Es wird haufenweise Fleisch in
Kühlhallen oder hinter der Ladentheke ausfindig gemacht, dessen
Haltbarkeitsdatum längst überschritten ist. Und raus kommt auch,
daß der Lebensmittelhandel bereits zig Tonnen an faulem Fleisch
verklitscht hat, das in die Mägen der "Massenkaufkraft" gelangt
ist. Auch dieser angebliche Lebensmittel-"Skandal" ist ein
kleines Lehrstück darüber, welche Rolle Lebensmittel im
Kapitalismus einnehmen: Für
die Handelsunternehmen ist es einfach ein bleibendes Ärgernis,
daß Fleisch ein Naturartikel ist, der einem biologischen
Verfallsprozeß unterliegt. Das stört die Unternehmer
nicht
etwa, weil sie das Fleisch als Nahrungs- und Genußmittel so
wertschätzen und sich ausrechnen, wer davon wieder einmal hätte
satt werden können.
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Das
merkt man schon daran, daß die marktwirtschaftlich rechnenden
Fleischverarbeiter und Fleischhändler sich gar nicht darauf
beschränken wollen, das frische Fleisch schnellstmöglich an
die nächstliegende, das heißt ortsansässige Kundschaft zu
liefern; da macht die verderbliche Fleischware des einen die
zeitraubende Fahrt von Nord nach Süd, die des anderen von Süd
nach Nord usw. Man will schließlich mit dem eigenen Fleisch
überall
den Markt aufrollen und seine Marktanteile gegen Konkurrenten
behaupten.
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Und
deswegen wird das Fleisch auch nicht, kaum produziert und
verarbeitet, denen, die danach Bedarf haben, einfach zum
Verzehr angeliefert. Es soll ja schon noch erst verkauft und
zu Geld gemacht werden.
Wann sich
wie viel
von den Fleischerzeugnissen wo
und zu welchem Preis
verkaufen lassen, ist einfach nicht zu planen. Sicher ist nur,
daß kein Kauf im Supermarkt unterbleiben darf, bloß weil nicht
genügend Ware da ist; daher sind die Kühltheken und -regale
tendenziell mehr als ausreichend bestückt.
- Genauso sicher ist, daß der
Verkauf seine Zeit braucht, in der die verderblichen Produkte
in den Kühlregalen liegen; und genauso sicher ist es auch, daß
stets Waren liegen bleiben, weil sich Leute mit knappem
Geldbeutel die Güter nicht leisten können.
So stört die Kapitalisten
todsicher nicht, daß jede Menge Fleisch nicht rechtzeitig
dorthin gelangt, wo ein Bedürfnis nach ihm ist. Denn sie sind es
ja selber, die mit ihrer Geschäftspraxis systematisch dafür
sorgen, daß jede Menge Fleisch verdirbt, bevor es und ohne daß
es einen Abnehmer findet. Anders gesagt: Daß so viel Fleisch
verkommt, das liegt nicht einfach nur daran, weil Fleisch qua
Natur verderblich ist. Die Unternehmen behandeln das Fleisch als
einen
Geschäftsartikel - und deswegen
wird seine Qualität als
Lebensmittel ziemlich
strapaziert.
Und eben weil Fleisch ein
Geschäftsartikel ist, stinkt es den Unternehmen gewaltig, daß
die Ware verdirbt. Für sie ist jedes Stück Fleisch nichts
anderes als ein Stück Warenkapital, das gefälligst in Geld zu
verwandeln ist. Jede Ware, auf der der Unternehmer sitzen
bleibt, bedeutet für ihn, daß ein Stück seines Kapitalvermögens
vernichtet wird. Also verträgt es sich nicht mit seinen
Geschäftsbilanzen, Fleisch aus dem Verkehr zu ziehen, nur weil
es für den Verzehr unbekömmlich geworden ist. Seine
kapitalistische Rechnungsweise gebietet ihm, diesen Verlust
abzuwenden.
Eine
sachgerechte Art und Weise, dieses Geschäftsrisiko abzuwenden,
besteht eben darin, das Fleisch, dessen Gebrauchswert verfällt,
einfach umzubenennen: Fleisch, dessen Haltbarkeitsdatum abläuft,
wird kurzerhand zu Frischware umdeklariert und bleibt so dem
Markt zur Profiterzeugung erhalten. Und wenn Supermärkten diese
Praxis zu heikel ist, nehmen ihnen das findige Zwischenhändler
ab und machen daraus ein eigenständiges Geschäft: Sie kaufen den
Konzernen das verderbende Fleisch auf dem "Drei-Tage-Markt" oder
der "Resterampe" ab und liefern es ihnen - ein paar Wochen oder
Monate später - als unschlagbar günstiges "Frischfleisch" wieder
an. Der Etikettenschwindel findet dann nicht im eigenen Laden an
der Theke statt; stattdessen wandert das Gammelfleisch aus dem
Supermarkt raus und durch den Lieferanteneingang wieder rein,
zwischenzeitliches Ein- und Ausfrieren inklusive. So machen
gleich zwei Unternehmen ihr Geschäft mit der vergammelnden
Fleischware: Die Zwischenhändler machen ihren Gewinn mit dem An-
und Verkauf des Zeugs. Und die Supermärkte erzielen für ihre
verderbende Ware erstens doch noch einen Preis; und zweitens die
Gelegenheit, dasselbe Zeug besonders günstig wieder einzukaufen,
um es den Endverbrauchern als entsprechend bepreistes
"Frischfleisch" anbieten zu können. So schafft es das Kapital,
sein Geschäft vom lästigen Gebrauchswert des Fleisches zu
emanzipieren - zu dem "Preis", daß sich ihre
Nahrungsmittelversorgung von einer Abfallbeseitigung nicht mehr
unterscheiden läßt. Ein "Preis" freilich, den nicht die
Geschäftemacher zu zahlen, sondern die Konsumenten zu schlucken
haben.
Die Unternehmer, die mit
Lebensmitteln ihr Geschäft betreiben, veranstalten ein dauerndes
und flächendeckendes Freilandexperiment mit dem Gebrauchswert
der Nahrungsmittel. Für sie sind die solange "verträglich", wie
sie einen Markt finden. Sie können dabei auf ihre Erfahrung
vertrauen, daß der Mensch eine Menge aushält, bevor er
auseinanderfällt; und sie können auf die Sicherheit bauen, daß
ihre Kunden ihnen nicht entkommen - was sie daran erkennen, daß
die ihnen allen sogenannten "Skandalen" zum Trotz ihr Zeug
abkaufen.
Allein aus der Tatsache,
daß
den Unternehmern ihr Zeug abgekauft wird, verdrehen Politiker,
Wirtschaftslobbyisten und öffentliche Meinungsmacher Ursache und
Wirkung. Dann stehen nicht die kapitalistischen Produzenten und
Händler der Schrottware in der Kritik, sondern die Konsumenten
am Pranger. Aus dem Spiegel
erfahren wir etwa: "Nirgendwo
spart der Deutsche so rabiat wie beim Essen. Gaben die
Privathaushalte 1970 noch knapp ein Drittel ihres Geldes fürs
Essen aus, so werden es 2005 nur noch 14 Prozent sein."
Wer im Supermarkt, statt auf die Qualität, immer nur auf die
Preise schaut, der darf sich nicht wundern, wenn
"Zerlegefirmen, Transporteure, Kühlhäuser
oder Handelsunternehmen - um den Deutschen Fleisch immer noch
billiger in die Kühltheke legen zu können - die Gesundheit der
Kunden riskieren" und
"es sich dabei nicht um Einzelfälle
handelt".
Klar: Der
Spiegel
will die Schuldfrage eindeutig klären: daß die Leute hierzulande
Scheiße und Schlimmeres zu fressen bekommen - das liegt an den
blöden Konsumenten. Der Vorwurf richtet sich an die abhängig
Beschäftigten, Arbeitslosen oder Rentner,
an deren Lebensunterhalt
Arbeitgeber und Politik mit Entlassungen und Lohnkürzungen,
Reformen und Steuererhöhungen heftig
sparen. Und
was machen dann diese Leute in ihrer zunehmenden Armut? Sie
zeigen sich als Kundschaft beim Geldausgeben doch glatt geizig!
So zynisch die Schuldzuweisung ist: Ihr läßt sich durchaus eine
sachliche Auskunft entnehmen. Wenn man
"zu schlechten Preisen nicht allerbeste
Lebensmittel bekommen kann",
dann ist es wohl eine Illusion, daß die schöne Marktwirtschaft
dazu da wäre, ihre gewöhnlichen Bewohner mit anständigen
Nahrungsmitteln zu versorgen, die sie sich auch noch leisten
können. Statt dessen stellt der Kapitalismus mit jedem
sogenannten "Lebensmittelskandal" praktisch klar: Mit seinem
normalen Geldbeutel bekommt der Normalmensch eben nur den
unverträglichen Billigfraß - denn nur bei dem sind mit
schlechten Preisen die allerbesten Geschäfte zu machen.
Und auf eines können sich die
Unternehmer mit ihren Geschäftspraktiken sowieso verlassen: auf
die Einsicht des Staates, daß
ihr Nutzen
auch der seine
ist.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel wurde uns überlassen von
G E G E N S T A N D . A K T U E L L
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Ausg. 01/02-06 v. 16.Jan. 06
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