Unentschieden 
von D.D. für die Zeitschrift Übergänge

01/02

 
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Der Linken geht es wie Amerika. Sie hat über den Kommunismus triumphiert und ist am Ende. Sie scheint sich in ihre sämtlichen Einzelteile zu zerlegen, und doch gleicht, näher besehen, eines dem anderen. Links ist überall und nirgends.

An drei charakteristischen, wenn auch nicht unbedingt repräsentativen Fällen aus der Novemberausgabe der Konkret soll das demonstriert werden. Es ist auch eine Spurensuche nach dem Weg, der über die Linke wieder hinaus führt, statt, wie es vorgezeichnet scheint, noch hinter ihre besten Ein- und Absichten zurück.

Der hier folgende erste Teil befaßt sich hauptsächlich mit Thomas Ebermanns Versuch einer Rettung des linken Gemeinsinns („Maß des Mitwirkens“). In einem noch zu erarbeitenden weiteren Teil sollen dann vor allem die Beiträge von Matthias Küntzel („Das Fanal“) und Günther Jacob („Manhattan Transfer“) zur Kritik stehen, die auf je spezielle Weise das linke Weltbild zu hinterfragen scheinen und doch nur eine mittelmäßige Reproduktion zustande bringen.

Man könne „nicht gleichzeitig als ‚Soldat der Zivilisation‘, Anhänger der USA oder Freund des nur scheinbar ‚besonnenen‘ Deutschland, rumlaufen und Linker bleiben“, hat Thomas Ebermann befunden. Die auflagenstärkste Zeitschrift der Linken in Deutschland, in der er das schreibt, beweist das Gegenteil. Zwar äußern sich darin selbstverständlich keine ausgesprochenen Freunde Deutschlands, aber zumindest ein „Soldat der Zivilisation“ kommt an prominenter Stelle ausführlich zu Wort. Matthias Küntzel plädiert für ein verändertes „Paradigma der antikapitalistischen Kritik“, dahin gehend, daß zwar „selbstverständlich die amerikanische und die britische Politik weiterhin kritisiert werden“ müsse, „Jedoch nicht deshalb, weil sie die Djihadisten verfolgt, sondern weil sie diese nicht zielgenau und konsequent genug verfolgt.“ Was er im einzelnen zu sagen hat, mag jede Menge Widerspruch provozieren - eine Stellungnahme aus der Linken, ganz und gar in deren Tradition verankert, bleibt es allemal.

Was zu beweisen sein wird. Zunächst aber: Wer sind die von Thomas Ebermann gemeinten Linken, aus deren Gemeinde nun einige exkommuniziert werden sollen? Ebermann gibt selbst am Ende seines Textes einen Hinweis: Er erinnert an „diejenigen, die zu so mörderischen Mitteln wie dem Anschlag auf das World Trade Center nie gegriffen hätten, die Führer der Umwälzung (sagen wir: Che und Samora Machel) und die Führer der graduellen Besserstellung (vielleicht Allende, Lumumba, die Sandinisten)“ Und wofür stehen die? Jedenfalls nicht für „nur ein Prinzip, etwa die ‚objektive Unhaltbarkeit der herrschenden Produktions- und Lebensweise‘„, eher schon für den Abscheu gegen „die totalste Entrechtung der Frauen“, das Halten der „Bauern in feudaler Abhängigkeit, also in gewollter Armut und auch in gewollter Unwissenheit, und Dummheit“, für, positiv gesprochen, bürgerliche Gerechtigkeit also. Weil aber die bürgerliche Gesellschaft längst bewiesen hat, daß sie dieses ihr eigenes Versprechen wohl niemals nicht einlösen wird, ist die Linke irgendwie auch gegen sie und daher durchaus für eine andere „Produktions- und Lebensweise“. Aus eben dieser Perspektive geht aber, wie wir noch sehen werden, auch der „Soldat der Zivilisation“ die Dinge an, nur derzeit, zumindest was die Rhetorik betrifft, um einiges kämpferischer.

„Was gestern noch Traum war, die Führung in Mazedonien, ist nun marginal und mickrig. Ein KSK-Ein­satz in Zentralasien, das lockt schon mehr. Und so entsteht, all die ‚schmerzlichen Lücken‘, die europäischen Unzulänglichkeiten feststellend, ein Handlungsbedarf, eine Bereitschaft, den Militär­etat kräftig aufzustocken, fast widerspruchslos. Schon um nicht nur ein ‚Sanitätsschiff‘ im Angebot zu haben.“ So lautet einer aus dem Ebermannschen „Allerlei“ an Gründen, warum es Linken verboten sein soll, jetzt etwa „Soldat der Zivilisation“ zu werden. Aber was besagt dieser „Grund“? Weil Deutschland gar nicht so „besonnen“ ist, wie es tut; weil es in Wahrheit vielmehr ganz heiß ist aufs Mitmachen beim neuesten Feldzug gegen das Böse, um sein eigenes Süppchen darauf zu kochen; weil es die Gelegenheit nutzt, um seine eigene globale Kriegsfähigkeit ein gutes Stück voranzubringen - deshalb unterläßt man als ordentlicher Linker es tunlichst, den neuesten deutschen Pazifismus als das zu denunzieren, was er tatsächlich ist: ein „Aktivposten“ (Küntzel) „bei der Neuformierung Deutschlands“ (dito) in seiner strategischen Konkurrenz mit der etablierten amerikanischen Weltmacht?

Wenn schon nicht prinzipielle Überlegungen zu Krieg und Pazifismus aus revolutionärer, kommunistischer Sicht oder das Bedenken einschlägiger Erfahrungen aus dem vergangenen Jahrhundert, so gäbe doch zumindest deren allerjüngste reichlich Grund, die praktische Gegnerschaft der hiesigen Antikriegs-Szenerie gegen militärische Engagements des neuen Deutschland nicht allzu hoch zu veranschlagen: Als Faktor, der das offizielle politische Geschäft auch nur zu irritieren vermocht hätte, agierte sie beim ersten neudeutschen Krieg durchweg geradezu verdächtig hilflos. Nicht, weil man anders wirklich nicht gekonnt hätte, sondern weil man offenbar gar nicht ernsthaft gewollt hat. Andernfalls nämlich hätte man sich wenigstens zum Einfachsten und Nächstliegenden aufgerafft: in einer konzertierten Aktion an Himmelfahrt 1999 den Kriegsparteitag des grünen deutschen Außenministers kurzerhand auseinanderzujagen. Statt dessen kam Fischer mit einem roten Ohr davon, und der Unterschied zwischen den einen, die ihr frommes Bekenntnis gegen den sogenannten „Angriffskrieg“ ebenso unverdrossen wie folgenlos auf die Straße getragen hatten, und den anderen, die von vornherein innerlich zerrissen zu Hause geblieben waren, verkam am Ende zur irrelevanten Fußnote in der deutschen Politik. Um so leichter fällt es heute, wieder glücklich vereint „gegen Terror und Krieg“ durch Deutschlands Straßen zu ziehen, und wir dürfen sicher sein, daß die inzwischen rundum gelungene Verwirklichung dessen, „was gestern noch Traum war“, dabei für die meisten nicht einmal mehr ein Thema ist.

„Kräfteverhältnisse“

Wie sehr es andererseits das Linkssein im Innersten offenbar dazu drängt, im Angesicht des angeschlagenen Imperiums der westlichen Zivilisation sich zu dessen erstem Verteidiger aufzuwerfen, dafür mag der Aufwand Indiz sein, mit dem Ebermann selbst lieber gar nicht wissen will, wie es um Amerikas Weltmacht tatsächlich steht und sich statt dessen an einen „Anspruch“ klammert, den diese „formuliert“ habe. Er „teile Gremlizas Gewißheit, nach der die USA bereits als Verlierer feststehen, nicht“, sagt er. Aber mit jedem Wort, das nicht überhaupt neben der Sache liegt, gibt er ihr Futter.

Amerikas „Bündnis gegen den Terror“, heißt es gleich im dritten Absatz, bringe „Kräfteverhältnisse ans Licht, die in ruhigeren Zeiten verborgen sind.“ Die Kräfte indes, die uns Ebermann „zum Beispiel“ vorführt, bleiben entweder völlig unbestimmt oder erweisen sich, wo näher bestimmt, als derart unverhältnismäßig, daß über die Sache im Ganzen auch er - trotz gegenteiliger Vorsätze - nur wortreich spekulieren kann. Da sehen wir auf der einen Seite die USA und besagten „Anspruch“, „der die übrige Staatenwelt vor die Frage stellt: ‚Für uns oder gegen uns?‘„ Und auf der anderen Seite? Potentiell der ganze Rest der Welt. Die Einzelheiten werden von Fall zu Fall entschieden. Genau das aber besagte „Gremlizas Gewißheit“: Amerika hat sich tot gesiegt. Es hat den selbst angezettelten Kalten Krieg um die alleinige Vorherrschaft in der Welt gewonnen und findet logischerweise diese Welt nun voller Freunde jener subalternen Sorte vor, von der es heißt, daß, wer sie habe, keine Feinde mehr brauche.

Der „Eindruck …, die Golfkriegs-Allianz sei zerfallen und nicht reproduzierbar“, habe getrogen, möchte Ebermann glauben, weil nun ein anderer „Eindruck“ wirksam werde: „Unter dem Eindruck der Schlagkraft des aufgefahrenen Kriegsgeräts (und sicher auch in Auswertung von Golf- und Jugoslawienkrieg) wird das ungleiche Bündnis nun größer“. Warum das? Warum sollte es sich nicht um ein ganz anderes Bündnis handeln, in dem sich zur Zeit unter anderen auch die Golf­kriegs-Alliierten wiederfinden? Die Golfkriegs-Allianz hatte einen genau definierten Zweck, die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Kuwaits, und sich mit dessen Verwirklichung daher auch erledigt. Das jetzt von den USA ins Leben gerufene „Bündnis gegen den Terror“ hat weder einen ähnlich klar definierten Zweck vorzuweisen, noch ist der Kreis der Teilnehmer irgendwie bestimmt, vielmehr ist ganz offiziell von wechselnden Allianzen die Rede. Für Rußlands derzeitige Teilnahme war der Umstand entscheidend, daß der aktuell ausgeguckte Herd des amerikafeindlichen Terrorismus, die afghanischen Taliban, sich mit bestimmten eigenen Problemen (Tschetschenien) gut zur Deckung bringen läßt, während die „Auswertung von Golf- und Jugoslawienkrieg“ eher in die entgegengesetzte Richtung wirkt. Auch die Zustimmung der Nuklearmacht China zum Militäreinsatz der USA dürfte am allerwenigsten der eindrucksvollen „Schlagkraft des aufgefahrenen Kriegsgeräts“ zuzuschreiben sein. Und apropos „Auswertung des Golfkriegs“, den das irakische Regime bekanntlich überlebt hat: In welchem Kaffeesatz hat Ebermann gelesen, daß es etwa für den Iran, der den Beitritt zu Amerikas Bündnis bislang verweigert, jetzt „existentiell gefährlich“ werde?

„amerikanisches und deutsches Interesse“

Mit „Geschwätz“, hatte er uns eingangs wissen lassen, wolle er sich nicht aufhalten, halte es lieber mit dem „analytischen Begreifen“. Er hat es wohl nötig. Im Text wimmelt es nämlich von Formulierungen, die vorsichtshalber jegliche analytische Unterscheidung vermissen lassen. Formeln wie die, daß „die USA … stets Konkurrent und Verbündeter“ der Europäer seien, halten den Diskurs für alle Richtungen offen, weil sie ebenso wahr sind (wenn wir einmal das „stets“ nicht allzu wörtlich auslegen) wie nichtssagend. Wo endet das Bündnis, wo beginnt die Konkurrenz? Worum konkurrieren Amerikaner und Europäer? Gegen wen oder was sind sie verbündet? Ebermann mag sich da wohlweislich nicht festlegen.

Daß mit der Aussicht auf etliche Milliarden Barrel Öl in der zentralasiatischen Erdkruste „Interessen“ geweckt sind, leuchtet natürlich ein. Daß „eine sichere Pipeline-Route durch Afghanistan und Pakistan“ deutsche Interessen mit amerikanischen irgendwie verbinde, ist wohl auch nicht nur aus der Luft gegriffen. Daß jedoch diese Interessen ausgerechnet durch eine „‚islamistische Expansion‘, für die die Taliban stehen“, jetzt gefährdet gewesen seien, glaubt Ebermann offenbar selber nicht wirklich. Seine „islamistische Expansion“ hat er für alle Fälle in Anführungszeichen gesetzt. Die Taliban mögen ja für vieles stehen, aber sicher ganz zuletzt für eine Expansion ihres Islamismus gegen den Westen. Rußland und der islamistische Iran waren da viel eher betroffen. Und was die Sicherheit der Verkehrswege durch Afghanistan angeht, hatte es an sich näher gelegen, die Taliban energisch zu unterstützen, standen sie hier doch vor allem für die Beendigung einer knapp zwanzigjährigen Folge ununterbrochener Bürger- und Bandenkriege durch Entwaffnung der Bevölkerung. Dagegen steht nach dem Sturz der Taliban die Zukunft des Landes wieder völlig in den Sternen. Pipelineprojekte, wenn sie denn ernsthaft ins Auge gefaßt waren, dürften damit vollends „zu den Akten des Absurden geschrieben“ (die Welt, 19.11.01) sein.

Seines Wissens, berichtet Ebermann, sein „amerikanisches und deutsches Interesse“ uns näherzubringen, habe „Deutschland sehr massiv“ Alarm geschlagen, „daß hier“ (nämlich in Sachen „Pipeline-Route“ und „islamistische Expansion“) „dringender Handlungsbedarf sei“. In Klammern verweist er „zum Beispiel“ auf Äußerungen „vom Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt, Schmillen, aus Anlaß von Fischers Zentralasienreise im Januar 2001 in der ‚FAZ‘„ und fährt dann fort: „ein koordiniertes Vorgehen mit den USA, Rußland und China wurde hier erhofft. Auch die diesbezüglichen US-Pla­nungen datieren weit vor dem 11. September.“ Wenn aber die USA längst „diesbezügliche“ Planungen in Arbeit hatten, von denen sogar Ebermann gewußt hat, warum hat Deutschland dann „Alarm geschlagen“? Was da von Deutschland „erhofft“ worden und was Gegenstand der „US-Planun­gen“ gewesen sein mag, sind anscheinend zwei verschiedene Paar Schuhe, und was aus deutschen Hoffnungen und amerikanischen Planungen nach dem 11. September geworden ist, womöglich ein drittes.

Das von Ebermann zitierte „Beispiel“ (es datiert, wie Fischers Zentralasienreise, vom Mai dieses Jahres, nicht vom Januar) kann übrigens in diesem Punkt durchaus einiges erhellen. Der „Alarm“, der da geschlagen wurde, entsprang keineswegs der Sorge, die USA widmeten dem zentralasiatischen Raum zu wenig Aufmerksamkeit und brächten damit ein gemeinsames „amerikanisches und deutsches Interesse“ in Gefahr. Im Gegenteil. Aus dem Umstand, daß „Noch … keine bedeutende Macht die Region als ein Gebiet von vitalem Interesse definiert“ habe, wird am Ende auf „allerlei Chancen“ geschlossen. Die Sorgen gelten nämlich zu allererst der von der amerikanischen deutlich abgegrenzten deutsch-europäischen Interessenlage in dem Gebiet.

In der FAZ (15. 5. 01, „Neues ‚great game‘ in Zentralasien?“) ist der „Alarm“ freilich weniger „massiv“ ausgefallen, als er offenbar gemeint war. Die ungekürzte Fassung des Textes, nachzulesen auf den Internetseiten des Auswärtigen Amtes, hatte sich jedenfalls erheblich geringere Zurückhaltung auferlegt. „Die Vereinigten Staaten haben in den letzten Jahren eine auffallend diffuse und wenig kooperative Rolle in der Region gespielt“, heißt es dort. Das „wenig kooperativ“ wurde für die FAZ gestrichen, ebenso die folgende Bemerkung: „Die Unterschrift unter Verträge zwischen amerikanischen Ölfirmen und der Regierung von Kasachstan und Aserbeidschan 1993/94 haben diese Region erst richtig in das Bewusstsein amerikanischer Entscheidungsträger gebracht. Die zentralasiatischen Staaten wurden dabei statt zum Partner immer mehr zum Objekt der amerikanischen Politik. Mittlerweile haben anti-amerikanische Einstellungen vielerorts die Begeisterung der ersten Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges abgelöst.“ Noch etwas kategorischer äußern sich die Planer im deutschen Außenministerium in einem Papier (wahrscheinlich eine Vorarbeit zum Text des Herrn Schmillen) mit demselben Titel, aber unter anderer Autorenschaft. Darin werden „Die Akteure und ihre Interessen“ von einem Dr. Kreft und einem Herrn Huterer folgendermaßen beurteilt:

„Grundsätzlich sind alle für die Großregion wesentlichen staatlichen Akteure in und außerhalb der Region an Stabilität in diesem Raum interessiert.

Dabei gibt es jedoch konkurrierende Ziele und Konzeptionen. Auf der einen Seite stehen Russland und - etwas weniger stark ausgeprägt - die USA und China, die Türkei und der Iran, die ganz im Sinne eines traditionellen Nullsummenspiels in der Tradition des ‚Great Game‘ darauf zielen, ihren Einfluss in der Großregion zu vergrößern oder zumindest zu bewahren.

Auf der anderen Seite stehen jene, die an einer Stärkung der Staatlichkeit der Länder der Großregion und an ihrer Kooperation untereinander und innerhalb der Staatenwelt interessiert sind. Das sind zum einen die betroffenen Staaten selbst und zum anderen v.a. Europa. Prinzipiell können noch Japan, Australien, Südkorea und mit Abstrichen auch Indien dazugerechnet werden. Der Iran und auch die Türkei könnten unter Umständen dafür gewonnen werden.“

Vor diesem Hintergrund erhält jene deutsche Hoffnung auf „ein koordiniertes Vorgehen mit den USA, Rußland und China“, die Ebermann mit „diesbezüglichen US-Planungen“ mühelos („Auch“) in Einklang bringt, einen ganz anderen Sinn. Ein Deutschland, dem die Fähigkeit abgeht, aus dem Stand gleichgewichtig mitzumischen bei der neuen Runde jenes alten „Großen Spiels“ um die Brücke zwischen Rußland und dem indischen Subkontinent, in dem schon das deutsche Kaiserreich über eine Statistenrolle nicht hinausgekommen ist, sucht aus dieser Not eine Tugend zu machen. Es erklärt sich offiziell desinteressiert am „Great Game“ und derart prädestiniert zum Anwalt der mißachteten und geschundenen Objekte des Spiels. Es geht also auf gleiche Distanz zu allen beteiligten Großmächten, und das heißt bei der gegebenen Ausgangslage zunächst einmal: Deutschland rückt ab von seiner besonderen Bindung an die USA.

„Die Grenzen unserer eigenen Handlungsmöglichkeiten müssen klar sein“, heißt es abschließend im Beitrag des Herrn Schmillen für die FAZ. Und weiter: „Für eine Politik, die Stabilität und Kooperation schaffen möchte, müssen andere Akteure, vor allem Rußland, China und die Vereinigten Staaten, gewonnen werden. Nur dann läßt sich ein breiter Lösungsansatz finden.“ - „andere Akteure“ kann nur „gewinnen“ wollen, wer sie auf Abwegen sieht. Und nicht zufällig rangieren hier Rußland und China als potentielle Partner vor den USA. Mit der letzten verbliebenen Weltmacht verbindet Deutschland vor allem die Erinnerung an jene schlimme Zeit nach der letzten großdeutschen Niederlage, da die schützende Hand des großen Bruders im Westen dazu nötig schien, den Kommunismus im eigenen Hausflur in Schach zu halten. Mit Rußland und China teilt man dagegen jetzt von vornherein die Allgegenwart der eigenen Zweitrangigkeit.

Zu den „Grenzen unserer eigenen Handlungsmöglichkeiten“ gehört es gerade, daß man von den USA gar nicht gefragt wird, wie man es denn gerne hätte. Deren Kurs zu modifizieren, bedarf es anderer, kombinierter Kräfte. Die von Ebermann zitierte deutsche Hoffnung auf Koordination konnte daher nur die Hoffnung darauf sein, mit Hilfe von Mächten wie Rußland und China die USA „kooperativ“ zu machen. Die Kooperation ist nun zustande gekommen, viel schneller als geträumt und mit einer Schützenhilfe, die so vermutlich niemand auf dem Zettel stehen hatte. Und einmal mehr scheint es fast so, als hätte Deutschland einen Pakt mit des Teufels Großmutter, Frau Geschichte persönlich geschlossen: Amerika plant, und Deutschlands Hoffnung trägt Früchte.

„definierbare Außenpolitik“

Einen aufschlußreichen Tiefpunkt erreicht Ebermanns Argumentation, wo sie beim „Beispiel Klaus Theweleit“ ausgerechnet „nur eigenes (linkes) Unverständnis“ am Werke sieht. Nicht verstanden hat hier nämlich vor allem Thomas Ebermann selbst. Das geht schon damit los, daß ihm anscheinend nicht aufgefallen ist, wo Herr Theweleit sein „Unverständnis“ zum besten gegeben hat: dort nämlich (Tagesspiegel , taz), wo man deutsche Außenpolitik in regierungsdeutscher Absicht, nicht etwa in Opposition zu deutschen Interessen diskutiert. Geradezu grotesk wird es aber, wenn Ebermann dem diagnostizierten Mangel an Verständnis mit der Aufklärung auf die Beine helfen möchte, der Opportunismus im Agieren der Weltmacht USA, den Theweleit beklagt, die Verwandlung von Freunden in Schurken und umgekehrt, „je nachdem“ - das sei „eben besonnene und kalkulierte Außenpolitik.“ Na gut, Theweleit nennt das lieber ein „Versagen der amerikanischen Politik“ (taz-Interview vom 19.9) oder auch „nur Macht- und Interessenssphären“ anstelle einer „definierbaren Außenpolitik“ (Tagesspiegel, 20.9.). So what?

Daß die Amerikaner bei allem, was sie so treiben in der Welt, nicht besinnungslos umherlaufen, daß sie bei jedem ihrer Unternehmen sich auch etwas gedacht haben, daß sie „kalkulieren“, was sie tun, das hatte Herr Theweleit wohl kaum bestreiten wollen. Er findet nur, daß Politik sich doch an Höherem zu messen habe als am schnöden partiellen Interesse, und darin ist er ganz deutscher Ideologe, daher an sich nur zu denunzieren, nicht zu kritisieren. Die Linke allerdings, in deren Namen Ebermann ja argumentiert und der natürlich auch Theweleit angehört, hat hier ein Problem. Denn unter dem von Ebermann später reklamierten „menschenfreundlichen Standpunkt“, der ständigen Vertretung des allgemeinen Menschheitsglücks hat sie’s eigentlich noch nie gemacht. Längst entsorgt ist jedenfalls die einst mühsam errungene Erkenntnis, daß Politik gerade etwas damit zu tun hat, daß es die Menschheit als positives Subjekt noch gar nicht gibt; daß so etwas nur erst negativ dort aufscheint, wo alle bloß partiellen, ethnischen, familiären und selbst nationalen Existenzweisen im „völligen Verlust des Menschen“ (Marx) aufgelöst sind; daß also das wirkliche Subjekt universeller Emanzipation nur ein an sich selbst total entmenschlichtes sein kann: seit Marx das Proletariat geheißen.

Das Reklamieren der höheren Werte hat die deutsche Ideologie schon immer in besonderem Maße ausgezeichnet und ihre grundsätzliche Affinität zum Linkssein ausgemacht. Es ist die Macke der zu kurz gekommenen oder verhinderten Bürger. Darum ist es weder dummer Zufall, noch bloß zufällige Dummheit wenn namentlich in Deutschland immer wieder gestandene Linke genau den Tonfall anstimmen, mit dem seit Kaisers Zeiten bis heute das deutsche Großbürgertum seine globalen Interessen anmeldet. Während die erstgeborenen kapitalistischen Nationen meist ganz ohne Hehl ihr je eigenes Wesen an der Welt haben genesen lassen, strebt Deutschland immer von neuem danach, daß am deutschen Wesen einmal die Welt genese.

Theweleit hat sehr gut verstanden. Seine merkwürdig kategorische Unterscheidung zwischen dem Besitz hier einer „Außenpolitik“ und dort „nur“ von „Macht- und Interessenssphären“ ist eine exakte Reproduktion jenes Lamentos, das - mal lauter, mal leiser - seit der Wiederherstellung Deutschlands dessen systematische Wühlarbeit gegen den großen Bruder Amerika unermüdlich begleitet. Der Inhaber des Titels auf die Weltherrschaft, von Egoismus und Selbstzufriedenheit demoralisiert, lasse sein Imperium verkommen und habe schon deshalb den Titel eigentlich verwirkt - so grummelt es aus dem deutschen Feuilleton, aus außenpolitischen Expertenrunden und Hintergrundberichten, und manchmal sagt’s sogar - hübsch verpackt in freundschaftliche Mahnungen - ein abgetretener deutscher Außenminister. „Amerika“, sprach zum einjährigen Jubiläum des amerikanisch geführten deutschen Kriegs um das Kosovo Klaus Kinkel in der FAZ, verstehe „von einer Position der übermächtigen Stärke aus Weltpolitik einzig als amerikanische Interessenpolitik“, und fand, das müsse anders werden.

„Eckpunkte forciert“

So harmlos, wie Ebermann es gerne sehen möchte, liegen die Dinge freilich nicht. Der Verfall des Imperiums ist keine fixe Idee, die sich unverständige Köpfe „nur noch aus dem Himmel der Ideologie ableiten“. Die Ideologie ist der bedingte Reflex realer Gegebenheiten. Und dieser vertrackten Realität muß auch Ebermann Tribut zollen, wenn ihm da der bemerkenswerte Satz herausrutscht: „Die Eckpunkte amerikanischer Interessenpolitik werden in Reaktion auf das Massaker nicht neu erfunden, sondern sie werden forciert.“ Denn diese „Feststellung“, die ihm, wie er hervorhebt, „zentral“ scheine, besagt genau das Gegenteil dessen, was nach menschlichem Ermessen ihr Autor hat sagen wollen. Wie immer auch man interpretieren möchte, was Amerikas „Eckpunkten“ darin passiert, die Politik, die sie markieren, befände sich in fataler Lage. Interpretierten wir die Angelegenheit dynamisch, im Sinne, daß da einer Bewegung größerer Schwung verliehen werde, dann wäre die „amerikanische Interessenpolitik“ seit dem 11.9. offenbar vollends ins Rotieren gekommen. Zögen wir die statische Auslegung vor, dann hätte Amerika mit jenem Datum nicht bloß an Details, sondern am großen Ganzen seiner Politik drohenden oder schon eingetretenen Schaden ausgemacht. Ebermann bleibt hier, wie gehabt, unentschieden und damit ebenso realistisch wie für jedes „Geschwätz“ offen.

Was steht da im Wege? Was hindert ihn an jenem „analytischen Begreifen“, das er sich vorgenommen hatte? Wie kommt es zum Beispiel, daß er Clintons Rede zitieren kann, der Krieg gegen Jugoslawien sei „kein Einzelfall“, ohne darauf aufmerksam zu werden, was aus diesem Fall inzwischen geworden ist? Oder welcher innere Notstand treibt ihn zu der Fehlleistung, ausgerechnet Somalia, wo die USA vor acht Jahren sich eine ziemlich blutige Nase geholt haben, zu den „Ecken der Welt“ zu zählen, „die man wegen ihrer Bedeutungslosigkeit ignoriert hätte“? Last not least: Wenn es denn der Rede wert ist und nicht bloß eine persönliche Marotte des Herrn Brzezinski, darauf herumzureiten, daß „auf der eurasischen Landmasse“ Amerika seine „‚globale Führungsrolle‘ im 21. Jahrhundert beweisen muß“, warum kommt Ebermann nicht auf die nächstliegende Frage, wer denn wohl diese Rolle zur Disposition gestellt hat?

„Die amerikanische Ordnungspolitik“, schreibt er, „hat Deutschland viele Vorteile gebracht, der Aufstieg der Bundesrepublik vollzog sich in diesem Schlepptau.“ Völlig Richtig. Nur, daß die „Ordnung“, auf die sich jene Politik bezog, dabei am Ende unweigerlich zum Teufel ging. „Was Deutschland letztlich dürfen“ und was es „sich herausnehmen wird - in den nächsten Jahren“, wissen wir natürlich ebensowenig wie Thomas Ebermann. Aber „analytisches Begreifen“ hätte schon auch eine Würdigung der historischen Pointe verlangt, die es bedeutet, wenn zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Nato, wie die FAZ (25.10) konstatieren mußte, „zwar die in Artikel fünf des Bündnisvertrages vorgesehene Beistandspflicht proklamiert hat, bei der Militäraktion aber bestenfalls eine Rolle am Rande spielt“. Auch weil manche Linke, die es nach Ebermanns Kriterien bleiben dürfen, hier einen gedankenlosen Wortschwall produzieren, der Böses ahnen läßt..

„Generalmobilmachung“

„Niemals zuvor“, halluziniert etwa Jutta Ditfurth im selben Konkret-Heft, „hatte die Nato so freie Bahn, um die Interessen der kapitalistischen Zentren durchzusetzen.“ Und sieht gleichzeitig es in jenen Zentren selbst ziemlich hoch hergehen gegen „linksradikale Oppositionelle“, denen man nur noch durch „diktatorische Schübe“, den Angriff auf „die Reste bürgerlicher Freiheit“ beizukommen scheint. Eine „imperialistische Generalmobilmachung“ sei da im Gange, die anscheinend auf eigenartig geglückte Weise zu spät gekommen ist, findet sie doch statt „bei gleichzeitiger Kapitulation vieler Staaten im Trikont.“ Und auch in den Zentren selbst wird alles wieder gut. „Die Masse der Globalisierungskritiker“, stellt sich heraus, „ist versöhnt mit den herrschenden Verhältnissen.“

Gegen wen also richtet sich jene „Generalmobilmachung“, die Frau Ditfurth zu der wiederholten Versicherung Anlaß gibt, daß das „Kein Weltkrieg“ sei? Wenn es sich tatsächlich vielmehr um eine „niemals zuvor … so weltumspannende Allianz zur uneingeschränkten Unterstützung der US­-Außenpolitik“ handelte, warum nimmt dann die Geschichte derart martialische Formen an? Etwa, weil die Amis nun einmal schießwütige Cowboys sind?

In der Tat ist inständig zu hoffen, daß Ditfurth mit ihrer Versicherung für diesmal jedenfalls recht behält. Denn „Mensch stelle sich vor, die Angriffe der US-Regierung … auf Afghanistan bleiben“ nicht „territorial begrenzt“ und auch kein „Erleichtertes Aufatmen“ stünde am Ende, sondern doch so etwas wie ein „Weltkrieg“ nach dem Muster der beiden großen imperialistischen Kriege des vergangenen Jahrhunderts, die dieses Wort geprägt haben. Ein Krieg also zwischen konkurrierenden imperialistischen Koalitionen, in dem Deutschland die Gelegenheit beim Schopfe packte, jenes von Ebermann angesprochene „große deutsche ‚Aber‘„ gegen beanspruchte Bünd­nis­­treue ein- für allemal zu erledigen, daß es nicht einfach ignorieren kann, „wie viele eigene Wege die USA“ ihm „noch erlauben“. Dreimal dürfen wir raten, wo sich wohl eine Linke wiederfände, die sich, wie hier Jutta Ditfurth, ohne jede Anstrengung, noch irgend etwas zu begreifen, auf die USA als Oberschurken festgelegt hat, wenn dieser demnächst zum Beispiel sich genötigt sähe, mangelnder deutscher Loyalität gewaltsam nachzuhelfen.

Die Parolen der dann links einmal mehr fälligen Reinszenierung alter sozialdemokratischer Heldentaten sind bereits vorformuliert. Auch die Sozialdemokratie von 1914 hatte ja nicht eigentlich für Krieg votiert, sondern sich bloß dem Unabänderlichen gefügt. Der Oberschurke hieß damals russischer Zarismus, und schon die Geographie der einander gegenüberstehenden Kriegskoalitionen legte nahe, daß das von lauter Feinden umgebene Heimatland der Sozialdemokratie vor allem anderen sich seiner nackten Haut zu wehren habe. Konnte es da einen Zweifel geben an der Gerechtigkeit einer Verteidigung des Vaterlandes?

„menschenfreundlicher Standpunkt“

Als die sozialdemokratische Reichstagsfraktion am 4. August 1914 die Kriegskredite bewilligte, versäumte sie nicht zu versichern, daß „wir … jeden Eroberungskrieg verurteilen“. In der Opposition gegen den Kosovokrieg gab es in keinem Punkt größere Einmütigkeit als darin, den Krieg als einen „Angriffskrieg“ zu brandmarken. Mit dem Ansinnen großer Teile der Friedensbewegung, die UN als eine Instanz ins Spiel zu bringen, die über die Rechtmäßigkeit des Krieges zu entscheiden habe, wollte man linksradikal nicht gern etwas zu tun haben, aber nur deshalb, weil mit diesem Versuch, jener allseits brav heruntergebeteten Litanei vom „Angriffskrieg“ eine praktische Form zu geben, sie politisch handhabbar zu machen, ihr armseliger Gehalt ans Licht kam. Denn wo sonst könnte im Ernst die Frage von Bedeutung sein, wer mit dem Krieg angefangen, wer angegriffen und wer sich bloß verteidigt habe, außer vor den Schranken einer höheren, weltstaatlichen Gerechtigkeit, die allein anders über Kriege entscheiden könnte als nach deren eigenem immanenten Gesetz, d.h. durch Sieg und Niederlage?

Das ist die alte schlechte Angewohnheit des Kleinbürgertums, den unparteiischen Standpunkt einzuklagen, noch ehe die Parteien in der Wirklichkeit überwunden sind. „Nicht gedacht“, weiß Jutta Ditfurth zu erzählen, sei bei Amerikas Krieg gegen Afghanistan „an die Abschaffung der Ausbeutung“. Wer hätte das gedacht! Beziehungsweise: Eine Linke, die selber nicht einmal zu ahnen scheint, daß die „bürgerlichen Freiheiten“, denen es angeblich gerade an den Kragen gehe, bloß die dazugehörige Vorderansicht derselben „Ausbeutung“ darstellen, die sie gerne „abgeschafft“ sähe, wen möchte die mit dieser Enthüllung hinter welchem Ofen hervorlocken? Und in welchen himmlischen Sphären mag wohl hausen, wer die unterstellte Vorgabe, „Die imperialistische Weltordnung soll reibungslos funktionieren“, nicht für einen frommen Wunsch, sondern für einen „materiellen“ Kriegsgrund hält?

Eine solche Position der ideellen, bloß postulierten Gerechtigkeit ist jedesmal genau nur solange zu halten, wie für sie selbst der Ernstfall noch nicht eingetreten ist; solange es also hauptsächlich um die „Opfer der deutschen und der US-Au­ßenpolitik in Chile oder Afrika, im Iran, Irak oder in Jugoslawien“ geht, zu Hause mit etwas „mehr Sozialhilfe oder Rente“ es sich eigentlich ganz gut leben ließe und die Bereitstellung deutschen Militärs out of area zum existentiellen Problem höchstens für die entsendeten Soldaten werden kann und für jene, die zufällig in politischer Verantwortung stehen; solange Thomas Ebermann einen Prof. Hankel zitieren kann, daß „aus jedem Blutbad … der Kapitalismus gestärkt“ hervorgehe und „ein größeres oder kleineres Wirtschaftswunder“ ins Haus stehe, ohne ihm den offensichtlichen Blödsinn sofort ins professorale Maul zurückzustopfen; kurzum: solange die „Generalmobilmachung“ als rhetorische Figur herhalten muß, in linken Selbstverständigungspamphleten die „Zumutung des Gedankens“ zu verscheuchen.

Wörtlich und ernst genommen heißt „Generalmobilmachung“, daß niemand davon verschont bleibt, Kriegspartei zu werden. Dies war denn auch die historische Wirklichkeit, der das Wort entstammt. Wer im ersten imperialistischen Weltgemetzel nicht auf seiten einer der kriegführenden Mächte enden wollte, dem blieb nur eine einzige andere Partei: die des bewaffneten Sturzes dieser Mächte und des revolutionären Bürgerkriegs gegen sie. Und selbst die Herausbildung dieser dritten, revolutionären Partei fand nicht auf neutralem Boden statt: Es waren keine den Kriegsdienst verweigernden pazifistischen Helden, sondern die mobilgemachten Massen selbst, die Millionen gegeneinander geschlagener, in Soldatenuniformen steckender oder Uniformen und Kanonen für die Soldaten produzierender proletarischer Männer und Frauen, die den Sturz herbeiführten, dem imperialistischen Krieg ein Ende, die Revolution in Gang setzten und sich im Krieg mit der Konterrevolution wiederfanden. Einer Konterrevolution übrigens, als deren Bahnbrecher und Steigbügelhalter immer wieder, beginnend mit dem Januar 1919 in Deutschland und nicht endend mit dem September 1973 in Chile, genau jene „Führer der graduellen Besserstellung“ funktioniert haben, die von einem Thomas Ebermann heute wie selbstverständlich als bloß abgeschwächte Variante der „Umwälzung“ verbucht werden.

Vielleicht gibt uns ja der Lauf der Welt wirklich noch eine Frist. Vielleicht rettet sich Amerikas „Bündnis gegen den Terror“ über den Tag, und es bleibt noch etwas Zeit, der Frage nachzugehen, wann, wo und wie jene Kräfte ihren Geist aufgegeben haben, die im Verlauf des ersten großen Krieges der imperialistischen Epoche schon einmal recht gut begriffen hatten, daß der weltrevolutionäre Übergang zum Kommunismus kein Fernziel mehr war, sondern anders selbst „so etwas wie aufgeklärte Vernunft oder auch ‚nur‘ ein menschenfreundlicher Standpunkt“ materiell nicht zu retten. Nicht zuletzt wird daran zu erinnern sein, daß auch hierbei ein „große[s] Metzeln“ an Kommunisten und sonstigen Anhängern der Umwälzung die katastrophale Wende markiert. Ein Metzeln, für das nicht nur die Namen Hitler, Mussolini oder Franco stehen, sondern auch der Stalins. Und genau andersherum, als Ebermann, der Islamisten für eine satanistische Sekte zu halten scheint, in Bezug auf die spätere „Eliminierung von Kommunisten, linken Nationalisten, Sozialrevolutionären“ in den islamisch geprägten Weltregionen mutmaßt, hat jedenfalls dieses, wie wir nicht nur in seinem Fall sehen, dem nur mehr „menschenfeundlichen Standpunkt“ in allen Himmeln der Ideologie zum totalen Triumph verholfen.

Editoriale Anmerkung:

DD, 3.12.01

übergänge
zum Kommunismus
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