Vor 25 Jahren: Rechte Baumschützer & gescheiterte Bewegungslinke gründen grüne Partei

Als mein Minister mich mal dringend brauchte

Von Hartmut Barth-Engelbart
01/05

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Notwendige Ergänzung zu Christian Schmidts Fischer-Buch »Wir sind die Wahnsinnigen«.

Der aus dem vor-68er Humus gewachsene Autor des folgenden Artikels hat, nachdem Ende der 70er Jahre viele kommunistisch/sozialistische Parteigründungen gescheitert waren, das Experiment »Grüne an die Macht« mitgetragen. De facto, trotz seiner Intention, über die Parlamentstribüne die Basisbewegungen zu stärken, was nicht wenige Linke in den Grünen versuchten. Der Versuch ist mißlungen. Der Zug ist nicht in die Richtung Basisstärkung, sondern in die Stärkung parlamentarischer und administrativer Institutionen abgefahren. Die Basis wurde abgehängt, um sie von Fall zu Fall als Pokermasse und Drohpotential seitens der verselbständigten Partei-, Parlaments- und Regierungseliten einsetzen zu können. Jetzt beginnt das Fußvolk, immer noch zögerlich, sich zu verweigern.

Der Artikel ist Rückblick im Zorn, Selbstreflexion und Versuch eines neuen Anlaufs mit weniger aufgeblasenen Backen. Er berichtet über Enttäuschungen, sarkastisch und teilweise zynisch, bilanziert und entdeckt im Saldo neue Chancen.

Die Seitenwechsler

Als ich nach langer Zeit Niko M. wieder traf, war das symptomatisch. Als Betriebsrat und ÖTV-Mitglied unterstützte ich Mitte der 80er Jahre die Postgewerkschafts-Streikposten in Frankfurt. Niko M. stand vor dem Tor des Posthochhauses an der Mainzer Landstraße direkt neben der ehemaligen Zentrale des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW). Niko kannte ich vom Kommunistischen Studenten-Bund (KSB), von vielen gemeinsamen politischen Aktionen. Ich ging freudig auf ihn zu, umarmte ihn: wieder einer, der dabeigeblieben ist, der die gewerkschaftlichen Abwehrkämpfe weiter unterstützt. Doch nach zwei Sätzen über die Rationalisierungs- und Entlassungsorgien bei der Post drehte sich Niko peinlich berührt weg. Niko war zum Pressesprecher der Oberpostdirektion aufgestiegen und stand als Beobachter des Gegners, als Gegner vor dem Tor. Wie sollte ich jetzt den PostkollegInnen die herzliche Begrüßung erklären?

Ich mochte Niko – ich mag ihn irgendwie immer noch, auch nach seiner folgenden Karriere bei der FAZ, bei Andreas von Schoeler, bei Petra Roth. Gerade deshalb bin ich um so mehr verletzt. Aber wie sollen ehemals kommunistische Germanisten Karriere machen, wenn nicht als Pressesprecher beim ehemaligen Gegner? Schlomo S., auch ehemaliger KSBler, hatte es als Mediziner da vielleicht einfacher. Eine Karriere in der Aidsforschung steht weniger im Verdacht des Seitenwechsels. Manchmal möchte ich nicht mehr genau hinsehen, um mir Enttäuschungen zu ersparen.
Es geht im folgenden darum, aufzuzeigen, wie und warum eine Reihe ehemaliger Revolutionäre Karriere auf der anderen Seite machen konnte.

Es geht um den fließenden Wechsel, in dem der Autor selbst bis dicht ans gegnerische Ufer gefolgt ist, Teil und Promotor der absorbierenden Struktur wurde, die er aufzudecken und zu bekämpfen versucht. Selbst der reißendste Mainstream ist nicht ohne Wirbel und Widersprüche, manchen treibt er auch wieder zum Schwimmen gegen den Strom. Eine Mischung aus subjektiver Entscheidung und objektiven Bedingungen. Auf jeden Fall kein (pures) Heldentum.

Außenminister Fischer ist kein Ausrutscher der 68er, sondern eines ihrer legitimen Kinder

Zugegeben, ich habe das Buch über die Frankfurter Fischer-Gang verschlungen wie eine Dorfgeschichte, wie einen Schelmenroman, einen Heimatroman im besten Sinne. Tatsächlich hat der Ex-Titanic-Redakteur Christian Schmidt keinen der Realität entlehnten Roman, sondern einen rasierklingenscharfen Tatsachenbericht über das Scene-Dorf Frankfurt geschrieben, mit seinen rivalisierenden Sponti- und K-Gruppen-Clans. Ich habe mich wiedergefunden in den goldenen endsechziger, siebziger und achtziger Jahren mit allen alten Freunden und revolutionären Wegbegleitern mit und ohne Gänsefüßchen und ihren hinter wildlinker, anarcho-libertärer Attitüde versteckten Jauchegruben. Dreckecken vom Ausmaß des Opernplatzes. Um 23 Uhr habe ich zu lesen begonnen und als ich die 300 Seiten durch hatte, ging bereits die Sonne auf. »Der Osten ist rot, China ist jung, Joscha Schmierer grüßt Mao-tse-tung«. Robert Mugabe, dem auch ich im KBW-Haus damals die Hände schütteln durfte, als die FAZ und die FR noch Rhodesien zu Simbabwe sagten, Robert Mugabe hat Joscha Schmierer 1976 in leichter Verkennung der Lage schon mal als »großen kommunistischen Führer der deutschen Arbeiterklasse und des deutschen Volkes« begrüßt. Es stimmte zumindest nicht ganz. Ralf Fücks, der von der späteren rot-gelb-grünen Ampelkoalition in Bremen,  stand damals als KBW-ZK-Mitglied daneben und grinste wenigstens. Sag mir, wo die Männer sind, wo sind sie geblieben? Und die Frauen, die knallharten Fahnenschwenkerinnen?

Maggi M. ging von der Kommunistischen Volkszeitung zum Pflasterstrand/Journal Frankfurt und landete bei der FAZ, Gisel H. ging vom KBW-Caro-Druck zum Hessischen Umweltministerium. Ob sie jetzt mit Joschka Fischer ins Zentrum des geschäftsführenden Ausschusses der Bourgeoisie nach Bonn oder Berlin zieht? Die Stellenschieber schieben, was das Zeug hält, um im Gerangel an den Fleischtöpfen für Vettern und Basen, Cousinen und Cousins noch etwas Platz zu schaffen. Nicht Brüder zur Sonne zur Freiheit, nein, Vettern und Cousinen an die Macht. Schröder und Fischer hören die Signale aus der Zentrale der Deutschen Bank. Und Kurt Tucholsky lacht sich im Grab noch tot: »Sie meinen, sie wären an der Macht, dabei sind sie nur an der Regierung!«

Genosse Michael H. ließ sich als hoffnungsvolles Mitglied der Regionalleitung Mitte und Kandidat für das KBW-ZK erst durch die Auflösung der Kaderorganisation von seinem kommunistischen Karriereweg abbringen und landete als Jurist endlich beim Regierungspräsidium Darmstadt. Na ja, alle kamen auf Umwegen zu höheren Weihen und höchstem Segen, jedoch nicht ohne mich und einige wenige andere vorher noch aus dem Kommunisten-Bund auszuschließen, mir Auftrittsverbote zu erteilen und meine Texte zu zensieren wegen Abweichung von der korrekten Linie. Sauber! Säuberung nennt man sowas, Säuberung, bis nichts mehr bleibt als die reine Leere.
Daß ich dem Ausschluß zusammen mit Wilhelm P. durch Austritt zuvorgekommen bin, freut mich besonders.

»Haderst du etwa mit deinem Schicksal? Macht sich bei dir Neid breit? Wer unter euch ohne Sünde, der werfe den ersten Stein!« fragt mich mein politisch-religiöses Über-Ich. Nein. Die ersten Steine haben die Spontis geworfen aus der sicheren letzten Reihe und mich und andere getroffen, während wir vorne in der ersten entschlossen den Nazis und den sie schützenden Bereitschaftshundertschaften entgegentraten, 1978 gegen die NPD auf dem Römerberg. Joschkas Putztruppe blieb im Hintergrund putzmunter, während vorne die durch  spontane Steinwürfe unterbrochenen Zersetzungsgespräche mit den Bütteln der Staatsmacht sich in Kommunikation mit Hartgummiknüppeln verwandelten. Schädelbasisbruch. Jetzt war ich nicht mehr nur vom Dach gefallen.

Müßig zu fragen, hätten sie auch geschlagen ohne Fischers Steinewerfer? Wenn die nicht dagewesen wären, hätte es die Staatsmacht auch anders gemacht, so wie 1969 am Hauptbahnhof, als wir Springer enteignen und die Auslieferung der Bildzeitung verhindern wollten, da schlugen nach einem polizeilichen Geständnis aus der Verwandtschaft Bereitschaftspolizisten in Zivil mit langen Knüppeln aus der dritten Reihe der Bildblockierer auf ihre uniformierten Kollegen ein, um Schlagstockeinsätze gegen die Demonstranten zu provozieren.

Nach Abschwur, Unterwerfung und Verrat in Amt und Würden?

Lamentier nicht, komm zur Sache, mahnt die Redaktionsmehrheit der nhz. Kamen alle in Amt und Würden? Wenn ja, wieso? Wenn nein, wieso? Was macht der Rest? Bleibt nicht der Eindruck: so sind sie halt, die Kommunisten, nach den wilden Jahren, nach Sturm und Drang und Drohgebärden mit Bafög oder Papas Schecks zurück in den Schoß, in die Annehmlichkeiten des Kapitalismus? Wo bleibt deine Analyse?

Ja und nein, nicht alle, aber viele Häuptlinge und Unterhäuptlinge und -Innen. Meist Intellektuelle, mobil und flexibel, auf dem Hintergrund wirtschaftlicher Prosperität einerseits und gesellschaftlicher Brüche andererseits, politischer und ökonomischer Erschütterungen. Beginnender technologischer und damit verbundener sozialer Häutungen des Kapitalismus. Das sich abzeichnende Ende des Fordismus, absehbare massenhafte Entwertung der Arbeitskraft. Rationalisierungsschübe, Modernisierungsschübe, zu deren Propagandisten sich Teile der Antiautoritären Bewegung selbst machten, Bildungsnotstand, Begabungreserven, Chancengleichheit, sexuelle Befreiung. Die radikale Attitüde verdeckt in Teilen den wahren Charakter dieser Erscheinungen. Sie sind die zukünftigen ideologischen und technologischen Facelifter und Frischzellentherapeuten des in die Midlifekrise geratenen, ergrauten Kapitalismus, der alte Moloch braucht frisches Fleisch.

Bärmeier & Nickels »Pardon«-Schlachtruf: »Stopft ihnen die Mäuler mit Che-Guevara-T-Shirts, roten Ringelsocken und Rolling Stones!« zeigt langfristig nachhaltige Wirkung und die Kreativen der 68er sitzen zum großen Teil längst in den Spitzenagenturen, selbst die Nachwachsenden greifen nach dem Untergang des »Realsozialismus« kräftig in den 68er Fundus: Karl Marx wirbt für die Industrie- und Handelskammer.

Willy Brandt sagte, wer in seiner Jugend nicht Kommunist war, wird nie ein anständiger Sozialdemokrat. Juso Strasser trainierte Jungmanager in Privatuniversitäten in Marxismus, in historischem und dialektischem Materialismus, Jochen Steffen, das rote Nordlicht, tat das Gleiche, nachdem er als Schleswig-Holsteins SPD-Vorsitzender ausgedient hatte.

Die Spontis sind (k)ein Sonderfall

Ja, aber die Spontis? Die können in ihrer ideologischen Beliebigkeit, mal hier mal da, mal scheiß egal aber radikal, auf jeder Bürgerhochzeit die Sau rauslassen und die Schau klauen.
Sie haben zwar das »Verschwinden des Proletariats« nicht erfunden, propagieren aber am entschiedensten das Ableben der Arbeiterklasse. Wissenschaftlich wenig belastet, eher wissenschaftsfeindlich, verwechseln sie die Erscheinungsform mit dem Wesen. Die Arbeiterklasse gibt’s schon lang’ nicht mehr, der Beweis liegt auf der Hand, am Band bei Opel Rüsselsheim war kaum noch eine Schiebermütze zu entdecken, und wenn, dann kam sie aus Anatolien. Folgerichtig stürzten sich nicht nur die Spontis auf die Immigranten, und hatten dort vorübergehend das beim deutschen Proletariat vergeblich gesuchte revolutionäre Subjekt erkannt.

Was objektiv stimmte, da die Migranten einen Teil des weder rassisch, national, noch religiös definierbaren Proletariats ausmachen.

Wesentlich weiter waren da schon die Herren der KPD/AO, die haben nämlich gesehen, daß die Existenz der Arbeiterklasse nicht von der herrschenden Kleiderordnung abhängt, weshalb sie sich von Fall zu Fall ganz im Gegensatz zur universitär locker werdenden Mode in Anzüge zwangen. Nur waren sie dann wieder bei der Nachhut, weil die Kleiderordnung auch bei den Proleten schneller wechselte als es im KPD/AO-Katechismus stand.

Kannst du mal weg von deiner Häme und ernsthaft analysieren?

Klar. Die sprung- und wechselbereiten intellektuellen Elemente unterlagen einem Dauerfeuer von Niederlagen, Rückschlägen, von voluntaristischen Einschätzungen des tatsächlichen Entwicklungsstandes der Gesellschaft. Sie hatten die Revolution entdeckt und sich mit dem Nabel der Welt verwechselt. Nicht alle, aber viele. Sie hatten die Geschichte der Arbeiterbewegung gelesen (zum Teil), Marx und Engels, Lenin, Trotzki und Stalin, Mao-tse-tung und Pol Pot studiert, aber von den ersten beiden nur Bruchteile wirklich verstanden und sich in den Verfälschungen ihrer Nachfolger verheddert und teilweise auch noch deren Perversionen mitgefeiert. (Und der Autor mittenmang dabei, Stalin zwar heftigst kritisierend, aber z.B. vor Pol Pot die Augen verschließend, weil der eigene Leader gerade bei ihm empfangen wurde).

Und bei all diesen Nackenschlägen blieb da die immer noch offene Hand, die die verlorenen Söhne und Töchter wieder aufnimmt (schließlich sind wir ja nicht in Lateinamerika oder bei den Sozialimperialisten, wo wir gleich in Bataillonsstärke verschwunden wären, in Zwangsarbeit, in Concentration Camps).

Die zentralistischen Organisationsmodelle, die Abwesenheit von Demokratie in diesen Parteiversuchen, waren Mitursache für ihr Scheitern. Auch die Polyvirate, die Frontmännerkartelle bei dem sich antiautoritär gebenden »Revolutionären Kampf«, bei den Spontis, waren alles andere als demokratisch organisiert. (Besonders hier trat und tritt der Widerspruch zwischen plebiszitären Zielsetzungen und eigener Struktur kraß zum Vorschein.) In ihrer Marginalität blieben diese Organisationen lächerliche Putschinstrumentchen, sie haben aufklärerisches Potential gebunden und verhindert, daß dieses Potential mit Geduld und Gelassenheit über anfängliche Erfolge hinaus in die Gesellschaft hineinwirkt. Selbstisolation. Sie waren in Teilen eine Reproduktion en miniature der bekämpften Verhältnisse: mit informellen Ministern, Staatssekretären, Hofschranzen und Dienstwagenhierarchie, besonders ausgeprägt beim absolutistischen Hofstaat des KBW in seiner Endphase, bei der KPD/AO, der KPD/ML und weniger offen, aber desto länger wirksam bei der informellen Hackordnung des »Revolutionären Kampfes« (Spontis).

»Randgruppenstrategie«

Von der Befreiungstheologie linker Sozialarbeiter blieb oft die Rekrutierung subproletarischer Jugendlicher für die Pressure-groups, Bodyguards, Joschka Fischers Frankfurter Straßenkampf-»Putztruppe« und nicht zuletzt für die (Selbst-)Ausbeutung in einigen selbstverwalteten Betrieben. (Die Niederurseler Krebsmühle ist nach dem Ausscheiden von Luis Tratter dafür ein regional leuchtendes Beispiel. Der Entwicklung diverser »alternativer« Betriebe wäre ein eigener Artikel zu widmen. Zum großen Teil sind es heute stinknormale (Klein-)Unternehmen im High-Tech-, Wissenschafts- oder Dienstleistungssektor oder werkeln in der Jobber-Grauzone im Schmuddelbereich mit Dumpinglöhnen und Konkursperspektiven.

Die (Sub-)Proleten wurden, sofern sie sich den Organisationen anschlossen, instrumentalisiert und zum Teil hirnlos verheizt, bzw. nach ihrem Aufstieg selbst zu Verheizern. Das gilt nicht durchgängig, aber in der Hauptsache. Das Proletariat als Rekrutierungsfeld für die Putztruppe, die Verherrlichung der Gewalt, der Drang auf der Linken zum Kampfsporttraining. Wieder nix kapiert. Die Stärke des Proletariats liegt nicht auf der niedrigen Schwelle zur Gewalt. Sie liegt in seiner Fähigkeit zur Mehrwertproduktion, in seiner Fähigkeit, diese Produktion zu beherrschen mit allen ihren Facetten, die die Kapitaleigner in die Lohnarbeit abgeben. Noch mehr Analytisches?

Von der Ohnmacht an die »Macht«

Der langersehnte Tag des Selbstgestaltens, des Regierens, des tatsächlich Veränderns, hat nach so langer Entsagung mit der Entstehung der Anti-Akw-Bewegung, der Öko-Bewegung, der Grünen scheinbar begonnen, er hat begonnen, jedoch als Surrogat. Viele sind auf diesen Zug gesprungen, haben sich in Parlamente wählen lassen. Allerdings mit zwiespältigen Intentionen: einerseits mit der Hoffnung, minimale Verbesserungen der sozialen und politischen Lage zu erreichen, und andererseits die politischen Institutionen zu nutzen, um emanzipatorische Bewegungen zu stärken, die letztendlich nur der Garant für soziale Fortschritte (soziale/ökologische/kulturelle/politische usw.) sein können.
Eine schwierige Gratwanderung auf der Messerschneide des dialektischen Verhältnisses von Reform und Revolution. Der radikalisierte Reformismus, vom Nulltarif zur Nullstundenwoche bei vollem Lohnausgleich, das »Wir wollen alles« (ehemaliges Zentralorgan der Spontis) reduziert sich auf das den sogenannten Sachzwängen Folgende, realistisch Machbare, was mit Großindustrie und Banken noch absprechbar ist.

Das Parlament ist nicht nur Tribüne, die Regierung ist nicht immer nur der geschäftsführende Ausschuß. Aber beide Institutionen sind solange Bestandteile des Würgegriffs, bis sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Gewürgten verschieben. Erst dann bieten sich auch auf diesen Ebenen Möglichkeiten. Entscheidend ist die Bewußtheit, die Selbständigkeit, die Handlungsfähigkeit, die umfassende Bildung der lohnabhängigen und (mehr-)wertschaffenden Klassen und Schichten. Notwendig ist es, die Politik nicht zu delegieren, die Selbstorganisation in allen Basisbereichen zu stärken, selbst wenn sie zur Zeit nicht sonderlich sprießt. Das Schlimmste ist das Warten und Gaffen auf die großen Zampanos.

Jammern darüber, daß die rot-grünen Regierungen so sind wie sie sind, bringt keinen Schritt vorwärts. Trotzdem ist es notwendig, über bestimmte Sachverhalte des Zustandekommens solcher Konstellationen aufzuklären. Das theoretische Skelett hat Fleisch und Blut, an dem man auch entdeckt, was drinnen steckt.

Zurück zum Fleisch und Blut der Spontifexe und K-Gruppen-Häuptlinge. Herab von den theoretischen Höhenflügen in die Niederungen des politischen Rhein-Main-Alltags.
Ausgediente prominente Sozialdemokraten hatten den »Konsum«, die »HeLaBa« ..., Gewerkschafter den ACE, die »Neue Heimat«, die BfG. Wohin aber mit ausgedienten prominenten Kommunisten, Spontis, usw.? Ihnen blieb oft nur die selbstgestrickte Flucht nach oben vor schnöder niederer Lohnarbeit.

Was die besagten ehrenwerten Revolutions-Damen und -Herren verbindet, ist der Drang nach oben, an die Macht, an die Weißwein- und Schampusstrände, so wie es den scharfzüngigen Frankfurter Industrieanwalt Thomas H. nach oben drängte, mit pompösem Haus im »instandbesetzten« Frankfurter Westend, wo sich die Haute voleé die Klinke in die Hand gibt. Ja der Johnny ist auch immer dabei, aber eher unter fernerliefen, von Schoeler, Hauff, Riesenhuber. Frankfurts politische Edelklasse macht hier eher den Bajazzo hinter dem Industrie- und Geldadel, wenn Dany Cohn-Bendit mit dem Bethmännchen flirtet.

Thomas H. war Jürgen Krahls Lieblingsspielzeug, wenn er im Café Laumer oder im Königsbacher in der Feuerbachstraße nach erfolgreicher Massenagitation in der Mensa genauso randvoll war wie der Hörsaal VI bei einem Teach-in. Thomas H. gehörte im KBW zu den smarten Hardlinern und war Spezialist im Niedermachen von Abweichlern, ein »kommunistischer« Platzhirsch, der den so Geächteten dann auch noch die Frauen ausspannte. Faszination der Macht. Heute vertritt er die Interessen von Softwaregiganten auf dem europäischen Markt. Morgen vielleicht die Interessen der Volkswagen AG in der Volksrepublik China. Mutation eines Maoisten. Was soll’s, wenn der Markt für seine Qualifikation die Möpse hergibt, wieso sollte er es nicht tun? Wär ja blöd, der Mann.
(Wer jetzt zwischendurch eine positive Nachricht braucht, dem sei versichert, daß die Mehrheit der ehemaligen Mitglieder der angeschwärzten Organisationen damals und heute noch mehr sehr sinnvolle politische Arbeit leistet, wie und wo, das müßte ein langer weiterer Artikel aufzeigen. Jetzt geht’s aber weiter im Text.)

Es sind nicht nur die »Fischers Friends«

Über Gisel H., die stramme Ex-KBW-Genossin, kam ich an meinen Minister. Ich kannte Joschka schon seit 68, als zweite Wahl der schwäbischen Mafia unter dem SDS- und späteren Sponti-Frontmann Reimut Reiche. Welch ein Abstieg dieses renommierten Sexualwissenschaftlers, heute darf er dem Spontifex maximus nicht mal mehr die Aktentasche tragen.
Egal. Nein, nicht egal.

Sie, die Frontmänner der Spontis, K-Gruppen und Roten Zellen begriffen sich und begreifen sich heute noch als den Nabel der Welt.

Christian Semler, damals stets neuproletarisch im korrekten Anzug mit Treviraschlips und Nyltesthemd als Haupterkennungsmerkmal der ZK-Mitglieder der KPD/AO, erzählt 1998 in einer ARTE-Talkshow mit Dany Cohn-Bendit bei einem Themenabend über die 68er, daß es vor 68 keine Streiks gegeben habe. Allen Ernstes. Semler ist taz-Redakteur, nicht irgendeiner, er ist quasi Chef.

Sehr geehrter Herr Semler, fragen Sie ihren Ex-ZK-Kollegen Hutter (ein handverlesener echter Proletarier), ob nicht die Anti-Notstandsbewegung und die Anti-Notstandskongresse von der IG Metall ausgegangen sind. Kennen Sie vielleicht einen Herrn Schauer, den sogenannten Kongreß-Schauer, der von der IG Metall über die Akademie der Arbeit zum SDS kam?
Haben Sie mal was von den IG-Chemie-Streiks 1967 gehört, nichts vom Metallarbeiterstreik 1964? Nein? Nichts von den politischen Streikaktionen der 50er Jahre gegen die Wiederbewaffnung?
Wie sprach der Breitmaulfrosch zum Storchen: »Dü gübts ja garnücht!«

Die Erde ist eine Scheibe und die Zeitrechnung beginnt 1968. Vorher war höchstens der Urknall und dann war nichts, bis die Semlers vom Himmel fielen und aus der dumpfen Masse bewußte proletarische Menschen schufen.

Die Schwäche für Ein- und Zweireiher war bei der KPD/AO nicht auf das ZK beschränkt. Frankfurts ehemaliger KPD/AO-Chef Frank Herterich beliebt heute wieder nach kurzer Ökoschafwollpause im Edeldress zu flanieren, jetzt allerdings weniger als Freizeitprolet. Heute schmückt er die euopäische Finanzmetropole mit postmodernen Stadtplanungen. Er kümmert sich ums architektonische Wohlbefinden der Eurobanker. Bereichert ihr Ambiente mit urbanen Events.

Am Paradefall Fischer kann man lernen

Zum »Opfer der Umstände« gehört auch eine Portion »Opferbereitschaft«.

Zurück zu Gisel H. und Joschka Fischer. Ich war zum Provinzguru der Grünen aufgerückt (wo man in Parlamenten, Ausschüssen, Unterausschüssen, Untersuchungsausschüssen mehr mit den Gegnern als mit den Leuten redet und von der Öffentlichkeit lediglich durch den bürgerlichen Pressefilter verzerrt, zensiert und verfälscht wahrgenommen wird, wenn überhaupt). Die IUH (Initiativgruppe Umweltschutz Hanau) mit Gerhard Ziegler und Elmar Diez an der Spitze kämpfte wacker gegen die Nuklearbetriebe für den Ausstieg, als der Minister in Wiesbaden ob Machterhaltungskalküls auf die Porsche-Bremse trat (damals fuhr er nur den Wagen, heute hat er einen Beratervertrag mit den Zuffenhausenern) und den wackeren Hanauer Anti-Atom-Kämpfern die Gelder sperren wollte. Elmar prozessierte für seine Kinder gegen die Nuklearmafia. Das kostete immense Summen, die nur durch Wiesbadener Unterstützung aufzubringen waren. Die IUH tanzte nicht nach Fischers Pfeife, der Anwalt war zu renitent und hatte etliche Unterlassungen des Ministers in Sachen Hanauer Betriebe entdeckt. Fischer brauchte einen willfährigen Menschen mit Kleinkind im näheren Umkreis der Hanauer Atomfabriken, mit dem er nach seinem Gusto und mit einem subalternen Anwalt »gegen« Nukem, Alkem, RBU prozessieren konnte.

Über die SPD sondierte Fischer das Terrain, um nicht von der IUH erwischt zu werden, landete über die spätere Ex-Gattin des Hessischen Wirtschaftsministers Klemm bei einem ahnungslosen BUND-Mitglied, das sich jedoch verweigerte, weil es Prozeßrisiken scheute. Fischers Büroleiterin, jene oben erwähnte Ex-KBW-Frontfrau Gisel H., erinnerte sich in dieser unangenehmen Lage an einen ehemaligen KBW-Genossen, einen vermeintlich stets den ZK-Direktiven gehorchenden Provinzler, »mit dem man das Kind schon schaukeln würde«, verheiratet, zwei Kleinkinder, Grünenmitglied, wohnhaft in Hasselroth unweit von Hanau-Wolfgang.

Paßte alles sehr gut. Gisel telefoniert mit einer Mischung aus alter und neugrüner Konzilianz, aus grünen Basis-tönen und ministerieller Anweisung und lockt mit der Weihe zum Ministranten. Fischer ist und bleibt halt katholisch.

Welche Ehre! Nicht nur der Herr Landrat schüttelt mir die Hände, jetzt lädt mich auch noch ein leibhaftiger Minister zu sich nach Wiesbaden ein. Verlockend! Trotzdem spreche ich mich mit dem IUH-Anwalt ab, der rät mir, auf den Deal zum Schein einzugehen und das ganze kurz vor dem Abschluß platzen zu lassen. Was Fischer und seine Gisel nicht wissen, ist, daß ich mit dem Anwalt befreundet bin.

Termin in Wiesbaden. Gisel und ein Ober- oder Unterstaatssekretär Morgenstern nehmen mich in Empfang und rücken langsam mit dem Plan heraus, die IUH und ihren Anwalt mit meiner Hilfe auszubooten. Ich bin scheinbar dazu bereit und verlange nach einer Audienz beim Minister. Kriegt man ja nicht alle Tage. Das wird mir leider nicht gewährt, zumindest noch nicht. Ein ministerielles Arbeitsessen hätte schon rausspringen dürfen, wenn ich extra auf eigene Kosten nach Wiesbaden fahre. Außer Spesen nix gewesen, noch nicht mal die kriege ich ersetzt. Ein sozialdemokratischer Minister hätte mich mindestens mit einem Viersterne-Menue bestochen. Grüner Geizkragen!
Gisel freut sich sichtlich darüber, daß der alte KBW-Zentralismus noch funktioniert wie geschmiert und macht beim Abschied kumpanenhafte Bemerkungen über die guten alten Frankfurter Zeiten in der Mainzer Landstraße. Ich reise ohne persönlichen Ministersegen zurück in den Main-Kinzig-Kreis, um die Enthüllung der Wiesbadener Schweinerei vorzubereiten.

Wochen später bei einer Podiumsdiskussion in Hanau mit dem Nuklear-Experten Matthias Küntzel, Rechtsanwalt Matthias Seipel, Joschka Fischer und leider keinem IUH-Vertreter (weil die immer noch aufs Geld aus Wiesbaden angewiesen sind) kommt der Umweltminister in arge Bedrängnis ob seiner Machenschaften. Er versucht, das Ganze als Hirngespinst von Neurotikern hinzustellen und die im Saal anwesenden Fischerchöre zum Lachen zu bringen. An meinen Ausführungen (zu seinem Komplott gegen die IUH und den Widerstand gegen die Hanauer Nuklearbetriebe) sei deutlich zu merken, daß ich schon mal vom Dach gefallen sei, bemerkt er halblaut, so, daß es im Saal kaum, aber doch gehört wird. Er hofft, durch Provokation die Veranstaltung scheitern und seine Kumpanei mit den Ausstiegsgegnern vergessen zu lassen. Die Provokation wäre nicht nötig gewesen. Die Grünen im Main-Kinzig-Kreis glauben nicht, daß Fischer so etwas gemacht haben soll. Oder sie wollen es nicht glauben. Bis heute.

»Wähl mich!«

Was noch fehlt? Ach so, ein paar Sätze zum ersten Teil der Überschrift. Am 25. September, zwei Tage vor der Bundestagswahl, trifft mich Joschka Fischer beim Verlassen des Hanauer Heini-Fischer-Bades auf dem Weg zur Sauna, marathongeschädigt. Er erkennt mich, schüttelt mir die Hand wie einem alten Freund. Seine Augen sprechen: »Wähl mich!«. Als ich ihm sage, daß ich immer noch vom Dach gefallen sei, dreht er sich weg mit graumelierten Dackelstirnfalten, schlotternd im rollkragenunterfütterten grauen Einreiher und macht den örtlichen Wahlkampfjungmanager der Grünen zur Sau wegen einiger technischer Pannen. Er war ihm nicht ganz grün, dafür aber das Gesicht des gelockten grünen Jungpferdeschwanzes.

Ein General scheißt einen Schützen Arsch zusammen. Außer mir haben es nur zwei Putzfrauen kopfschüttelnd mitgekriegt. Aber Proleten sind ja nicht die Zielgruppe.

Draußen vor dem Bad warten die Fernsehkameras und die lokale Grünenprominenz sowie regionale Juniorvertreter des naturgedressten Risikokapitals in Erwartung grüner Füllhörner.

Müllgroßdeponiebefürworter Zach schüttelt mir, dem gefürchteten Müllgroßdeponiegegner, die Hand. »Wähl mich.«  Die Mülldeponie 2000 und Dr. Harald Friedrich sind vergessen. »Wähl mich!«, ich will Landrat werden.

Elmar Diez, der wacker ergraute IUH-Kämpe, strampelt auf dem Dreirad im Fischertroß. Milan Horacek tingelt für die Böll-Stiftung vor der Kamera, und auch einige weitere mir ansonsten ganz Liebe flattern im Sog hinter der Wahlwindmaschine, die heiße Luft auf das gemeine Volk bläst.

Herzlichen Glückwunsch, Joschka, am Ziel deiner Männer-Machtträume Außenminister, es hat gereicht. Und mir hat es das auch.

Mit deiner Billigung des Überfalls auf den Irak hast du dir einen Freiflug auf 'ner Cruise Missile durch Bagdad verdient. Vielleicht leuchten die CNN-Bilder im TV so grün, weil du gerade mit dabei bist, das Völkerrecht einzuhalten. Wann schickst du zusammen mit Schröder-Scharping die ersten deutschen Tornados an den Golf, um dort unsere Ressourcen zu schützen? Vielleicht macht Trittin den Transrapid doch noch möglich als rot-grüne Bagdadbahn für eine bundesdeutsche schnelle Eingreiftruppe? Das wäre doch mal was Schönes für die Kontinuität deutscher Außenpolitik!

Der Souverän ist souveräner als man denkt

Der Wähler – und ich kenne ihn –, der Wähler hat klug entschieden:
Er hat die Schröders und Fischers zur gründlichen Desillusionierung der Gläubigen an die Regierung gewählt. Vielleicht besinnen sie sich jetzt eines besseren. Links neben SPD und Grünen gibt es ein Vakuum, das die PDS allein nicht füllen wird. Wenn selbst Matthias Beltz wieder beginnt, mutig gegen den Kapitalismus zu witzeln, ist das ein Indiz für einen offenen Markt. Die Propagandisten des Dritten Weges und die der »sozial-ökologischen Erneuerung« des Kapitalismus geraten ins Trudeln an allen Abschnitten, den innen- wie den außenpolitischen. Die Frage nach Alternativen zu Kapitalismus und Imperialismus drängt sich wieder auf, ganz unpathetisch, praktisch, auf der Grundlage des Bedürfnisses nach effektiven Abwehrstrategien gegen die unverBLÜMten Angriffe des Kapitals auf die Sockelbestände mühsam erkämpfter sozialer und politischer Rechte und Einrichtungen.

Für eine solche Defensivlage braucht es Vorschläge und Sammlung der Linken, um wieder in die Offensive zu kommen. 

Editorische Anmerkungen

Der Text ist eine Spiegelung von
http://home.t-online.de/home/0618153139-0001/nhz105.htm
Er erschien erstmalig in
neue hanauer zeitung Nr. 105, Winter 1998