Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe

von
Max Beer
01/05

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V. VERSCHWÖRUNG VON BABEUF UND GENOSSEN Zur Kapitelübersicht

1. Ursache, Parole und Ziel.

Der Sturz Robespierres Ende Juli 1794, die Be­herrschung des Konvents durch gegenrevolutionäre Elemente, die hierauf erfolgte Annahme der anti­demokratischen Verfassung von 1795 veranlaßten die der Revolution treugebliebenen Sozialreformer und Jakobiner, sich zu vereinigen und gegen das Direktorium Front zu machen. Beide revolutionären Richtungen wirkten zusammen; in ruhigen Dis­kussionen wurden die Jakobiner überzeugt, daß Demokratie ohne ökonomische Umwälzung unmög- . lieh sei, daß die politische Revolution ihre Vollendung finden müsse in der Beseitigung der alten ' Eigentumsverhältnisse: in der Einführung des Gemeineigentums an Grund und Boden, in der all- ' gemeinen Arbeitspflicht, in der sozialen Gleichheit. Tugendhafte, einfache Lebensführung, Erziehung der Jugend zu tüchtigen Charakteren, Ausmerzung der Selbst- und Herrschsucht sollen die Grundlagen der neuen Gesellschaft befestigen und aus Frankreich ein Mustervolk für alle Nationen machen. Die bedeutend­sten Führer dieser Verschwörung waren Babeuf und Buonarroti.

Babeuf, Francois Noel (genannt Gracchus Babeuf), geboren 1760, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, wurde 1776 Schreiber bei einem Grundbuchkom­missar, bei dem er das Feldmessen erlernte und später selber Grundbuchkommissar in Roye (Pikardie) wurde. 1789 veröffentlichte er einen Aufsatz (ein Vorwort zum Buche seines Freundes Audiffried), in dem er die Ungleichheit des Besitzes verurteilte; er stellte dort fest, daß von den 24 Millionen Franzosen 15 Millionen besitzlos seien, denen man doch nicht zumuten könne, das Eigentum zu respektieren. Babeuf befand sich in Paris, als die Bastille gestürmt wurde, und beteiligte sich am Sturm. Von Oktober 1790 bis Oktober 1794 gab er verschiedene Zeitungen heraus, darunter die „Tribüne du peuple" (Volkstribüne), in denen er für soziale Gleichheit, aber gegen die terroristische Taktik der Jakobiner, ins­besondere Robespierres, wirkte. Nach dem 9.Ther-midor (27. Juli 1794), dem Hinrichtungstag Robes­pierres, wandte er sich jedoch gegen die Thermidorianer und verlangte, daß die Revolution der werktätigen Masse zugute kommen sollte. Er wurde im Februar 1795 verhaftet und nach dem Gefängnis zu Arras gebracht, wo er bis September ver­blieb. Im Gefängnis trat er mit Gesinnungs­genossen zusammen und arbeitete mit ihnen den Plan aus, den Kampf für soziale Gleichheit durch geheime Verbindungen zu organisieren. Dieser Plan wurde nach ihrer Enthaftung ausgeführt. Ba­beuf und seine Freunde gründeten die „Politische Vereinigung zur Eroberung der Gleichheit", die dann mit dem von Buonarroti gegründeten „Verein des Pantheon" verschmolzen wurde.

2. Filippo Buonarotti und die revolutionäre Diktatur.

Buonarroti (oder Buonarotti), FilippoMichele(176o bis 1837), der Verfasser des Werkes „Conspiration pour l'egalite" (Verschwörung für die Gleichheit), in dem die Geistesgeschichte der babeufistischen Be­wegung behandelt wird, stammte aus einer italieni­schen Familie, die den großen Michelangelo der Welt gegeben hatte. Er war 1760 in Pisa geboren, stieg bald zu hohen amtlichen Ehren, die er jedoch aufgab, als die französische Revolution ausbrach. Vorerst wirkte er in Korsika (1790—92), wo der junge Napoleon Bonaparte sich ihm als bewundernder Freund anschloß, dann reiste er nach Paris, wo der Konvent ihm verschiedene Missionen anvertraute, wurde ein intimer Freund von Robespierre und er­hielt vom Konvent das französische Bürgerrecht. Buo­narroti hielt fest am Gedanken, daß die französische Revolution in den Jahren 1789—1792 nur konstitutio­nelle Monarchie und bürgerliche, antijunkerliche Regierung anstrebte, während von 1792 an der Kampf zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden begann und daß die Verfassung von 1793 zwar vom sozialen Standpunkt mangelhaft, aber infolge ihrer Demo­kratie geeignet sei, den Nichtbesitzenden in ihrem Kampfe beizustehen, wenn letztere zum Kommunismus erzogen würden. Bald nach dem Sturze Robes-pierres gründete Buonarroti den Verein des Pantheon (so genannt nach dem Versammlungsplatze des Ver­eins), der rasch wuchs und Anfang 1796 an die 17000 Mitglieder zählte und unter den Garnisonen von Paris Freunde gewann.

Der Vorsitzende des Vereins war Buonarroti. Er sammelte um sich die tüchtigsten Köpfe, bildete einen geheimen Zentralausschuß, um die Erhebung zum Sturze des Direktoriums, zur Beseitigung der Verfassung von 1795 vorzubereiten. Der Zentral­ausschuß* beschäftigte sich sodann mit der Frage:

Welche politische Form soll man einführen, wenn das Direktorium gestürzt ist? Alle waren darüber einig, daß man die demokratische Verfassung vom Jahre 1793 nicht sofort in Kraft setzen könnte. Buonarroti schreibt hierüber:

„Die Erfahrungen der französischen Revolution und namentlich die Uneinigkeiten und Verfehlungen des Konvents zeigten zur Genüge, daß ein Volk, dessen Ansichten sich unter der Herrschaft von Ungleich­heit und Despotismus gebildet haben, wenig geeignet ist, bei einer revolutionären Neugestaltung durch seine Abstimmung die Männer zu wählen, die be­auftragt sind, die Revolution zu leiten und zu voll­enden. Diese schwierige Aufgabe kann nur weisen und mutigen Männern anvertraut werden, die, ganz von Vaterlands- und Menschheitsliebe ergriffen, lange nach den Ursachen der allgemeinen Übel forschten, sich von den Vorurteilen und allgemeinen Lastern freimachten, an Wissen ihren Zeitgenossen voraus sind und in Verachtung des Goldes und der gemeinen Ehrenbezeugungen ihr Glück darin suchen, der Gleichheit den Sieg zu verschaffen. Vielleicht müßte man bei Beginn einer politischen Revolution, gerade aus Achtung vor der wirklichen Demokratie, weniger auf Wahlzettel sehen, als darauf, die oberste Gewalt in weise und starke revolutionäre Hände zu legen."

Nach langen Beratungen, in welchen die Vorteile und Nachteile der Diktatur erwogen wurden, kam der Zentralausschuß zu dem Ergebnis, daß nach der Beseitigung der Tyrannei die Aufständischen von Paris und den Departements eine Nationalversamm­lung wählen sollten, die mit der obersten Gewalt zu bekleiden wäre; der geheime Zentralausschuß sollte jedoch bestehen bleiben und Nachforschungen über die Kandidaten anstellen und auch sonst über das Verhalten der neuen Versammlung wachen.

In diesen Erwägungen und Gedanken liegt der Ur­sprung der Idee der revolutionären Diktatur. Der Aufstand Babeufs von 1796 mußte freilich am Fehlen eines eigentlichen selbständigen Klassenbewußtseins unter der französischen Arbeiterschaft scheitern.

3. Ausgang der Verschwörung.

Unter den geheimen Agenten der Verschwörung befand sich ein Kapitän Grisel, der den ganzen Plan dem Direktorium verriet. Der Kriegsminister Carnot beauftragte den jungen General Napoleon Bonaparte, den Verein des Pantheon aufzulösen und die leitenden Mitglieder zu verhaften. Ende Februar 1796 löste er den Verein auf; am 10. Mai wurden die Führer ver­haftet. Über elf Monate dauerte die Untersuchungs­haft. Aus Furcht vor einem Aufstande der Pariser werktätigen Bevölkerung ließ das Direktorium die Verhafteten nach der Provinzstadt Vendöme über­führen. Hier saß auch das Geschworenengericht, das am 26. Mai 1797 Babeuf und Darthe zum Tode, Buonarroti und andere zur Verbannung verurteilte. Babeuf und Darthe versuchten sofort ihrem Leben durch Dolchstiche ein Ende zu machen, wurden aber daran verhindert und blutend aus dem Gerichtssaal geschleppt, um am folgenden Morgen unter der Guillotine zu sterben.

Der Verräter Grisel wurde später von Camille, dem ältesten Sohne Babeufs, erschossen.

Buonarroti blieb in Cherbourg im Gefängnis, wo ihm sein einstiger Bewunderer und „Jugendfreund" Napoleon im Jahre 1801 als Erster Konsul und eigentlicher Beherrscher Frankreichs einen hohen Posten anbot. Buonarroti wies sein Angebot mit Verachtung zurück. 1807 wurde er in Freiheit gesetzt, lebte an der südwestlichen Grenze Frankreichs, wo er mit den italienischen Revolutionären verkehrte, dann siedelte er nach der Schweiz über und ernährte sich kümmerlich von Musik- und Sprachlektionen; ausgewiesen aus der Schweiz, reiste er nach Brüssel, wo er sein Werk über die Verschwörung und den Prozeß von Babeuf und Genossen veröffentlichte. Das Buch übte einen starken Einfluß aus auf die revolutionär­kommunistische Bewegung in den Jahren 1828—1840. Nach der Julirevolution (1830) zog Buonarroti nach Paris, wo er von der revolutionären Bewegung wie ein Heiliger verehrt wurde. Einer seiner Schüler war August Blanqui; 1834 versuchte die Polizei, Buonarroti aus Frankreich auszuweisen, aber das vom Konvent ihm erteilte Bürgerrecht schützte den edlen Greis vor Verbannung. Er lebte dann unter dem Pseudonym Raymond als Musiklehrer in Paris, wo er 1837 starb.

Editorische Anmerkungen

Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, mit Ergänzungen von Dr. Hermann Duncker, S. 396-401

Der Text ist ein OCR-Scan by red. trend vom Erlanger REPRINT (1971) des 1931 erschienenen Buches in der UNIVERSUM-BÜCHEREI FÜR ALLE, Berlin.

Von Hermann Duncker gibt es eine Rezension dieses Buches im Internet bei:
http://www.marxistische-bibliothek.de/duncker43.html