Wertkritische Mißverständnisse der Marxschen Proudhonkritik

von Daniel Dockerill

01/05

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Daß der Wert wesentlich historisch besondere Formbestimmung ist, als solche aber einen allgemeinen, ihre historische Besonderheit übersteigenden Inhalt – woran erst die Form sich als besondere erweist – zwingend voraussetzt, darüber haben die Wertkritiker nicht nachgedacht. Und weil sie nicht nachgedacht haben, mystifizieren sie „den Wert“, handeln von ihm als einem Gegenstand aus eigener Vollkommenheit statt als wesentlicher Bestimmung der Ware. So wird dann die besondere Daseinsweise, welche im Wert der Ware die Arbeit annimmt, identifiziert mit ihrem Dasein überhaupt, abgesehen von jeder bestimmten gesellschaftlichen Form. Das Besondere des Werts ist aber gerade die sachliche Form, die er der gesellschaftlichen Arbeit bzw. (als Wertgröße) der gesellschaftlichen Arbeitszeit gibt und die erwächst aus dem bloß nachträglich, beim Austausch ihrer Produkte zu konstatierenden, gleichwohl immer schon vorausgesetzten, die Produzenten daher wie eine elementare Naturkraft überwältigenden Zusammenhang ihrer besonderen Arbeiten.[1] Wenn Marx die kommunistischen Produktionsweise unmittelbar auf die Rechnungsgrundlage der Arbeitszeit stellt, dann setzt er natürlich eine veränderte Form des Zusammenhangs der Arbeiten voraus. Dieser exekutiert nicht länger sich gleichsam selbstherrlich erst an ihren Resultaten, nachdem also die wirklichen konkreten Arbeiten schon getan sind, sondern liegt ihnen als gesellschaftlicher Plan zugrunde, als das gewußte gemeinsame Geschöpf selbstbewußt gesellschaftlicher Produzenten; und mit dieser veränderten Form, wie Arbeit gesellschaftliche Arbeit ist, Arbeit für die Gesellschaft auf Rechnung der Gesellschaft, entfällt auch ihre nachträgliche Darstellung als Wert der Produkte der Arbeit, nämlich „als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft“, wie Marx erläuternd hinzusetzt.

Andersherum kritisiert Marx an den Proudhonschen „Stundenzetteln“ nicht den damit angepeilten Versuch, überhaupt Produkte mit der für sie aufzuwendenden Arbeitszeit unmittelbar in Beziehung zu setzen, sondern die damit einhergehende Proudhonsche Prämisse, daß dies auf der Grundlage von Warenproduktion geschehen soll. Marxens Argumentation geht daher in zwei Richtungen:

Zunächst zeigt er, wie unter der Voraussetzung, daß die von der proudhonistischen „Tauschbank“, anstelle des Geldes – in der edlen Absicht, dessen vermeintlich ungerechte Privilegien und daraus erwachsende Mängel zu beheben – ausgegebenen Stundenzettel unter den Produzenten tatsächlich als Tauschmittel zirkulieren, dieser Geldersatz oder das so „verbesserte“ Geld alle Probleme wieder hervorbringt, die es beseitigen sollte. Die „Stundenzettler“ verkennen, daß der Unterschied zwischen Wert und Preis nicht bloß ein nomineller ist. Es ist nicht das Problem, daß der Wert, da doch „in Wahrheit“ Arbeitszeit, in der Geldware unangemessen ausgedrückt wäre. Vielmehr ist es die Eigenart warenproduzierender Arbeit selbst, einer Arbeit also, die sich erst in ihrem Resultat, eben der Ware, auf alle anderen Arbeiten als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit bezieht, daß an ihr die individuelle, vom einzelnen Produzenten wirklich aufgewendete Arbeitszeit im Verhältnis zu der aller anderen Warenproduzenten einerseits sowie die gesellschaftlich gültige Größe dieses Verhältnisses andererseits nur im Durchschnitt, im Einzelfall jedoch höchstens ganz zufällig übereinstimmen, die Abweichung beider voneinander dagegen die Regel ist.[2] Würden die Warenpreise in Geld ausgedrückt, dessen Einheit „Arbeitsstunde“ hieße, so liefe das praktisch nur darauf hinaus, daß der reale Unterschied zwischen der tatsächlich für die Produktion der Ware jeweils aufgewendeten Arbeitszeit und dem was davon gesellschaftlich gültig ist, d.h. in Form der gegen sie ein­tauschbaren Stundenzettel gewissermaßen beur­kundet wird, nur um so greller hervorträte: Drei Stunden Arbeit tauschen sich hier gegen zwei Stunden Arbeit, während sie sich dort vielleicht im Verhältnis fünf zu drei tauschen etc. – das bekämen die Warenproduzenten schwarz auf weiß bestätigt. Schlimmer noch: Diese Verhältnisse wären für keine Ware in der Weise fix, daß mit ihnen fortan wenigstens zuverlässig gerechnet werden könnte, sofern nur der einzelne Produzenten seine Produktion unter unveränderten Bedingungen, daher seine individuelle Arbeitszeit beibehielte; denn er kann niemanden verpflichten, es ihm gleichzutun; und andersherum, zieht er sich beispielsweise aus der Produktion dieser Ware zurück, um sich auf ein anderes, günstigere Konditionen verheißendes Geschäft zu werfen, verbessert sich unter Umständen das erste, während das zweite sich vielleicht verschlechtert, gerade weil andere es ihm gleichtun; etc. Verläßlich ist einzig, daß die Bilanz dieses Spiels, worin Glück und Pech der in ihm auf und ab und hin und her gescheuchten Produzenten sich irgendwie die Waage halten, selbst immer nur vorübergehender Natur sein kann, fortwährender Veränderung unterliegt, die Produzenten also nie längere Zeit zur Ruhe kommen läßt. Am Ende beweisen so die Proudhonschen Stundenzettel gerade das Gegenteil dessen, wovon ihre Anhänger ausgingen: daß nicht die Arbeitszeit, sondern das gewöhnliche, rein sachliche Geld den Wert der Waren angemessen zum Ausdruck bringt; denn sie führen (als Gedankenexperiment, gedanklich-praktisch gewissermaßen) unmittelbar vor Augen, wie unter der Voraussetzung, daß die wirkliche, konkrete Arbeit sich in Waren darstellt, daß sie also statt auf gesellschaftliche auf private Rechnung abgeleistet wird, die die Gesellschaft, d.h. jeweils alle anderen Produzenten als solche nichts angeht, die Arbeitszeit dieser privaten Produzenten nach ihrer gesellschaftlichen Seite, d.h. hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen, alle Produzenten zusammenschließenden Verbindlichkeit eine von allen Produzenten bzw. deren Arbeit unabhängige, d.h. aber eine sachliche Form annehmen muß.

Jedoch ist dies, wie gesagt, nur die eine Seite der Marxschen Argumentation gegen die „Stundenzettler“. Nach der anderen nämlich untersucht Marx, welche wirklichen gesellschaftlichen Bedingungen – statt der von Proudhon und Co. vorausgesetzten Warenproduktion – deren Projekt der „Tauschbank“ erforderte, damit die von ihr ausgegebenen Stundenzettel erfüllen könnten, was die Erfinder sich davon versprechen: die Arbeitszeit als Maß des Werts tatsächlich unmittelbar zur Deckung zu bringen mit dem Preis der Waren als der Form, in der der Wert sich ausdrückt.[3] Dies ist freilich, wie Marx vorwegschickt, keine Untersuchung „über die wirklichen Geldverhältnisse“, da Deckung von Wert und Preis voraussetzt „Decken von Nachfrage und Zufuhr; von Produktion und Konsumtion“ – also schon erfolgreiche Beseitigung des ganzen Problems, das unter der Bedingung der Warenproduktion die Geldform annimmt.

Marx zeigt nun, daß die Bank zum ersten „zugleich der allgemeine Käufer und Verkäufer in einer Person“ sein müßte, wenn ihre Stundenzettel wirklich, wie unter anderen Umständen das gewöhnliche Geld, dessen Rolle sie übernehmen sollen, als universelles Tauschmittel fungieren sollen und nicht bloß als ein höchst spezielles Verkehrsmittel zwischen der Bank und einzelnen Produzenten, vergleichbar etwa der Funktion der Eintrittskarte im beschränkten Verkehr zwischen einem Theater und seinen kulturbeflissenen Besuchern. Und da so aller Warenverkehr zwischen einerseits der Bank und andererseits allen Produzenten bzw. Konsumenten stattfände, könnte das Stundenzettelgeld auch die Form bloßer Konten annehmen, auf denen bilanziert wird, was der einzelne Produzent / Konsument der Bank an Arbeit in einer Form geliefert oder in anderer entnommen hat. Ferner, da es sich ja bei der für die Warenwerte in Frage kommenden Arbeitszeit um eine gesellschaftlich verbindliche handelt, „die Zeit in der sie [die Waren; DD] hervorgebracht werden müssen“ (Hervh. von mir; DD), müßte die Bank über die durchschnittlichen Bedingungen, unter denen die verschiedenen Waren produziert werden, sich ständig auf dem Laufenden halten, „um die in ihnen materialisierte Arbeitszeit ... authentisch zu fixieren“. Darüber hinaus hätte sie dafür zu sorgen, daß die Arbeit der Produzenten jeder bestimmten Warenart über die Durchschnittsbildung nicht für gleich produktiv nur dekretiert wird (was früher oder später Obstruktion in der einen oder anderen Richtung erzeugen müßte), sondern es auch – wenigstens angenähert – ist, d.h. sie hätte für annähernd gleiche Produktionsbedingungen zu sorgen. „Aber auch das wäre nicht hinreichend“: Wenn die Stundenzettel wirklich universell eintauschbar sein sollen, müßten der Bank die Waren auch in solchen Proportionen der verschiedenen Warensorten zueinander von den Produzenten geliefert werden, daß diese als Konsumenten nicht nur überhaupt irgendeine ihrer gelieferten Arbeit entsprechende Menge an Waren jeweils zurückerhalten, sondern diese auch in den ihren bestimmten Bedürfnissen entsprechenden Gebrauchsformen. Sie hätte also „die Quanta Arbeitszeit zu bestimmen, die auf die verschiedenen Produktionszweige verwandt werden soll.“ Alles in allem wäre sie damit nicht nur der allgemeine Käufer und Verkäufer, so schließt Marx seinen Gedankengang, „sondern auch der allgemeine Produzent. In der Tat wäre sie entweder die despotische Regierung der Produktion und Verwalterin der Distribution, oder sie wäre in der Tat nichts als ein board, was für die gemeinsam arbeitende Gesellschaft Buch und Rechnung führte.“

Diese Konsequenz ihrer Idee: eine Gesellschaft auf gemeinsame Rechnung arbeitender Produzenten war sicherlich nicht das, was Marx den „Männer[n] des Stundenzettels“ zum Vorwurf zu machen gehabt hätte. Im Gegenteil. Daß sie diese Konsequenz, die „die Negation der ganzen Grundlage der auf dem Tauschwert basierten Produktionsverhältnisse ist“[4], nicht ziehen wollten, daß sie statt dessen sich einbildeten, deren Widersprüche auf eben derselben Grundlage heilen zu können; daß sie die gesellschaftliche Rechnung in Arbeitszeit aus einer Form der Planung und Rechenschaftslegung, die nur erst als Resultat der Beseitigung des Privateigentums Sinn macht, herunterbringen auf eine – notwendigerweise widersinnige, völlig untaugliche – Reform dieses Privateigentums – das allein läßt Marx solches Projekt als „seichten Utopismus“ verwerfen. Wieviel er offenbar andererseits von jenem „board“ gehalten hat, das „für die gemeinsam arbeitende Gesellschaft Buch und Rechnung führte“, geht beispielsweise daraus hervor, daß er im „Kapital“ zu Beginn des Kapitels über „Das Geld oder die Warenzirkulation“, in einer Fußnote – seine Erörterung „eines ‚Arbeitsgelds‘ auf Grundlage der Warenproduktion“ in „Zur Kritik ...“ zitierend – „das Owensche ‚Arbeitsgeld‘“ ausdrücklich (gleichsam sogar die allerneuesten Geistesblitze einer „politischen Ökonomie des Sozialismus“ vorsorglich ableitend) dagegen in Schutz nimmt, mit ersterem identifiziert zu werden: „Owen setzt unmittelbar vergesellschaftete Arbeit voraus, eine der Warenproduktion diametral entgegengesetzte Produktionsform. Das Arbeitszertifikat konstatiert nur den individuellen Anteil des Produzenten an der Gemeinarbeit und seinen individuellen Anspruch auf den zur Konsumtion bestimmten Teil des Gemeinprodukts. Aber es fällt Owen nicht ein, die Warenproduktion vorauszusetzen und dennoch ihre notwendigen Bedingungen durch Geldpfuschereien umgehn zu wollen.“[5]


Anmerkungen

[1]   Über diesen der Warenform innewohnende Widerspruch vor allem setzt Michael Heinrichs „monetäre Werttheorie“ sich hinweg, wenn ihr Autor insistiert (Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition. 1. Aufl. Hamburg 1991, S. 167 u. S. 254f; 3. Aufl. Münster 2003, S. 209 u. S. 390f), daß der Wert der Waren keine präexistente Größe sei, sondern erst am Markt sich „herstelle“. In Wahrheit käme vielmehr der Markt als die Instanz, vor der alle Produktion sich zu rechtfertigen hat, gar nicht „zustande“, wären die Produzenten nicht bereits vor ihrem Austausch – wenn sie auch nicht wissen, wie im einzelnen – „allseitig voneinander abhängig“, wie Marx (MEW 23, S. 89) schreibt, und also gezwungen, ihre Produkte zu tauschen. Der Wert als das Gesetz dieses Austausches, daher das Geheimnis, die nähere Bestimmtheit jener Abhängigkeit, ist so allem Austausch sachlich vorausgesetzt, offenbart sich aber in seiner Bestimmtheit zugleich erst im Austausch selbst. Der so genannte „monetäre“, erst im Austausch sich herstellende „Wert“ wäre dagegen der noch nicht zum Gesetz aufgestiegene Wert, der in der Tat sich erst noch herstellt, herausbildet; wie auch der Austausch, als die besondere Sphäre, worin jener sich bildet, die Produzenten sich noch nicht vollständig unterworfen hat, noch keinen allgemeinen, unentrinnbaren Zwang darstellt. Die aufgeklärten Kritiker der „einfachen Warenproduktion“ des Friedrich Engels, zu denen natürlich auch Heinrich sich rechnet, erweisen sich hier als Anhänger einer eigenen, lichtscheuen und allerdings völlig ungereimten „Theorie der einfachen Warenproduktion“.

 [2]   Engels im Antidühring: „Darin, daß der Wert der Ausdruck der in den Privatprodukten enthaltenen gesellschaftlichen Arbeit ist, liegt schon die Möglichkeit der Differenz zwischen dieser und der im selben Produkt enthaltenen Privatarbeit.“ (MEW 20, S. 289) Abweichungen überhaupt kann und wird es natürlich auch dann geben, wenn die Warenproduktion aufgehoben, die Einteilung der gesellschaftlichen Arbeitszeit also den wirklichen Arbeiten jeweils vorausgegangen, jedem Produzenten sein gesellschaftlich gültiger Anteil daran bekannt ist. Schnellere und langsamere, geschicktere und ungeschicktere, stärkere und schwächere usw. Arbeiter wird es immer geben, desgleichen Unausgewogenheiten etc. in der Planung, die die vorgesehene Einteilung durchkreuzen. Aber im Gegensatz zur Warenproduktion ist hier die Abweichung vom Durchschnitt eine vollkommen durchsichtige Angelegenheit, die nicht sich immer erst durch Katastrophen als blindwirkendes Naturgesetz den Akteuren bemerkbar macht. Was übrigens den „Anteil“ der individuellen Arbeit an der Gesamtarbeit betrifft, so ist das eine Bestimmung, die unabhängig davon eine Rolle spielt, wie der individuelle Anteil an der Konsumtion geregelt ist, ob hier also gilt „jedem nach seiner Leistung“ oder „jedem nach seinen Bedürfnissen“, denn unabhängig beispielsweise davon, ob für die gesundheitliche Versorgung individuell bezahlt werden muß oder nicht, muß gewährleistet sein, daß Personal für diese Versorgung zur Verfügung steht, also nach einer bestimmten Regel konkret dafür gearbeitet wird und diese Arbeit planbar ist.

 [3]   Vgl. für das Folgende vor allem: Marx: Grundrisse. MEW 42, S. 87ff.

 [4]   dito, S. 686.

 [5]   MEW 23, S. 109f. Im gleichen Sinne auch Engels im „Antidühring“ (s. MEW 20, S. 284f).

 

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns diesen Artikel am 01.01.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung.