Kampf den deutschen Zuständen!
Eine Darlegung unserer Kritik an den Verhältnissen

Antifaschistische Gruppe [fion] Heidelberg Juni 2000

01/02

 
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"Der gefährlichste Feind der Wahrheit und der Freiheit – das ist die kompakte Majorität. Jawohl, die verdammte, kompakte, liberale Majorität – die ist es."  
(Dr. Stockmann in Henrik Ibsen: "Ein Volksfeind")

Die Wiederkehr der deutschen Nation

Die ganze Gesellschaft erfuhr in den letzten Jahren einen gewaltigen Rechtsruck. Die Wiedervereinigung war dabei der wichtigste Auslöser, alte Gedanken wieder modern und opportun erscheinen zu lassen. Obwohl seitdem schon zehn Jahre vergangen sind, muss mensch sich noch einmal und anlässlich der Feiern letztes Jahr vor Augen führen, was es eigentlich bedeutet, wenn wildfremde Leute sich plötzlich um den Hals fallen und sich einbilden, sie hätten irgend etwas gemeinsam. Nicht die Unterschiede zwischen den beiden deutschen Staaten sollen betont werden, als dass vielmehr die Idee ad absurdum geführt wird, dass sich Menschen in einem willkürlich festgelegten Gebiet eine gemeinsame Eigenschaft zuschreiben wollen. Unbedingt wollten sie wieder ein Volk sein, nur das zählte. Zugleich deutet das schnelle Verrauchen der grundlosen Freude und die einsetzende Apathie darauf hin, dass es gar nicht so einfach ist mit dem autoritären Gemeinschaftserlebnis. Stellvertretend sei hier die Bild vom 5. März 1991 zitiert, die die ganze deutsche Misere auf den Punkt bringt: "Kaum fünf Monate ist es her, daß wir wiedervereinigt sind. Damals Jubel, Schwarz-Rot-Gold, Euphorie. Heute lange Gesichter, Streiks, Enttäuschung, Bürgerzorn über Steuererhöhung ... WIR SIND EIN VOLK! Macht endlich ernst mit der Einheit.". ‘Deutsch-Sein‘ ist unmöglich; Deutsch-Werden schon eher: Die Erfüllung der Forderung, endlich ernst zu machen folgte sofort. Überall wurden wieder Ausländer drangsaliert und Flüchtlingsheime angezündet. Zeitgleich gebar sich die deutsche Friedensbewegung als Friedensengel und tat ihren Haß auf die USA und Israel kund. Dies waren die ersten Manifestationen der erwachenden Nation, die seither ständig auf Sinnstiftungssuche ist.

Die Wiedervereinigung war eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Deutschen wieder zu sich finden durften, wurden sie doch zuvor von einer wunderbaren Grenze daran erinnert, dass das Land, mit dem sie sich so verbunden fühlen, zwei Weltkriege angefangen hat und eine Fortsetzung solcher Politik vermieden werden sollte. In diesem Sinne hatte die Besetzung und die Mauer einen durchaus positiven Zweck. Bisher hat Deutschland an seinem Ziel, auch politisch wieder eine Weltmacht zu werden, immer die Schuld an dem größten Verbrechen der Menschheit, dem Holocaust, gehindert.

Gedenken

Diese Schuld galt es abzutragen, einerseits durch eine recht seltsame Gedenkkultur, andererseits durch den andauernden Wunsch endlich wieder "normal", nämlich deutsch, sein zu dürfen. Der bisherige Versuch, gekennzeichnet durch Kranzabwürfe, war eher von einem plakative Gedenken als von einem Begreifen bestimmt. Das Gedächtnis sollte mumifiziert, die Greuel des Nationalsozialismus ausgeblendet werden. Max Horkheimer schrieb zur Funktion des deutschen Gedenkens unter dem Stichwort "Wir Deutsche": "Das Schuldbekenntnis nach der Niederlage des Nationalsozialismus 1945 war ein famoses Verfahren, das völkische Gemeinschasftsempfinden in die Nachkriegsperiode hinüberzuretten. Das Wir zu bewahren war die Hauptsache". Dass es dabei allerdings nicht darum ging, ernsthaft die Beteiligung der überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung an den NS-Massenmorden zu diskutieren, zeigten schon die gereizten Reaktionen auf Goldhagens Buch ‚Hitlers willige Vollstrecker‘, das letztlich längst bekannte Tatsachen detailliert untermauerte.

Aber nach fünfzig Jahren soll selbst mit diesem rituellem Schuldbekenntnis genug sein. Nach der Wiedervereinigung ist dieses Gedenken nicht mehr nötig, nicht ohne Grund wird die geschichtliche Bedeutung des 9.Novembers als Reichs-progromnacht nun voll und ganz von der Wiedervereinigung getilgt, denn der Wunsch danach schob sich in der Vergangenheit mehr und mehr vor das Bewusstsein, was das ‚Deutsch-Sein‘ für Konsequenzen hat. Seit der Wiedererlangung der nationalen Souveränität wollen die Deutschen sich diese nicht durch Erinnerung an ihre Verbrechen madig machen lassen. Mensch wähnt sich mit Martin Walser von ‚Moralkeulen‘ verfolgt und tut so, als ob die Deutschen jemals ernsthaft mit gesenktem Kopf durch Deutschlands Straßen hätten gehen müssen. Wieder fühlt mensch sich eingekreist und wieder seien es ‚die Juden‘, die ‚uns‘ drangsalieren. "Man würde untauglichen Boden mit Antisemitismus düngen, wenn den Deutschen ein steinernes Brandmal aufgezwungen wird" droht der publizistische Anführer der völkischen Erweck-ungsbewegung Augstein (Herausgeber des Spiegels) den Juden. Mensch ist unschuldig und gut, aber wenn die Juden immer meckern, braucht sich niemand zu wundern, wenn die Deutschen einmal mehr zurückschlagen.

Während die Rechte gegen den Fußballfeldgroßen Alptraum (M.Walser) mobil macht, halten andere noch an der alten Gedenkpraxis fest. So wird das Holocaust-Denkmal wohl ein Schluss-punkt der Bonner Republik werden und ist dementsprechend anachronistisch aus Sicht der neuen Politik. Dennoch stellt letztere eine logische Fortsetzung der Trauerabarbeitspolitik (Kranzabwürfe inklusive) dar.

Offensive des Geschichtsrevisionismus

Schon 1985 wurden in Bitburg von Kohl, dem wichtigsten Architekten der neuen "Einheit", die Gräber von SS-Soldaten geehrt. Proteste kamen nur aus dem Ausland. Gedanklich manifestierte sich die Befreiung von der Auschwitzschuld durch den sogenannten Historikerstreit 1986 um die Singularität des Holocaust. Zwar unterlag damals Ernst Nolte, inzwischen ist seine Meinung common sense geworden, und Auschwitz geht unter im "Jahrhundert der Lager", eine deutsche Entlastungsideologie, die inzwischen auch in Medien der Mainstreamlinken wie ‚Jungle World‘ oder ‚Blätter des iz3W‘ ernsthaft diskutiert wird.. Um von den deutschen Verbrechen abzulenken, wurde darauf hingewiesen, dass andere Staaten auch Schlimmes begingen, z.B. die USA in Vietnam. Diesen Trick verwenden heute viele Leute, ohne sich bewusst werden zu wollen, dass die maschinelle Vernichtung der Juden, von den Deutschen freiwillig begangen eine ganz andere Qualität hat als der Gulag. Letzterer ist eher mit der amerikanischen Sklaverei zu vergleichen und hatte wie diese den Zweck, in der Sowjetunion die Industrialisierung grausam durchzusetzen. Die Shoah dagegen war Morden um seiner Selbst willen und damit tendenziell maßlos. Während erstere Gewaltformen aufgrund der absehbaren Erfüllung ihres Zwecks auch ein absehbares Ende beinhalten, ist dies beim NS nicht zu erwarten, im Gegenteil musste der Opferkreis immer erweitert werden. Auch zwischen den Kriegen nach 1945 und dem zweiten Weltkrieg bestehen gewaltige Unterschiede. Während die klassischen imperialistischen Kriege ein Ziel außerhalb besitzen, also auf Durchsetzung von (ökonomischen) Machtinteressen zielen, war die Vernichtung des Europäischen Judentums oberstes Ziel des Vernichtungskrieges der Wehrmacht. Nicht um den Deutschen schon immer verdächtig wirkende profane Interessen ging es den Nazis primär, sondern um die Genese des deutschen Volks mittels Ausrottung der zur absoluten ‚Gegenrasse‘ stigmatisierten Juden und Jüdinnen. Daraus erklärt sich die besondere Grausamkeit des Zweiten Weltkrieges.

1991/92, also kurz nach dem wichtigen Ereignis für die Deutschen fand eine Umgestaltung der KZ-Gedenkstätten statt, die nun wie die ‚Neue Wache‘ Tätern und Opfern zugleich gedenken. Ein Zeichen mehr dafür, dass es um vergessen und nicht um verarbeiten ging. In der Goldhagen-Debatte 96/97 über sein Buch "Hitlers willige Vollstrecker", das in anderen Ländern durchweg positiv aufgenommen wurde, deutet die hauptsächlich persönliche Kritik von deutscher Seite darauf hin, dass er einen wunden Punkt getroffen hat. Die Wehrmachtsausstellung 1996-99 passte eigentlich auch nicht in das neue Bild der Deutschen, so dass sie beim nächstbesten Anlass wieder geschlossen wurde, nachdem die CSU mit den Naziparteien lange genug dagegen gekämpft hatte.

Diese Schlussstrichmentatlität sollte einen vorläufigen Höhepunkt in der Friedenspreisrede Martin Walsers im Oktober 1998 finden. Die wirtschaftliche und politische Elite des Landes applaudierte. In dem darauffolgenden Streit zwischen Walser und Ignatz Bubis, der ihm zu recht ‚geistige Brandstiftung‘ vorwarf, empfing Walser waschkörbeweise Fanpost— die Deutschen waren sich mit ihrer Spitze wieder recht nahe gekommen.

Diese ganze Praxis erinnert an das "Deutschland erwache", dass nach der "Schmach" des Versailler Vertrags ausgegeben und damals begierig aufgegriffen wurde.

Katharsis

Auf das Ausland sollte die Gedenkkultur beruhigende Wirkung haben. Die Kranzabwürfe zeigten, dass Deutschland zwar Verbrechen begangen hat wie andere Länder auch, da es aber dafür sühnt, ist es wiederum besser als die anderen. Ein Schlusspunkt dieses seltsamen Gedenkens, das den Sinn des Vergessens trug, stellt der Angriffskrieg gegen Jugoslawien dar. Die kriegführenden PolitikerInnen sagten immer wieder Sätze, die nur die Interpretation zulassen, dass der Krieg die endgültige Katharsis, die große Reinigung von der elenden Schuld am Holocaust war. Die unbegründeten Legenden über KZs, der Vergleich des sozialdemokratischen Milosevics mit Hitler und die ständige Lüge vom serbischen ‚Völkermord‘ an den AlbanerInnen, die von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis zu Graswurzelrevolution kolportiert wurde, sind hier exemplarisch. Dabei versuchte dieser nur, den von Deutschland unterstützten Zerfall der Bundesrepublik Jugoslawien zu verhindern. Deutschland bombardierte und bekämpfte mit Erfolg seine eigene Geschichte unter dem Vorwand, Menschenrechte auf den Balkan zu bringen.

Doch was sich anschickt die Vergangenheit abzuschließen, trägt ihre Elemente traumwandlerisch und unverhohlen. Man läßt sich von den Kosovo-Albaner-Innen als Kolonialherren feiern, wobei offen zugegeben wird, worin die tiefe Freundschaft besteht: "Sicher hatten es die Deutschen von der ersten Stunde an leichter als die übrigen Kfor-Truppen. Deren Parteinahme zu Zeiten Hitlers für die Unabhängigkeit der Albaner haben die noch heute lebenden Jahrgänge absichtsvoll zu einer geschichtlich beglaubigten Bruderschaft verewigt und an ihre Enkel weitergereicht. Ehrensache selbst für die Jüngsten, die auf ihren Kleinpanzern Typ "Wiesel", patrouillierenden Soldaten mit einem lauten ‚Hallo wie geht’s‘ zu begrüßen

Die derart fest ans Herz gedrückten vermeintlichen Freunde fühlen sich ermuntert, ihre Bestrebungen, nicht allein den Albanern, sondern" - am deutschen Wesen soll einmal mehr die Welt genesen - "der Menschheit insgesamt nahe zu bringen, ‚was wir hier für tolle Sachen machen‘ (so Oberleutnant Michael Godel), geben sich in einem eigenen Rundfunkprogramm zu erkennen. [...] Neben viel frischer Musik werden die Einheimischen zur immerhin besten Sendezeit (und in dieser Phase ohne Alternative) ‚ein bisschen auf die pädagogische Schiene‘ gehoben. Um ‚langfristig Verhaltensänderungen zu erzeugen‘, lässt Godel im Plauderton über die schöne Bundesrepublik und die Demokratie berichten. Den Abschluss bildet [wie einst im Wehrmachtsfunk – AGF] der offenbar unsterbliche Hit der Lale Andersen von ‚Lili Marleen‘" (Der Spiegel 36/99) Mensch ist wieder stolz auf ‚seine‘ Truppe und ‚sein‘ Land. "Wir sind die Guten - und alle haben’s gesehen" berichtet ein heimkehrender Bundeswehrsoldat; Und weil mensch in Geberlaune ist läßt der Spiegel den AlbanerInnen von irgendeinem Hanswurst eine "prima Mentalität"(ebd.) attestieren. "Im Grunde sind das Deutsche" (ebd.) weiß dieselbe Hanswurst und hat ausnahmsweise endlich mal Recht. Gemeinsam ist beiden Stämmen der Haß auf die SerbIn-nen, Roma und JüdInnen, die unter Aufsicht der Bundeswehr aus dem Kosovo vertrieben werden.

ZwangsarbeiterInnen

Nachdem die NS-Vergangenheit mit dem Ziel endlich unbefangener in ihre Fußstapfen treten zu können, weggebombt wurde ist es erklärbar, warum die Deutschen so genervt auf die ZwangsarbeiterInnen reagieren; Ihrer Ansicht nach haben sie sich schließlich schon lange genug mit dem Thema Vergangenheitsent-sorgung beschäftigt. Darüber hinaus ist es schon wieder so, dass "die Juden" sie am ‘Deutsch-Sein’ hindern. Aus den deutschen Reaktionen auf die Entschä-digungsforderungen der Zwangsarbeiter-Innen sprechen die üblichen antisemitischen Klischees: die Juden saugten die Deutschen aus, seien nur am Geld interessiert, verlangten viel zu viel Geld etc. (Ob es sich tatsächlich um JüdInnen oder um andere ehm. ZwangsarbeiterIn-nen handelt ist den Deutschen meistens egal) Dass es sich bei der Summe, auf die sich geeinigt wurde, nur um ein Almosen handelt im Vergleich zu dem, was den Menschen allein für geleistete Arbeit zustünde - von einer Entschädigung kann mensch ohnehin nicht sprechen - regt genauso niemanden auf, wie der Umstand, daß viele ehemalige ZwangsarbeiterInnen immer noch leer ausbleiben, während ehm. Mitglieder der SS fette Renten ausgezahlt bekommen. Auch erzürnen deutsche Gemüter mehr die Boykottaufrufe in amerikanischen Zeitungen, als dass ehemalige ZwangsarbeiterIn-nen bei einer Demonstration in Frankfurt Polizeigewalt erfuhren.

Der plötzliche Verhandlungswille nach der fünfzig Jahre betriebenen Blockadepolitik lässt sich auch durch das Bestreben erklären, einen Abschluss finden zu wollen; sich endlich den Altlasten der deutschen Geschichte zu entledigen und sie damit ins Vergessen geraten zu lassen.

Deutsch-Sein

In diesem System sind Menschen Ich-schwache Individuen. Im Kapitalismus haben sie nicht die Möglichkeit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, sie arbeiten nicht um zu leben, sondern leben um zu arbeiten. Sie sind abhängig von der Maschine der Marktwirtschaft, "die nach Formeln funktioniert, denen es auf die Stirn geschrieben steht, dass sie einer Gesellschaftsformation angehören, worin der Produktionsprozess den Menschen, nicht der Mensch den Produk-tionsprozess bemeistert."(Marx) Weder verstehen die Menschen diesen noch beherrschen sie ihn in irgendeiner Weise, halten ihn aber nur durch ihr eigenes Verhalten am laufen. Im Nachhinein werden ihre Arbeiten aufeinander bezogen und unabhängig von ihrem konkreten Inhalt miteinander verglichen, wie dies auch mit den Waren geschieht, die sie produzieren. Die Menschen ziehen als Arbeitskraftbehälter über den Markt, vereinzeln im Konkurrenzkampf. Die Beziehung zwischen den Einzelnen vollzieht sich über den Markt nach Maßgabe ihrer Verwertbarkeit. Die Menschen werden vergesellschaftet und stellen nicht selbstbewusst einen vernünftigen Bezug zueinander her. Als Objekte des Kapitalprozesses können sie ihre Individualität nicht aufrecht erhalten, sondern sind hauptsächlich Bündel verschiedener Verwertungsstrategien, da ersterer sie versklavt. Die Gesellschaft, die den/die Einzelne erdrückt, erscheint als Ding ausser-halb der Individuen, besteht aber in Wahrheit doch nur aus ihnen. Auch im Privatleben scheint es ihnen unmöglich, ein glückliches Leben zu gestalten und einen ebensolchen Bezug zu ihrer Umgebung herzustellen, wie in nachbarschaftlichen Kleinkriegen leicht erkenntlich wird. Mensch kann eben mit den anderen genauso wenig anfangen, wie mit sich selbst.

Deshalb müssen sie eine künstliche Gemeinschaft schaffen, die oft viel mit der Hauptangelegenheit ihres Lebens, der Arbeit, zu tun hat; sei es der Betrieb oder der Staat. Letzterer gewährleistet die Sicherung der Kapitalakkumulation im Innern des Landes und konkurriert auf dem internationalen Markt gegen andere Nationalstaaten, z.B. als "formierte Gesellschaft" (Erhardt) oder als "Deutschland-AG" (Schröder). Ihre auf Grund des chaotischen Marktes labile Identität findet zu Stärke, wenn sie sich als Deutsche zusammen tun und so über eine biologistisch/völkische Komponente Privilegien genießen. Mensch erhofft sich als Deutscher eine gesicherte Existenz, die ihm vom Kapital niemals gewährt werden kann. Aber im Wohlstandschauvinismus geht der nationale Taumel nicht auf. "Die, deren reale Ohnmacht andauert, können das Bessere nicht mal als Schein ertragen; lieber möchten sie die Verpflichtung zu einer Autonomie loswerden, von der sie argwöhnen, daß sie ihr doch nicht nachleben können, und sich in den Schmelztiegel des Kollektiv-Ichs werfen" (Adorno – Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit). Endlich nicht mehr denken zu müssen und als williger Vollstrecker wenigstens etwas von der Macht zu schmecken, der mensch sich gerne unterwirft, ist ein treibendes Motiv der Autoritären die Reste, des bürgerlichen Liberalismus abzuschaffen. Daher kann es immer sein, daß sie für nationale Idiotien auf Wohlstand verzichten, wie historisch die beiden Weltkriege beweisen und der ebenso sinnlose wie schreckliche Judenmord zeigten.

Doch die gesuchte Gemeinschaft kann positiv nicht entstehen: die Deutschen können sich nicht leiden, wie schnell verwandelte sich die grundlose Freude der Wiedervereinigung in alte Unzufriedenheit. Nur indem das Nichtdeutsche definiert und verfolgt wird, können sich die Deutschen als volksgemeinschaftliche Einheit fühlen und nur bei Aktionen gegen das Nichtdeutsche (wie der Krieg oder Pogrome) werden sie Deutsche. Da das Gemeinschaftsgefühl schnell wieder schwindet, muss fieberhaft nach neuem Sinnstiftenden gesucht werden, welches das Volk eint.

Als Feindbilder müssen dann wahlweise korrupte PolitkerInnen, Bonzen, AusländerInnen, JüdInnen, Sozialschmarotzer, organisierte Kriminalität usw. herhalten. Die Bevölkerung fühlt sich immer bedroht. Die eigentlich funktionierende Gemeinschaft wird von einer Minderheit unterwandert und muß vor dieser geschützt werden. Deshalb kommt auch niemand auf die Idee, einen totalitären Polizeistaat hinter der Aufrüstung des BGS, des Lauschangriffs und der ver-dachtsunabhängigen Kontrolle zu vermuten. Die Verschwörungsängste gehen analog mit der paranoiden Angst und mitunter auch heimlichen Sehnsucht, unsichtbare Dinge wie Atomkraft, Krebs oder BSE könnte die Menschen dahinraffen.

Oft werden nur die Stiefelnazis als rechte Gefahr wahrgenommen. In seltsamer Eintracht mit den Lichterkettengemeinschaftserlebnis wird dann die Bevölkerung dazu aufgerufen, sich gemeinsam mit autonomen Antifas den allzu rabiat auftretenden Stiefelnazis entgegen zu stellen und damit die absolut dämliche These von den Nazis als Nestbeschmutzern implizit reproduziert. Stiefelnazis sind aber nur aus der Mitte der Gesellschaft zu erklären und stellen die Speerspitze und teilweise die Exekutoren des Volkswillens da. Leicht erkenntlich ist dies an dem applaudierenden Mob vor den brennenden Häusern, der in Rostock z.B. die Feuerwehr angriff, weil sie dem ‚deutsch Sein‘ vorschnell ein Ende bereiten wollte und dem rassistischen Konsens aller.

Nicht mit der Bevölkerung, gegen eine ihr äußere Gefahr, die des Rechtsextremismus, sondern gegen die durchdrehende rechte Bevölkerung selbst muss gekämpft werden! Es ist die "kompakte Majorität" (Ibsen – Ein Volksfeind), die dazu imstande ist, jedes Verbrechen zu begehen oder zu decken. Wird dies nicht begriffen und kritisiert verkommt Antifaschismus zur drögen Fahndungsantifa. Nicht im Bündnis mit Kriegstreibern, wie den Grünen oder dem DGB, sondern auf sich alleine gestellt, muß eine Linke, die sich noch ernst nimmt gegen die drohende Barbarei, die sich spätestens in der Krise vollends manifestieren könnte kämpfen. Gerade wegen der aktuellen Unmöglichkeit des Kommunismus muß um so verzweifelter an diesem festgehalten werden.

Editoriale Anmerkung:

Dieser Text ist eine Spiegelung von
http://www.autonomes-zentrum.org/agf/Archiv/Selbst.htm