Das besondere Dokument  Stichwort "Antideutsch"
Eine Polemik - wider den deutschen Zuständen in der Linken
01/05

trend

onlinezeitung
Als ich vor nun schon ein paar Wochen eine meiner Lieblingszeitungen aufschlug - vor allem die Nummern 605 und 606, war ich gelinde gesagt schockiert über die Deutsch-zentriertheit und den damit verbundenen strukturellen Rassismus des Vorwortes. Ich sah mich also gezwungen, auch ein paar (polemische) Gedanken zu der Erschießung des Theo van Gogh zum besten zu geben.

Van Gogh war ein bekennender Rechtspopulist, rechter Ideologe der Kulturproduktion. Er liebte es, das gesellschaftliche Klima in den Niederlanden durch Vergleiche „der Moslems" mit „ziegenfickenden Unmenschen" anzuheizen und bezog sich als überzeugter Sexist auf christlich-patriarchale Vorstellungen. Das solche Personen aus einer antirassistischen und antifaschistischen, aber auch einer antisexistischen Perspektive bekämpft werden müssen, sollte Konsens sein - über die Mittel lässt sich trefflich streiten. Nun war der Mensch, der diesen Rassisten erschoss, kein Linker, eine gute Begründung aus seiner Betroffenheit als gesellschaftlich marginalisierter religiöser Moslem, hatte er wohl allemal. Was an der staatlichen und gesellschaftlichen Reaktion auf die Erschießung mal wieder klar wird, dass die Anwendung von dem Staate „vorbehaltenen" Gewaltmitteln zu einem repressiven und gesellschaftlichen Rollback führen kann, der nicht vorhersehrbar ist. Deshalb ist die Diskussion um sinnvolle Gewaltmittel immer im Verhältnis zur gesellschaftlichen Situation und zur Stärke der eigenen Bewegung zu diskutieren.

Hiervon überleitend zur von der Redaktion im Vorwort im Sinne herrschender Diskursformen übernommene Konstruktion einer neuen islamistischen Bewegung in der BRD oder der EU. Die so schön bildlich als „Parallelgesellschaften" diffamierten Orte der islamischen Community, ihrer für Christinnen versperrten Gebetshäuser und Cafes in erster Linie als eine direkte Reaktion auf die verweigerte „Integration" in die Mehrheitsgesellschaft zu verstehen. Das ist keine neue sozilogische Erkenntnis sonder alter Tobak, Entstehungsbedingungen sind die Kombination von ökonomischer, sozialer und örtlicher Ausgrenzung und „Ghettoisierung". Das diese Strukturen nicht per se emanzipatorisch sind, sondern auch reaktionär, religiös etc. sein können, ist klar. Doch diese Strukturen als rechtsradikal anzugreifen und sie so mit dem deutschen Rechtsradikalismus gleichzusetzen, geht aus einer deutschen (linken) Position nicht. Die deutschen Rechten kommen aus der „Mitte der Gesellschaft" und haben hier ihr zentrales Standbein - ein zentraler Unterschied. Notwendig ist bei solchen hegemonial ausgegrenzten aber reaktionären Strukturen aus einer deutschen linken Perspektive die Zusammenarbeit mit linken migrantischen Gruppen. Die gibt es wirklich, gerade in Kreuzberg und Neukölln. Und linkst heißt hier links jenseits der deutsche und türkische Fahnen schwingenden Deutschen mit Migrationshintergrund. Es ist also zentral, sich als deutsche Linke seiner deutschen Herkunft bewusst zu,sein und die damit verbundene, auch als Linke machtvolle Position gegenüber den als nichtdeutsch Identifizierten nicht zu vergessen. Und dies nicht nur historisch sondern immer aktuell politisch. Dies ist bekanntlich ein zentrales Problem der sog. Antideutschen und so wurde das hier proklamierte Jenseits antideutscher Beißreflexe zum Biss ins eigene Bein. Und wenn dieser noch diskursive Biss irgendwann in der Realpolitik angekommen ist, werden auch die Querfrontbezüge mehr als deutlich. Denn ratet mal, wer mit solchen inhaltlichen Positionen mit euch auf die Strasse gehen wird - gegen die „islamistischen Hassgedanken" und für eine deutsche Demokratie oder einen deutschen Sozialismus?

Ja ja, unser schönes Kreuzberg soll sauber bleiben und wenn an linken Symbolen vergangener Stärke wie dem Ex-Bolle-Platz am Görli eine Moschee, nein sogar ein islamisches Zentrum entsteht, dann wird schon mal die deutsche linke Leitkultur ausgepackt. Wohl in Reflexion der eigenen Schwäche und der Unangreifbarkeit
deutscher Hegemonie auch in Kreuzberg werden als das „Unsaubere" die noch
Marginalisierteren entdeckt. Erinnert ihr euch noch an die Zeiten linker Stärke? Da hieß
es noch bei Ton Steine Scherben, schmeißt doch endlich Bosch aus Kreuzberg raus.
Früher war wohl alles einfach einfacher. So wird heutzutage eingestimmt in den
derzeitigen rassistischen Rollback, und dieser zeigt eine Stärke, wie wir es schon lange
nicht mehr erlebt haben. Da helfen bei der Analyse vielleicht in Vergessenheit geratene
marxistische Instrumente, das ist klassischer Klassenkampf von oben, wenn Schröder,
Stoiber und Co. Mehrarbeit verordnen, die Gewerkschaften angreifen, Hartz IV
installieren und gleichzeitig eine unsägliche Debatte über deutschen Patriotismus
eröffnen und die Unverteilung nach Oben als Notwendig für Deutschland verkaufen. Und
der Kitt zwischen diesen sich scheinbar widersprechenden Aussagen, die zentrale
Struktur ist die Hetze gegen den sog. Islamismus und die sog. Parallelgesellschaften in
Kreuzberg und anderswo. Die in dem Vorwort an das Tageslicht tretende Affirmation des
deutschen Staates durch die Linke geht immer schief, dafür gibt es historisch genügend
Beispiele. Doch manchmal scheint die deutsche Linke ihrem Staat ein wenig vorweg zu
sein, zumindest diskursiv, realpolitisch hapert es da noch ein wenig. Denn über ein
geeignetes Mittel gegen den „islamistischen Hassprediger von Kreuzberg" - vielleicht
eine Brandbombe auf die Moschee oder ein Schuss ins Bein? - muss sich die deutsche
Linke nun keine Gedanken mehr machen, ihr deutscher Staat setzt um, was laut gedacht
wurde. Schnell und effektiv wird der Iman aus Kreuzberg einfach abgeschoben und auch
hier wird mal wieder im Namen der wehrhaften Demokratie ein ausländerrechtliches
Exempel statuiert. Denn obwohl der „Hassprediger" einen verfestigten Aufenthalt hat und
somit eigentlich als fast Deutscher nicht abgeschoben werden darf, ist diese
„gesetzwidrige" Abschiebung für Januar fest geplant. Aber da sich die Islamisten
bekanntlich wie Karnickel vermehren und die verruchte Hassmoschee auch weiterhin
steht, sollte sich die deutsche Linke vielleicht doch Gedanken machen über eine
angemessene „antifaschistische" Reaktion. Der deutsche Staat wird sich freuen.
Oh du arme deutsche Linke, es scheint tragischerweise in diesem Lande immer noch
wichtig, sich auf sein Deutschsein zu beziehen. In dem Sinne muss ein Kampf für eine
emanzipative Gesellschaft bei sich selbst und dem deutschen Staat, seinen Institutionen
und seiner Hegemonie ansetzen und nicht bei den vermeintlich anderen. Natürlich ist es
inakzeptabel, dass traditionell gekleidete Jüdinnen in Neukölln mit Übergriffen rechnen
müssen, doch ist das wirklich anders als in Spandau, am Zoo oder in Pirna? Und
quantitativ ist die Zahl der antisemitischen Übergriffe von deutschen Jugendlichen mit
Migrationshintergrund in Neukölln weder vergleichbar mit den berlinweiten Übergriffen,
bundesweit schon gar nicht. Und in guter Gesellschaft befinden sie sich alle mal,
Hohmann und Güntzel lassen grüßen.

Auch die deutsche Linke scheint es immer noch bitter nötig zu haben, die Realität der
BRD als Einwanderungsgesellschaft anzuerkennen. Und das heißt konkret, der
„Ausländer", der „Moslem" oder die „Kopftuchträgerin" sind in der Regel genauso deutsch
wie du selbst.

Und noch ein Rat zum Schluss, wenn euch der eigene Kiez mehr als die Gesellschaft
drumherum interessiert, dann zieht doch nach Zehlendorf, da könnt ihr nicht so viel falsch
machen. Als deutsche Linke unter „reinen" (Bio)deutschen lässt sich so der Feind
vielleicht ja wieder oben entdecken. Und wenn nicht, welcome hörne.

Ein enttäuschter Leser

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien in der INTERIM 608 vom 23.12.04.
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