Resümee des Afghanistanfeldzuges

von J. Smeets

01/02  trend online zeitung

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1. Alles unter Kontrolle

Den Angriffen der US-Armee hatten die Taliban nichts Nennenswertes entgegenzusetzen, zumal sie im Vorfeld von jeder ausländischen Unterstützung, die sie bislang vornehmlich aus Pakistan und Saudi-Arabien erhalten hatten, abgeschnitten worden waren. Über einen Rückhalt in Afghanistan selbst verfügten die Taliban offenkundig nicht (mehr). Der militärische Zusammenbruch kam dementsprechend schnell, anders als in Jugoslawien reichten allerdings Bombardements nicht aus. Die Nordallianz war auch mit amerikanischer Luftunterstützung nicht in der Lage, die Taliban zu besiegen. Dementsprechend überrascht zeigte sich die amerikanische Führung nach wenigen Wochen der Luftangriffe über den hartnäckigen Widerstand der Taliban. Erst der Einsatz von US-Bodentruppen brachte den Wendepunkt. Über deren Verluste ist wenig bekannt. Offiziell wurde bislang nur ein Soldat getötet, andere Schätzungen gehen von 500 getöteten US-Soldaten aus. In jedem Fall ist das Mißverhältnis zur Zahl der getöteten afghanischen Soldaten und Zivilpersonen dramatisch.

Dennoch geht der Krieg auch Anfgang 2002 mit der Begründung weiter, man sei nach wie vor auf der Suche nach Osama bin Laden und Mullah Omar, dem Talibanchef. Die von den USA eingesetzte neue Regierung hat zwar freundlich nachgefragt, ob die Vereinigten Staaten vielleicht die Bombardements beenden könnten, diese Bitte wurde jedoch höflich, aber bestimmt zurückgewiesen. Nichts charakterisiert diese Regierung besser. Alles unter Kontrolle? Es fragt sich, was überhaupt kontrolliert werden soll? Die Städte, mögliche Pipelinerouten oder der gesamte, oft schwer zugängliche ländliche Raum? Dort können sich noch lange Reste der Taliban halten, ebenso rivalisierende Warlords ihre Fehden austragen, ohne daß von dort jedoch eine ernsthafte militärische Gefahr für die US- bzw. Nato-Truppen ausgeht. Damit die Mudjaheddin in den achtziger Jahren zu einer Bedrohung für die sowjetischen Truppen werden konnten, bedurfte es schon der massiven US-Militärhilfe. Diese ländlichen Gebiete tatsächlich zu kontrollieren, ist erstens nicht einfach, zweitens uninteressant. Keine afghanische Regierung hat je mehr als die größeren Städte kontrolliert; erst die prosowjetische Demokratische Volkspartei Afghanistans versuchte daran etwas zu ändern und stellte die bisherigen Machtverhältnisse auf dem Land in Frage. Aber weder eine Bodenreform, noch eine Alphabetisierung der ländlichen Bevölkerung liegen im Interesse der Nato-Staaten und der von ihnen eingesetzten Machthaber. Afghanistan wäre in eine befriedete Zone unter UNO- und Regierungskontrolle sowie eine der Herrschaft lokaler Warlords überlassene Zone aufgeteilt. Beide stehen im engen Kontakt miteinander und sind verzahnt. Die wichtigsten Kriegsherren stellen die Regierung. Äußerer Druck und Bestechung sorgen für die Stabilität der Konstruktion. Sie entspricht der neoliberalen Vorstellung vom schlanken Staat. Alphabetisierung, Bodenreform, flächendeckende Gesundheitsversorgung, Rechtsstaatlichkeit wird es in Afghanistan auch unter UNO-Verwaltung nicht geben.

2. Keine Gefangenen

Truppen der Nordallianz haben mit Unterstützung der US-Armee Massaker an Kriegsgefangenen verübt. Die Gefangenenrevolte in Masar-i-Sharif lieferte dafür den Vorwand. Vieles deutet darauf hin, daß der Aufstand vom CIA provoziert wurde. Seit wann werden Häftlingsrevolten eigentlich mit Luftangriffen niedergeschlagen? US-Kriegsminister Rumsfeld hat sich jedenfalls eindeutig geäußert. Es bestünde kein Interesse daran, nicht-afghanische Taliban und El-Quaida-Kämpfer wieder freizulassen. Die westliche Öffentlichkeit akzeptiert das ebenso wie die Demontage des Rechtsstaats zu Hause.

3. White man´s burden

Zumindest in Deutschland wurde als angebliches Motiv des Militäreinsatzes bald nicht mehr die bislang erfolglose Jagd nach bin Laden genannt, sondern der Sturz des menschenverachtenden Talibanregimes. Also wiedereinmal die Legende von der humanitären Intervention. Auffallend gering ist dagegen das Interesse am Sterben der afghanischen Flüchtlinge. Eine auffälliger Kontrast zu den Spendenkampagnen für albanische Flüchtlinge anläßlich des Kosovokrieges.

Für den linksliberalen Mittelstand reichen bereits Fotos von afghanischen Männern beim Barbier und afghanischen Frauen, die die Burka lüften, um ihn von der humanitären Notwendigkeit des Krieges zu überzeugen. US-amerikanische und europäisches Militär bringt Frieden und Zivilisation: Von der „Bürde des weißen Mannes“ sprach der Dichter des britischen Empires, Rudyard Kipling. Immer geht es um eine Mission: eine christliche Mission, eine zivilisatorische Mission, eine Friedensmission. Genauer hinschauen möchte man freilich nicht, auf die Bombentoten, die massakrierten Kriegsgefangenen und die islamischen Fundamentalisten, die man in Kabul als Regierung eingesetzt hat.

4. Burden sharing

Die Bundeswehr rückt zum größten Kriegseinsatz ihrer Geschichte aus. Ziel ist neben Afghanistan das Horn von Afrika. Die Militärpräsenz der UNO in Afghanistan ist mit 4.500 Soldaten mehr symbolisch und auf Kabul beschränkt Aber sie dürfte dennoch effektiv sein: Schließlich geht es erstens nicht darum, das gesamte Land wirklich zu kontrollieren, sondern eine Kontrolle der Städte und der Pipelinerouten ist völlig ausreichend. Zweitens ist es kein Problem, innerhalb kürzester Zeit die Zahl der Truppen massiv aufzustocken. Das reicht. Das muß reichen, denn das nächste Ziel ist bereits im Visier: Somalia.

Der Begriff „Schutztruppe“ stammt direkt aus der kolonialen Vergangenheit des wilhelmischen Deutschlands. Zur Schutztruppe gehört das Schutzgebiet. Also das Protektorat. Verglichen mit der damaligen Epoche fällt die stärkere Verzahnung des imperialistischen Vorgehens auf. UNO-Mandate sind an die Stelle rein nationaler Kolonien getreten. Den USA gelingt es so, Teile der Militäreinsätze, insbesondere die undankbare Aufgabe in Afghanistan und auf dem Balkan dauerhaft militärische Präsenz zu zeigen, auf die Verbündeten abzuwälzen, die gleichzeitig ebenfalls nach einer Stationierung von Truppen in eben jenen Gebieten streben. Bislang verfügt die Europäische Union noch nicht über eine Armee, um eigenständig zu intervenieren. Daran, daß sich das ändert, wird fieberhaft gearbeitet. In derselben Woche, in der der Euro als Bargeld eingeführt wird, rückt die Bundeswehr zum größten Militäreinsatz nach dem zweiten Weltkrieg aus.

5. Rechtsstaatsabbau und Krieg

Aufrüstung bedeutet Krieg. Krieg kostet Geld. Im technisierten Krieg schrumpft der Einsatz der Ausgaben für Soldaten zugunsten teuren technischen Materials. Allein das hält die Verluste an eigenen Soldaten gering. Die wirtschaftliche Situation der westlichen Nationen verschlechtert sich, die Steuereinnahmen schrumpfen, während gleichzeitig der Einsatz des Militärs ausgeweitet wird. Was passiert, wenn dieser Kurs von der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert wird? Die Instrumente liegen bereit. 

Editoriale Anmerkung:  

Datum: Wed, 16 Jan 2002 00:33:18 +0100
Von: Rüdiger Bröhling ruediger.broehling@gmx.net
Betreff: KPD I/2002: Resümee des Afghanistan-Feldzuges


KALASCHNIKOV
DAS RADIOMAGAZIN FÜR MILITANTEN PAZIFSMUS / PRESSEDIENST (KPD)

Liebe Leute,
anbei senden wir Euch zwei Texte, die wir für unsere letzte
Radio-Sendung am 9. Januar produziert haben. Im ersten Artikel
bilanziert J. Smeets schon einmal den Afghanistan-Feldzug (Anlage 1).
Im zweiten Text stellt F.-J. Murau einen Zusammenhang zwischen den neuen
Aufgaben der Bundeswehr und der Tatsache her, daß das bundesdeutsche
Militär zur Zeit einen "Totalen Kriegsdienstverweigerer" ungewöhnlich
hart schikaniert. Nachdruck und Weiterverwendung unter Quellenangabe ist
wie immer erwünscht.
Aufmerksam machen möchten wir Euch noch auf eine Besprechung des Buches
"ANGRIFF AUF DIE FREIHEIT - DIE ANSCHLÄGE IN DEN USA UND DIE 'NEUE
WELTORDNUNG'", das im Trotzdem-Verlag im November 2001 erschienen ist.
Wir haben die Rezension von der Sendung "Lauschangriff" ("Wüste Welle"
Tübingen) übernommen; den Text der Besprechung findet ihr auf unserer
Homepage: www.lahn.net/dfgvk/dfgvk.html .
Es grüßt,

DFG-VK Marburg, Redaktion Kalaschnikov

KALASCHNIKOV ist seit 1996 bei "Radio Unerhört Marburg" auf Sendung und
wird produziert von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Marburg