Als
ich vor nun schon ein paar Wochen eine meiner Lieblingszeitungen aufschlug
- vor allem die Nummern 605 und 606, war ich gelinde gesagt schockiert
über die Deutsch-zentriertheit und den damit verbundenen strukturellen
Rassismus des Vorwortes. Ich sah mich also gezwungen, auch ein paar
(polemische) Gedanken zu der Erschießung des Theo van Gogh zum besten zu
geben.Van Gogh war ein bekennender Rechtspopulist, rechter Ideologe der
Kulturproduktion. Er liebte es, das gesellschaftliche Klima in den
Niederlanden durch Vergleiche „der Moslems" mit „ziegenfickenden
Unmenschen" anzuheizen und bezog sich als überzeugter Sexist auf
christlich-patriarchale Vorstellungen. Das solche Personen aus einer
antirassistischen und antifaschistischen, aber auch einer antisexistischen
Perspektive bekämpft werden müssen, sollte Konsens sein - über die Mittel
lässt sich trefflich streiten. Nun war der Mensch, der diesen Rassisten
erschoss, kein Linker, eine gute Begründung aus seiner Betroffenheit als
gesellschaftlich marginalisierter religiöser Moslem, hatte er wohl
allemal. Was an der staatlichen und gesellschaftlichen Reaktion auf die
Erschießung mal wieder klar wird, dass die Anwendung von dem Staate
„vorbehaltenen" Gewaltmitteln zu einem repressiven und gesellschaftlichen
Rollback führen kann, der nicht vorhersehrbar ist. Deshalb ist die
Diskussion um sinnvolle Gewaltmittel immer im Verhältnis zur
gesellschaftlichen Situation und zur Stärke der eigenen Bewegung zu
diskutieren.
Hiervon überleitend zur von der Redaktion im Vorwort im Sinne
herrschender Diskursformen übernommene Konstruktion einer neuen
islamistischen Bewegung in der BRD oder der EU. Die so schön bildlich als
„Parallelgesellschaften" diffamierten Orte der islamischen Community,
ihrer für Christinnen versperrten Gebetshäuser und Cafes in erster Linie
als eine direkte Reaktion auf die verweigerte „Integration" in die
Mehrheitsgesellschaft zu verstehen. Das ist keine neue sozilogische
Erkenntnis sonder alter Tobak, Entstehungsbedingungen sind die Kombination
von ökonomischer, sozialer und örtlicher Ausgrenzung und „Ghettoisierung".
Das diese Strukturen nicht per se emanzipatorisch sind, sondern auch
reaktionär, religiös etc. sein können, ist klar. Doch diese Strukturen als
rechtsradikal anzugreifen und sie so mit dem deutschen Rechtsradikalismus
gleichzusetzen, geht aus einer deutschen (linken) Position nicht. Die
deutschen Rechten kommen aus der „Mitte der Gesellschaft" und haben hier
ihr zentrales Standbein - ein zentraler Unterschied. Notwendig ist bei
solchen hegemonial ausgegrenzten aber reaktionären Strukturen aus einer
deutschen linken Perspektive die Zusammenarbeit mit linken migrantischen
Gruppen. Die gibt es wirklich, gerade in Kreuzberg und Neukölln. Und
linkst heißt hier links jenseits der deutsche und türkische Fahnen
schwingenden Deutschen mit Migrationshintergrund. Es ist also zentral,
sich als deutsche Linke seiner deutschen Herkunft bewusst zu,sein und die
damit verbundene, auch als Linke machtvolle Position gegenüber den als
nichtdeutsch Identifizierten nicht zu vergessen. Und dies nicht nur
historisch sondern immer aktuell politisch. Dies ist bekanntlich ein
zentrales Problem der sog. Antideutschen und so wurde das hier
proklamierte Jenseits antideutscher Beißreflexe zum Biss ins eigene Bein.
Und wenn dieser noch diskursive Biss irgendwann in der Realpolitik
angekommen ist, werden auch die Querfrontbezüge mehr als deutlich. Denn
ratet mal, wer mit solchen inhaltlichen Positionen mit euch auf die
Strasse gehen wird - gegen die „islamistischen Hassgedanken" und für eine
deutsche Demokratie oder einen deutschen Sozialismus?
Ja ja, unser schönes Kreuzberg soll sauber bleiben und wenn an linken
Symbolen vergangener Stärke wie dem Ex-Bolle-Platz am Görli eine Moschee,
nein sogar ein islamisches Zentrum entsteht, dann wird schon mal die
deutsche linke Leitkultur ausgepackt. Wohl in Reflexion
der eigenen Schwäche und der Unangreifbarkeit
deutscher Hegemonie auch in Kreuzberg werden als das „Unsaubere" die noch
Marginalisierteren entdeckt. Erinnert ihr euch noch an die Zeiten linker
Stärke? Da hieß
es noch bei Ton Steine Scherben, schmeißt doch endlich Bosch aus Kreuzberg
raus.
Früher war wohl alles einfach einfacher. So wird heutzutage eingestimmt in
den
derzeitigen rassistischen Rollback, und dieser zeigt eine Stärke, wie wir
es schon lange
nicht mehr erlebt haben. Da helfen bei der Analyse vielleicht in
Vergessenheit geratene
marxistische Instrumente, das ist klassischer Klassenkampf von oben, wenn
Schröder,
Stoiber und Co. Mehrarbeit verordnen, die Gewerkschaften angreifen, Hartz
IV
installieren und gleichzeitig eine unsägliche Debatte über deutschen
Patriotismus
eröffnen und die Unverteilung nach Oben als Notwendig für Deutschland
verkaufen. Und
der Kitt zwischen diesen sich scheinbar widersprechenden Aussagen, die
zentrale
Struktur ist die Hetze gegen den sog. Islamismus und die sog.
Parallelgesellschaften in
Kreuzberg und anderswo. Die in dem Vorwort an das Tageslicht tretende
Affirmation des
deutschen Staates durch die Linke geht immer schief, dafür gibt es
historisch genügend
Beispiele. Doch manchmal scheint die deutsche Linke ihrem Staat ein wenig
vorweg zu
sein, zumindest diskursiv, realpolitisch hapert es da noch ein wenig. Denn
über ein
geeignetes Mittel gegen den „islamistischen Hassprediger von Kreuzberg" -
vielleicht
eine Brandbombe auf die Moschee oder ein Schuss ins Bein? - muss sich die
deutsche
Linke nun keine Gedanken mehr machen, ihr deutscher Staat setzt um, was
laut gedacht
wurde. Schnell und effektiv wird der Iman aus Kreuzberg einfach
abgeschoben und auch
hier wird mal wieder im Namen der wehrhaften Demokratie ein
ausländerrechtliches
Exempel statuiert. Denn obwohl der „Hassprediger" einen verfestigten
Aufenthalt hat und
somit eigentlich als fast Deutscher nicht abgeschoben werden darf, ist
diese
„gesetzwidrige" Abschiebung für Januar fest geplant. Aber da sich die
Islamisten
bekanntlich wie Karnickel vermehren und die verruchte Hassmoschee auch
weiterhin
steht, sollte sich die deutsche Linke vielleicht doch Gedanken machen über
eine
angemessene „antifaschistische" Reaktion. Der deutsche Staat wird sich
freuen.
Oh du arme deutsche Linke, es scheint tragischerweise in diesem Lande
immer noch
wichtig, sich auf sein Deutschsein zu beziehen. In dem Sinne muss ein
Kampf für eine
emanzipative Gesellschaft bei sich selbst und dem deutschen Staat, seinen
Institutionen
und seiner Hegemonie ansetzen und nicht bei den vermeintlich anderen.
Natürlich ist es
inakzeptabel, dass traditionell gekleidete Jüdinnen in Neukölln mit
Übergriffen rechnen
müssen, doch ist das wirklich anders als in Spandau, am Zoo oder in Pirna?
Und
quantitativ ist die Zahl der antisemitischen Übergriffe von deutschen
Jugendlichen mit
Migrationshintergrund in Neukölln weder vergleichbar mit den berlinweiten
Übergriffen,
bundesweit schon gar nicht. Und in guter Gesellschaft befinden sie sich
alle mal,
Hohmann und Güntzel lassen grüßen.
Auch die deutsche Linke scheint es immer noch bitter nötig zu haben, die
Realität der
BRD als Einwanderungsgesellschaft anzuerkennen. Und das heißt konkret, der
„Ausländer", der „Moslem" oder die „Kopftuchträgerin" sind in der Regel
genauso deutsch
wie du selbst.
Und noch ein Rat zum Schluss, wenn euch der eigene Kiez mehr als die
Gesellschaft
drumherum interessiert, dann zieht doch nach Zehlendorf, da könnt ihr
nicht so viel falsch
machen. Als deutsche Linke unter „reinen" (Bio)deutschen lässt sich so der
Feind
vielleicht ja wieder oben entdecken. Und wenn nicht, welcome hörne.
Ein enttäuschter Leser