Das besondere Dokument  Stichwort "Antideutsch"

Hintergrund: Wenn Islamkritik zur Ideologie wird
Warum ein kleiner Teil der überlebenden Linken die Muslime als neuen Feind auserkoren hat

Von Sulaiman Wilms, Berlin
01/05

trend

onlinezeitung
  • „Die Anwendung der hochentwickelten Vernunft ist bereits unleugbar irrational, wenn überhaupt vorhanden.“1
  • „US-amerikanische Militärschläge gegen islamische Zentren hätte jeder bis auf weiteres zu begrüßen, der die Emanzipation (...) von Markt und Staatlichkeit nach wie vor als Bedingung menschlicher Selbsttätigkeit (...) begreift.”2

Was vereint einen Teil der sektiererischen Linken, US-amerikanische Neocons, vereinzelte Exiliraner, rechtsextreme Rassisten und desparate Publizisten der Tagespresse in einer Art unwahrscheinlicher Koalition? Was veranlasst einen Journalisten, zu erklären, man solle den Angriff auf den Islam nicht den Rechten überlassen, und warum forderten schließlich einige besonders Desparate nach dem 11. September 2001 die Bombardierung muslimischer ziviler Zentren?

Das Jahr ‘89 war nicht nur eine Zeitenwende für Europa und die Sowjetunion, sondern auch für jene in Deutschland, die sich vor dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ als Linke oder als Marxisten jenseits von SPD, GRÜNEN und den Gewerkschaften begriffen haben. Der Autor, selber in diesen Jahren politisch erwachsen geworden, hat diese Zeit nicht nur als Zusammenbruch des einstigen Ideals erlebt, sondern ebenso als Hinterfragung der eigenen Ideologie. Vieles war im Umbruch und vieles wurde manifest, so die mörderische Vergangenheit des Leninismus und Stalinismus und aller abgeleiteten Ideologien in der „Zweiten und Dritten Welt“. In dieser Zeit der deutschen Wiedervereinigung, die von den meisten anderen - und nicht wenigen der ehemaligen Linken - als Zeit der Freude verstanden wurde, begann für viele die Suche nach einer neuen politischen Heimat.

Der große Teil der damaligen Linken machte sich - wie nach dem Zusammenbruch jeder Ideologie - auf den Weg in das Private und fand sein Heil entweder in der kritiklosen Annahme des bestehenden Konsumismus oder in der damals aufblühenden Esoterik. Einige wenige Linke (so Martin Walser oder der ehemalige konkret-Herausgeber Röhl) machten sich, aufgrund der massiven Enttäuschungen, auf zu der - ebenfalls in sich zusammenbrechenden - Rechten und versuchten, für sich einen positiven Begriff des - im Grunde toten - „Nationalen“ zu finden. Der Rest, abgesehen von jenen, die am Arbeitermarxismus klassischer Prägung fest hielten, immer noch den „Kapitalismus“ als Gegner ansahen und sich in der PDS und anderen Vereinigungen sammelten, spaltete sich - im Zeichen der „Neuen Unübersichtlichkeit“ - auf in Antifaschisten, Antirassisten, Antiimperialisten, Dritte-Welt-Aktivisten und Antinationale. Eine ganzheitliche Vision angesichts eines triumphierenden Kapitalismus schien nicht mehr realisierbar zu sein, und die analytischen Werkzeuge dafür standen auch nicht mehr zur Verfügung.

Warum, so werden sich vor allem unsere muslimischen Leser fragen, sollten wir uns für die ideologischen Gruppierungen von Kleingruppen und Individuen, die keinen wirklichen Einfluss auf die bereits ausreichend vorhandenen Stimmungen und Ressentiments (siehe die jüngste Heitmeyer-Studie) der Mehrheitsbevölkerung haben, kümmern, wenn es hier in Deutschland für uns um reale Fragen geht? Die Antwort liegt darin, dass insbesondere ein kleiner, aber sehr lautstarker Teil der überlebenden Linken sich den Islam und die hier lebenden Muslime als Zielscheibe für ihre auf Gegnerschaft beruhende Ideologie ausgesucht haben.

Sehr deutsche „Anti-Deutsche“

Bekannt geworden sind diese Kleingruppen unter dem Überbegriff der „Anti-Deutschen“, die aber ironischerweise in ihrem Ressentiment und ihrem Agieren sehr „deutsch“ sind und dem „deutschen Geist“ wesentlich näher stehen, als sie es selber wahrhaben wollen.

Explizit „anti-deutsche“ Positionen wurden mit dem Ende der DDR als Reaktion auf die neuen deutschen Verhältnisse entwickelt. Sie wurden vor allem in linken Zeitungen und Zeitschriften von verschiedenen Autoren mit disparaten theoretischen Orientierungen formuliert.3

Durchaus nicht einheitlich, vereinigen sie sich in Projekten und Publikationen, die von der ehemals in der deutschen Linken sehr respektierten „konkret“, über die Wochenzeitung „Jungle World“, den sogenannten „anti-deutschen Kommunisten“ bis zur „Bahamas“ reichen, die das Schwenken von US-Flaggen zur aufklärerischen Aktion erklärt hat, so wie früher das Verbrennen der selben. Die „Jungle World“ ist eines jener Organe, in denen „Islamismus-Fachleute“ publizieren können. Dabei gehört das Berliner Wochenblatt, das genauso anti-bürgerliche Nischen besetzt wie die rechte „Junge Freiheit“, zu jenen Magazinen und „anti-deutschen“ Foren, in denen selbst die Friedrich-Ebert-Stiftung (bundesweite Parteistiftung der SPD) wegen ihrer Kontakte zur libanesischen Hizbollah in den Verdacht der Sympathie für Antisemiten gestellt wurde.

Der Holocaust als eigene Gründung

In der Analyse des Islam seitens der „Anti-Deutschen“ spielen einige Schlüsselereignisse eine entscheidende Rolle. Dazu zählt der deutsche Völkermord an den europäischen Juden und der ihm zu Grunde liegende Antisemitismus. Den „Anti-Deutschen“ wird von Kritikern vorgeworfen, den Holocaust selber zu instrumentalisieren. „‘Wer als erster Auschwitz sagt, hat gewonnen’ (Wiglaf Droste) - frei nach diesem Motto wird die Schoa in aktuellen Debatten instrumentalisiert. Wenn wahlweise Arafat oder Saddam Hussein zum Wiedergänger Hitlers erklärt werden, ... gibt es keinen anderen Anti-Antisemitismus mehr als den Krieg. So wird die NATO zu Adornos Testamentsvollstrecker.“4

Als verstärkender Faktor kommt die Auseinandersetzung im Nahen Osten hinzu. Dabei werden alle, die die jetzige israelische Politik befürworten, als Teil der Guten angesehen - selbst, wenn sie, wie in Italien, aus den Reihen der Neofaschisten stammen - und jene, die zu den Kritikern der selben zählen oder sich als Fürsprecher palästinensischer Positionen - selbst wenn sie jüdischer oder israelischer Herkunft sind - zu erkennen geben, als „Antisemiten“ denunziert. Übrigens trifft dies zumeist andere Linke, die die Positionen der „Anti-Deutschen“ nicht teilen mögen. Unglücklicherweise setzen diese Ideologen den Islam und die Muslime unisono mit einer antiisraelischen und damit antisemitischen Position gleich und verurteilen damit alle Muslime, wobei sie ignorieren, dass die meisten Muslime weder direkt noch indirekt in die Konflikte des Nahen Osten verwickelt sind, da sie nicht arabischer Abstammung (die meisten Muslime leben außerhalb der arabischen Welt) sind, noch diese Konflikte als bestimmend für ihr Leben ansehen. Im gewissen Sinne sind die „anti-deutschen“ Ideologen damit ein verzerrtes Abbild derjenigen Ideologen, die den Palästina-Konflikt als entscheidend für das Schicksal der gesamten Welt betrachten.

Ein zweiter Punkt ist eine erträumte Einheit von „deutscher Ideologie“ - im Gegensatz zum „libertären und aufklärerischen“ Vorbild der Vereinigten Staaten -, nämlich einem Machtanspruch der Europäischen Union und den Muslimen dieser Welt. So sehen sie einen direkten Zusammenhang zwischen „Deutschland“ und dem Islam: „Wer von Deutschland reden will, darf vom Islam nicht schweigen. Denn der erneuerte Islam als Weltreligion des Antiimperialismus ist ... damit das antideutsche Thema schlechthin.“5

Gegen diese setzen die „Anti-Deutschen“ ihre Koalition der Guten, unter denen sie die Alliierten des Irak-Kriegs, Israel und alle Kritiker des Islam subsumieren und ein Szenario der weltweiten Auseinandersetzung zwischen beiden Kräften erträumen. Gerne wird in diesem Gegensatz gepoltert: So wird Kritik an der Politik der Vereinigten Staaten als „Antiamerikanismus“ denunziert, die in der eigenen Logik per se „antisemitisch“ sein muss. „Die Hauptgespenster, die zu jagen sich die zur Truppe mutierten Journalisten vorgenommen haben, heißen ‘Antisemitismus’ und ‘Antiamerikanismus’; bisweilen werden sie auch zu einem Doppelgespenst gekoppelt.“6 Ihre tatsächliche Einflusslosigkeit machen die Ideologen mehr als wett durch ihre rhetorische Teilnahme an den Feldzügen des neuen Jahrtausends, sodass man meinen könnte, sie seien selbst an der Seite der Alliierten im Irak und in Afghanistan einmarschiert. „Ebenso weist die publizistische Kriegs-‘Partei’ in der Bundesrepublik Deutschland ein Novum auf. Sie reicht von der Bild bis zur Bahamas, von starkdeutsch bis antideutsch. Auch die Wochenzeitung Jungle World marschiert (von wenigen Ausnahmen abgesehen und ungebremst durch manche Unentschlossene) seit ihrer ersten Nummer nach dem 11. September schnurstracks an die Front.“6a

Dabei gehen die „anti-deutschen“ Ideologen, allen voran das Sektenblättchen „Bahamas“ und seine Unterstützergruppen, noch weiter, als es selbst die ersichtliche Strategie der „Koalition gegen der Terrorismus“ absehen lässt: „Sollte wirklich Afghanistan das erste Ziel eines US-Gegenschlages sein, wäre zu fordern, das dieser so konsequent wie möglich erfolgt, d.h. einen Sturz nicht nur des Taliban-Regimes, sondern auch die Verhinderung weiterer islamischer Herrschaft bewirkt wird und nicht auf Afghanistan beschränkt bleibt.”7

Die „Anti-Deutschen“ verstehen sich aber nicht nur als bloße Bellizisten, sie sehen sich auch auf der sicheren Seite „des Weltgeistes“ (Hegel) und wollen mit dem Kampf gegen den „Islamismus“ auch gleich die „Zivilisation“ verteidigen; „... spätestens aber seit dem 11. September 2001, sind die Antideutschen aufgebrochen, die Werte der westlichen Zivilisation bzw. die Zivilisation überhaupt vor der sogenannten islamistischen Barbarei zu retten.“8

Dass dabei sämtliche rationale Überlegungen ehemals linker Kapitalismuskritik über Bord gehen und „Anti-Kapitalismus“ sogar angesichts eines erträumten „Kommunismus“ denunziert wird, ist die logische Folge. Dabei führen sie auch grundlegende linke und gewerkschaftliche Positionen ad absurdum, indem sie das deutsche Modell des „Sozialstaats“ als Fortsetzung des Nationalsozialismus mit anderen Mittel ansehen.

Bedenklich für Muslime Ideologisch bedenklich wird dies insbesondere für Muslime, da in der Ideologie der „Anti-Deutschen“ eine Art umgekehrter, unbewusster Antisemitismus zur Anwendung kommt. Den historischen Antisemitismus - der ja gerade nicht in der muslimischen Welt beheimatet war - und den Holocaust als absoluten Nullpunkt betrachtend, kommen die „Anti-Deutschen“ zur verqueren Schlussfolgerung, dass jeder Muslim, wenn er nicht der qur’anischen Offenbarung - die als antisemitische Vorlage krass missverstanden wird - öffentlich abschwört, durch seine Anerkennung des Qur’an als Allahs Wort und die Praktizierung des Islam per se zu einem Antisemiten wird.

So sehen die „Anti-Deutschen“ eine ununterbrochene geistige Linie zwischen dem Nationalsozialismus und dem politischem Islam unserer Tage: „Genauso wie für die nationalsozialistische Massenbewegung der Antisemitismus und der Vernichtungswahn konstitutiv gewesen ist, ist dieser Wahn konstitutives Moment der islamistischen Massenbewegung.“9 Mehr noch, denkt man die Vorstellungen weiter, so sind die Muslime, zumindest im Denken der „Anti-Deutschen“ eine noch größere Bedrohung, da sie ja „die zahlenmäßig größte Bewegung der Erde geworden“ sind.10

Nicht nachvollziehbar wird dieses „Denken“ vor allem dann, wenn keine Unterschiede mehr gemacht werden. So sehen die Wortführer diesen eben nicht zwischen dem militanten Terroristen, dem anatolischen Bauern oder dem indonesischen Sufi, sondern subsumieren alle 1,8 Milliarden Muslime unter einem Nenner. „Allerdings gibt es so etwas wie einen halluzinierten religiösen Islam an sich überhaupt nicht. Jede Form des Islam ist längst politisch und birgt in sich den konstitutiven antisemitischen Wahn, der sich im Hass auf alle westlichen Ideen ausdrückt, hinter denen die Amerikaner unter Anleitung der Juden gesehen werden.“11

Der Islam beziehungsweise die Muslime können nicht darauf hoffen, von „Anti-Deutschen“ Sympathie oder Toleranz zu erwarten: „Unsere Sympathie gilt keineswegs bekennenden Moslems, sondern all jenen Laizisten oder Atheisten, die nicht einfach mit der Religion ihrer Eltern oder ihres Herkunftslandes identifiziert werden wollen, sondern im Gegenteil sich oft mühsam von den Zumutungen des islamischen Lebens befreit haben.“12

Damit - je nach Stärke der individuellen Ideologisierung - kommt genau jene Gruppendiffamierung, wonach alle Angehörige einer Gruppe ungeachtet ihrer individuellen Verfasstheit gleich betrachtet werden, zur Anwendung, die sich auch im Antisemitismus findet. Nur dass es in diesem Fall nicht mehr „die Juden“ sind, sondern „die Muslime“ oder wahlweise auch „die Araber“. Dass dies das Ende der - oft angeführten - „Aufklärung“ ist, wird ersichtlich. Menschen werden nicht mehr anhand ihrer konkreten Verhaltensweise bewertet, sondern über erträumte essenzialistische Konstanten. Neben dem Vorwurf des Antisemitismus stehen weiterhin die Vorwürfe der zivilisationsfeindlichen Einstellung und der altbekannten Frauenfeindlichkeit im Raum.

Die „Anti-Deutschen“ kritisieren die arabischen Regime des Nahen Ostens zu Recht für deren anti-demokratische und anti-rechtsstaatliche Verfasstheit, vergessen dabei aber, dass beinahe jedes einzelne dieser Regime vom Westen selber eingesetzt und gegen den Widerstand ihrer Bevölkerungen an der Macht gehalten wurde und wird. Es war ja gerade die erste Bush-Regierung, wie auch die deutschen Regierungen, die beim irakischen Diktator Hussein antechambriert haben und jedes seiner Verbrechen bis zum Einmarsch in Kuwait unterstützt haben.

Merkwürdige Verbrüderungen

Brandgefährlich wird die „anti-deutsche“ Ideologie, die ja vor allem der Schaffung eines Feindbildes und damit einer Gruppenidentität dient, dann, wenn sie aus ihrem verqueren Weltbild heraus geistige Koalitionen mit jenen Rechten eingeht, die immer schon eine manifeste Ablehnung von Muslimen und Migranten hatten. Gerade in Publikationen von Linken und Menschen, die sich um Migranten bemühen, häufen sich Berichte, dass Anti-Deutsche mit Rechten gemeinsame Sache machen, so wie im Falle Kölns, wo einige desparate „Anti-Deutsche“ sich dem Protest von „Pro-Köln“ gegen einen geplanten Moscheebau in Köln-Chorweiler anschlossen. Im Falle Berlins konnten die „Anti-Deutschen“ anstelle der NPD gegen muslimische Migranten in den Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln demonstrieren. Dass dabei Parolen wie „Hölle unter dem Kopftuch“ oder „Panzer in Ramallah - das ist wahre Antifa“ zu hören waren, kann nicht mehr überraschen. Nach einem Bericht der Tageszeitung „junge welt“ (11.07.2004) sei es dort auch „wiederholt zu körperlichen Angriffen der ‘Antideutschen’ auf nichtdeutsche Anwohner und Linke, die gegen den Aufmarsch protestiert hätten“ gekommen. Auch mehrere Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien sollen bedroht und geschlagen worden sein. Und auch die „Schließung von Sozialprojekten für Jugendliche mit islamischem Hintergrund“ sei von den „Anti-Deutschen“ gefordert worden.

Gleichzeitig tritt eine Verleugnung der bestehenden Verhältnisse - eigentliche keine Eigenschaft, die man früher der Linken zuschreiben konnte - zu Tage. So wird flugs geleugnet, dass es in den Staaten Westeuropas und Nordamerikas ein wachsendes Maß an Ressentiment gegen Muslime gibt, wie nicht nur diverse Studien und Umfragen belegen, sondern leider auch die Angriffe gegen Muslime und ihre Einrichtungen. „Die lancierten Befürchtungen, dass ausgerechnet in Deutschland ein sogenannter ‘Antiislamismus’ viele Anhänger finden könnte, sind vor diesem Hintergrund absurd und nichts weiter als eine weitere Strophe im deutschen Loblied auf den Islam.“13

Weitaus subtiler ist in der Frage die „Jungle World“, die dem Publizisten Eberhard Seidel viel Platz einräumt, um zu beweisen, dass es einen Antiislamismus nicht geben könne, und dass sich „Islamismus“ und „Faschismus“ als autoritäre Ideologien irgendwie ähnlich seien. Deutlicher werden da die Publizistinnen Fourest und Venner (ebenfalls „Jungle World), die am 10.12.2003 der Ansicht waren: „Seither treibt es [der Begriff ‘Islamophobie’] unsere Debatten in die Falle, indem es all jene, die es wagen, sich den radikalen und politischen Interpretationen des Islam zu widersetzen, systematisch zu Angeklagten macht, und zwar effektiver, als es eine Fatwa vermocht hätte.“ Auf sehr subtile Weise findet hier eine Opfer-/Täterumkehr statt. Nicht mehr die durch Ressentiment motivierten Stimmungen und Handlungen sind das Problem, sondern jene Muslime und nichtmuslimische Organisationen, die sich gegen die „Islamophobie“ zur Wehr setzen. Es gibt sicherlich gute Gründe, den Begriff als solchen kritisch zu betrachten, da er den Islam mit einer Rasse oder einer Kultur gleichsetzt; die Tatsache aber, dass Muslime in verschiedenen Situationen Verfolgungen und Diskriminierungen ausgesetzt sind, kann auch diese Kritik nicht vergessen machen.

Hinzu kommt, dass die sich der „anti-deutschen“ Ideologie zurechnenden Publizisten sich paradoxerweise in diesem Punkt mit rechten und bürgerlichen Journalisten treffen, die diese Positionen ebenfalls teilen. Nicht umsonst „dürfen“ jetzt auch Journalisten, die der „anti-deutschen“ Szene zuzurechnen sind, manchmal für die „WELT“ schreiben - früher undenkbar. Und auch die „ZEIT“, einstmals liberales Flagschiff deutscher Wochenpresse, hat den Begriff des „Islamofaschismus“ für sich adaptiert.

„Für Vernunft und Aufklärung“ Die „Bahamas“ und ihre Kreise, aber beileibe nicht nur sie, haben ehemals rechte Themen und Argumentationsketten aufgegriffen und versucht, diese für sich Gewinn bringend einzusetzen. Könnte man einer Kritik an den Auswüchsen eines militanten politischen Islam noch folgen, wie er nicht nur in den Regionen des Nahen Ostens leider heutzutage beheimatet ist, und der tatsächlich durch illegitimen Terror oder Frauenverachtung von sich Reden macht, so haben „Anti-Deutsche“ auch die hier lebenden Muslime in ihrem Visier.

Aber die Vision ist klar und der Weg - zumindest intellektuell - vorgezeichnet: „In diesem Sinne kann die Kundgebung gegen die Al Quds-Demonstration nur ein Anfang sein, den Islamisten, ob in Bagdad, dem Gaza-Streifen, Istanbul, Neukölln oder sonstwo kein ruhiges Hinterland zu gewähren, wie es die Freunde von Multikulti und Antirassismus seit Jahren tun. Die Zeit des kritischen oder sonstwie adjektivierten Dialoges ist abgelaufen. Ich denke, das sind wir allen Opfern des islamistischen Bomben- und Tugendterrors schuldig. Kein Fußbreit den Islamisten!“21 und die „Beseitigung islamischer Herrschaft würde die Bevölkerungen dieser Länder dem moslemischen Götzendienst entreißen, um sie, mit allen brutalen Konsequenzen, dem kapitalistischen Warenfetisch direkt zu unterwerfen.“22

Linke Kritik an den Antinationalen

Dass dabei beileibe nicht nur Muslime betroffen sind, zeigt die Entgegnung auf linke Kritik an den real existierenden Verhältnissen in den Vereinigten Staaten: „Nämliches gilt für die USA angesichts des islamistischen Terrors: Wer ausgerechnet anläßlich der Terrorangriffe unvermittelt über Bush und die Todesstrafe redet, außenpolitische Verbrechen der USA, derer es wahrlich genug gibt, aufzählt (...) betreibt bereits die Geschäfte der Moslemfaschisten.”23

Insbesondere andere Linke zeigten sich begriffsstutzig: „Dass nämlich der Islamismus momentan das größte und barbarischste antisemitische Aggressionspotential birgt, scheint sich auch jetzt nicht durchzusetzen.“24

Insofern bildete sich bei der Linken selber eine Kritik heraus, seien es Alt-Marxisten oder Gruppen, die mit Migranten arbeiten, die sich auf das Schärfste gegen das „anti-deutsche“ Denken wendet. So haben verschiedene Linke den immanenten Rassismus „anti-deutscher“ Rhetorik bemerkt und auch dokumentiert. „Hinter linker Phraseologie nur schlecht verborgen offenbart sich beim zweitem Hinsehen oft ein tiefsitzender Rassismus. Diese eigene Haltung wird gerne auf das Objekt dieses Rassismus projiziert, im antinationalen Fall auf arabische und islamische Feindbilder. ... Durch die Opfer/ Täter - Umkehr wird ein reaktionärer Kulturkampf als fortschrittlich dargestellt.“25

Ebenso, eine weitere Kritik von linker Seite, wirkt die angewandte Methode herrschaftssichernd in den Konflikten des neuen Jahrtausends: „Die Einteilung von Menschen in fixe Kategorien (Mann/Frau, schwarz/weiß, gesund/krank, Jude/Palästinenserin) bildet vielmehr von jeher die Grundlage, auf der Herrschaft überhaupt entstehen kann: Erst die naturalisierende Kategorienbildung macht eine Hierarchisierung der Kategorien möglich.“26

Ein ganz konkreter Vorwurf gegen „Anti-Deutsche“ ist der der „Denunziation“. So bezichtigte Klaus Hartmann, Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes, die „Anti-Deutschen“ im Falle eines entlassenen ägyptischen Stipendiaten der Heinrich-Böll-Stiftung denunziatorisch tätig gewesen zu sein.26a

Noch deutlichere Aussagen lassen sich in der Zeitschrift „Bruchlinien“ (03/2003) finden. Dort ist man der Ansicht, dass die „antideutschen bzw. antinationalen Strömungen, zu deren prominentesten Vertretern die Bahamas gehören“ an der Seite der USA stehen und ihren Feldzug, „der die Welt mit Krieg, Hunger und Elend überzieht“ applaudierend begleitet. Der Publizist Jürgen Elsässer, langjähriger - nun ehemaliger - Autor der „konkret“, über die Erschwerung einer rationalen Debatte seitens der „Anti-Deutschen“: „Die rationale Debatte um diese Fragen wird erschwert, weil in Publikationen wie Bahamas, Jungle World und zunehmend leider auch in Konkret die Kriegsgegner als Freunde Saddams und als Antisemiten denunziert werden. Stilbildend ist Thomas von der Osten-Sacken, der als Nahostexperte in allen einschlägigen Organen hofiert wird.“

Ausblicke Im Grunde lassen sich „anti-deutsche“ Positionen auf die sehr einfache Formel reduzieren „Kapitalismus viel gut; Islam viel schlecht“.27 Daher sind Autoren und Autorinnen von „Bahamas“ und „Jungle World“ auch nicht mehr in der Lage, die ehemalige linke Kritik am Kapitalismus, die in unserer Zeit zumindest ansatzweise von der Anti-Globalisierungsbewegung formuliert worden ist, zu verstehen oder ihr auch nur etwas entgegnen zu können. Damit gilt für sie die klassische Aussage der „Neuen Frankfurter Schule“, die für alle gemacht ist, deren Ideologie ausgedient hat, die aber doch irgendwie am Bestehenden teilhaben möchten: „Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“

Um es noch einmal zu betonen: eigentlich haben diese Kleingruppen einen eher humoristischen Wert, wenn es sich hier nur um eine innerlinke Posse handeln würde. Allerdings ähnelt ihre Argumentation streckenweise derjenigen der rechtsextremen Parteien. Gefährlich wird es dann, wenn aus den Texten, die in Wohngemeinschaften und Studentenkneipen formuliert werden, Handlungsanweisungen werden und sich vereinzelte Elemente finden lassen, die diese in die Tat umsetzen. Wir kennen das Phänomen ja aus den dunklen 70er Jahren und von der RAF. Eine konkrete Forderung an die nichtmuslimischen Partner im „Dialog“, insbesondere jene, die staatlicher oder öffentlicher Natur sind, wäre es schließlich, all jene „Islamexperten“ zumindest misstrauisch zu beäugen, die sich nicht vom „anti-deutschen“ Gedankengut distanziert haben. Denn die geistige Nähe zu den sehr deutschen „Anti-Deutschen“ verheißt nichts Gutes für den Diskurs.

Fußnoten

1 „Fragmente in Regression“, a.a.o.

2 „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!“, Bahamas, 14.9.2001

3 „Antideutsch für Anfänger“, Frankfurter Gruppe „Sinistra“, 06.05.2004

4 „Mit Auschwitz lügen“, Jürgen Elsässer, junge welt, 19.12.2002

5 „Gegenaufklärung und Islam“, Uli Krug, Bahamas 36/2001

6 „Linke Bellizisten auf Gespensterjagd“, Alfred Schobert, graswurzelrevolution, 02/2002

6a ebd.

7 „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!“, Bahamas, 14.9.2001

8 Gruppe „Schöner Leben“, Göttingen, 14.06.2003

9 „Wer PDS wählt, wählt den islamischen Faschismus!“, Antideutsch-Kommunistische Gruppe Leipzig, Leipzig, 14.12.2002

10 ebd.

11 ebd.

12 Redebeiträge der Kundgebung „Kein Fußbreit den Islamisten! Gegen den antisemitischen Aufmarsch zum ‘Al Quds-Tag’“

13 „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!“, Bahamas-Redaktion, 14.9.2001

21 Redebeiträge der Kundgebung „Kein Fußbreit den Islamisten! Gegen den antisemitischen Aufmarsch zum ‘Al Quds-Tag’“

22 „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!“, Bahamas, 14.9.2001

23 „Zur Verteidigung der Zivilisation“, Bahamas, 31.10.2001 24 „New York - Sieg im Volkskrieg“, Vortrag, November 2004, Antideutsche-Kommunistische Initiative

25 „Die AntiNationalen - Bemerkungen zu einer speziellen Form metropolitaner Politik“, ein Abstract

26 Gruppe „Schöner Leben“, Göttingen, 14.06.2003

26a „Förderdespotie bei Böll“, Klaus Hartmann, junge welt, 18.12.04

27 „Welcome home! (Anti-)Deutsche Linke suchen Anschluss“, von Georg Wißmeier, 12/01

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 30.12.2004 in der Islamischen Zeitung und ist eine Spiegelung von http://www.islamische-zeitung.de/home/artikel.cgi?nr=5340