Joschka Bin Laden
Wie die 68er Afghanistan befreiten

von Jürgen Elsässer

01/02

 
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Die Grünen haben sich mit ihrer Afghanistan-Position tatsächlich als emanzipatorische Kraft verabschiedet - aber nicht erst am 24. November 2001, sondern bereits am 7. Juni 1984. Damals stimmten die Ökopaxe - eine Premiere - im Bundestag einer Allparteienresolution zu, die überdies noch gemeinsam erarbeitet worden war, in der der Abzug der Sowjets gefordert wird. "Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß die fortdauernde Besetzung Afghanistans neben anderen Ursachen auch ein wichtiger Grund für die anhaltenden Spannungen im Ost-West-Konflikt ist ... Die Wiederherstellung der Selbstbestimmung des afghanischen Volkes ist ein wesentlicher Beitrag zur internationalen Entspannung und zur Aufrechterhaltung des Friedens." Vor allem die einseitig antisowjetische Stoßrichtung der Resolution sorgte an der grünen Basis für ein bißchen Ärger. Die grüne Seele wiegte sich damals in Yin und Yang: Gegen SS 20, aber auch gegen Pershing 2, gegen Breschnew, aber auch gegen Reagan. Und nun ganz unausgewogen nur Kritik an Moskau und kein Wort etwa zur Besetzung Grenadas durch die USA 1983? War da die "Selbstbestimmung" nicht verletzt worden, war das kein Grund "für die anhaltenden Spannungen im Ost-West-Konflikt" gewesen?

Unter der grünen Fahne des Propheten

Kaum ein Grüner mochte sich allerdings über das Adelsprädikat "afghanische Widerstandskämpfer" aufregen, mit der die Bundestagsresolution die islamischen Gotteskrieger bezeichnet hatte - die ursprünglich noch blumigere Rede von den "Freiheitskämpfern" war erst auf Intervention von Parteilinken abgeschwächt worden. Die Faszination, die die zottelbärtigen Barbaren auf die damals optisch zuweilen recht ähnlichen Rübezahle der Öko-Bewegung ausübte, war schon einige Jahre zuvor sichtbar geworden. Kein anderer als Joschka Fischer schwärmte 1978 über die "Glaubenskraft" der im Iran zur Macht gekommenen Mullahs. Im Frankfurter Sponti-Zentralorgan "Pflasterstrand" schilderte er seine "Verunsicherung durch die iranische Revolution", die "ins Herz des westlichen Fortschrittsglaubens" treffe. "Es ist schon eigentümlich, ja für meine 'linke Revolutionstheorie' fast umstürzend, wenn ich miterlebe, wie eine der scheinbar mächtigsten und sichersten, weil brutalsten und reichsten Diktaturen von Amerikas Gnaden binnen eines Jahres durch eine revolutionäre Massenbewegung ohne Waffen bis ins Mark erschüttert wird. Weiter noch, daß diese Bewegung religiöse Ziele verfolgt, ihre Ideologie nicht in einem nationalrevolutionären Marxismus, sondern im Islam findet und deren Kader und Führer sich aus der Priesterschaft rekrutieren." Es "tritt mehr und mehr wieder etwas Wesentliches in unserem Leben in den Vordergrund, das auch in der persischen Revolution eine elementare Bedeutung besitzt. Ich meine die Religion und das Heilige."

Sieht man von dem religiösen Schwulst ab, so waren solche pro-islamistischen Positionen nach der Machtübernahme durch Khomeini relativ weit verbreitet - nicht nur bei den Achtundsechzigern finden, sondern auch bei der orthodoxen Linken. Selbst in KONKRET konnte man damals einfühlsame Reportagen über "die erste Revolution in der Dritten Welt, die nicht nur gegen militärische, wirtschaftliche und politische Macht der Industrienationen kämpft, sondern auch gegen ihre Kultur, ihre Zivilisation" lesen. Da die deutsche Linke damals in allen Fraktionen antiamerikanisch eingestellt war, galten nach der Devise "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" die ebenfalls antiamerikanischen Fanatiker in Teheran als Verbündete, wenn nicht als Vorbilder.

Im Falle von Afghanistan war die Linke dagegen gespalten: Da sich der Pro-Islamismus nicht mit Antiamerikanismus verbinden konnte, wandte sich die alte Linke, also die DKP und ihre Bündnisorganisationen von Anfang an gegen die Mudjahedin, von Freundlichkeit und Verständnis wie gegenüber ihren iranischen Glaubensgenossen war keine Rede mehr. Jetzt waren es ausschließlich die Zerfallsprodukte der neuen Linken - Spontis, K-Gruppen, Ökolinke, Feministinnen -, die sich mit dem religiösen Wahn identifizierten.

Die Peking-orientierte KPD, die im Aufbau der Westberliner AL eine starke Rolle spielen sollte und heute mit Antje Vollmer die Bundestagsvizepräsidentin stellt, beklagte: "Leider fällt es dem Westen sehr schwer, effektive Gegenmaßnahmen gegen die sowjetische Bedrohung zu ergreifen". Notwendig sei eine "weltweite Einheitsfront gegen die sowjetische Supermacht", die ausdrücklich auch "konservative Kräfte" einschließen müsse. "Sowjetische Truppen raus aus Afghanistan!" titelte damals die "Rote Fahne" des KABD, von dem später etwa Heide Rühle, heute grüne Frontfrau im Europaparlament, den Weg zu den Ökologen gefunden hatte. Der KBW - dessen damaliger Chef Joscha Schmierer heute im Auswärtigen Amt als Europareferent arbeitet, während sein früherer Adjutant Ralf Fücks der millionenschweren Heinrich-Böll-Stiftung vorsteht - gab die Parole aus: "Afghanistan: Volkswiderstand gegen die Invasoren".

Die antisowjetische Haltung der K-Gruppen wurde in den Veröffentlichungen der undogmatischen Linken durch antiaufklärerische Zivilisationskritik ergänzt. So beklagte das Westberliner Autonomenblatt "Radikal": "(I)n der verfehlten Politik der (immerhin marxistisch beeinflußten) Regierung zeigt sich die Arroganz eines Fortschrittsdenkens, das die realen Bedürfnisse der Bevölkerung und die tatsächlichen sozialen Kräfte glaubt ignorieren zu können ... Wenn aber ein Modernisierungsprogramm ohne Rücksicht auf Tradition und religiöse Gefühle und zudem so brutal (und dilletantisch) durchgeführt wird, dann darf man sich über den Widerstand nicht wundern, trage auch er ein vordergründig reaktionäres Gesicht. Ich meine, daß wir den Begriff der internationalen Solidarität nicht nur erneuern müssen, sondern auch erweitern. Erweitern um die Toleranz den Emanzipationsbewegungen gegenüber, die für unsere Begriffe falsche oder Umwege zu gehen scheinen - aber die Revolution muß Sache der Völker selbst sein." Und im bereits zitierten "Pflasterstrand" hieß es: "Die eigenen Kategorien- und Wertesysteme - entstanden aus der politischen Geschichte der deutschen Nachkriegsgeschichte und dann der 68er Revolte - erscheinen weltfremd und unbrauchbar angesichts dieser brutalen Demonstration von Weltmachtpolitik. So viel wird schnell klar: Die russischen Invasoren werden nicht nur von ein paar 'Aufständischen', den 'Mudjahedin' bekämpft, sondern das Volk ist aufständisch. Es rebelliert täglich, bewaffnet und listenreich, mit passivem Widerstand, der den Alltag erfüllt." In den "Blättern des Informationszentrums 3.Welt" wurde hervorgehoben, daß "gerade die islamische Religion in letzter Zeit bei den unterdrückten Völkern neuen Aufschwung gefunden und den Anstoß für revolutionäre Bewegungen gegeben" hat.

Zivilisation versus Barbarei

Welche Blüten der Pro-Islamismus trieb, zeigte sich in einer Erklärung der Bundestagsfraktion von 1987: "Ganz sicher ist das Regime in Kabul auch bei vielen auf Zustimmung gestoßen, weil es im eurozentristischen Sinne Teile unserer Wertvorstellungen umzusetzen versucht hat, mit welch mörderischen Mitteln auch immer, anders als die islamischen Mudjahedin, deren Wertvorstellunen wir dort besonders vehement ablehnten. Wir glauben, gesellschaftlich schon viel weiter zu sein, zum Beispiel in der Beurteilung der Rolle der Frau." Das "Regime von Kabul" des Eurozentrismus zu zeihen, also im konkreten Fall der Verteidigung der Frauenemanzipation, erforderte ein gehöriges Maß an Realitätsverleugnung und Unkentnis über Lage in dem mittelasiatischen Land.

Als die afghanischen Kommunisten (Demokratische Volkspartei Afghanistans - DVPA) im April 1978 die Macht ergriffen, hatte ihnen das Feudalregime eine katastrophale Lage hinterlassen: 40 Prozent der Kinder starben bis zu ihrem 12. Lebensjahr, den moslemischen Großgrundbesitzern gehörten 80 bis 90 Prozent der Landwirtschaftsfläche, 0,2 Prozent der Bevölkerung besaßen circa die Hälfte des Ackerbodens.

Was das "Regime in Kabul" sich zur Abschaffung oder Milderung des Elends auf die Fahnen geschrieben hatte, war lediglich insofern "eurozentristisch", als es Minimalvorstellungen von Gleichheit und Freiheit durchsetzen wollte, die zufällig zum ersten Mal in der französischen Revolution thematisiert worden waren, aber mit irgendwelchen religiösen Missionierungsgedanken des christlichen Europa gerade nichts zu tun hatten. Damit klar wird, wogegen sich die afghanischen Fundamentalisten und ihre grünen und linksradikalen Freunde im Westen richtete, sei das Regierungsprogramm der afghanischen Kommunisten aus dem Jahre 1979 (hier in der Zusammenfassung durch den "Spiegel") zitiert:

  • eine Landreform, nach der über eine Million Hektar Boden an 680.000 Kleinbauern umverteilt und über 100.000 Großgrundbesitzer enteignet werden sollten;

  • strenge Schulpflicht auch für Mädchen und ein Alphabetisierungsprogramm, das alle Erwachsenen, einschließlich der fast hundert Prozent analphabetischer Frauen, zum Unterricht zwingt;

  • Verbot der nach islamischen Gesetzen zugelassenen Kinderehen, Abschaffung des Brautgeldes und des Scheidungsverbots für Frauen;

  • Feindpropaganda gegen den Einfluß der Mullahs und Großgrundbesitrzer. Erlaß aller Schulden der Bauern gegenüber Geldverleihern und Großgrundbesitzern. Allein im Jahr 1979 verteilte die linke Regierung an über 130.000 Bauern kostenlos Land und bildete 100.000 Genossenschaften.

Hätte der Westen damals die mit der Aprilrevolution 1978 eingeleiteten Reformpolitik unterstützt, wären die Gotteskrieger eine Fußnote der Geschichte geblieben und keine weltweit operierende Terrorarmee geworden. Doch nicht nur Kalte Krieger, sondern auch Sanfte Tauben setzten auf die angeblichen Freiheitskämpfer. Was laut "Taz" ein Volksaufstand war ("rebelliert täglich, bewaffnet und listenreich, mit passivem Widerstand, der den Alltag erfüllt"), kommt in Wirklichkeit Lynchjustiz im Auftrag der Feudalherren gleich. Selbst in einer Publikation der Deutschen Entwicklungshilfe konnte man 1979 lesen: "Die Interessen von geschädigten (d.h. enteigneten, Anm. J.E.) Grundbesitzern und Geschäftsleuten und die der Verteidiger von islamischer Sitte und Gewohnheiten dürften oft gleichgelagert, wenn nicht gar dieselben sein. Beide Gruppen erhalten Unterstützung aus dem Ausland." Über die Kampfmethoden berichtete ein Korrespondent der "Zeit", der 1979 - noch vor dem Einmarsch der Sowjets! - die von den Mudjahedin eroberten Provinzen bereiste. Diese seien bemüht, "ihr eigenes Stammes- und Talschaftsgebiet feind- und regimefrei zu halten, d.h. die von der Regierung ausgesandten Lehrer, Parteiaktivisten und ideologischen Einpeitscher zu eliminieren". Nach Angaben der Revolutionsregierung wurden 300 sowjetische Berater in jenem Jahr ermordet. Über das Geschehen in einer Provinzstadt informiert die "FAZ": "Nach Augenzeugenberichten wurden sowjetische Bürger in der Sadt auf offener Straße zerstückelt. Der Mob machte mit Listen über die Adressen sowjetischer Familien Jagd auf die Russen."

Auch nach der Intervention der Sowjets am 27. Dezember 1979 waren nicht Militäreinrichtungen oder -konvois vorranhiges Angriffsziel der Terroristen, sondern Schulen: Bis zum Frühjahr 1983 gelang es den Freiheitshelden, über 90 Prozent der 230 höheren und 1438 Grundschulen Afghanistans zu zerstören. "Bei der Eroberung von Kunduz im letzten Sommer wurde ein Waisenheim in die Luft gesprengt, weil die Kinder den Tod verdient hätten: Sie seien die Waisen von Regierungsbeamten und Mitgliedern der DVPA."

Die grüne Begeisterung für die sogenannten Widerstandskämpfer blieb nicht nur platonisch. Zwei Aktivisten aus dem hessischen Landesverband, Uli Fischer und Milan Horacek, schlugen sich zu den Mudjahedin durch, Horacek posierte am Khaiberpaß auf einem zerstörten Sowjetpanzer. Fischer hinterher über die Mudjahedin: "Die sind echt gut drauf." Sein bekannterer Namensvetter Joschka drückte 1986 im Bundestag dasselbe etwas umständlicher aus: "Wenn ich auch nach wie vor davon überzeugt bin, daß die internationale Bündnisorganisation einiger afghanischer Widerstandsorganisationen den Interessen der Völker Afghanistans schadet, halte ich die Position, den Mudjahedin pauschal einen undemokratischen und antiemanzipatorischen Charakter zu unterstellen, für borniert, kurzsichtig und ideologisch einäugig." :

The sound of silence

Während die Grünen ihre "Solidarität mit Afghanistan" in den achtziger Jahren ebenso unermüdlich wie hysterisch betrieben, so verfielen sie nach dem Abzug der Sowjets im Februar 1989 umstandslos in affirmatives Schweigen. Bis zum Jahre 1996, als die Taliban Kabul eroberten, thematisierten sie Afghanistan im Bundestag kein einziges Mal mehr - von Solidaritätsdemonstrationen ganz zu schweigen.

Dabei hatten die heute in der Nordallianz zusammengeschlossenen Fundamentalisten das Land in einen "Vorhof der Hölle" verwandelt, als nach dem Abzug der Sowjets 1988 ein Sicherheitsvakuum entstanden war. Zwar hielt sich die fortschrittliche Regierung Nadjibullah zunächst noch recht gut, doch nachdem der Milizenführer Dostum 1992 zu den Mudjahedin übergelaufen war, fiel auch noch die Hauptstadt in deren Hände. Nadjibullah wurde auf offener Straße gehenkt, die Leiche zur Schau gestellt. Damit war der Kampf um die Macht aber nicht abgeschlossen, sondern erst richtig entbrannt: Die Sieger stritten um die Beute, die Zivilbevölkerung litt wie nie zuvor. Die Korrespondentin der "Zeit" berichtete Ende 1994, wie das Land nach den blutigen Fraktionskämpfen zwischen den Mudjahedin-Gangs - 25 Waffengänge in 20 Monaten - aussah: "200 000 Menschen, so fürchten die Vereinten Nationen, werden womöglich den Winter nicht überstehen. Auf 800. 000 ist die Bevölkerung von Kabul geschrumpft, die beim Einmarsch der Mudjahedin vor zweieinhalb Jahren noch über zwei Millionen zählte. Fast unbeschädigt hatte die Hauptstadt dreizehn Jahre Bürgerkrieg überstanden, aber seit dem Sieg der Mudjahedin, die erst einen 'heiligen Krieg` führten und nun nur noch auf Macht und Beute aus sind, funktioniert nichts mehr. Der größte Basar Mittelasiens ist nur noch ein Trümmerhaufen, die Front verläuft mitten durch die Stadt. Die Vororte im Süden, Westen und Osten existieren nicht mehr." Die "FAZ" schrieb im selben Jahr: "Daß Menschen, nur weil sie das falsche Religionsbekenntnis haben, erschossen werden, ist noch das 'humanste'. Das Quälen von unschuldigen Frauen und Kindern mit anschließender Ermordung in einer Form, wie man sie nur aus Horrorfilmen kennt, ist keine Seltenheit." Auch die "FAZ" gibt heute zu: "Immerhin hinterließen die sowjetischen Okkupanten 1989 ein weitgehend intaktes Kabul. Das Siechtum setzte erst drei Jahre später mit dem Sturz des kommunistischen Regimes ein."

Insbesondere der von der "Taz" in den achtziger Jahren umworbene Hekmatyar machte sich als "Killer" einen Namen. Seine Truppen waren es, die Kabul unter Feuer nahmen. "Die Raketenangriffe erfolgen 'blind', d.h. die Mudjahedin richten ihre Geschosse ungefähr in die Richtung der Innenstadt von Kabul und feuern sie ab. Das Ergebnis: fast alle Raketen schlagen in reinen Wohngebieten oder im Basar ein, fast alle Opfer sind Zivilisten..." Bei solchen Attacken wurden in Kabul allein 1994 25.000 Menschen getötet. Hekmatyar soll in dieser Zeit übrigens auch von den Kämpfern Osama Bin Ladens unterstützt worden sein.

Als Hekmatyar trotz dieser Schlächtereien 1992 in der ersten fundamentalistischen Regierung Ministerpräsident wurde, war das für die Grünen ebensowenig Anlaß zum Protest wie die oben geschilderte Zerstörung Kabuls 1994.

Post-Moderne Zeiten

Die eingangs erwähnte Afghanistan-Resolution, der die Grünen im Bundestag im Juni 1984 zustimmten, mag nicht dieselben Konsequenzen gehabt haben wie die Afghanistan-Entschließung vom November 2001 - damals wurde ein Papier beschlossen, diesmal ein Krieg. Tödlich war allerdings auch der Beschluß des Bonner Parlaments gewesen - und zwar für die linken Grünen. Die Bundestags-Entschließung wurde nämlich von ihrem Wortführer in der grünen Fraktion, dem Abgeordneten Jürgen Reents, verteidigt. Reents (heute Chefredakteur des "Neuen Deutschland") kam wie Thomas Ebermann, Rainer Trampert und Jürgen Trittin aus dem Kommunistischen Bund (KB), der als einzige K-Gruppe die "Russen-raus"-Parolen der anderen Maoisten nicht unterstützt hatte. Nach ihrem Bruch mit dem KB 1979/80 bildeten die Dissidenten zusammen mit ehemaligen Mitgliedern des Sozialistischen Büros, des KBW und der "ProKla"-Redaktion einen zunächst recht erfolgreichen linken Zusammenschluß innerhalb der Grünen, der die Zeitschrift "Moderne Zeiten" ("MoZ") herausgab. Ebermann kritisierte Reents' Schulterschluß mit den Antikommunisten zwar in einigen Details, verteidigte ihn aber im Grundsatz. "Eine prinzipielle Festlegung, man dürfe zu Afghanistan nicht mit den bürgerlichen Parteien (abstimmen), halte ich für nicht durchhaltbar."

Dagegen formulierte Michael Stamm in der "MoZ" eine scharfe Kritik, die zur Generalabrechnung mit dem Anpassungskurs der 68er-Linken innerhalb und außerhalb der grünen Partei geriet. Stamm, der von den "Marxistischen Gruppen" gekommen war, hat damit das historische Verdienst, den grünen Verfallsprozeß bereits zu einer Zeit analysiert zu haben, die gemeinhin immer noch der radikalen Phase des grünen Projekts zugerechnet wird - deswegen sei er im folgenden ausführlich zitiert, obwohl sein Parteichinesisch eigentlich kaum lesbar ist. Er konstatierte, "daß inzwischen relevante Teile der grünen Friedensfunktionäre und deren Zuarbeiter in der hiesigen Friedensbewegung nur noch die Rolle eines 'anti-realsozialistischen' Stoßtrupps spielen, während sich die auf Parteikongressen die Verwandlung des 'Protestes in Widerstand' proklamierende 'Basis' aus der friedenspolitischen Praxis weitgehend verabschiedet hat. Mir ist keine Partei bekannt, in der die Differenz zwischen Sonntagsreden und praktischem Einsatz so extrem ausfällt wie bei vielen Grünen bezüglich der Friedensbewegung." Auch mit den Träumereien der Parteilinken ging er scharf ins Gericht: "Wenn man den Beifall, den prominene GALier (gemeint: Mitglieder der Hamburger GAL, Anmerkung J.E.) wie Thomas Ebermann, Reiner Trampert und - mit Abstand - wenige andere auf auswärtigen Polit-Veranstaltungen erhalten, oder Beschlüsse des Bundeshauptausschusses der Grünen als Indiz für die 'Verankerung' der 'öko-sozialistischen' Vorstellungen in der 'Basis' nehmen könnte, könnte man auf den ersten Blick ganz zufrieden sein ... Mir wird übel, wenn ich darüber nachdenke, wie sehr die Ökosozialisten, die linken Grünen oder wie immer man sie nennen mag - ich gehörde dazu -, eine 'Parteimentalität' ausgebildet haben, die sie nicht mal mehr wahrnehmen läßt, wie sehr die 'Zukunft' ihrer Optionen von den gemachten Prozessen und Veränderungen ihrer gesellschaflichen Umwelt abhängen. Statt unsere Kraft in der Orientierung auf Auschüsse, Sitzungen etc. und den 'legitimen' Kampf um parteiinternen Einfluß aufgehen zu lassen, müßten wir uns in den Prozeß des Machens der besagten 'Umwelt' einmischen, Partei ergreifen, Streit suchen, gegen den Strom schwimmen etc. ... Dies setzt freilich voraus, daß man ihnen nirgendwo entgegenkommt, weder im Bundestag, noch durch taktische Bündnispolitik, noch durch Vernachlässigung von 'Politikfeldern' - auch wenn man bei solchem Vorgehen häufig in die Minderheitsposition geraten sollte."

Mit dieser Position erreichte Michael Stamm zwar eine "deutliche" Mehrheit beim Fraktionstreffen des "MoZ"-Kreises - aber die linken Promis teilten seine Sicht nicht. MoZ"-Redakteur Frieder O. Wolf warf Stamm "ebenso maß- wie begriffslose Polemik" und "Denunziation von Sündenböcken in den eigenn Reihen" vor, Ebermann warnte vor "Amokläufen" ("Dafür gibt es ja Wolfgang Pohrt"). Die grünen Promis probten in der Folge mit einigem Erfolg den Marsch durch die Institutionen, Ditfurth und Trampert eroberten den Bundesvorstand, Ebermann wurde Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Die linken Strukturen in der Partei aber zerfielen, das Erscheinen der "MoZ" wurde mit der Nummer, in der Stamms Kritik erschienen war, eingestellt.

Erst fünf Jahre nach dem Afghanistan-Debakel hatten die linken Grünen die Aussichtslosigkeit ihrer Position in der Partei erkannt. Sie sammelten sich mit ihren außerparlamentarischen Kritikern (darunter Autonome, ehemalige Untergrundkämpfer aus der RAF, Trotzkisten, Leuten aus DKP und KB) im Projekt Radikale Linke, die KONKRET gab publizistische Unterstützung. Der Zusammenschluß startete furios: Im Mai 1990 waren 20.000 auf der von ihm organisierten "Nie wieder Deutschland"-Demonstration, auf ihrem Kongreß im Sommer 1990 diskutierten 1.5000 Aktivisten. Dort stimmte Ebermann implizit Stamms oben zitierter Analyse zu, daß sich die Linksgrünen in den achtziger Jahren über ihre fehlende inhaltliche Verankerung durch Pöstchenjagd und Medienauftritte hinweggemogelt hatten: "Ein entscheidender Fehler bestand darin, daß unser Agieren, speziell der letzten zehn Jahre, eigentlich ganz stark gekennzeichnet war von einem doppelten Phänomen: Der Nicht-Bereitschaft, die objektive gesellschaftliche Isoliertheit wahrzunehmen, und damit einhergehend der wachsenden Nicht-Bereitschaft und/oder Unfähigkeit, Massenbewegungen zu kritisieren, was später zu der Bestrafung durch die von uns nicht kritisierte Ideologie von großen Bewegungen geführt hat."

Trotz ihrer Anfangserfolge zerfiel die Radikale Linke bald wieder. Die dreifache Herausforderung Anfang der neunziger Jahre - Unterstützen wir die prinzipiell anti-deutsche Position? Wie halten wir's mit der PDS? Wie stehen wir zum Golfkrieg? - hätte mehr theoretische Reife und eine diszipliniertere Diskussion erfordert, als man von dem jungen und politisch heterogenen Zusammenschluss erwarten konnte. Um es besser zu machen, hätte man schon früher zueinander finden müssen: Zum Beispiel 1984, nach dem Afghanistan-Desaster der Grünen. Doch damals war Ebermann noch nicht so weit - und Elsässer auch nicht.

Editoriale Anmerkung:

Gekürzter Vorabdruck aus "Make Love and War", auch in: KONKRET, Januar 2002. Der Text ist eine Spiegelung von http://www.juergen-elsaesser.de