Erstveröffentlichung 
Um die Endlösung- Prozessberichte
Eine etwas andere Weihnachtslektüre

von Max Brym

01/04  
  
 
trend onlinezeitung

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Weihnachten langweilt normalerweise einen Atheisten. Er kann es zwar wie Bert Brecht halten und an Weihnachten seinen Lieblingskrimi „Das alte Testament“ lesen, oder es mit schlafen probieren. Doch die bucklige Verwandtschaft verleidet vielen sowohl das eine, wie das andere. Ein tatsächlich religiös überzeugter Christ empfindet das Weihnachtsfest natürlich positiv. Die genannte Spezies wird zunehmend marginalisiert. Das Fest der Christenheit wurde zum Event oder zur Pflichtübung einer deregulierten Gesellschaft. Ernsthafte Religiosität verliert an Einfluß. Die religiösen Sekten sind nur ein Ausdruck dieser Entwicklung. Esoterik ist die geistlos egozentrische Modeströmung unserer Tage. Im Vergleich zu einem esoterisch angehauchten Karmatypen, ist jeder Jesuit ein Kulturgenuß. Nun aber zurück zur Literatur, da mir die Bibel bekannt ist und ich auch von der Verwandtschaft nicht gestört wurde, erlaube ich mir hiermit meine Weihnachtslektüre ( die nichts oder wenig mit Weihnachten zu tun hat) vorzustellen. Ein Buch über die jüngste Vergangenheit mit aktuellem Bezug.

Rudolf Hirsch - "Um die Endlösung"

Im Jahr 2001 brachte der Dietz- Verlag Berlin die Prozeßberichte über Nazi und Kriegsverbrecher von Rudolf Hirsch heraus. Rudolf Hirsch wurde im Jahr 1907 in Krefeld als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Ab 1933 wurde er von den Nazis durch ganz Europa gehetzt. Im Jahr 1934 kehrte er noch einmal nach Deutschland zurück und leistete für die Gruppe „Neu Beginnen“ illegale antifaschistische Arbeit. Im Jahr 1937 wurde die Situation für ihn immer bedrohlicher und er war gezwungen das Land seiner Geburt zu verlassen. Nachdem er in Schweden vergeblich um Asyl nachsuchte, gelangte er nach Tel Aviv. In Tel Aviv leitete er zusammen mit Arnold Zweig die dortige Sektion des „ Nationalkomitees Freies Deutschland“. Das Gefühl seiner Verantwortung gegenüber seinen jüdischen Leidensgefährten, vor allem gegenüber seiner Mutter, die er nicht retten konnte, ließ ihn nie los. Nach seiner Rückkehr nach Ostdeutschland ging er ruhelos bis in sein hohes Alter, zu den zahlreichen Prozessen gegen die Peiniger der Juden und all der anderen Opfer des Naziregimes und berichtete leidenschaftlich von ihren Verbrechen. In dieser Aufgabe sah er den Sinn seines Überlebens. Rudolf Hirsch verstarb im Jahr 1998 in Berlin. Der Dietz Verlag in Berlin hat mit der Herausgabe verschiedener Prozeßberichte von Rudolf Hirsch das Verdienst, eine unersetzbare und mahnende Stimme wachzuhalten. Denn wer das Vergangene vergißt, ist unter Umständen dazu verdammt das Gleiche noch einmal zu erleben.

Der Aufbau des Buches

Das Buch beginnt mit einem Prozeßbericht um die „Köpeninger Blutwoche“ ( 1933 ) im Jahr 1950. Der Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit dem ersten Auschwitz Prozeß in den Jahren 1963- 1965 in Frankfurt am Main und dem zweiten Auschwitz Prozeß 1966. Desweiteren findet der Leser in dem Buch den Berliner Prozeß gegen den SS- Arzt Fischer ( 1966), den Euthanasie- Prozeß in Frankfurt am Main 1967, den Majdanek Prozeß in Düsseldorf in den Jahren 1975-1979, sowie den Lischka Prozeß in Köln zwischen 1979 und 1980. Alle Berichte zeigen windige kleine und verlogene Nazimörder. Anwälte die ihren Berufsstand dazu mißbrauchten, den Mördern eine historische Legitimation zu geben. Gerichte und Staatsanwälte, die Nazimörder meist mit Samthandschuhen anfaßten und Urteile fällten die in keinem Verhältnis zu den begangenen Verbrechen standen. Schlechtere Papiere hatten Nazi- Mörder, die in der DDR gefaßt wurden, mit Milde hatten sie nicht zu rechnen.

Die Auschwitz Prozesse

Wie bereits dargelegt, bilden die Berichte über die beiden Auschwitz Prozesse den Hauptteil des Buches. Rudolf Hirsch beschreibt nicht nur den Prozeß, sondern auch das gesellschaftliche Umfeld. Hirsch kommt zu der Schlußfolgerung, dass die Prozesse ohne den Eichmann Prozeß in Jerusalem nicht stattgefunden hätten. Damals wie heute dominierte die „Schlußstrich Mentalität“ das politische Klima in Deutschland. Alle Kriegs und Naziverbrechen sollten nach Meinung vieler Bundestagsabgeordneter im Jahr 1965 verjähren. Die Auschwitz Prozesse verhinderten dies. Der Prozeß sagte viel über die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft aus. Eigentlich sollte Richard Baer der letzte Auschwitz- Kommandant, der Hauptangeklagte sein. Baer verstarb jedoch in der Untersuchungshaft, nachdem er jahrelang von dem CDU Bundestagsabgeordneten Fürst von Bismarck auf dessen Gut versteckt wurde. Ein Vertreter der damaligen Regierungspartei verbarg jahrelang straflos einen Mörder vor der eigenen Justiz, der den Tod von Millionen Menschen auf dem Gewissen hatte. Der Hauptangeklagte war deshalb der Hamburger Großkaufmann Robert Mulka. Die meiste Zeit während des Verfahrens blieb Mulka der ehemalige Adjutant des Lagerkommandanten Höß auf freien Fuß, da er eine Kaution von 50000 DM hinterlegen konnte. Selbstverständlich behauptete Mulka sowie diverse Ärzte, Apotheker, SS- Chargen und Kapos unschuldig zu sein. Herr Mulka hätte sich angeblich nur um das Gestüt des Kommandanten gekümmert und mit der Vernichtung nichts zu tun gehabt. Alle Angeklagten wurden durch Zeugenaussagen, Dokumente und Ortsbesichtigungen überführt. Die Strafen standen jedoch in keinem Verhältnis zu den begangenen Taten, die Angeklagten bekamen zwischen 6 und 15 Jahren Haft.

Peinliches

Der Auschwitz Prozeß enthüllte peinliche bundesdeutsche Realitäten. Das Wirken des Nebenklägers Professor Kaul, machte trotz aller Angriffe auf ihn, den Zusammenhang zwischen nazistischer Barbarei und einem entfesselten Kapitalismus deutlich. In Auschwitz Monowitz betrieb die IG- Farben eine Mordfabrik. In enger Zusammenarbeit mit Höß und dem WVHA der SS, orderte die IG- Farben selbsttätig Sklavenarbeiter von der SS. Beauftragte der IG- Farben nahmen eine Vorselektion (die Lebenserwartung der Sklavenarbeiter betrug durchschnittlich 3. Monate) von nicht mehr zu gebrauchenden Arbeitssklaven vor, die umgehend nach Auschwitz Birkenau überstellt wurden. Ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger erklärte hierzu: „Wir lehnen die marxistische Theorie ab, dass der Faschismus die letzte Form des Kapitalismus sei, obwohl, dass muß ich zugeben, in der Zusammenarbeit zwischen IG- Farben und dem Konzentrationslager Auschwitz viele Indizien dafür sprechen.“ In dem Prozeß wurden einige Wirtschaftskapitäne der bundesdeutschen Ökonomie geladen. Darunter einige Bundesverdienstkreuzträger, die nach ihrer verbrecherischen Zusammenarbeit mit der SS wieder hohe Funktionen in der Wirtschaft innehatten. Auch sie „hatten natürlich ein reines Gewissen“, dennoch mußte einem Dr. Bütefisch vor 1945 verantwortlich für die IG-Farben Filiale Auschwitz das "Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik“ wieder abgenommen werden. Unter Anklage wurde von den von Professor Kaul geladenen Zeugen niemand gestellt.

Fazit

Das Buch von Rudolf Hirsch ist eine fesselnde und spannende Lektüre. Es zeigt, wozu Menschen im positiven wie negativen Sinne imstande sind. Die gesellschaftlichen Ursachen der Naziverbrechen werden trotz detailgetreuer Schilderung der Naziverbrecher nicht ausgeblendet. Allerdings merkt man dem Autoren an, dass er öfter eine leicht vulgärmarxistische Interpretation der Ereignisse bevorzugt. Dennoch ist es entscheidend, den Zusammenhang von Kapitalismus und Naziverbrechen zu berücksichtigen. Der Nazismus läßt sich ohne marxistische Prämissen nicht erklären. Die in dem Buch stark gewichteten Auschwitz Prozesse, gaben wichtige Anstöße für die Studentenbewegung 1968. Vieles wurde kritisch hinterfragt und eine Beschäftigung mit dem Marxismus war angesagt. In Auschwitz zeigte sich auch das was Karl Marx im Kapital beschrieb: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher und man kann es überall anwenden, 20 Prozent, es wird lebhaft, 50 Prozent positiv waghalsig, für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinem Fuß, 300 Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.“

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München. Im Partisan.net hat er seine Homepage.