Vorbemerkung: Der Text
versucht die politischen Implikationen einer
Grundsicherungsforderung einzukreisen und zu diskutieren. Er
kann nicht in den Chor der leidenschaftlichen Verfechter oder
den der Tenöre der schäumenden Klagegesänge übers
Grundeinkommen einstimmen. Dabei spielt eine große Rolle,
dass auf der einen Seiten Gewerkschaften und
Traditionssozialisten die Grundsicherungsforderung mit
Argumenten ablehnen, die kaum als emanzipatorisch gelten
dürften – weil sie nachwievor an der Vollbeschäftigungsutopie
kleben, auf der anderen Seite aber voller Naivität eine
Geldforderung mal mit realpolitischem Dreh mal mit
utopistischen Ansprüchen erhoben wird, die zum einen wie ein
trojanisches Pferd einer weiteren Deregulierung des
Sozialstaats wirken könnte, zum anderen bloßen
Schein-Radikalismus vertritt.
Dass der Kapitalismus den Reichtum der
Nationen schafft, galt nach Adam Smith als sicher. Humanistisch
gestimmt wollte Smith, dass der Reichtum bis hinunter ins Volk
vordringen – was die unsichtbare Hand nicht alles so regelt! Der
Wirtschaftswissenschaftler und Klassiker der Nationalökonomie
David Ricardo war vielleicht etwas skeptischer, nach ihm schafft
der Kapitalismus nicht nur Reichtum und Wohlstand, sondern auch
”redundant population” - und das als feste Größe. In Hegels
Rechtsphilosophie finden sich schon die ersten Kritiken, dass
die bürgerliche Gesellschaft bei dem Übermaß des Reichtums nicht
in der Lage ist, “dem Übermaß der Armut und der Erzeugung des
Pöbels zu steuern”. Thomas Malthus Gedanken zur Zeit der
Französischen Revolution waren brutal wie der sich durchsetzende
Kapitalismus selbst, angesichts der Überbevölkerung erklärte er
die Leute selbst, nicht etwa Produktions- und Verteilungsfragen
zum Problem. Direkter Antipode zu diesen Vorstellungen waren
Frühsozialisten wie Graccus Babeuf. Er hielt fest: ”Das
Naturrecht des Menschen ist nichts anderes als sein Recht zu
leben.” Für Karl Marx sollte man sich nicht auf solche Sachen
wie ein ”Naturrecht” verlassen. Dem Fortschrittsoptimismus Mitte
des 19. Jahrhunderts folgend verschwand für den Dissidenten und
Kritiker des Liberalismus dieser Pöbel dank der großen
Industrie, zurück bleibt lediglich die Klasse der Proletarier -
die wenigen Lumpen, die leider dem Anarchismus zuneigten, sollte
Bakunin auflesen... Im ersten Band des Kapitals behauptete Marx,
dass Unterbeschäftigung eine zyklische Erscheinung ist. Die
Zwänge der Kapitalakkumulation machen zwar - so das Herzstück
seiner Krisentheorie - immer wieder Arbeiter überflüssig, aber
wenn Marx von einer ”industriellen Reservearmee” spricht, so hat
es den Anschein, dass die überflüssige Bevölkerung stets vom
Produktionsprozess absorbiert werden kann. Hätte man gedacht,
das selbst Marx den Kapitalismus als zu gemütlich darstellte?
Vielleicht affiziert nicht nur die Existenz
einer Mittelklasse Marx Revolutionstheorie, sondern besonders
die Existenz einer Klasse in und jenseits der Klasse, die
abgeschnitten von der Produktion ist und so auch jenseits der
Macht steht. ”Die Frage ist, ob diese Überflüssigen eine
Negation des sie außen vor lassenden Systems sein können. Sie
sind jedenfalls - mögen sie auch noch im Zustand der Passivität,
der Resignation und der ohnmächtigen Geduld verharren weder
integriert noch integrierbar. Sie stehen vor den Toren des
ökonomisch gesicherten und gesellschaftlich verteilten
Wohlstands. Der Weltmarkt braucht sie höchstens als
Ressourcenlieferanten, aber nicht als Subjekte
gesellschaftlicher und ökonomischer Tätigkeiten”, meine Johannes
Agnoli Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Eine düstere
Perspektive. Lasst uns Düsternis einfach wegdenken!, meinen die
fröhlich und glücklich gestimmten Post-Operaisten Antonio Negri
und Michael Hardt heutzutage. Es gibt in ihrem Konzept der
mächtigen Multitude nämlich nicht nur die flott-immateriell
Arbeitenden der Werb- und IT-Branche, sondern auch ”die Armen”,
die allerdings gar nicht so arm sind. Und diesen wird von den
beiden Theoretikern eine Menge aufgebürdet: ”Die Armen
verkörpern die ontologische Bedingung nicht nur des Widerstands,
sondern zugleich der Produktion des Lebens selbst.” Auch das
noch! Da haben sie nicht nur kein Geld, sondern müssen auch noch
eine ontologische Bedingung darstellen – wahrscheinlich auch
noch unbezahlt! Denn die Armen wären ungemein produktiv, so die
beiden, und man fühlt sich erinnert an die merkwürdigen
Debatten, wo alle möglichen Leute ihr Tun als produktiv
definieren wollten. Warum? Zu welchem Zweck? Einer der
vernünftigsten Gründe lag in der Lohn-für-Hausarbeit-Kampagne
von radikalen Feministinnen: Produktiv soll die Hausfrauenarbeit
sein, weil frau dann immerhin Lohn für sie bekommen kann. Das
ist evident und gut, wenn auch ein klein wenig im bürgerlichen
Rahmen verbleibend. Auch die Armen und Arbeitslosen sollen Geld
bekommen, sagen Negri und Hardt – ein Bürgergeld... Auch das
verbleibt ein klein wenig im bürgerlichen Rahmen, aber ein
Manifest fürs 21. Jahrhundert darf das wohl, immerhin verblieb
selbst das alte Manifest in diesem Rahmen – man sehe sich nur
mal wieder diesen emphatischen Fortschrittsbegriff darin an.
Wenden wir uns also gleich wirklichen
bewegten und bewegenden Fragen zu. Wer soll das alles bezahlen,
fragt der aufrichtige Staatsbürger? Der Staat, also WIR? Warum
soll er das Bezahlen, das kapitalgeborende Monster namens Staat,
fragt der aufrichtige Linksradikale. Ja, in der Tat - warum
sollte das passieren?
Es passiert nur, so weiss jeder halbwegs
unideologische Politologe, wenn etwas passiert, also rebelliert
wird. Der sozialdemokratische Vordenker Peter Glotz stellte in
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Mai 2005 die
naheliegenden Fragen: was, wenn die strukturelle
Arbeitslosigkeit bleibt? Was würde passieren, wenn irgendwo 200
empörte Arbeiter, die entlassen werden sollen, alles kurz und
klein schlagen? Ja, richtig gefragt, Herr Glotz, was würde dann
wohl passieren? Der Zukunftssozialdemokrat gibt vorerst
Entwarnung: ”Deutschland ist nicht Kirgisien und hat eine
funktionierende Staatsmaschine und eine gute Polizei.”
Aber reicht das? Es reicht nicht. Ein Blick
wäre auch zu werfen auf die sozialpsychologische Verarbeitung
von Arbeitslosigkeit. Der staatstreue Rechtsphilosoph Hegel
hatte schon bemerkt: ”Die Armut an sich macht keinen zum Pöbel:
dieser wird erst bestimmt durch die mit der Armut sich
verknüpfende Gesinnung, durch die innere Empörung gegen die
Reichen, gegen die Gesellschaft, die Regierung usw.” Der gute
alte subjektive Faktor. Tatsächlich stellt sich die Frage, warum
geht das alles so friedlich weiter in Deutschland, wo bleibt der
empörte Pöbel? Immerhin haben die beiden US-amerikanischen
Sozialwissenschaftler Frances Piven und Richard Cloward ganz
plastisch gezeigt, dass die Arbeitslosenrebellionen rund um 1929
zum New Deal in den USA geführt haben. Sie mussten aber auch
darauf aufmerksam machen, dass Arbeitslosenbewegungen nur in
Verbindung mit anderen Bewegungen – Streiks der Arbeiter oder
einer vereinheitlichenden Partei – Durchschlagskraft besitzen.
Die Arbeitslosen haben einfach keinen Ort; und wo kein Ort, da
keine Organisierungsmöglichkeit. In Österreich, zu den gleichen
Zeiten, als es zumindest noch eine ordentlich
sozialdemokratische Sozialdemokratie gab, sah es auch nicht
besser aus. Das beförderte die von den austomarxistisch
inspirierten Soziologen Lazarsfeld, Jahoda und Zeisel erstellte
Studie 'Die Arbeitslosen von Marienthal' von 1932 zu Tage. Die
Leute wurden laut dieser Studie angesichts von Arbeitslosigkeit
nicht rebellisch, sondern resignativ. Die Studie bleibt
wegweisend, zeigt sie doch die verheerenden Auswirkungen von
Arbeitslosigkeit in einer Gesellschaft, in der sich die
Individuen bislang über die Lohnarbeit definierten – nicht
umsonst wird festgehalten, dass Frauen wesentlich besser mit der
Arbeitslosigkeit zu Rande kommen als Männer. Doch welche
Schlüsse wären heutzutage aus der Studie zu ziehen? Als die
Wiener Sozialforscherin Marie Jahoda 1982 auf dem SPD-Parteitag
in München erklärte: ein bisschen Zwang muss sein und der Mensch
definiere sich schließlich über die Arbeit, dokumentierte sie,
wie selbst die humanistischsten der Sozialdemokraten nicht sehen
wollen und können, dass spätestens nach 1968 eine
gesellschaftliche Bewegung entstanden ist, die ihre Identität
nicht mehr nur auf der Arbeit gründet. Muss es denn immer wieder
die Arbeit sein? Fordern wir, so sagen einig, ein Existenzgeld
und jede und jeder kann tun, was er will!
Ins Narrenparadies - Wohin führt die
Utopie der Grundsicherung?
In Zeiten der Krise winken die Verlockungen
der Anthropologie: ”Der Mensch und die Arbeit – das gehört
zusammen!” Hatte Hegel nicht bereits in seinem
Herr-Knecht-Kapitel festgehalten, dass der Knecht nur in der
Arbeit, nur in der Bearbeitung der Dinge, Selbstbewußtsein
gewinnt, während der Herr - späte Rache – in seinem bloßen
Genießen verkümmert? Meidet der Knecht die Arbeit, so hält in
Anschluss daran der KP-Philosoph Alexander Kojève mit fester
Stimme fest, drohe ihm nur Wahnsinn und Verbrechen. (Foucault
und Deleuze haben das im Ohr, zwinkern mit den Augen und freuen
sich schon wieder, den KPF-Humanismus mit ein wenig
Schizo-Ideologie zu erschrecken.) Aber bleiben wir modern: Auch
Sigmund Freud stellte - alle Triebe feste sublimierend - fest,
dass allein die Arbeit die stärkste Bindung an die Realität
darstellt. Hat er damit, so stockreaktionär das auch sein mag,
nicht ein wenig Recht? Wäre Cohn-Bendit nicht so blöde geworden,
wenn er dem ebenfalls stockreaktionären Rat des Kommunistischen
Bundes Westdeutschland, in eine Fischmehlfabrik zu gehen, Folge
geleistet hätte? Man weiss es nicht. Und man kann es mit guten
Gründen bezweifeln. ”Geh doch arbeiten!” war schon immer die
Parole der Väter, Lehrer, autoritären (Anti)kommunisten. Gemeint
war stets der sich der Realität entziehende zu Erziehende. Nicht
rumhängen, kiffen und gammeln, sondern schaffen – das sollte
laut bester pädagogischer Manier jeder Schutzbefohlene.
Generationen von jungen Rebellen haben sich deshalb gegen das
Prinzip der Arbeit aufgelehnt. Nicht zuletzt hat sich Arbeiten,
vor allem die stupide fordistische Fabrikarbeit der
Super-Vollbeschäftigungszeit, als pure Plakerei herausgestellt.
Doch es soll auch schon mal vorkommen, dass
man auf der Straße einen Genossen trifft, der erstaunlich
aufgeweckt und aufgeräumt wirkt. Auf die Frage ”Warst du im
Urlaub?” gibt er die Antwort: ”Nein, ich hatte mal wieder einen
Job.” ”Geh doch arbeiten” könnte also auch ein freundlicher
Hinweis sein, ein Tipp, vielleicht so die Bindung an die
Realität und etwas Aufgeräumtheit wieder zu gewinnen. Von
langhaarigem Phantasten zu langhaarigem Phantasten.
Rebellieren oder surfen?
Doch es geht nicht nur um individuelle
Aufgeräumtheit, sondern um das gesellschaftliche Abräumen eines
Zwangsverhältnisses, das individuelle Aufgeräumtheit immer mehr
tangiert. Wie lässt sich eine verkehrte Gesellschaft wie die
kapitalistische am besten umwälzen, oder sagen wir es
bescheidener: subversiv unterlaufen? Doch nur indem das innerste
Prinzip aufgeknackt wird, der Motor blockiert wird. Und dieser
ist die spezifische Arbeit, die mehr oder weniger reibungslos
funktionierende Produktion. Vielleicht fehlen, so könnte man an
diese Überlegung anschließen, ja auch die langhaarigen
Phantasten in der Produktion, im stahlharten Gehäuse. Denn
eigentlich darf sich kein Linker über die blöden und braven
Arbeiter beschweren, der nicht selbst in die Hölle hinunter
gestiegen ist. Ein renitenten Studi, der den Surrealisten André
Breton gelesen hat, kann so einiges auf der Arbeit bewirken,
will er nicht nur ganz in Gedanken frei bleiben. Die Arbeiter
sind nicht mehr links? Ja klar, die meisten Linken sind auch
keine Arbeiter mehr, obwohl sie den Verheerungen der
Arbeitsgesellschaft in einem Maße ausgesetzt sind, wie schon
lange nicht mehr. Und das ist fürs Kapital auch ganz gut. Aus
diesem Blickwinkel heraus könnte die von einigen Linken
geforderte Grundsicherung die ohnehin seit 1968 bestehende
Spaltung von halbwegs rebellischen Jugendkulturen (man hört
Punk, man rebelliert am Bauzaun, fährt nach Davos...) auf der
einen Seite und wohl oder übel vor sich hinarbeitenden Arbeitern
auf der anderen Seite nur vertiefen. Existenzgeld als
Stillhalteprämie für die Spektakel-Rebellen auf tolerierten
Nebenkriegsschauplätzen?
Bislang lehnen die Herrschenden eine
ausreichende Grundsicherung für jederfrau und jedermann noch ab.
Der Kapitalismus kann sich kein sichtbares Reservat der mehr
oder weniger fröhlichen Beschäftigungslosen leisten, so scheint
es. Denn der Mensch, oh heilige Anthropologie, scheint wohl doch
eher ein Faulpelz zu sein und aus eben noch kreuzbraven
Malochern könnte etwas ganz anderes werden, wenn sie einen Blick
in den Hippiegarten geworfen haben. Anfang der 70er Jahre wurde
in Hawaii darüber gestritten, ob es moralisch vertretbar sei,
den Hippies soziale Unterstützung zu gewähren und ihnen damit
ein Leben ohne Arbeit zu ermöglichen, bei dem sie den ganzen Tag
lang surfen können. Bis auf einen belgischen Moralphilosophen
hatten dies alle verneint. Zu viele würden Hippies werden
wollen. Bislang sind die Stimmen noch vereinzelt, die ganz
kapitalkonform den gesellschaftlichen Nutzen von Alimentierung
der ”Surfer” behaupten. Professor Franz Haslinger von der Uni
Hannover konnte sich vor ein paar Jahren an dieser Vorstellung
ergötzen. Die ohnehin faulen Surfer könnten aus der Produktion
herausgehalten werden, wo die glücklichen Fleißigen ohne
Reibungen auf höchstem technischen Niveau vor sich hin
produzieren könnten. Schöne neue Arbeits- und Faulheitswelt!
Dualistisches Narrenparadies
Eine solche Parallelgesellschaft ist auch
André Gorz Grundsicherungsmodell inhärent, er spricht sogar von
einer ”dualistischen Gesellschaft”, also einem Bereich der
Lohnarbeit und der grundsicherungsgestützten Nicht-Arbeit. Gorz
hofft auf einen ”Exodus aus der Lohnarbeit”. Doch ist das neue
Paradies nach dem Exodus wirklich so verlockend? Ein
Schlaraffenland ohne Mühe, ewig fließende Milch mit Honig? Die
auch in der Linken grassierenden Grundsicherungsmodelle, die
sich utopisch und radikal geben, reflektieren auf eine solche
Dystopie nie. Dabei hatte schon Karl Polanyi auf die Folgen
einer solchen Grundsicherung aufmerksam gemacht: in England gab
es zwischen 1795 und 1834 das sogenannte Speenhamland-Gesetz,
eine allgemeine Volksfürsorge bei gleichzeitiger Enteignung der
Produzenten von ihren Produktionsmitteln. Ein kompletter
gesellschaftlicher Stillstand, ein elendes ”Narrenparadies”
wären entstanden. Nach Polanyi konnten auch nur zwei Strategien
aus der Misere herausführen: entweder die Verhinderung des
Kapitalismus, wie es die Ludditen, die Maschinenstürmer, vor
Augen hatten oder brutale Durchsetzung kapitalistischer, doppelt
freier Lohnarbeit. Was passiert ist, ist allen bekannt. Eine
freie, andere Tätigkeit müsste also auf die Tagesordnung gesetzt
werden – gegen Staat und Kapital.
Die linke Forderung nach
Grundsicherung ist doppelgesichtig, zum einen hat sie eine
sympathische Stoßrichtung, die sich vor allem in der
Entstigmatisierung von Arbeitslosigkeit festmachen lässt. Und
sie ist offensiv – hey Staat, wird brauchen Geld! Selbst der
Alt-Liberale Ludwig van Mises erkannte, dass das Problem der
Arbeitslosigkeit die Abwesenheit von Geld und nicht in erster
Linie von Arbeit ist. Dennoch offerieren gerade die
dualistischen Konzepte eine Naivität gegenüber der Totalität
kapitalistischer Gesellschaft im allgemeinen und der politischen
Ökonomie der Arbeitslosigkeit im besonderen.
Der
Kapitalismus braucht Arbeitslose, Vollbeschäftigung ist Utopie.
Hätte denn das Kapital und sein Staat überhaupt ein Interesse,
die Arbeitslosigkeit zum Verschwinden zu bringen? Der polnische
Ökonomen Michal Kalecki, der gleichzeitig mit Keynes
Überlegungen zum Problem der Arbeitslosigkeit angestellt hat,
zeigte, dass dem keinesfalls so ist. Zur Zeit der
Vollbeschäftigung, im Jahre 1943 schrieb er ein Essay über den
politischen Konjunkturzyklus, in dem er darstellte, dass auf
Dauer eine Vollbeschäftigung durch das ”big business” auf gar
keinen Fall akzeptiert werden kann. Damit entfalle nämlich
schlichtweg die Möglichkeiten, die Arbeitnehmerschaft insgesamt
disziplinieren zu können. Der ”Klasseninstinkt” des ”big
business” sage nämlich, dass permanente Vollbeschäftigung
ungesund ist. Wenn der Staat mit relativ einfachen Tricks,
Vollbeschäftigung - in welchem Maße auch immer - wieder
herstellen könnte, wäre sofort die Macht des Kapitals über die
disziplinierte Arbeitskraft flöten. Ein weiser Mann, der Kalecki!
Doch man müsste einige Schritte weiter gehen. Heutzutage
müsste die Arbeitsgesellschaft selbst mit ihrer bis in die
stoffliche Dimension der Technologie gehende Formbestimmtheit
überwunden werden, um eine Gesellschaft der freien Tätigkeit und
der sinnvollen Reduktion des ”Reichs der Notwendigkeit” zu
erlangen. Mit einer Parallelgesellschaft von Lohnarbeit und Mühe
auf der einen und Versorgung und erzwungene Mühe-Losigkeit auf
der anderen Seite kann sich kein Anarchist oder Kommunist zu
Frieden geben.
Zur
Geschichte und Kritik einer linken Forderung - Die
Existenzeldforderung als linksradikales Programm
”Eine
seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in
denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die
das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und
Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die
rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer
Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht.” So die Diagnose des
Schwiegersohns von Karl Marx, Paul Lafargue, in seiner
Schrift ”Das Recht auf Faulheit” von 1883. Er blieb, man merkt
es gleich, ein Außenseiter innerhalb der Arbeiterbewegung. Paul
Lafargue griff in einer Zeit das Arbeits- und Leistungsprinzip
an, als es für die meisten Sozialisten keine andere Möglichkeit
gab, als mittels der Entwicklung der Produktivkräfte und damit
zusammenhängender Arbeit ins Reich der Freiheit zu kommen. Die
Notwendigkeit, also die Not der Arbeit, machte sich die
Arbeiterbewegung zum Programm. Eine Kritik der Arbeit fand sich
entweder in Künstlerzirkeln wieder oder hatte einen
proletverachtenden Aristokratengeschmack. Nicht umsonst war
Friedrich Nietzsche, Anti-Sozialist und Feind der Commune, ein
größerer Arbeitskritiker als so mancher aufrechter Kommunist. In
einer seiner reaktionärsten Schriften in ”Also sprach
Zarathustra” lässt Nietzsche verkünden: ”Ihr alle, denen die
wilde Arbeit lieb ist und das Schnelle, Neue, Fremde, - ihr
ertragt euch schlecht, euer Fleiß ist Flucht und Wille, sich
selber zu vergessen. ... Aber ihr habt zum Warten nicht Inhalt
genug in euch - und selbst zur Faulheit nicht!”
Einige
linke Häretiker nahmen diesen subversiven Stachel von Nietzsche
auf und wirkten auch auf die hegemoniale Arbeiterbewegung wie
bunte, bissige Hunde. Sie kritisierten die Arbeit und hielten
ihr wie die Surrealisten um André Breton die Phantasie entgegen.
Besonders subkulturelle Künstlergruppen transportieren so eine
radikale Kritik der Arbeitsgesellschaft. Erst um 1968 wurde die
Phantasie jenseits der Arbeit und gegen die Arbeit breiter
entdeckt und sollte ”an die Macht” kommen. Die Situationisten um
Guy Debord erklärten sich bereits in den 50er Jahren zur
Avantgarde-Bewegung und die Langeweile zum Problem: ”Da
wir einige Jahre buchstäblich mit Nichtstun verbracht haben,
dürfen wir unsere soziale Einstellung als avantgardistisch
bezeichnen - denn in einer einstweilen immer noch auf Arbeit
basierenden Gesellschaft haben wir ernsthaft versucht, uns
ausschließlich der Freizeit zu widmen.”
Mittlerweile sind Millionen
mit verordneter Freizeit konfrontiert und haben ein wirkliches
Problem: das Problem der Langeweile, das – folgt man den
Situationisten - eine konterrevolutionäre Dimension aufweist,
denn aufgefüllt wird sie durch die medialen Ideologieapparate
und das Spektakel. Auch Friedrich Nietzsche hatte sich im
Meistern der Langeweile versucht.
Dies könnte aber nur ein besonderer Menschenschlag, meinte der
Anti-Egalitarist. Die
Künstler, die er mochte, ”fürchten die Langeweile nicht so sehr
als die Arbeit ohne Lust: ja sie haben viel Langeweile nötig,
wenn ihnen ihre Arbeit gelingen soll. Für die Denker und für
alle erfindsamen Geister ist Langeweile jene unangenehme
'Windstille' der Seele, welche der glücklichen Fahrt und den
lustigen Winden vorangeht; er muss sie ertragen, muss ihre
Wirkung bei sich abwarten.” Nietzsche wäre ein Fürsprecher eines
Existenzgeldes gewesen. Ein wenig Windstille, ein wenig
Langeweile – aber immerhin genug Zeit für den Denker. Doch wer
macht die unlustvolle Arbeit, woher bekommt der Denker und
Künstler seine handfeste Nahrung? Max Horkheimer hatte ganz
recht, als er einmal bemerkte, dass Nietzsche mit seinen
Phantasien einer sich selbst-ermächtigenden Neu-Aristokratie,
die natürlich der gemeinen Arbeit enthoben ist, eine stille,
dumpfe Masse braucht, die seiner Aristokratie ”die Toga näht”.
Nur als
ein universalistisches Programm macht die Existenzgeldforderung
Sinn – und dann müsste sie im Grunde gleich global formuliert
werden. Denn wo heutzutage Schuh und Toga produziert werden, ist
bekannt. Warum will man sich aber dann nicht gleich an Marx und
Engels erinnern, an die Revolution als welthistorisches
Ereignis, an die Expropriation der Expropriateure, an die
Aufhebung der ungesellschaftlichen Gesellschaft, an der
Zerstörung eines dem Profit gehorchenden Gesellschaftsgefüges,
das mit dem Wert ein, den Individuen enthobenes
gesellschaftliches Naturgesetz herausgebildet hat? Also, warum
nicht gleich, so die linksradikalen Kritiker des Existenzeldes,
sagen wie es ist: wir brauchen eine Revolution und zwar global!
Doch
das ist den Vertretern des Existenzgeldes zu dogmatisch und zu
wenig pädagogisch. Im übrigen gehe es auch um die
Selbstermächtigung von Arbeitslosen und um eine
Entstigmatisierung. Eine Gruppe schreibmächtiger Aktivisten
drehte das öffentliche Bild vom entweder faulen oder armen
Arbeitslosen so auch um und erklärte sich im Jahre 1997 zu
”Glücklichen Arbeitslosen”. Sie erklärten, sie seien auf der
Suche nach unsicheren Ressourcen und schrieben die Langeweile
und die Arbeitslosigkeit einfach mit Manifesten und schönen
Kommentaren weg. Das goutierte sogar die FAZ und räumte den
Autoren im Feuilleton ein paar Seiten ein. Dabei beerbten die
Glücklichen Arbeitslosen nicht nur die Situationistische
Internationale, sondern auch die bundesrepublikanische
Sponti-Geschichte. Der 70er-Jahre-Anarcho Peter-Paul Zahl
veröffentlichte bereits 1973 in West-Berlin eine Zeitschrift mit
dem Titel "Der Glückliche Arbeitslose", in der er das Motto
"Berufsverbot für alle" propagierte. Hier findet sich auch der
Geburtsort des radikalen Monetenerlasses.
Die
Geschichte der Existenzgeldforderung geht zurück auf die
subversivsten Momente der linken Bewegung. Der Anspruch
auf ein Einkommen unabhängig von Lohnarbeit wurde in den
siebziger Jahren im Kontext von Jugendbewegung und
Arbeiterkämpfen in Italien erhoben. "Politischer Lohn ist die
Möglichkeit, eigenständig für die Organisierung des Kampfes
gegen die Arbeit zu arbeiten", verkündete damals der
neo-marxistische Operaist Ferrucio Gambino. In Deutschland
machte zuerst die sozialrevolutionäre Zeitschrift ”Autonomie.
Neue Folge” diese Forderung publik.
Der Adressat war jedoch
weniger der Staat, vielmehr sollte die moralische Legitimität
von unmittelbarer Aneignung von gesellschaftlichem Reichtum
verbreitet werden. Ende der 70er, Anfang der 80er gab es noch
eine rege Subkultur, die mittels Laden- und Stromdiebstahl,
Schwarzfahren, Hausbesetzungen und dem Gebrauch von
Sozialgeldern sich jenseits des Zwangs zur Arbeit reproduzierte.
Der erste Bundeskongress der Erwerbslosengruppen 1982 in
Frankfurt war noch ganz von diesem Geist beseelt. Hier tauchte
zum ersten Mal unter den autonomen Jobber- und
Erwerbslosengruppen die Forderung ”1500 Mark für alle und
sofort, ohne Kontrolle und ohne Schikane” auf. Damit war vor
allem ein Ablehnung des Zwangs zur Arbeit intendiert.
Ziel war die Formulierung eines
umfassenden, universalistischen Konzepts, das zur
Vereinheitlichung von Kämpfen führen sollte.
Die Existenzgeldforderung
wurde Anfang der 80iger von Teilen der Erwerbslosenbewegung ins
Spiel gebracht, um sich vom eher gewerkschaftlich orientierten
Teil mit seiner ”Arbeit für Alle”-Rhetorik abzugrenzen. ”Dem
Leben für das Kapital setzen wir das Leben für uns, der
Destruktion durch das Kapital die Sabotage, der Arbeit die
Identität der Nichtarbeit entgegen”, so steht es im Protokollen
des Bundeskongress der Arbeitslosen von 1982.
Dieses
Existenzgeld sollte als garantiertes Einkommen jedem und jeder
zur Verfügung gestellt werden. Die Sozialrevolutionären hatten
bei dieser Forderung eine Menge im Blick. Es ging um die
Aufhebung der Lohn-Differenzierung und der Spaltungsmanöver
seitens der etablierten Arbeitsverwaltungsbürokratie, sprich:
der Gewerkschaften. Ein garantiertes Einkommen sollte auch die
sich ankündigenden Selektionsmechanismen, die sich bedrohlich
ankündigenden Euthanasie- und eugenischen Diskurse über
unnützes, nicht-verwertbares Leben sabotieren.
Die
Forderung nach einem Existenzgeld war als Angriff auf die
herrschende Arbeitsmoral gedacht und sie bot darüberhinaus
linken Militanten auch ganz konkret eine Alternative zum
nur-betrieblichen-Kampf. Die Existenzgeldforderung sollte
Möglichkeiten eröffnen, das Existenzrecht des Menschen
unabhängig von ökonomischen Verwertungszwängen als Arbeitskraft
durchzusetzten. Die patriarchale Trennung in produktive und
somit entlohnte Arbeit und ”bloß” reproduktive Arbeit der Frauen
wurde als Fundament der modernen Ausbeutungsordnung angesehen.
Mit dem Existenzgeld sollte dem eine verschiedene Sektoren
verbindende Parole entgegengehalten werden. Nicht das Geld
spielte in erster Linie die entscheidende Rolle, sondern die
Bewegung.
Aufnahme
niedrig entlohnter Arbeit als ”kommunistisches Begehren”?
In den
80er Jahren war die Existenzgeldforderung eingebettet in eine
autonome, subversive Strategie der direkten Aneignung und der
selbstständigen Organisierung als Jobber oder
Sozi-Empfängerin. In den 90er Jahren grassierte dann die
Realpolitisierung im
Existenzgeldmilieu.
Es waren gerade die Grünen, die neoliberale Inhalte in
alternativer Verpackung verkauft und salonfähig gemacht haben.
Die affirmative Wende
vieler Ex-Spontis zu grünen Real-Politiker lässt sich an einem
Buch ablesen, das 1984 unter dem Titel ”Befreiung von falscher
Arbeit, Thesen zum garantierten Mindesteinkommen” von Thomas
Schmidt herausgegeben wurde.
Dieser Agitationsschrift ging es darum,
”die vorsintflutliche Logik des Industrialismus zu durchbrechen”
und es landete in postmoderner Beliebigkeit und libertär
angestrichenem Neoliberalismus. Den Autoren ging es nicht mehr
darum, sich der kapitalistischen Gesellschaft entgegenzustemmen.
Vielmehr sah man sich als visionäre Avantgarde der
kapitalistischen Entwicklung selbst: ”Das garantierte
Mindesteinkommen würde ... einen bedeutsamen kulturellen
Umbruchprozess einläuten: es würde Unternehmer, Gewerkschaften
und Staat als ideelle Sinngebungsinstanzen verabschieden, damit
nur offiziell vollziehen, was ohnehin schon der Fall ist...” Im
typisch neoliberalen Sinn wird gegen die bürokratischen
Grossorganisationen gewettert, gegen die ”Betonfraktion”. Die
linksradikale Kritik an Staatlichkeit, an der Funktion der
Gewerkschaften als Verwalterin der Ware Arbeitskraft ist
vergessen beziehungsweise wurde vielmehr umgebogen in ein so
scheinbar ”öko-libertäres” wie tatsächlich neoliberales Modell
des Kleinunternehmertums.
In der Modellierung eines krisenfesten, die
Selbstbestimmung fördernden Alltags werden so auch, quer zu
”alten”, angeblich überkommenen Fronten, neue Bündnispartner
gefunden – man merke sich: der ”Abschied vom Proletariat” wurde
mit André Gorz zusammen schon länger genommen: Bei den
neoliberalen Befürwortern einer negativen Einkommenssteuer und
eines Bürgergeldes fand man neue Freunde. Nach der mit leichten
Anflügen von Egozentrik verbundenen Kinderkrankheit der
Alternativ-Ideologie ist man schnell vergreist, um sich
staatsmännisch Gedanken um Finanzierbarkeit, zum Realismus der
politischen Durchsetzbarkeit und natürlich über das Gemeinwohl
zu machen. Und plötzlich bekam man sie nicht mehr los – die
kapitalistische Arbeitsgesellschaft! Die Autoren schrieben: ”Das
Einkommensrecht steht zwar jedem zu, eine Abstufung soll
aber bewirken, daß nicht alle die Arbeit aufgeben und dadurch
die Reform unfinanzierbar machen.”
Man sah sich nicht mehr als Totengräber des
Kapitalismus, vielleicht hat man sich auch noch nie so
begriffen, sondern will die klassische reformistische Rolle
spielen: Arzt am Krankenbett des Kapitalismus. Mit dem
garantierten Mindesteinkommen sollte eine sozialpolitische
Reform vorgeschlagen werden, die dem Kränkeln der
Arbeitsgesellschaft Rechnung trage.
Und los
ging es mit dem Aktivierungsjargon, in dem pseudo-libertär gegen
Starrheit, Verkrustetheit und Trägheit gewettert und doch im
Kern nur der Dynamik der Kapitalentwicklung das Wort geredet
wird. Die ”Verstaatlichung des Sozialen” wurde beklagt und eine
weit um sich greifende "Versorgungsmentalität" diagnostiziert.
Es war das grüne Milieu, das die nach 1968 auftauchenden neuen
Bedürfnisse nach Selbständigkeit, Emanzipation und den
subversiven Anti-Etatismus in der Bundesrepublik in ein Modell
neuer Freiheit vorgaukelnder Marktabhängigkeit transformierte.
Diese historische Rolle ist ausgespielt.
Doch
auch bei den links von den Grünen stehenden
Arbeitslosenbewegungen
wurde die Forderung mit den
Jahren immer zahnloser vorgetragen. Nicht mehr als konfrontative
Subversionsstrategie gedacht, gaben sich - das Ende der
Vollbeschäftigungsutopie scheinbar im Rücken - die
Erwerbslosengruppen konstruktiv und realitätstüchtig. Und sie
suchten sich die merkwürdigsten Bündnispartner und Bezugspunkte.
Mal wurde sich auf den Modephilosophen Jeremy Rifkin bezogen,
der bar jeder Empirie und theoretischen Einsicht schlicht
behauptet, dass dem Kapitalismus die Arbeit ausgehe, mal wurde
damit kokettiert, dass auch der politische Gegner von einer
Grundsicherung spricht. Und tatsächlich bekamen die
Arbeitslosengruppen mit ihrem Umgestaltungsvorschlag des
Sozialstaats sehr bald Schützenhilfe von unerwarteter Seite: An
Milton Friedman geschulte Neoliberale forderten ebenfalls eine
Mindestsicherung, die Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor
flankieren sollten.
Zurück geht dieses sogenannte Bürgergeld auf erz-liberale
Versuche, die mit der Revolte um 1968 angegriffene Gesellschaft
der Lohnarbeit zu reanimieren. Als Mitte und Ende der 60er Jahre
die USA brannten und die Jugend Amerikas den amerikanischen
Werten und Tugenden den Rücken kehrte, verfassten unüberschaubar
viele Ökonomen zusammen eine Resolution, die dem
US-amerikanischen Kongress vorgelegt wurde. Angesichts
zerfallender Arbeitsmoral, steigender Löhne, hoher
Arbeitslosigkeit und sozialer Unruhen schlugen sie eine neue
Form sozialer Sicherungen vor. Die Arbeitseinkommen solle nicht
voll von der Transferzahlung abgezogen werden, um den Anreiz zur
Aufnahme niedrig entlohnter Arbeit zu erhöhen.
Alle
liberalen Grundsicherung haben dieses handfeste ökonomische
Interesse der Etablierung von Niedriglöhnen zum Hintergrund. Die
liberalen Grundsicherungsmodelle gehen auf Milton Friedman
zurück und seinen Vorschlag einer negativen Einkommenssteuer.
Das Grundsicherungskind hat viele Namen, mal heißt es
Bürgergeld, mal soziale Grundsicherung, mal Subsistenzeinkommen
oder Staatsbürgergehalt. Das Bürgergeld ist dabei führend in der
Diskussion. Diese Form von Grundsicherung wird schon länger von
der FDP und dem CDA - dem christlich-demokratischen
Arbeitnehmerverband - gefordert. Ein wichtiger Effekt: Das
Bürgergeld soll den ganzen bürokratischen Sozialstaatsapparat
radikal zusammenstreichen. Intendiert ist eine
Entbürokratisierung und Rationalisierung, die auch direkt gegen
die Beschäftigten in den Sozialbehörden gerichtet ist.
Hinauslaufen soll dieser FDP-Vorstoß zur Neuordnung der sozialen
Grundsicherung auf ”einen stärkeren Anreiz zur Aufnahme von
Erwerbsarbeit”, so Graf Otto Lambsdorff im Jahr 1994. Diese
Strategie hat die FDP abermals auf ihrem Bundesparteitag in Köln
im Mai 2005 bekräftigt - ”Öffnung der Tarife nach unten” und
verstärkter Zwang für Arbeitslose zur Arbeitsaufnahme auch im
ersten Arbeitsmarkt ist erklärtes Ziel. Bereits Mitte der
90er riefen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und Kurt
Biedenkopf die "Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten
Bayern und Sachsen" ins Leben, die die Entwicklung des
Arbeitsmarktes seit Beginn der siebziger Jahre analysieren und
neue Handlungsmöglichkeiten für eine Grundsicherung finden
sollten. Der Kommission gehören u. a. der Soziologe Ulrich Beck,
der Unternehmensberater Roland Berger und Meinhard Miegel vom
Bonner Institut für Wirtschaft und Gesellschaft an. Dort
grassierten auch die krassesten Bürgergeldvorschläge.
Die
Nähe von linken Grundsicherungskonzepten und liberalen
Bürgergeldentwürfen springt ins Auge, dennoch kam es in den 90er
Jahren erneut zu einem Revival der Forderung. Die Berliner
Gruppe FelS (Für eine Linke Strömung) rührte die Trommel
für das Existenzgeld und richtete 1999 einen großen Kongress in
Berlin aus, der zu allerhand produktiver Kritik und Analyse
führte.
Karl
Heinz Roth, der in den 70er Jahren selbst daran beteiligt war,
die Existenzgeldforderung publik zu machen, zeigte sich in den
späten Neunzigern skeptisch. ”Das Kapital betreibt mittlerweile
weltweit eine Strategie der Unterbeschäftigung, d.h., es hat als
Antwort auf die Revolten der siebziger Jahre die
Vollbeschäftigungsutopie abgeschafft und völlig neue
Ausbeutungsverhältnisse produziert: die ungarantierten
Arbeitsverhältnisse auf der Basis von Niedriglöhnen, die durch
eine industrielle Reservearmee abgesichert sind.” Deshalb könne
ein Existenzgeld die Ausweitung der Niedriglöhne
flankieren und sei ”ohne irgendeine Form von Minimallohn im
Ausbeutungsprozess ... völlig absurd”.
So sehen die neuesten Initiativen auch,
dass ihre Forderung nach einem Existenzgeld mehr beinhalten
muss. Neben dem Kampf für Arbeitszeitverkürzung bei vollem
Lohnausgleich, ist auch das Recht auf einen gesetzlichen
Mindestlohn auf ihrer Agenda. Dies bilde ein Dreigestirn, um
eine auskömmliche materielle Sicherung von Beschäftigten,
Arbeitslosen und Menschen ohne Einkommen sicherzustellen. Noch
weitgehender formulierten es die Organisatoren der zentralen
Demonstration gegen Sozialabbau am 2. Oktober 2004 in Berlin,
indem sie für ”ein menschenwürdiges Grundeinkommen, ohne
diskriminierende Bedürftigkeitsprüfung und Arbeitszwang”
eintraten. Den auf den
Montagsdemonstrationen hegemonialen Forderungen nach einem Recht
auf Arbeit wird also das Recht auf gutes Überleben
entgegengestellt.
Sozialwissenschaftlern, linke Katholiken und
Erwerbslosenaktivisten gründeten das ”Netzwerk Grundeinkommen”
deren deutscher Zweig sich ”Basic Income European Network” nennt
und ein bedingungsloses und bedarfsdeckendes Grundeinkommen
anvisisiert. Bei ihnen allen findet sich ein Mischmasch aus
radikalem Selbstverständnis, das in der immer wieder bekundeten
”Kritik der Arbeit” zum Ausdruck kommt, gleichzeitig will man
sich realitätstauglich zeigen und schöpft dabei zuweilen auch
tief aus dem sprachlichen Horrorjargon des Neoliberalismus mit
seiner ewigen Wettbewerbsfähigkeit. Klar links-reformistisch
ohne rechte Apologien argumentiert die Frankfurter Gruppe ”links-netz”:
sie fordert den Ausbau einer umfassenden sozialen Infrastruktur
als Alternative zum lohnarbeitsbezogenen Sozialstaat.
Sozialpolitik hätte die Aufgabe der Sicherung ”der Infrastruktur
für alle Arten von Arbeit, für das Betreiben des eigenen Lebens
und aller dazugehörigen Tätigkeiten”.
Doch
auch wenn viele Bedenken - beispielsweise die Nähe zu
neoliberalen Grundsicherungsfiguren – damit ausgeräumt wurden,
dass von den meisten Arbeitsloseninitiativen ein Minimallohn
flankierend zum Existenzgeld gefordert wird, bleiben ganz
prinzipielle Einwände bestehen. Die Existenzaktivisten folgen
oft einer neuen nicht-kapitalistischen Moral, erheben sie aber
als Geldforderung. Der Adressat dieser Forderung ist der Staat.
Denn ein politischer Lohn kann nur gegenüber dem Staat geltend
gemacht werden. Wenn nicht der Einzelkapitalist die Kohle
herausrücken soll – den man mit Streiks in die Predouille
bringen kann -, so doch der ideelle Gesamtkapitalist, der Staat.
Dieser ist zwar parteiischer Klassenstaat, aber er sieht sich
durch Klassenkämpfe und Bewegungen gezwungen, teilweise auch
gegen die Einzelinteresse des Kapitals zu verstoßen, um den
Gesamterhalt des Kapitalverhältnisses weiter aufrecht zu
erhalten. Forderungen alleine führen selten zu etwas, ohne die
wahrnehmbare Existenz einer kritischen Masse sind sie nichts.
Schnell werden Bewegungen und neue Bedürfnisse dadurch
eingedämmt, indem aus Bedürfnissen und Interessen
festgeschriebene Rechte gezimmert werden. Die Existenzgeld
fordernden Staatsfeinde von einst haben bereits lange bevor eine
tatsächlichen Bewegung in den Startlöchern sitzt die
bürgerlichen Forderungen in Form von Recht und Geld sich auf die
Fahnen geschrieben. Den Staat, bzw. den Mehrwert bekommt man mit
der Geldforderung nicht los – man muss beides vielmehr unter der
Hand positiv sanktionieren. Das war im Kern auch immer die
radikale Kritik des Existenzgeldes, wie sie von der
operaistischen und Jobber-Initiative ”Wildcat” bereits in den
80er Jahren, als die Forderung nur marginal auf der Linken zu
vernehmen war, formuliert wurde ”Während die liberale
Variante mit dem Mindesteinkommen ganz offen eine neue
Integration in die »Arbeitsgesellschaft«, also die
Aufrechterhaltung und Absicherung des Arbeitszwangs propagiert,
schließt die linke Kampagne für ein Existenzgeld im Stillen
ihren Frieden mit der Arbeitsgesellschaft und erkennt den Staat
als Problemlöser an. Die Finanzierung des Existenzgeldes aus den
Steuern auf Lohn und Mehrwert/Profit ist unterstellt - am
Fortbestand der Arbeitsgesellschaft darf dann schon aus
Kostengründen nicht gerüttelt werden. Es soll sich nur jede und
jeder etwas freier aussuchen dürfen, wann, wo und wieviel
gearbeitet werden muß. Auch die von linker Seite angepeilte Höhe
- 1600 Mark oder 1200 Mark plus Miete usw. - ist angesichts der
heutigen Einkommensverhältnisse sehr bescheiden. Es ist nicht
mehr als grad mal die Existenz. Für jede weitere »Teilnahme am
gesellschaftlichen Reichtum« bleibt logischerweise wieder nur
eins: Arbeiten! Hatten wir nicht mal die ganze Bäckerei statt
einem Stückchen Kuchen gewollt?”
Hartz IV
ist ein Grundeinkommen
Es wird
die Existenzgeldforderer nicht entzücken, doch ALG II ist eine
Form des Existenzgeldes und der Grundsicherung – im wahrsten
Sinne des Wortes: den Leuten gings an die Existenz und der Grund
ist, wie man weiss, ganz tief unten angesiedelt. Grüne
”Visionäre” verkündeten bereits in den 80er Jahren, dass man
Abschied vom ”paternalistischen” Sozialstaat zu nehmen habe und
jedem Wirtschaftssubjekt eine Anfangsausstattung verschafft
werden solle, um es in die Lage zu versetzen, sich am Markt frei
bewegen zu können. Klingt schön und gab es nach Hartz IV auch:
die Ich-AGs, die nicht wenige als kurzen Zwischenstopp und
Möglichkeit, dem Amt zu entfliehen, nutzten, aber die meisten
als riesiges Verschuldungsproblem sich aufhalsten – um am Ende
doch wieder bei der Agentur zu landen oder als selbständige
working poor vor sich hinzuwurschteln. Schon in der
Grundsicherungsdiskussion der Grünen vor rot-grüner
Regierungsbildung tauchte die Möglichkeit auf, dass Menschen,
die vermeintlich 'zumutbare Arbeit' ablehnen, Leistungen gekürzt
werden. Der Zwangsarbeit war innerhalb der grünen
Grundsicherungsmodelle immer Tür und Tor geöffnet.
Die stigmatisierenden 2-
oder gar 1-Euro-Jobs kamen durch diese Türen.
Heutzutage werden
bei immer niedrigeren Löhnen längere Arbeitszeiten und
schlechtere Arbeitsbedingungen akzeptiert. Die Drohung, auf die
niedrig angesiedelte Grundsicherung des Arbeitslosengeld II
abzurutschen, trägt dazu einiges bei.
Diese elende Grundsicherung
wurde von den beiden Parteien eingeführt, die auf der ”Kohl-muss-weg”-Welle
nach oben gespült wurden. Versprochen wurde, dass endlich was
passiert – und so war es dann auch: Die Grünen hatten, bevor sie
zur Regierungspartei wurden, eine Grundsicherung in der Höhe von
1200 Mark angepeilt, das dürfte genau dem heutigen ALG II
entsprechen – eine entsprechende Miete vorausgesetzt.
Beim
Arbeitslosengeld sind die Konfliktlinien noch nachzeichenbar, es
ist eine Versicherungsleistung erworben durch vorherige Arbeit,
mit dem Existenzgeld namens ALG II liegt eine vom
Produktionsprozess abgetrennte Form der Armenfürsorge vor. Die
alte Trennung: befristetes Arbeitslosengeld, dann
Arbeitslosenhilfe für die einen, die man noch integrieren will,
Sozialhilfe für die anderen, die es mehr zu kontrollieren gilt,
wurde aufgehoben. Die Spaltungslinien des alten Sozialstaates
wurden also verwischt, weil man mittlerweile keinen Protest und
vereinheitlichten Widerstand fürchtet. Bislang ist diese
Strategie aufgegangen: Hartz IV wirkt als Disziplinierer und
Angst-Instrument gegenüber der Arbeiterklasse und nicht
vereinheitlichend im Sinne von gemeinsamen Kämpfen von längere
Zeit “Freigesetzten” und “Lumpen”.
Was
nicht tun
Die
Kritiker der Existenzgeldforderung sollten nicht Anhängsel der
Gewerkschaften oder der arbeitstümelnden WASG sein, die
Befürworter der Forderung sollten aber nicht die
Trittbrettfahrer der Grünen Partei darstellen. Auf die Proteste
der Montagsdemonstrationen gegen die Zumutungen von Hartz IV
stützt sich die jüngst gegründete Linkspartei, die weitgehend
eine abgetackelte Vollbeschäftigungsutopie predigt und der eine
keynesianische ”Löcher-buddeln-und-wieder-zuschütten”-Ideologie,
denn: Hauptsache Arbeit!, zu eigen ist. Hoffnung ist hier fehl
am Platz. Meinte nicht Lafontaine als SPD-Finanzminister, man
solle überprüfen, ob das Arbeitslosengeld auch wirklich nur an
tatsächlich Bedürftige ausgezahlt werde? Schon vergessen?
Was
kann man tun? Der Kampf um eine Erhöhung des Regelsatzes von
Arbeitslosengeld II und ein Kampf gegen unzumutbare, aber als
“zumutbare Arbeit” verkauften Quatsch würde in zwei Richtungen
positiv vereinheitlichend wirken: die Arbeiterinnen und Arbeiter
verlören ihre Angst vor Hartz IV und die Arbeitslosen hätten
mehr Geld in der Tasche. Bekommt man eine Erhöhung von
Arbeitslosengeld II – ganz realpolitisch argumentiert - nicht
hin, wäre ein Kampf für eine generelle Grundsicherung, die
Versicherungsleistungen und andere Ansprüche vom Tisch fegt,
ohnehin ein Schuss hinten raus.
Editorische Anmerkungen
Der Beitrag ist in gekürzter Fassung als Serie im Feuilleton
der jungen Welt letztes Jahr erschienen. Er
wurde uns vom Autor Ende Dezember 2006 zur Veröffentlichung
gegeben.