Totaler Kriegsdienstverweigerer
im Arrest
BUNDESWEHR IN AFGHANISTAN 

von
F.-J. Murau

01/02  trend online zeitung

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Zu Beginn des Jahres hat die Bundeswehr dem Berliner Totalverweigerer Malik S. erneut eine dreiwöchige Arreststrafe aufgebrummt. Damit hat sich für den seit Anfang November in einer mickrigen Armeearrestzelle brummenden Verweigerer die Disziplinarstrafe wegen Befehlsverweigerung auf 77 Tage verlängert - frühestens am 24. Januar wird er die Zelle der Bundeswehrgarnison in Breitenburg bei Itzehoe endgültig verlassen können.

Wohl gemerkt: Diese Arrestierung, die durch das Truppendienstgericht Nord bestätigt worden war, ist keine Strafmaßnahme als Reaktion auf einen Gesetzesverstoß. Vergehen gegen das Wehrpflicht- oder das Soldatengesetz zu bestrafen, ist auch im vorliegenden Fall Sache eines zivilen Gerichts. Bundeswehrarrest soll nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen lediglich die - Zitat - "Bereitschaft" fördern, die "soldatische Pflicht zu erfüllen." Nur: Totale Kriegsdienstverweigerer sind pazifistische Gewissenstäter, deren Bereitschaft, soldatische Pflichten zu erfüllen, zwischen dem 56sten und dem 77sten Tag in einem nur sechs Quadratmeter großen Verlies sicherlich nicht anwachsen wird. Deshalb hat derart langes Wegsperren durchaus die Qualität von Strafmaßnahmen. Und deshalb sind selbst die zuständigen Truppendienstgerichte der Bundeswehr in aller Regel bisher in solchen Fällen über einen 63 Tage andauernden Arrest nicht hinausgegangen. Und deshalb sind die bisher verhängten dreieinhalb Monate für den zur Zeit einzig bei der Truppe einsitzenden Totalverweigerer auch für die Verhältnisse beim bundesdeutschen Militär bemerkenswert. Bemerkenswert vor allem auch, weil die Verhältnisse beim bundesdeutschen Militär heutzutage völlig andere sind als noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren. Auch wenn damals schon Pazifistinnen und Pazifisten völlig zurecht gegen die Wehrpflicht opponierten, so hatten ihre militärischen Befürworter doch ein Argument in der Hand, das eine gewisse Plausibilität für sich in Anspruch nehmen konnte. Denn die große Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung akzeptierte die These von der Notwendigkeit einer militärischen Landesverteidigung, die einerseits im Zusammenhang mit realen oder vermeintlichen Bedrohungen aus dem Osten und andererseits im Kontext mit der Wehrpflicht, die man als unerläßlich für die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr wahrnahm, gesehen wurde. Daran änderte - nebenbei bemerkt - auch die Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre nichts, die weder die Legitimität militärischer Verteidigungspolitik noch die Wehrpflicht prinzipiell und kritisch thematisierte. In einer etwas schlichteren Formulierung lautete der Konsens: "Wenn's eigene Häuschen überfallen wird, dann können und müssen sich alle Hausbewohner dagegen wehren - auch mit gewalttätigen Mitteln". Dieser Moral entsprachen nicht nur die nationalen, sondern auch die internationalen gesetzlichen Bestimmungen. In unseren Tagen hat die Aufgabenstellung der Bundeswehr bekanntermaßen nichts mehr mit Landesverteidigung zu tun. Einer der Begründungsstränge der Wehrpflicht, nämlich der ideologisch konstruierte Zusammenhang, daß sich die Bundesdeutschen kollektiv zu verteidigen hätten, wenn das bundesdeutsche Kollektiv angegriffen würde, ist auseinandergebrochen. Heute zieht die deutsche Armee - auf der ideologischen Ebene - für andere, weit abstraktere und gesellschaftlich kontroverere Ziele in den Krieg: für die "Verteidigung der Menschenrechte" wie etwa 1999 während des Kosovo-Krieges. Oder wie derzeit für die "Verteidigung der Zivilisation", die "Solidarität mit den USA" und den "Kampf gegen den Terrorismus". Diese Militäraktionen, an denen sich die Bundeswehr beteiligt, sind in der Öffentlichkeit wesentlich umstrittener als es das Recht auf militärische Landesverteidigung in den 70er und 80er Jahren jemals gewesen ist. Auch ist die Rechtmäßigkeit der geführten Kriege angesichts internationaler Normen und Regelungen durchaus zweifelhaft. Den Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vor drei Jahren darf man mit vollem Recht als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg bezeichnen. Auch die Aufgaben des Anfang Januar ausgelaufenen Flottenverbandes der Bundesmarine- sofern sie überhaupt vom Ministerium und den Militärs genauer umrissen wurden - scheinen eher etwas für Desperados und Gesetzlose zu sein. Auf See sollen vor dem Horn von Afrika Nachschubwege von Terroristen kontrolliert werden. Ein Vertreter der Bundesmarine erläuterte dazu, daß man dies in Kooperation mit den Besatzungen auf den zu durchsuchenden Schiffen abzuwickeln hoffe. Offen blieb, was passieren wird, wenn sich zivile Schiffe, die die "Allianz gegen den Terror" zu untersuchen wünscht, einer derartigen Zusammenarbeit verweigern. Den bundesdeutschen Marinesoldaten bliebe nichts anderes übrig, als diese Schiffe mit Gewalt zu entern. So wie dies bereits vor einigen Wochen US-amerikanische Spezialeinheiten vorexerziert haben. Konsequenterweise sollte man dann allerdings auch den Bundesadler am Flaggenmast der Fregatten "Emden" und "Köln" kurz vor solchen Aktionen durch eine Totenkopf ersetzen.

Für letztlich immer zweifelhaftere Zwecke ist die Politik und die Militärführung bereit, die Möglichkeit immer zweifelhafterer Aktionen in Kauf zu nehmen, offenbar bis hinein in die Grenzbereiche zur Piraterie. Natürlich: damit normalisiert sich die Außenpolitik der BRD ebenso wie sie sich militarisiert. Denn der Möglichkeit nach überall auf der Welt das Recht mit militärischen Mitteln selbst setzen zu können, zeichnet imperialistische Staaten als ebensolche aus. Das machen und machten die USA oder das britische Empire nicht anders. Nur: US-Amerikaner und Briten kommen dabei ohne Wehrpflicht aus. Sie zwingen ihre Bürger nicht, an Militärschlägen teilzunehmen oder diese indirekt zu unterstützen, die vielleicht vor internationalem Recht oder von der Mehrheit der Weltbevölkerung als illegal oder gar als kriminell eingestuft werden könnten. Vielleicht mag ja auch in den Gesellschaften der anderen imperialistischen Staaten das, mag sein, nur rudimentäre Wissen noch vorhanden sein, daß eine imperialistische Kanonenbootpolitik vor den Küsten Asiens, Afrikas und Südamerikas zu Hause in erster Linie den Konzernen und bestimmten Teilen des Kapitals zugute kommt. Weshalb es dann unfair wäre, die Kosten einer solchen Politik über die Wehrpflicht auf alle Gesellschaftsmitglieder umzulegen.

So liest sich also letztlich die unangemessene Arreststrafe für den Totalen Kriegsdienstverweigerer Malik S. als Ausdruck einer Strömung bei Militärs und in der offiziellen "Sicherheitspolitik", die unter den Bedingungen einer "normalisierten" und militarisierten imperialistischen Außenpolitik die Wehrpflicht beibehalten möchte. Man kann dies als Resultat einer verkommenen politischen Diskussionskultur verstehen, die sich trotz eines vollständigen Wechsels der außenpolitischen Rahmenbedingungen und einer völlig neuartigen Aufgabenstellung des deutschen Militärs in den letzten fünfzehn Jahren weigerte, die prinzipiellen Voraussetzungen einer solchen politischen Neuausrichtung auch nur anzusprechen. Man kann dies allerdings auch als Versuch verstehen, die militärischen Ausformungen des deutschen Imperialismus in guter alter Tradition zu einer Angelegenheit der gesamten deutschen Bevölkerung zu machen. Nichts anderes bedeutet heute die Beibehaltung und Durchsetzung der Wehrpflicht. Damit dann deutsche Soldaten irgendwo auf der Welt die Interessen von Energieversorgungskonzernen durchsetzen können, wird der gesamte männliche Teil der Bevölkerung unfreiwillig zu Zwangsdiensten gezogen. Eine Form der Sozialisierung, auf die wir nur allzu gut verzichten können.

Editoriale Anmerkung:  

Datum: Wed, 16 Jan 2002 00:33:18 +0100 
Von: Rüdiger Bröhling ruediger.broehling@gmx.net
 Betreff: KPD I/2002: Resümee des Afghanistan-Feldzuges
 

KALASCHNIKOV 
DAS RADIOMAGAZIN FÜR MILITANTEN PAZIFSMUS / PRESSEDIENST (KPD)

Liebe Leute, 
anbei senden wir Euch zwei Texte, die wir für unsere letzte Radio-Sendung am 9. Januar produziert haben. Im ersten Artikel bilanziert J. Smeets schon einmal den Afghanistan-Feldzug (Anlage 1). Im zweiten Text stellt F.-J. Murau einen Zusammenhang zwischen den neuen Aufgaben der Bundeswehr und der Tatsache her, daß das bundesdeutsche Militär zur Zeit einen "Totalen Kriegsdienstverweigerer" ungewöhnlich hart schikaniert. Nachdruck und Weiterverwendung unter Quellenangabe ist wie immer erwünscht. Aufmerksam machen möchten wir Euch noch auf eine Besprechung des Buches "ANGRIFF AUF DIE FREIHEIT - DIE ANSCHLÄGE IN DEN USA UND DIE 'NEUE WELTORDNUNG'", das im Trotzdem-Verlag im November 2001 erschienen ist. Wir haben die Rezension von der Sendung "Lauschangriff" ("Wüste Welle" Tübingen) übernommen; den Text der Besprechung findet ihr auf unserer Homepage: www.lahn.net/dfgvk/dfgvk.html

Es grüßt, DFG-VK Marburg, Redaktion Kalaschnikov 

KALASCHNIKOV ist seit 1996 bei "Radio Unerhört Marburg" auf Sendung und wird produziert von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Marburg