Spanischer
Verfassungspatriotismus 

Von Gaston Kirsche
(gruppe demontage)

01/02  trend online zeitung

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"Die Fahne und die Hymne Spaniens, alle die großen Symbole der Verfassung, sind heute Garantien der Freiheit und der Vielfalt", erklärte Spaniens Außenminister Josep Pique feierlich am Tag der Verfassung, dem 6. Dezember. Regiert wird Spanien seit 1996 von der konservativen Volkspartei, PP. Pique wird auch auf dem Kongreß der PP im Januar eine große Rede halten über Verfassungspatriotismus, wie ihn Spaniens Rechte versteht. Mit dem neuen Begriff soll der Nationalismus modernisiert werden, denn: "Einige unserer Symbole eignete sich der Franquismus an, weswegen sich viele Personen nicht mit ihnen identifizieren können." So ist die Fahne der Franco-Diktatur bis heute Staatsbanner der spanischen Monarchie, während die Fahne der besiegten spanischen Republik nur ab und an auf Demonstrationen der traditionellen Linken zu sehen ist. 

So ganz friedlich ist auch der neue Verfassungspatriotismus nicht gedacht, wie Pique ausführte: "Der Verfassungspatriotismus kann eine wunderbare Bewaffnung sein, weil der Terrorismus zwar polizeilich und juristisch besiegt werden muß, aber auch die Doktrinen, welche den Terrorismus legitimieren, müssen sozial isoliert werden." Dagegen ist nach Piques Meinung "Spanien jetzt ein Synonym für Freiheit, es ist ein offenes Land, dynamisch und tolerant." Ob Pique dabei auch an die Südgrenze Spaniens gedacht hat, blieb sein Geheimnis. 

Die spanische Verfassung trat 1978 in Kraft. Auf zahlreichen getrennten Veranstaltungen nutzten die Parteien den diesjährigen 6. Dezember, um dazu unterschiedlichste Positionen zu verkünden. Ministerpräsident José María Aznar nutzte eine Feuer, um sich gegen die von der sozialdemokratischen PSOE, Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens, vorgeschlagene Verfassungsreform auszusprechen: Von einem förderal gegliederten Staat halte er nichts: Dies richtete sich insbesondere gegen einen Vorschlag des Chefs der katalanischen Sozialdemokraten, Pasqual Maragall. Der schlug Anfang Dezember einen asymmetrischen Föderalismus vor, bei dem drei als Nationen definierte Regionen Spaniens - Baskenland, Katalonien und Galizien - besonders viel Autonomie per Verfassung garantiert bekommen würden. Zwei dieser Regionen, das Baskenland und Katalonien, hatten von der konservativen Regierung in der letzten Wahlperiode weitreichende Autonomie bei den Steuereinnahmen und der Sozialversicherung gewährt bekommen. Das lag daran, dass in beiden Regionen rechte Parteien regierten, die einerseits separatistisch-national sind, aber anderseits die damalige Minderheitsregierung der spanischen Volkspartei PP unter Aznar tolerierten. 

Die PP hat aber seit den Wahlen vom März 2000 die absolute Mehrheit im nationalen Parlament und hat sich mit den Regionalregierungen der PNV, Nationalen Baskischen Partei, und der katalanischen CiU, Konvergenz und Union, überworfen. Die PP ist nicht bereit, ohne Not zentralstaatliche Machtbefugnisse abzutreten. Im Baskenland setzt die PP darüber hinaus auf eine nationale Polarisierung, um spanische Patrioten gegen baskische Separatisten zu mobilisieren. Das richtet sich nicht nur gegen die bewaffnete Untergrundorganisation ETA, Baskenland und Freiheit, sondern auch gegen die Regionalregierung, einer Koalitionsregierung der PNV mit der ebenfalls nationalen Partei EA, Baskische Solidarität und der regionalen Gliederung der einzigen nichtnationalen Partei Spaniens, IU, der Vereinigten Linken. 
Bei der Neuverhandlung des Abkommens über Steuern und die spanische Variante des Länderfinanzausgleiches tobt seit Wochen ein offener Streit zwischen der Regierung in Madrid und der baskischen Regionalregierung unter Juan José Ibarretxe von der PNV. Die fordert, bei Verhandlungen in den EU-Finanzministerrat mit eigenen Vertretern in die spanische Delegation aufgenommen zu werden. Ihr Argument ist, dass sie eigene Steuern erheben und über deren Verwendung autonom entscheiden. Madrid weist diese Forderung strikt zurück. Zwischen Madrid und der Regionalregierung ist indes auch ein Konflikt über die Steuererhebung ausgebrochen.
Ministerpräsident Aznar äußerte dazu in einer Rede am 6. Dezember, dass es hierzu keinen Verhandlungsspielraum gibt, und: "Kennen sie ein Land, dass auf seine außenpolitische Vertretung verzichtet? Das ist unmöglich. Wenn es um Auftritte im Ausland geht, ist dort die spanische Regierung gefragt." Der Vorsitzende der sozialdemokratischen PSOE, José Luis Rodríguez, kritisierte den unversöhnlichen Kurs von Aznar in seinem Auftritt am 6. Dezember: "Unser Verfassungsmodell basiert auf der Unterschiedlichkeit und der Vielfalt Spaniens, das ist kein Problem, sondern die Lösung, damit sich alle Spanier wohl fühlen. 

In der Ära Aznar gab es aber sehr viele Konflikte mit den Regionen und sehr wenig Stabilität." Rodríguez propagierte das Konzept der PSOE, die Förderalisierung Spaniens: "Unsere Idee von Spanien ist moderner und basiert auf dem miteinander der Vielfalt und der Unterschiedlichkeiten." Die oppositionelle PSOE versucht, sich staatsmännisch als die bessere Partei zur Lösung der regionalen Konflikte darzustellen. Gegenüber der konservativen Regierung hat sie dabei voraus, dass sie keine modern verpackte Version des spanischen Zentralismus anpreist, sondern für eine Konsenslösung der Zentral - und Regionalregierungen eintritt. Als die PSOE Anfang Dezember verkündete, sie wolle selbst mit der baskischen PNV reden, um zu einer Lösung beim Streit um die Finanzautonomie zu kommen, erklärte der Finanzminister der Zentralregierung, Cristóbal Montoro, dies sei allein Aufgabe der Regierung. Im übrigen müsse er mal was klarstellen: "Dies sind keine Verhandlungen unter Gleichen: Es geht um eine Vereinbarung der nationalen Regierung mit einer untergeordneten autonomen Region." 

Enrique Villar, seitens der Zentralregierung zuständig für das Baskenland, stellte klar, warum es noch kein Steuerabkommen gibt: "Das noch nichts unterschrieben wurde liegt an den Unabhängigkeitsexzessen der nationalistischen Regierung, das Steuerabkommen kann keinesfalls ein Mittel sein, um die Absonderung zu forcieren." 

Einen Tag vor dem Tag der Verfassung hatte das baskische Regionalparlament auf Initiative 
Von PNV, EA und Vereinigter Linker in einer Entschließung das Verhalten der Zentralregierung in den Verhandlungen um das Steuerabkommen scharf kritisiert: Neben der "Wiederaufnahme des Dialoges" wurde auch erneut die "Teilnahme baskischer Institutionen in den Gremien der Europäischen Union" gefordert. 

Beim Steuerabkommen geht es um einen Machtkampf um mehr oder weniger Rechte der Region oder des Zentralstaates in der Europäischen Union. Einmal mehr zeigt sich, dass dies in Spanien besonders umstritten ist. Die Strategie der PNV, über einen Machtzuwachs für die Regionen zu einem faktisch von Spanien unabhängigen Baskenland zu gelangen, verspricht für baskische Nationalisten zunehmend mehr Erfolg als die militärische Konfrontation, mit der ETA seit Jahren politisch nicht mehr vorankommt. 

Die PSOE hat der PNV jetzt einen Deal vorgeschlagen: Die PSOE unterstützt die weitgehende Steuerautonomie des Baskenlandes im dortigen und im spanischen Parlament, 
wenn der PNV im Gegenzug beim Anti-ETA-Pakt der spanischen Parteien mitwirkt und die jede kommunale Zusammenarbeit mit Abgeordneten der baskisch-linksnationalen Partei Batasuna beendet. Zwar will die PSOE nichts von Delegierten der baskischen Regionalregierung in den Gremien der EU wissen, aber die Steuerautonomie würde vorbehaltlos unterstützt werden, wie Nicolás Redondo Terreros für die PSOE bei deren Feier zum Tag der Verfassung in Bilbao erklärte. 

Die spanische Regierung forcierte zeitgleich in Gremien der EU die europaweite Unterstützung für ihren harten Kurs gegen ETA. Das Treffen der EU-Justizminister  am 6. Dezember in Brüssel verständigte sich auf eine gemeinsame Definition des Straftatbestands Terrorismus. So wird es wohl ein Ende haben damit, dass linksnationalistische Basken und mutmaßliche ETA-Mitglieder in anderen EU-Ländern Asyl beantragen, wenn sie wegen Gerichtsverfahren an Spanien ausgeliefert werden sollen. Bislang war der Terrorismus nur in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien und Portugal als Straftatbestand aufgeführt. Mit dem Beschluss kann Terrorismus als solcher nun in allen EU-Staaten strafrechtlich geahndet werden. Bis Januar 2003 sollen alle EU-Länder entsprechende Gesetze beschliessen. Als Mindeststrafen wurden festgelegt: 15 Jahre für die Leitung einer terroristischen Organisation, 8 Jahre für Mitgliedschaft oder Unterstützung. Der EU-weite Haftbefehl konnte noch nicht beschlossen werden, weil Italiens Justizminister Robert Castelli sein Veto einlegte. Die Regierung Silvio Berlusconi unterstützt zwar einen Haftbefehl bei sechs verschiedenen "terroristischen Delikten", aber nicht bei Korruption und Bestechung: Wer will sich schon ins eigene Fleisch schneiden, laufen gegen  Berlusconi doch zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen derartiger Vorwürfe. 

Spätestens wenn Spanien am 1. Januar turnusgemäß die EU-Präsidentschaft für ein halbes Jahr übernimmt, wird eine Beschlußfassung hierzu erneut angestrebt werden.  Bei der "Liste der terroristischen Organisationen", die der Ministerrat beim EU-Gipfel in Laeken bei Brüssel am 15. Dezember beschließen wird, hat Spaniens Regierung sich nicht durchsetzen können. Mit Unterstützung der PSOE hat sie sich massiv dafür eingesetzt, das zwei Listen beschlossen werden: Zum einen sollte die bisher existierende Auflistung islamistischer Terrorgruppen, die mit dem 11. September in Verbindung gebracht werden , um alle bewaffneten Untergrundorganisationen, die in EU-Ländern operieren erweitert werden - vor allem um ETA, aber auch die IRA oder den korsischen FLNC. 

Hier hat vor allem die französische Regierung ihre strikte Ablehnung erklärt: Pierre Vimont, französischer Vertreter bei der EU, erklärte: Bei der Liste würde es um den internationalen islamistischen Terrorismus gehen, nicht um Gruppierungen, die regional operieren. 
Die zweite Liste sollte nach den Vorstellungen der spanischen Regierung die politischen Organisationen umfassen, welche die bewaffneten Untergrundorganisationen unterstützen würden. Dabei ging es vor allem darum, die im Baskenland im Mai 2001 von 10 Prozent gewählte linksnationalistische Partei Batasuna auf diese Weise europaweit zu kriminalisieren. Diese angedachte politische Liste wurde von mehreren EU-Mitgliedsländern absolut abgelehnt, weil es jetzt um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus gehen würde. 

Der Vorsitzende der PNV, Xabier Arzalluz, erklärte es für eine "Barbarei", dass die spanische Regierung eine solche Liste mit Batasuna als Unterstützerin des Terrorismus aufstellen wollte. Arzalluz bezeichnete Aznar deswegen als "Franquisten", Anhänger der 1975 beendeten Diktatur Francisco Francos. 

Editoriale Anmerkung:  

Dieser Artikel wurde uns vom Autor am 18. Jan 2002 zum Zwecke der Veröffentlichung zugeschickt. Der Autor arbeitet in der Gruppe Demontage mit.

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