30 Jahre Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs in Frankreich: Ein Gesetz, das die extreme Rechte nie verwunden hat

von Bernhard Schmid (Paris)

01/05

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Zum Geburtstag gibt¹s eine Demo: Am kommenden 15. Januar werden in Frankreich zahlreiche Frauen- und Bürgerrechtsgruppen sowie Linke und Gewerkschaften auf die Pariser Straßen gehen. Sie wollen an den dreißigsten Jahrestag der Verabschiedung der Loi Veil erinnern, die in Frankreich erstmals den Schwangerschaftsabbruch legalisierte, der bis dahin legal als Verbrechen eingestuft worden war. Genau genommen kommt die Geburtstagsdemo ein paar Tage zu spät, denn das nach der damaligen liberalen Gesundheitsministerin Simone Veil benannte Gesetz wurde am 20. Dezember 1974 im Pariser Parlament verabschiedet. Doch es schien geeigneter, im Januar auf die Straße zu gehen, um mit neuem Schwung zum Jahresbeginn eine Warnung an die derzeitige konservativ-reaktionäre Regierung auszusprechen.  

Denn es soll nicht nur vergangener Errungenschaften gedacht, sondern auch für die Zukunft vorgebaut werden. Die derzeitige rechte Parlamentsmehrheit traut sich zwar mit Sicherheit nicht, das Gesetz zum "freiwilligen Abbruch der Schwangerschaft" (IVG, interruption volontaire de grossesse) direkt zu attackieren oder abzuschaffen. Aber ein Teil der Konservativen träumt offen davon, auf juristischen oder administrativen Umwegen das vor 30 Jahren erworbene Recht der Frauen einzuschränken oder in Frage zu stellen. So wird die Krankenkassenerstattung für den Eingriff oftmals verschleppt, und die Abgeordneten führten vor anderthalb Jahren ein neues Delikt namens "unfreiwilliger Abbruch der Schwangerschaft" ein. Dabei geht es darum, die Verursacher von Unfällen zu bestrafen, durch deren Einwirkung eine schwangeren Frau ihren Fötus verloren hat. Dazu mag es eine Regelungslücke gegeben haben, aber bei vielen Abgeordneten steht auch der kaum verhüllte Traum dahinter, nunmehr auf Umwegen doch noch einen Rechtsstatus des Embryos unabhängig von der Mutter ­ und vielleicht in Zukunft auch gegen diese ­ in den Köpfen von Juristinnen und Richtern zu verankern.  

Rechtsextreme und andere Reaktionen  

Die Loi Veil hatte von Anfang an entschiedene Gegner. Zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung fanden jährlich 300.000 illegale Abtreibungen unter oft miesen Bedingungen statt, bei denen jährlich mehrere Dutzend Todesfälle zu verzeichnen waren; dagegen wandte sich 1971 das berühmt gewordene "Manifest der 343 Schlampen". Doch damals betrug der Frauenanteil im französischen Parlament keine 5 Prozent. Zur entscheidenden Abstimmung wurde die Fraktionsdisziplin aufgehoben, und zahlreiche Abgeordnete der damals regierenden liberal-christdemokratischen Rechten stimmten gegen das Gesetz, das nur dank der Zustimmung der Linksopposition durchkam. Der Vatikan hatte vorab Druck auf alle Abgeordneten ausgeübt und "die Christen unter ihnen" aufgefordert, gegen die Vorlage zu stimmen. Die extreme Rechte, namentlich der damals noch kleine Front National, betrieben zur selben Zeit eine aggressive Hasskampagne. Ihr Wut wurde noch dadurch gesteigert, dass die Ministerin Simone Veil eine jüdische Auschwitzüberlebende war, der von dieser Seite nunmehr vorgeworfen wurde, "einen Genozid am französischen Volk" mittels Abtreibungen herbeizuführen zu wollen. Das Gesetz von 1974 galt zunächst nur für fünf Jahre, wurde jedoch 1979 ­ erneut gegen einen Teil der regierenden Rechten ­ bestätigt. In jenen Jahren war der Abbruch in den ersten 10 Wochen der Schwangerschaft freigegeben. Seit Juli 2001 ist er nunmehr in den ersten 12 Wochen legal.  

Heute sitzen aber die katholischen Fanatiker erneut mitten in der Regierung, wenngleich sie sich mit offenen Angriffen auf die Rechte der Frauen noch zurückhalten. Einer ihrer prominentesten Repräsentanten ist der 44jährige Hervé Gaymard, der Ende November dem in den UMP-Parteivorsitz wechselnden Wirtschaftsminister Nicolas Sarkozy im Amt nachfolgte. Seit Mitte der neunziger Jahre ist er als Aktivist der rechtskatholischen Aktivistengruppierung Opus Dei (Werk Gottes) bekannt. Seine Ehefrau, Clara Gaymard-Lejeune, ist die Tochter des verstorbenen Professors Jérôme Lejeune, der zu den prominentesten Anti- Abtreibungs-Aktivisten in Frankreich gehörte. Professor Lejeune ist der Begründer der Vereinigung "Laissez les vivre!" (Lasst sie leben), in der auch Rechtsextreme aktiv sind. Seine Tochter, die durch ihren Mann in den Rang einer Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium erhoben wurde, ist auch Vorsitzende des Vereins der Freunde von Professor Lejeune.  

1996 unterzeichnete Clara Gaymard-Lejeune einen "bevölkerungspolitischen" Appell für mehr französische Geburten, den die rechtsextrem eingefärbte Vereinigung Population et Avenir (Bevölkerung und Zukunft) lanciert hatte. Mitunterzeichner waren der rechtsnationale Graf Philippe de Villiers und Patrick Kaltenbach vom Club de l¹Horloge, einem rechtsextremen Think Tank, aber auch der ex-sozialdemokratische Linksnationalist Jean-Pierre Chevènement. In dem Appell wurde etwa gefordert, der Staat solle die Zahl der Eheschließungen erhöhen, da Verheiratete im statistischen Schnitt deutlich mehr Kinder bekämen als unverheiratete Paare oder Singles.  

Hervé et Clara Gaymard, die sich einst auf der Elite-Technokratenhochschule ENA kennen lernten, haben ihrerseits bereits nicht weniger als acht Kinderchen... um die sich Leute "ihres Standes", im Gegensatz zu anderen, freilich nicht selbst zu kümmern brauchen. Aber Verhütungsmittel sind ja bekanntlich eine schlimme Sünde.  

Editorische Anmerkungen

Diesen Artikel schickte uns der Autor am 3.1.2004 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung.