Interview mit IKM Hamburg
10 Fragen – 10 Antworten bezüglich des Todesfastens

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1- Könntest Du Deine Organisation kurz vorstellen. Wer seid ihr und was macht ihr?

War machen vor allem Soli-Arbeit zu den politischen Gefangenen in der Türkei, so wie TAYAD das in der Türkei macht. Wir organisieren Infoveranstaltungen, Delegationen, Aktionen, Kampagnen und informieren über die unterschiedlichsten Medien. Das IKM führt einen Kampf gegen die Isolierung Gefangener und die Probleme, die die Isolationshaft für die Gefangenen bedeutet. Das Komitee hilft beim Lösen der Probleme der Gefangenen in allen Gefängnissen. Schwerpunkt der Aktivitäten sind Deutschland und die Türkei. Besonderes Betätigungsfeld ist der Todesfastenwiderstand gegen die F-Typ Gefängnisse in der Türkei.

2- Das Todesfasten dauert mittlerweile seit dem 20. Oktober 2000, also seit mehr als zwei Jahren an. Was hat die Gefangenen bewogen, diese extreme Kampfform zu wählen und trotz über hundert Toten bis heute zu weiterführen?

Nach Diskussionen, die über ein Jahr dauerten, entschieden sich die Gefangenen gegen die neuen Gefängnisse mit der einzigen Waffe zu kämpfen, die ihnen blieb; ihrem Körper. So wählten sie die Widerstandsform des Todesfastens. Dieser Widerstand wird solange geführt werden, bis die Forderungen der Gefangenen umgesetzt werden. Eine Kapitulation ist für die Gefangenen keine Alternative, da die F-Typen dem Zweck dienen, den Willen der Revolutionäre zu brechen und sie ihrer politischen Identität zu berauben, und letztendlich den gesamten Widerstand gegen das Regime der Türkei zu vernichten.

3- Wie steht ihr zu dem aus Teilen der türkischen und der deutschen Linken geäußerten Vorwurf, die am Todesfasten beteiligten Organisationen „verheizen“ ihre Mitglieder?

Zunächst haben sich die Gefangenenorganisationen, also die Gefangenen selbst, für den Hungerstreik entschieden und nicht die jeweiligen Organisationen. Darüber hinaus opfern die TodesfastenkämpferInnen ihr Leben in einem legitimen Kampf für ein legitimes Ziel.

4- Insbesondere aus der deutschen Linken hören wir regelmäßig, mit den Toten im Todesfasten wird ein Märtyrerkult bzw. ein Heldengedenken betrieben, teilweise wird dabei auch namentlich eure Organisation kritisiert. Was sagt Ihr dazu?

Das Andenken an die, die für ihre politische Überzeugung gestorben sind, sollte unserer Meinung nach erhalten werden. Diejenigen, die ihr Leben und ihren Tod dem Kampf für Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit gegeben haben, sollten uns auch als Vorbilder dienen. Ein Beispiel dafür wäre z.B. Ernesto Che Guevara. Aber wir finden es deswegen nicht erfreulich, wenn GenossInnen sterben, im Gegenteil. Wenn auf Demonstrationen die Bilder der Gefallenen getragen werden, soll zum Einen gezeigt werden, wer vom Regime der Türkei bzw. von den F-Typen ermordet worden ist. Und zum Zweiten soll an ihr Leben erinnert werden, das sie dem Kampf gewidmet haben.

5- Werden die Gefangenen eurer Meinung nach von ihren Organisationen gezwungen, sich am Todesfasten zu beteiligen bzw. wird auf andere Weise Druck auf sie ausgeübt, mit dem Todesfasten zu beginnen?

Es wurde und wird niemand gezwungen, ein Todesfasten zu führen! Wie gesagt, die Gefangenen selbst haben sich nach einem Jahr Diskussionen dafür entschieden. Wer aber damit anfangen will, kann dies nicht einfach ohne weiteres tun, sondern muss seine GenossInnen und seine Organisation davon überzeugen, dass er/sie für diese Form des Widerstandes bereit ist. Was eine Menge Leute kritisieren ist, dass teilweise Menschen, die ihr Todesfasten nach ihrer Freilassung abbrachen, als VerräterInnen bezeichnet wurden. Dazu muss gesagt werden, dass ein Todesfasten der Definition nach nicht abgebrochen werden kann. Es wird bis zum Tod oder bis zur Erfüllung der Forderungen geführt. Dies ist der Druck, der hinter dieser Widerstandsform steht. Aus diesem Grund gab es die langen Diskussionen im Vorfeld und die strengen Auswahlkriterien. Die Regierung der Türkei hatte Gefangene angeblich wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes für jeweils sechs Monate freigelassen. Wenn es aber der Regierung um die Gesundheit der Gefangenen ginge, hätte sie die Folter und die F-Typen abgeschafft. Ihr eigentliches Ziel war es, die Todesfastenden zum Abbruch des Widerstandes zu verleiten. Die so genannten „VerräterInnen“ nahmen dieses Angebot aus egoistischen Gründen an, während ihre GenossInnen in den Gefängnissen für ihre Rechte kämpfend starben.

6- Am 28. Mai 2002 hatten acht Organisationen das Todesfasten abgebrochen. Bis zum 19. Dezember desselben Jahres befanden sich ausschließlich die Organisationen DHKP-C und TKEP-L im Widerstand. Gibt es noch eine Chance, die Forderungen der Gefangenen auf diesem Weg durchzusetzen?

Über die Hälfte aller in diesem Widerstand Gefallenen gehörten der DHKP-C an. Der Abbruch vom 28. Mai war ein großer Rückschlag, aber die Organisationen DHKP-C und TKEP-L haben den Widerstand bis heute entschlossen fortgesetzt. Zum zweiten Jahrestag des Gefängnis-Massakers
vom 19. Dezember haben sichdie meisten der Organisationen, die den Widerstand damals abgebrochen hatten, wieder in einen unbefristeten Hungerstreik begeben. Dieser Kampf wird gewonnen werden!

7- Hat der Ausgang der Parlamentswahlen am 03. November 2002 und der Sieg der konservativ-religiösen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung irgendwelche Auswirkungen auf die Gefängnispolitik des türkischen Staates?

Nein! Allein schon aus dem Grund, dass der IWF und der nationale Sicherheitsrat über mehr Macht verfügen als das Parlament.

8- Wie sieht zur Zeit die Arbeit von Unterstützergruppen der Gefangenen in der Türkei aus?

Angehörigenzusammenschlüsse wie die TAYAD oder die TUYAB organisieren sehr konstruktive Veranstaltungen, die hauptsächlich dazu dienen, Lösungsvorschläge zu diesem Problem zu erarbeiten. In dem Sinne hat die TAYAD in Istanbul z.B. im November 2002 den zweiten Kongress zum Thema Isolationshaft einberufen, die eindeutige Verbesserungsvorschläge unterbreitet hat. Es gibt zahlreiche Veranstaltungen, Demonstrationen, Unterschriftskampagnen und Solidaritätshungerstreiks. Einige Angehörige der TAYAD haben sogar ihr Leben im Todesfasten verloren. Im Moment befinden sich zwei TAYAD Mitglieder in einem unbefristeten Hungerstreik, der in Istanbul geführt wird.

9- Anfang des Jahres 2002 hat der Vorschlag der Anwaltskammer unter dem Namen „3 Türen - 3 Schlösser“ starke Unterstützung in der Bevölkerung und die Zustimmung der Gefangenen gefunden. Kannst Du kurz erklären, was der Vorschlag beinhaltete und ob er heute noch aktuell ist und eine Chance auf Durchsetzung hat?

Das bedeutet, dass drei Schlösser von je drei nebeneinander liegenden Dreier-Zellen entfernt werden sollten, damit neun Gefangene miteinander ständig kommunizieren können. Mit dieser Minimalforderung sollte gezeigt werden, dass die Gefangenen nach wie vor verhandlungsbereit sind. Aber die Regierung verweigert bis heute jegliche Verhandlungen mit den Häftlingen. Diese Forderung ist heute nicht mehr aktuell.

10- Wie kann jede/r Einzelne den Kampf der Gefangenen nach Aufhebung der Isolation von Deutschland aus unterstützen?

Informiert euch und versucht euch vorzustellen, was es bedeutet, von der Umwelt abgeschnitten zu sein. „Der Mensch braucht den Menschen!“ Das erlangte Wissen kann auf Informationsveranstaltungen weitervermittelt werden. Beteiligt euch an Demonstrationen und Delegationen. Verteilt Flugblätter, macht Infostände, Solikonzerte, sammelt Spenden, spendet, oder seid kreativ und lasst euch etwas anderes einfallen.

AULIN / Autonome Linke Neumünster
 

Editorische Anmerkungen

Das Interview wurde uns am 16. Januar vom IKM zur Verfügung gestellt.

Kontakt:
IKM
Izolasyon Iskencesine Karsi Mücadele Komitesi
Komitee gegen Isolationshaft
Committee for Struggle against Torture through Isolation
Tel.:0049/40/28053625 Fax.:0049/40/28053685
Adr.: Heimfelderstr.11 - 21075 Hamburg
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