Elmar Altvater
Das Ende des Kapitalismus,
wie wir ihn kennen.

Eine radikale Kapitalismuskritik.

01/07

trend
onlinezeitung


Eine Stellungnahme von Helmut Rehbock
für die Arbeitsgruppe des Linken Forums Oldenburg

Altvater hat den heutigen Kapitalismus auf der Grundlage der Marxschen Begriffe analysiert und hat dabei im wesentlichen schlüssig und folgerichtig argumentiert. Einige Thesen sind aber bei der Diskussion in der Arbeitsgruppe auf Widerspruch gestoßen:

1. Erneuerbare Energien contra kapitalistische Verwertung?

Die erneuerbaren Energien seien durch eine Brandmauer (S.81) von den fossilen Energieträgern getrennt, schreibt Altvater, sie verlangen folglich dezentrale Strukturen der Energieerzeugung (S. 210), und sie können nicht die Bedingung der Kongruenz von Energiesystem und Kapitalismus erfüllen (S. 213/214), die die bisherige hohe Wachstumsdynamik ermöglicht hat.

Dagegen wurde in der Arbeitsgruppe eingewandt, dass auch erneuerbare Energien durch kapitalistische Produktions- und Vermarktungsprozesse genutzt werden. Die Etablierung erneuerbarer Energien ist für sich genommen nicht antikapitalistisch, obwohl diese Energien sehr gut für eine solidarische oder sozialistische Ökonomie geeignet sind.

Windenergie und Photovoltaik liefern Strom, der natürlich auch von selbstverwalteten Kollektiven in eigener Regie für die Herstellung von Produkten oder für Tauschgeschäfte benutzt werden kann. In der Regel wird dieser aber in das allgemeine Netz eingespeist und unterliegt damit dem Einfluss von Stromkonzernen und staatlichen Aufsichtsbehörden. Die Herstellung von effizienten Solarzellen ist an kostenintensive Forschung gebunden, lädt also eher kapitalkräftige Unternehmen zu Investitionen ein als kleine Genossenschaften oder alternative Einzelunternehmer.

Treibstoffe können zum Teil durch Pflanzenöl oder Folgeprodukte substituiert werden. Landwirte und Verbraucher können dadurch das Monopol der Preisbildung durch die etablierten Konzerne erschüttern. Aber das ist lediglich eine Wiederherstellung von mehr Wettbewerb, also durchaus nicht antikapitalistisch.

Ähnlich ist es mit der Bereitstellung von Heizenergie durch Biogas, Holzsschnitzel, Erdwärme oder ähnliche Technologien. Auch dadurch wird monopolähnliche Marktmacht eingeschränkt zugunsten von kleinen und mittleren Unternehmen, weniger Monopol bedeutet aber nicht weniger Kapitalismus.

Es gibt also keine undurchdringliche Brandmauer , sondern die erneuerbaren Energien sind einfach eine zusätzliche Plattform für energieverbrauchende Wirtschaftsprozesse neben den fossilen Energien. Altvater formuliert: Es ist kaum vorstellbar, dass das Einreißen der energetischen Brandmauer ohne Umsteuern der fossil-kapitalistischen Ökonomie in Richtung einer solidarischen Ökonomie durchführbar ist. (S.83) Unmöglich ist es aber nach dieser Formuslierung nicht.

Es gibt keine nennenswerte Affinität zwischen Energiearten und Wirtschaftssystemen bzw. Produktionsverhältnissen. Die fossilen Energien entsprechen nicht den kapitalistischen, die alternativen Energien nicht sozialistischen oder solidarisch organisierten Produktionsverhältnissen. Die Merkmale der Arten der Energien legen nicht bestimmte Produktionsverhältnisse nahe. Das Verhältnis zwischen beiden ist indifferent.

2. Der Kapitalismus unter den Bedingungen des Ölmangels

Altvater beschreibt in Kapitel 4 und 5, dass der Kapitalismus sich erst dadurch als historisch neues Wirtschaftssystem dauerhaft durchsetzen konnte, dass er seit dem 18.Jahrhundert in einem qualitativ neuen Umfang fossile Energieträger und Rohstoffe für die Produktion einsetzte. Die Kongruenz von kapitalistischen Formen, fossilen Energieträgern und europäischer Rationalität (S.72) hat eine bisher einmalige Dynamik erzeugt, die bei einem Entzug eines großen Teils dieser fossilen Energien nicht mehr aufrecht erhalten werden könne. Die erneuerbaren Energien könnten unter den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen nicht so schnell entwickelt werden, um rechtzeitig diese Lücke schließen zu können. Viele meinen, man könne die so vorteilhafte und praktische Kongruenz auch mit erneuerbaren Energien erhalten. Doch dies dürfte sich als Illusion herausstellen. (S.214)

Dieser These wurde in der Arbeitsgruppe in dem Aspekt zugestimmt, dass die erneuerbaren Energien diese Lücke nicht schließen können. Unterschiedlicher Meinung war man darüber, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Fährt der Kapitalismus wie ein Super-Tanker starr weiter auf einem Kurs in Richtung finale wirtschaftliche und gesellschaftliche Katastrophe oder kriegt er doch noch die Kurve und kann trotz innerkapitalistischer Krisen
einen Bankrott als Gesellschaftssystem vermeiden? Darauf kann man schwer eine fundierte und umfassende Antwort geben. Eher lassen sich einzelne wichtige Faktoren genauer bestimmen, die für einen zukünftigen Kapitalismus unter den Bedingungen des Ölmangels maßgebend sein können.

Ölmangel und Verteilungskämpfe

Die Konflikte um das Öl (S.163) bestimmen schon heute das politische und militärische Handeln von Regierungen. Je schwieriger und teurer der Zugang zum Öl wird, um so mehr werden politische und militärische Konflikte zwischen Staaten zunehmen. Zu dieser These gab es in der Arbeitsgruppe einen breiten Konsens. Auch die Möglichkeit, dass die Konflikte innerhalb der kapitalistisschen Länder zunehmen können, wenn die Preise für Benzin, Heizöl und Erdgas exzessiv steigen, wurde durchweg bejaht.

Kohle als Alternative zum Öl?

Bieten Steinkohle und Braunkohle einen Ausweg, um die Verknappung von Erdöl und Erdgas zu kompensieren? Diese Frage hat Altvater ausgeklammert, obwohl die Kohlevorräte ca. 75% der weltweiten fossilen Energievorräte stellen und wahrscheinlich für mehr als 100 Jahre reichen. Auch ihre politische Verfügsbarkeit für die wichtigsten Energieverbraucher und Handelsmächte ist besser als bei Öl und Gas. Denn große Kohlevorkommen gibt es in den USA, China, Russland, Deutschland und anderen EU-Ländern. Ein weiterer Vorteil der Kohle ist ihre historische Bewährung als kapitalistisch genutzter Energieträger. Daran könnten Ingenieure und Manager anknüpfen und so die Allianz zwischen einem fossilen Wirtschaftssystem und den fossilen Energieträgern fortsetzen.

Die Umwandlung von Kohle in Treibstoffe ist technisch erprobt und wird besonders in Südafrika auf dem neuesten Stand gehalten. Neue Projekte werden vor allem in China geplant. Bei einem weiteren Steigen des Ölpreises wäre für Unternehmen die Entwicklung solcher Anlagen auch in Deutschland interessant. Allerdings sind die energetischen Verluste bei der Umwandlung von Kohle in Treibstoffe sehr hoch, mindestens die Hälfte der enthaltenen Energie geht dabei verloren. Entsprechend wäre die Umweltbelastung durch klimaveränderndes Kohlendioxid (CO2) doppelt so hoch wie bei Treibstoffen auf Öl-Basis. Weitere schädliche Umweltauswirkungen sind zu erwarten durch Staubentwicklung, Abwässer und feste Rückstände.

Wenn in Deutschland ein bedeutender Teil des Bedarfs an gasförmigen und flüssigen Brennstoffen durch Kohleumwandlung gedeckt werden sollte, müsste man den Kohleverbrauch mindestens verdoppeln oder sogar verdreifachen. Zur Zeit diskutieren Bundesregierung und Unternehmer aber darüber, in welchem Tempo und welchem Ausmaß der Kohle-Bergbau in Deutschland herunter gefahren werden soll. Eine Substituierung von Erdöl und Erdgas müsste sich also stark auf den Import von Kohle stützen, was aber gerade bei einer Erdöl-Verknappung schwierig oder teuer werden könnte.

Ein weltweiter Ausbau der Kohlenutzung hätte in jedem Fall eine beträchtliche Steigerung der CO2-Emissionen zur Folge. In den letzten Jahrzehnten sind die CO2-Emissionen pro Energieeinheit in dem Maße zurückgegangen, wie sich die Energiewirtschaft von der Kohle auf Erdöl, Erdgas, Atomenergie und erneuerbare Energien umgestellt hat. Ein Wiedereinstieg in die Kohleenergie würde die ohnehin schwere Aufgabe der Reduzierung der CO2-Emissionen noch schwerer machen und den Klimawandel mit seinen gravierenden Folgen beschleunigen.

3. Der Klimawandel als Krisenfaktor

Altvater beschreibt in Kapitel 7.6 den Treibhauseffekt mit seinen unübersehbaren Folgen. Er stellt ihn leider nur in einem Satz auf eine Stufe mit dem Ölmangel, was seine Gefährlichkeit für die Stabilität und das Überleben des Kapitalismus betrifft: Wahrscheinlicher ist eine soziale Explosion, weil Vorbereitungen auf die Zeit nach dem Höhepunkt der Ölförderung und gegen die drohende Klimakatastrophe viel zu kleinmütig ausfallen. (S. 175).

Dann aber kehrt er zurück zu der These, dass es in erster Linie um den externen Schock der Ölknappheit geht. Dieser Schock von außen stört die Kapitalakkumulation (S.175). Das ist richtig, aber auch klimabedingte Schocks können die Kapitalakkumulation beträchtlich stören. Bei Überschwemmungen und Wirbelsstürmen werden nicht nur Sozialwohnungen, sondern auch Produktionsanlagen, Verkehrswege und Kommunikationseinrichtungen zerstört. Dabei sind solche Katastrophen wie 2005 die Hurrikans Katrina und Rita in den USA mit mehr als 10 Milliarden Dollar Schaden erst der Anfang von dem, was auf die Weltbevölkerung zu kommt. Solche Katastrophen lassen sich noch schwerer vorhersagen als die Abnahme von Erdöl und Erdgas. Aus einem solchen Schock mit regionaler oder nationaler Reichweite könnte bei der globalen Vernetzung der Volkswirtschaften durchaus eine erhebliche Störung der Weltwirtschaft resultieren.

Altvater hat eine Chance vertan, seine These von dem äußeren Anstoß, der den Kapitalismus destabilisieren kann, auf eine breitere Basis zu stellen. Der Klimawandel ist von seinen Ursachen her genau so ein Produkt der kapitalistischen Raubbau-Wirtschaft wie der Ölmangel. Daher ist seine Rückwirkung auf die Rahmenbedingungen dieses Wirtschaftssystems ebenso zwangsläufig. Nur durch den Umstieg von Kohle auf Öl im 20. Jahrhundert ist der Klimawandel bzw. Treibhaus-Effekt nicht noch früher und noch massiver aufgetreten. Der Preis dafür ist der drohende Ölmangel. Beide Probleme stehen in einem Zusammenhang und können im Prinzip als gleich schwer wiegend betrachtet werden. Es bringt nichts, heute darüber zu spekulieren, welches der beiden Probleme in 30, 60 oder 90 Jahren mehr Schaden anrichten und das System mehr destabilisieren kann.

4. Perspektiven zur Überwindung des Kapitalismus

Globalisierungsgegner
Reformer oder Revolutionäre?


Altvater stellt die verschiedenen in Opposition zur neoliberal-kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung stehenden Bewegungen und Milieus als Hoffnung auf eine Veränderung dar. Aber er macht nicht einmal den Ansatz einer Analyse, in wie weit sie das System praktisch in Frage stellen oder lediglich reformieren und stabilisieren. In Kapitel 8.5 beschreibt er zwar Initiativen in Richtung einer solisdarischen Ökonomie und listet eine bunte Vielfalt auf von den gemeinnützigen Unternehmen in Deutschland bis zu den ökonomischen Projekten, die von Basisbewegungen in den Städten Venezuelas mit Unterstützung der Chavez-Regierung gestartet wurden. Aber den Schritt zu einer geordneten Bestandssaufnahme tut Altvater nicht, obwohl das in den sechs Seiten des Kapitels durchaus möglich gewesen wäre.

Weiter führende Erkenntnisse könnte die Lektüre von Alex Callinicos Ein Anti-Kapitalistisches Manifest , bringen. Dort werden im 2. Kapitel die politischen Ziele der verschiedenen globalisierungskritischen Gruppen und Strömungen analysiert.

Der Kapitalismus vor dem Aus oder vor einer neuen Phase?

Altvaters erstes Anliegen ist es, die Widersprüche und Grenzen des Kapitaslismus wieder deutlich zu machen und damit die neoliberale Intelligenzia (S.18) argumentativ in die Defensive zu bringen. Das gelingt ihm durchweg gut.

Zu den Aussichten für die Beendigung des kapitalistischen Gesellschaftssystems gibt es bei Altvater eine eindeutig formulierte Position. Zustimmend zitiert er Braudel (S.13, dazu auch S.24 und 178): nur ein äußerer Stoß von extremer Heftigkeit im Verein mit einer glaubwürdigen Alternative könnte seinen Zusamsmenbruch bewirken . In den nachfolgenden Sätzen betont er, dass man nach den im Innern der Gesellschaft heranreifenden überzeugen Alternativen suchen und selbst an ihrem Zustandekommen mitwirken müsse . Diese Position stellt sich klar gegen die alten und neuen Theorien von einem irgendwann von selbst zusammenbrechenden Kapitalismus (z.B. bei Robert Kurz).

An anderen Stellen führt Altvater die Leser durch vorsichtige, aber sehr weit interpretationsfähige Formulierungen in eben diese andere Richtung. Dabei schafft er es, einen klaren Widerspruch zu seiner anfangs formulierten Position (S.13) zu vermeiden. Ein nahe liegendes Beispiel ist der Titel seines Buches. Gerade bei linken Lesern trifft sich der erste Teil des Titels mit den eigenen Wünschen und Hoffnungen. Wenn davon nur bleibt, dass der Kapitalismus in 50 Jahren ein anderer sein wird als der heutige oder der von 1960 (Fordismus) oder der von 1900 (klassischer Imperialismus), so das ist nicht besonders aufregend.

Auf derartige Umwälzungen innerhalb einer kapitalistischen Kontinuität geht Altvater nur kurz auf S. 24 ein, wenn er sich auf Marx, Gramsci und Braudel im Hinblick auf die kapitalistische Entwicklung als Aufeinanderfolge von Transsformationen bezieht. In der passiven Revolution [Begriff von Gramsci] gelingt es den herrschenden Eliten immer, ihr hegemoniales System ideologisch, polistisch, institutionell gegenüber den subalternen Klassen zu stärken, auch indem diese zumindest partiell integriert werden, indem der soziale Konsens den neuen historischen Bedingungen angepasst wird . So könnte der Kapitalismus auch das 21. Jahrhundert überleben.


Oldenburg 12.12.2006
Helmut Rehbock
(hel24rck@gmx.de)

Editorische Anmerkungen

Elmar Altvater
Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen.
Eine radikale Kapitalismuskritik.
2005 - 240 Seiten - € 14,90 - ISBN 3-89691-627-0

Beim Linken FORUM OLDENBURG gibt es noch eine Stellungnahme von U. Schachtschneider.

Die Buchbesprechung wurde uns von den AutorInnen zu Veröffentlichung gegeben.