringer Anteil des französischen Reichtums konzentriert. 

Bush-Adeptentum als Achillesferse 

Sein wirtschaftsliberales Profil gehört zu den verletzlichen Seiten des Politikers Nicolas Sarkozy, die der Präsidentschaftskandidat jetzt in allerjüngster Zeit zu überdecken versucht. Eine weitere Achillesferse, an der ihn unzufriedene Gaullisten – die an den traditionellen Werten Charles de Gaulles orientiert bleiben – und wohl auch die mit ihm rivalisierenden Chirac-Anhänger zu packen versuchen werden, ist die Außenpolitik. Nicolas Sarkozy ist ein extremer Pro-Amerikaner und Bush-Anhänger, der sich nicht scheute, am 11. September 2006 von New Yotk und Washington aus die französische Politik unter seinem – geht es nach seinem Willen – künftigen Amtsvorgänger Chirac zu denunzieren. Die französische Haltung während des Irakkriegs  2003 sei ein Fehler gewesen, Paris sei „arrogant“ gewesen und habe Amerika gar „erniedrigt“, tönte Sarkozy. Bereits in den Tagen des Krieges war bekannt, dass Sarkozy seine Ablehnung durch die französische Politik für falsch befand, nur äußerte er sich damals noch nicht lautstark darüber. Zu Hause nenne man ihn auch „Sarkozy den Amerikaner“, fügte der Kandidat stolz – und nicht völlig der Wahrheit entsprechend – hinzu.  

Sarkozy war wohl der Auffassung, dieser Auftritt sei ihm nützlich gewesen, da er an staatsmännischem Profil gewonnen habe. Im Nachhinein wurde er jedoch zum halben Fiasko, und in den Augen mancher Medien hat Sarkozy sich gründlich blamiert. Das gemeinsame Foto des französischen Kandidaten mit US-Präsident Bush, das veröffentlicht worden war, wurde bewusst aus einem Winkel heraus aufgenommen, aus dem beide Herren gleich groß aussehen. Mehrere französische Zeitungen erinnerten sich jedoch daran, dass Nicolas Sarkozy 1,68 Meter misst, George W. Bush jedoch 1,83 Meter. Und sie zögerten nicht, mittels Computersimulation die tatsächlichen Größenverhältnisse wiederherzustellen und den Bildschwindel auffliegen zu lassen. Ansonsten kommt Sarkozys Nachahmung des „US-amerikanischen Modells“ ebenfalls nicht überall gut an. Insbesondere träumt der Kandidat von einer nachhaltigen Infragestellung des Laizismus der französischen Republik. Als er dieses Anliegen 2004 in einem Buch vortrug, versah er es einstweilen mit der pseudo-fortschrittlichen Begründung einer „besseren Integration des Islam in Frankreich“, die er damit zu einer kulturellen Angelegenheit statt einer Frage endlich gleicher Rechte der Immigranten erklärte. In Wirklichkeit ist es Sarkozy jedoch darum bestellt, generell die soziale Ordnungsfunktion der Religion im Alltag wieder zu entdecken, und sich dabei durch die Rolle der Religionsgruppen in der US-Innenpolitik inspirieren zu lassen. Auch dies gehört zu den Themen, bei denen er sich möglicherweise im Wahlkampf bedeckt halten wird.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor am 3.1.2007 zur Veröffentlichung überlassen.