- Die Lage im Weltmaßstab "Die Welt im Nahem Osten
ist in zwei Fronten geteilt, da sind die arabischen Völker, die von den
progressiven Kräften der Welt im Sinne des Fortschritts unterstützt werden,
demgegenüber stehen die zionistischen Kreise, die jüdische Bourgeoisie und
Monopole in und außerhalb Israels, die von der ganzen kapitalistischen Welt
unterstützt werden."(Unsre Zeit (DKP), 13.3.1975)
- Das Böse
Israel
- "die blutrünstige und machtgierige Bastion gegen die Völker" (Roter Morgen
(KPD/ML), 23.11.1974); der Zionismus - "der Feind aller Menschen"(Autonome
Nahostgruppe Hamburg 1989, 2)
- Das reine Gewissen
"Aus den vom
Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden, die in
Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk
ausradieren wollen"(Schwarze Ratten/Tupamaros Westberlin, nach Baumann 1976,
67ff).
- Das Ziel
"Der Konflikt im Nahen Osten kann nicht anders
gelöst werden als durch die Zerschlagung des zionistischen Staats"(Arbeiterkampf
(Kommunistischer Bund), Oktober 1973; "Siege im Volkskrieg; "Israel muß
weg!"(Interim 1992, 6)
- Alles Gute!
Wir unterstützen rückhaltlos
die gerechte Sache des palästinensischen Volkes. Es ist unser tiefer Wunsch, daß
die palästinensischen Kämpfer sich in all ihren Aktionen fest auf die
Volksmassen stützen, die Widersprüche im Lager des Feindes ausnutzen,... auf
ihre eigene Kraft und die Kraft ihrer arabischen Brudervölker vertrauen und im
langanhaltenden Volkskrieg ausharren"(Rote Fahne, 5.6.1974)
- Cui Bono?
"Eigene politische
Identität" (RAF 1987, 38); "kämpferische
nationale Identität"(Al Karamah 7(1988,3)
Ist das der "Antisemitismus
von Links"? Oder ist all dies lediglich eine in den 70er Jahren weit
verbreitete, heute aber innerhalb "der Linken" marginalisierte, militante
Phrasologie bedeutungsloser Gruppen? Jeder Versuch, der Klärung auszuweichen,
verlängert neben dem Ärgernis, daß deutsche Antizionisten sich weiterhin
unwidersprochen als links und gar als so revolutionär wie sonst niemand dünken
können, den handfesten Skandal einer Linken, die solche Denkformen nicht nur
toleriert, sondern in vielen Grundzügen teilt, sie nur weniger penetrant und in
einer nicht so markigen Sprache selbst produziert. Die Kritik der Quellen und
der Logik des deutschen Antizionismus ist deshalb zugleich die Kritik des
andauernden Bewußtseinszustands einer Linken, in deren Milieu sich Ideologien
heimisch fühlen können, die von metropolitaner Revolutionsromatik und
nationalistischen Bedürfnissen, von völkischen Sehnsüchten und antisemitischen
Denkformen geprägt sind, und dabei allenfalls auf vielsagende Indifferenz
stoßen.
Einige Bemerkungen zum Begriff des Antisemitismus
Antisemitismus (1) wird, zumal im Land des Nationalsozialismus, unweigerlich
mit jener Tat verknüpft, für die "Auschwitz" steht. Entsprechend empört wird der
Vorwurf des "Antisemitismus von links" als überzogene oder gar böswillige
Verleumdung nicht nur von den deswegen Angegriffenen abgewehrt. Doch der
Kurzschluß von Antisemitismus mit Auschwitz verdeckt nicht nur die besonderen
Konstellationen und Prozesse, die zur nationalsozialistischen Judenvernichtung
führten, sondern unterschlägt überdies, daß der Antisemitismus alles andere als
das Anormale und Außergewöhnliche darstellt, sondern vielmehr eine integrale
"Alltagsreligion"(Claussen 1989, 112) der kapitalistisch-etatistisch verfaßten
Gesellschaft ist. Weder gibt es einen ewigen Antisemitismus, noch kann pauschal
jegliche "Feindschaft gegen Juden" als Antisemitismus bezeichnet werden. Er ist
weder nur ein "Tradiertes Vorurteil" noch bloße Zweckpropaganda der Herrschenden
zur Ablenkung der Wut der Beherrschten. Auch wer Antisemitismus erst dort zu
sehen vermag, wo Juden verfolgt oder ermordet werden, und dies von Menschen, die
sich selbst als Antisemiten bezeichnen, verkennt das Wesen des Antisemitismus,
seine Ursachen und Dynamik. Der moderne Antisemitismus ist prima facie eine
Denkform, die sich im 19. Jahrhundert in unmittelbaren Zusammenhang mit
der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft ausbildet, eine ideologische
Reaktion auf die von vielen als Bedrohung oder gar Katastrophe erfahrene
Universalisierung der kapitalistischen Warenvergesellschaftung und dem dadurch
eingeleiteten Umbruch der gesellschaftlichen Beziehungen,
Herrschaftsverhältnisse und Herrschaftsformen. Gesellschaftstheoretisch
begriffen werden muß er als eine Ideologie, die die Subjekte einerseits selbst
produzieren, um sich die kapitalistische Gesellschaft zu deuten, um ihr Leiden
daran zu artikulieren und ihrer ohnmächtigen Wut und ihrem Haß ein zwar
falsches, aber konkretes und wehrloses Ziel zu geben, als eine Ideologie, die
andererseits in ihrer Struktur, in ihren Funktionen und zentralen Inhalten durch
eben diese Gesellschaft präformiert wird. Obwohl es angesichts der
zahlreichen historischen wie nationalen Ausprägungen dieser Ideologie
problematisch ist, von dem modernen Antisemitismus zu sprechen (2), so
lassen sich gleichwohl einige zentrale und allgemeine Komponenten aufweisen.
Zentral ist die Identifikation "der Juden" mit dem ebenso notwendig wie
folgenschwer falsch verstandenen Kapitalismus. Die eigene Ohnmacht, Abhängigkeit
und Nutzlosigkeit wird tagtäglich erfahren am Geld, sie vermittelt sich über den
Besitz bzw. Nichtbesitz dieses konkretem Abstraktums "Geld regiert die Welt": So
hebt das falsche Credo der Alltagserfahrung an, die eine ebenso evidente wie
irrige Reduktion des Kapitalismus auf das Geld vollzieht, die Ausbeutung als
Beutelschneiderei des Marktes mißdeutet und das Bank- und Börsenkapital als das
geheime Zentrum der Macht identifiziert. Aber das Geld, das denkbar
Abstrakteste, muß doch einem konkreten Besitzer gehören, der die Welt aus dem
Hintergrund regiert - und so endet diese "Logik" im Antisemitismus, wenn sie in
einem letzten Schritt den Geldbesitzer als "Jude" namhaft und haftbar macht.
Die Eigenschaften, die der Antisemitismus "den Juden" zuschreibt - Rast- und
Wurzellosigkeit(Ahasverus), Internationalität, Abstraktheit, parasitär von
fremder Arbeit lebend, alle Werte zersetzend, als geheime Macht hinter dem
Rücken der Menschen das Schicksal der Gesellschaften bestimmend -, lassen sich
als auf "den Juden" projizierte und ihm personifizierte Eigenschaften des aus
der Universalisierung der Tauschbeziehungen entspringenden Kapitals
dechiffrieren. Das ökonomische Tun der vereinzelten Privateigentümer bringt
als notwendige Konsequenz den bürgerlichen Staat und damit diejenige
Herrschaftsform hervor, die sie selbst wiederum als abstrakt gleiche
Staatsbürger vermittels des formalen Rechts und der bürokratischen Verwaltung,
notfalls mit Repression zusammenzwingt. Das Problem der Atomisierten, ihre
Unterworfenheit unter die abstrakte Zwangsinstanz Staat erklären und ertragen zu
können, die daraus resultierende, ebenso blinde wie vergebliche Suche nach
konkreter, "natürlicher" Gemeinschaft einerseits und der Identität der "guten"
Herrschaft mit den Beherrschten andererseits läßt das Wahnbild des
Zwillingspaars von "Volk und Nation" entstehen, das als ideologisches Vehikel
zur Einordnung der ohnmächtig Atomisierten in das herrschaftliche Gefüge dient.
Dieses Bedürfnis, eine Zusammengehörigkeit zu finden oder besser zu
erfinden, die auf mehr beruht als auf dem Zufall der Unterworfenheit aller
einzelnen unter die gleiche abstrakte Herrschaft, erfuhr in Deutschland aufgrund
seiner Geschichte die Ausprägung einer blinden und rückhaltlosen Identifikation
mit der Macht, die sich mit antidemokratischen Ressentiment paarte und mit einer
völkischen Definition des "Deutsch-Seins" verband. Seit der militanten
Germanomanie der Fichte, Arndt und Jahn erfüllte das Konstrukt des "Juden" immer
mehr die Funktion des "Anti-Volkes"(Améry 1990, 201; vgl. Hoffman 1990) und der
"Gegenrasse"(Rosenberg 1934, 462), als dessen Gegenbild und Gegengift erst "der
Deutsche" und dann "der Arier" nur entstehen konnte. Der Versuch, der "deutschen
Identität" die ihr wesentlich eigene Leere vom Leibe zu halten und die
Homogenisierung der Gesellschaft zur Volksgemeinschaft zu erreichen, konnte
unmöglich ohne die versprochene, intendierte oder praktizierte Bekämpfung "des
Juden" durch das sich in der aggressiven Verfolgung anderer erst findende
Kollektiv "der Deutschen" gelingen (Vgl. Poliakov 1977, 1986; Hoffmann 1990)
Auch lag es nahe, die Juden für alle weiteren, mit der Durchsetzung der
kapitalistischen Ökonomie einhergehenden und als vitale Drohung empfundenen
Umbrüche und Phänomene des modernen Kapitalismus verantwortlich zu machen - für
die Auflösung der traditionalen Familien-, Geschlechts- und
Autoritätsbeziehungen, für die Verstädterung und Vereinzelung, die
Infragestellung der überkommenen Moral und aller bisherigen Werte und Normen,
für freie Presse, Kultur und Liberalismus, für Parlamentarismus und
Individualismus, für die "Ideen von 1789", für radikale Kritik, Sozialismus,
Bolschewismus und Psychoanalyse. Diesem manichäischen Weltbild wurden "die
Juden" zum Urheber alles Bösen, alles und jedes traf das Urteil: Zersetzung
durch "den Juden". Die Aggression wurde besonders dadurch stimuliert, daß die
Juden so gehaßt wurden wie man sie zugleich beneidete, hatten sie ein wirkliche
Gemeinschaft zu sein, obwohl sie doch seit Jahrhunderten zerstreut in vielen
Staaten lebten und viele Sprachen sprachen. So wurden sie zur Provokation eines
Volkes ohne Staat. "Die Juden sind unser Unglück": Heinrich Treitschkes Parole
verhalf diesem Denken zum Programm. (3) Und gerade darin besteht der
fundamentale Unterschied des Antisemitismus zum Rassismus, der es verbietet, ihn
als bloße Unter- oder Spezialform eines allgemeinen Rassismus zu betrachten. Der
Rassismus projiziert auf die als "die andere Rasse" -heute als Angehörige einer
anderen "Kultur" - Definierten eine idealisierte Natur, triebhafte Sexualität
und starke Körper, dazu Faulheit, Leistungsunfähigkeit und -unwilligkeit, eine
niedrigere Intelligenz und ungehemmte Emotionalität, schließlich Irrationalität
und Kriminalität. Im Ersatzobjekt wird die Angst vor dem drohenden Rückfall des
disziplinierten und sich selbst disziplinierenden Subjekts in den Naturzustand
symbolisiert und bekämpft. Die Angst, in der Konkurrenz zu unterliegen, treibt
den lohnarbeitenden Staatsbürger zur aggressiven Abwehr des Bewußtseins seiner
eigenen Wertlosigkeit und Ersetzbarkeit, die zugleich den angstvollen Appell an
den Staat darstellt, die Selbstunterwerfung auch zu honorieren (Vgl. Postone
1988, 277; Bruhn 1991; Jacoby/Lwanga 1990, 95). "Der Jude" dagegen
symbolisiert die andere Seite. Er steht für Kapital, abstrakte Herrschaft und
künstliche Zivilisation; ihm werden eine hohe, aber verschlagene Intelligenz,
sagenhafte Macht und kalte Berechnung zugeschrieben. Der moderne Antisemitismus
leistet wesentlich mehr als der (klassische) Rassismus. (4) Als
Geschichtsphilosophie bietet er eine ursächliche Erklärung der
gesamten kapitalistischen Gegenwart aus einem Prinzip, er macht "die
Juden" für ihre Nöte und Krisen, ihre Zwänge und Katastrophen verantwortlich und
verheißt Erlösung: die "Lösung" des "Judenproblems". Die ideologische und
psychologische Dynamik des modernen Antisemitismus ist dadurch gekennzeichnet,
daß seine Parteigänger gegen jeden Versuch rationaler Überzeugung immun sind und
daß er eine zwar objektiv konformistische, weil am Ersatzobjekt sich
ausagierende, subjektiv aber ernst gemeinte Rebellion darstellt. Die Resistenz
der antisemitischen (und auch der rassistischen oder nationalistischen) Denkform
gegen jede ihr widersprechende Realität speist sich,w ie ihre Immunität gegen
Argumente und Kritik,a us dem psychischen Gewinn, den sie verschafft. Sie
erlaubt nicht nur eine instinktsichere Orientierung in einer weithin
unverständlichen und widersprüchlichen Gesellschaft, die sich mit dem Stolz
paart, einer Gemeinschaft der Eingeweihten und Wissenden anzugehören - durch die
Projektion alles Bösen auf das prospektive Opfer "Jude" vermag der Antisemit
sich vielmehr selbst zum absolut Guten zu erklären und so den Freibrief sich
auszustellen, in Notwehr zur ersehnten Gewalttat am Ersatzobjekt zu schreiten
und endlich den ein Leben lang aufgestauten Haß ausleben zu dürfen. So wenig das
projizierte mit dem Objekt zu tun hat, so wenig will der Projizierende diese
Differenz erkennen. Denn dann müßte er kritisch auf sich selbst reflektieren und
das Ziel seiner Vernichtungswünsche käme ihm abhanden. Der Antisemitismus ist
eine Bewußtseinsform, die nicht über sich selbst aufgeklärt werden kann, die
sich dagegen wehrt, ihrer selbst aufgeklärt zu werden. Der radikalisierten
und strikt binären Ideologie des Nationalsozialismus mußten "der Jude" und die
Juden am unerbittlichsten für das abstrakt Böse von Ökonomie, Staat und Kultur
einstehen. Sie deutete die Weltgeschichte als Kampf zweier Prinzipien, sie
stellte die Alternative von katastrophischen Untergang oder Bekämpfung des "im
Juden" personifizierten abstraktem Bösen auf. Der moderne Antisemitismus und
insbesondere der Nationalsozialismus verstanden sich als die ebenso nationale
wie soziale Bewegung, als wahrhaft "deutsche Revolution" gegen das "Sinnbild
alles Bösen" zur Rettung der Welt (Hitler 1936 355). Nach der Zäsur
"Auschwitz", d.h. nach dem siegreichen Untergang des Systems der
Massenvernichtung, konnte der Antisemitismus unmöglich in seiner alten Form noch
überhaupt als offener Antisemitismus fortbestehen. Die Öffentlichkeit hat
antisemitische Äußerungen bislang tabuisiert; es scheint daher, als sie der
Antisemitismus als Welterklärung und als politische Bewegung verschwunden.
Gleichwohl erweisen die mit unheimlicher Regelmäßigkeit auftretenden
antisemitischen "Entgleisungen" in Miltenberg und anderswo die manifeste
Verdrängungs- und Entlastungsfunktion des demonstrativ zur Schau getragenen
Philosemitismus. Auch alle empirischen Erhebungen beweisen das hartnäckige
Fortleben antisemitischer Stereotypen in weiten Teilen der Bevölkerung.
Unterhalb der Schwelle geschlossener Weltbilder und politischer Bewegungen wird
der Antisemitismus als Alltagsdenken beständig produziert und erneuert. Weil
die Antisemiten nach Auschwitz keine mehr sein können, kam es zum Phänomen des
Antisemitismus ohne Antisemiten, der in Deutschland zugleich ein
Antisemitismus ohne Juden ist - ein Beleg mehr für die Produktivität
einer Ideologie, die sich ihren Gegner erst ganz am Schluß, wenn es um den
Endkampf geht, in der Gestalt "des Juden" konstruiert. Das im klassisch modernen
Antisemitismus Gebündelte existiert heute aufgespalten in Anti-Intellektualismus
und Anti-Amerikanismus, in Antikommunismus, Kulturpessimismus und Apokalypse,
d.h. in Komponenten und Bausteine, die - vorerst - nicht unabweislich zum
"Juden" zusammengefügt werden müssen (Vgl. Claussen 1991, Bering 1982). Das
paradoxe und perverse Novum des Antisemitismus nach 1945 besteht, gerade in
Deutschland, darin, daß Auschwitz zur neuen Quelle eines sekundären
Antisemitismus werden konnte. Die vielfältigen Versuche der Verleugnung,
Entschuldigung und Relativierung des Nationalsozialismus zeugen samt und sonders
von der Schranke, die die "deutsche Tat" Auschwitz dem Bedürfnis nach "deutscher
Identität" setzt. Das provoziert den "Antisemitismus wegen Auschwitz"(Diner
1986, 125). Die antisemitischen Emotionen, die sich aus scheinbar heiterem
Himmel an Ereignissen wie der Rückgabe jüdischer Vermögen anfangs der 50er
Jahre, an der Fassbinder-Kontroverse, an Bitburg und der Waldheim-Affäre
exemplarisch entluden, bezeugen das immense Verlangen der überwiegenden Mehrheit
der Deutschen danach, "endlich einen Schlußstrich unter die Vergangenheit" zu
ziehen und Israel als eine "Staat wie jeden anderen" zu behandeln. Die
nationalistischen Tendenzen weiter Teile der Friedensbewegung der 80er Jahre und
während des Golfkriegs, die neue Konjunktur des christlichen Antijudaismus und
seines Stereotyps vom unversöhnlichen alttestamentarischen Rachegott sind
Symptome dieser aus unbewußten kollektiven Schuldgefühlen und aggressiven
Entlastungswünschen sich speisenden "bedrohlichen Präsenz der Juden im
kollektiven Bewußtsein in Deutschland nach Auschwitz" (5) Treitschkes
Schlachtruf "Die Juden sind unser Unglück" gewann durch Auschwitz tatsächlich
den Inhalt, daß jeder Jude der "deutschen Identität" im Wege steht, weil er an
die deutsche Untat erinnert. "Die deutschen werden den Juden Auschwitz nie
verzeihen"(Broder 1986, 125)
Kleine Geschichte des des bundesdeutschen
Antizionismus Meinungsumfragen der amerikanischen Militärverwaltung
1946/49 zeigten, daß es in Deutschland auch in Sachen Antisemitismus alles
andere als eine "Stunde Null" gegeben hatte. Die Mehrheit der Deutschen wollte
sich keineswegs für den Nationalsozialismus verantwortlich fühlen, und bereits
die Rückerstattung des jüdischen Eigentums stieß nach 1950 auf massiven Protest
(Schoeps 1986, Bergmann 1990, Erb 1990). Die sozialdemokratisch,
gewerkschaftlich, linksliberal und christlich geprägte Nachkriegslinke dagegen
vertrat dezidiert proisraelische Positionen, trug maßgeblich zum Zustandekommen
des Wiedergutmachungsabkommens von 1952/53 bei und engagierte sich in der ersten
Hälfte der 60er Jahre für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel, die
die Regierung Adenauer bis 1965 hinauszögerte. Doch die stereotype Bewunderung
von Israel und der israelischen Gesellschaft, die Begeisterung für die Kibuzzim
und die Heroisierung der jüdischen Pioniere (während die palästinensische
Bevölkerung keine Erwähnung fand), sind Belege dafür, daß der Pro-Israelismus
der Linken nicht nur aus dem Bewußtsein politischer Verantwortung folgte,
sondern auch von Befangenheit, latenten Schuldgefühlen sowie dem Bedürfnis
geprägt war, sich gegenüber dem Ausland wie in Abgrenzung zur CDU-Regierung als
das "bessere Deutschland" zu bewähren (Stern 1991a,b). Die Neue Linke der
60er Jahre dagegen, die sich vor allem im Engagement gegen den Vietnamkrieg
sowie in der Kritik der nachnazistischen autoritären Demokratie formierte, nahm
seit Ende der 60er Jahre eine ganz andere Haltung zu Israel ein (Kloke 1990,
Fichter 1984). Der Wendepunkt war der Junikrieg von 1967, der nur drei Tage nach
der Erschießung Benno Ohnesorgs während einer Demonstration gegen das
Schahregime begann, als die APO sich mit der bis dato massivsten staatlichen
Repression sowie der tagtäglichen Hetze der Springer-Presse konfrontiert sah.
Regierung und Springer-Presse feierten den Sieg Israels mit einer
Blitzkriegsbegeisterung, in der sich der ohnehin fadenscheinige offizielle
Philosemitismus mit der kaum verhohlenen Freude und tiefen Genugtuung mischte,
daß "die Juden" endlich Untaten begingen und Krieg führten wie andere auch,
hinzu kam die Erleichterung, daß die "Rache der Juden" nicht die Deutschen
ereilte, sondern die arabischen Staaten, die überdies noch als Vorposten der
Sowjetunion galten (So z.B. Golo Mann 1960, vgl. Meinhof 1980, Diner 1986).
Innerhalb kürzester Zeit kippte die Position der Neuen Linken von einer
verhaltenen proarabischen Neutralität in eine überbordende Verurteilung Israels
als "imperialistisch-faschistisches Staatsgebilde" um, während die Al Fatah zum
avangardistischen Subjekt der sozialrevolutionären Umwandlungsprozesse in der
Dritten Welt stilisiert wurde. Argumente, Kritiken und Warnungen bekannter
Altlinker, wie Ernst Bloch, Herbert Marcuse, Jean Améry, Jean-Paul Sartre, Iring
Fetscher u.a.m.,d ie die Selbstverständlichkeit der Differenzierung zwischen der
Existenz des Staates an sich und der Kritik an der israelischen
Regierungspolitik einforderten und auf die "unerträglichen"
Vernichtungsdrohungen (Meinhof 1980, 102) und die "nationalistische
Demagogie"(Deutscher 1977, 93) der arabischen Propaganda hinwiesen, vermochten
den Stimmungsumschwung nicht aufzuhalten (vgl. Améry 1969, 190a,b; Deutscher
1977M Kloke 1990 1990, 71ff) Damit begann der Niedergang der Neuen Linken.
Exemplarisch für diese Großen Sprung zurück steht die Biographie von Ulrike
Meinhof: Sie forderte noch 1967 die politische Vernunft und historische
Verantwortung der Linken ein statt blinder Parteilichkeit. Nur wenige Jahre
später regredierte sie mit RAF auf Positionen, aus denen nur verzweifelter
Aktivismus und historische Amnesie spricht. Seit 1969 wurde der
Palästinakonflikt nur noch als "ein Bestandteil des Kampfes aller unterdrückten
Völker der Dritten Welt gegen den Imperialismus" wahrgenommen. Nahezu alle
Gruppen der zerfallenden APO waren sich einig in der Parole "Nieder mit dem
chauvinistisch-rassistischen Staatengebilde Israel!", die der Frankfurter SDS
1970 ausgegeben hatte (Nach Kloke 1990, 80) Schon 1969 hatten es die
anarchistisch-spontaneistischen "Schwarzen Ratten/Tupamaros Westberlin", eine
Vorläufergruppe des 2.Juni, nicht mehr bei Verbalinjurien blassen: "Am 31.
Jahrestags der faschistischen Kristallnacht wurden in Westberlin mehrere
jüdische Mahnmale mit "Schalom und Napalm" und "El Fatah" beschmiert. Im
Jüdischen Gemeindehaus wurde eine Brandbombe deponiert". Bislang habe infolge
des deutschen Schuldbewußtseins nur eine "neurotisch-historizistische
Aufarbeitung der geschichtlichen Nichtberechtigung eines israelischen Staates"
stattgefunden. Doch der "wahre Antifaschismus ist die klare und einfache
Solidarisierung mit dem kämpfenden Fedayin." Denn "aus dem Faschismus
vertriebene Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem
amerikanische Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen"(Nach Baumann
1976, 67f) Damit war der Antizionismus innerhalb der Linken nicht etwa
diskreditiert, und in der Folgezeit gründeten sich zahlreiche
Palästina-Komitees; in den 70er Jahren hatte der Antizionismus Hochkonjunktur.
Nach der Geiselnahme der israelischen Olympiamannschaft durch ein Kommando der
palästinensischer Organisation "Schwarzer September" 1972 in München führten die
harten staatlichen Repressionen gegen in der BRD lebende Palästinenser und
Araber nicht nur zu politischen und praktischen Solidarisierung mit ihnen,
sondern die Solidarität ging mit einem weiteren Aufschwung der antizionistischen
Agitation einher; die RAF äußerte in einer längeren Erklärung, die jeder der
"Schwarzen Ratten" in nichts nachstand, ihre Begeisterung über den
beispielhaften Charakter der "antimperialistischen, antifaschistischen und
internationalistischen" Aktion des "Schwarzen September" (RAF 1987, 31).
Sowohl die Zeitungen des Palästinakomitees (mit ihren so martialischen
Titeln wie Die Front oder Die Revolution) wie die Zentralorgane der K-Gruppen
der 70er Jahre bezeugen, daß damals ein ebenso bedingungs- und wie
besinnungsloser Antizionismus zur Grundausstattung einer sich revolutionär
dünkenden "linken Identität" gehörte. Selbst als sich 1976 die Ungeheuerlichkeit
der Selektion der jüdischen (und nicht nur der israelischen) Fluggäste während
der Entführung eines Vekehrsflugzeugs nach Entebbe durch ein Kommando der
palästinensischen PFLP und zwei Angehörige der bundesdeutschen Revolutionären
Zellen mit dem Ziel der Freipressung von inhaftierten Palästinensern ereignete,
reagierten weite Teile der Linken mit Ignoranz und Gleichgültigkeit - während
z.B. die KPD "dem Ministerpräsidenten von Uganda, seiner Exzellenz Idi Amin ..
uneingeschränkte Solidarität" ausdrückte und ihm "unser tiefempfundenes Mitleid"
versichterte (Rote Fahne, nach Broder 1984, 22). Danach begann, vorerst nur in
kleinen Teilen der Linken, die erste Antisemitismusdebatte, (6) die noch durch
die öffentlich begründete Emigration von Henryk M.Broder und Lea Fleischmann
nach Israel verstärkt wurde (Fleischmann 1980), Broder 1981). Einige forderten
das "ende einer falsch verstandenen linken Toleranz"(Fichter 1984, 96),
gegenüber dem Antizionismus. Die Welle der Empörung, die 1982 durch die
Libanon-Invasion der israelischen Armee und die Massaker in den
Flüchtlingslagern von Sabra und Schatilah hervorgerufen wurde, erschreckte durch
ihr zwanghaftes Bedürfnis, Israel mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen,
eine Analogisierung, die von den Palästina-Komitees bis hin zu den Grünen
Anklang fand. Doch die Schlagzeilen der linken Presse, die von der "Endlösung
der Palästinenserfrage" handelten, stießen auf eine bereits heftigere Kritik.
Nicht mehr nur allein der Palästinasolidarität, sondern auch den neuen sozialen
Bewegungen wurden antijüdische Tendenzen oder gar "Antisemitismus von links"
vorgeworfen (Vgl. Verlängerung 1983, Solidarität 1984, Brumlik 1986, Diner
1983). Diese Kritik, aber auch der allgemeine Niedergang der
Zerfallsprodukte der APO, das Ende des "Mythos des Internationalismus" (so der
Titel eines Kursbuches von 1979) sowie die beginnende Umorientierung der PLO in
Richtung auf Verhandlungsbereitschaft drängten den harten Kern der
Palästinasolidarität zunehmend in isolierte Zirkel ab und ließ darin -
Musterbeispiele sind die Zeitschrift Al Karamah sowie der an der Hamburger
Universität wirkende Pädagoge Karam Khella - immer stärker
völkisch-nationalistische Denkweisen hervortreten. Der fundamentalistische
Dissens schwelte weiter und brach immer wieder auf. So provozierten die von
keiner Einsicht getrübten antiisraelischen Äußerungen von Nahostgruppen, mit
denen diese die gerade begonnene Intifada zu unterstützen trachteten, 1988
erbitterte innerlinke Auseinandersetzungen und Trennungsprozesse (Deutsche Linke
1988, Initiative 1990, IZ3W Nr. 150/1988). In den Diskussionen um die linke
Position zum Golfkrieg und zu Israel 1991 büßten die ohnehin
zusammengeschmolzenen Nahostgruppen ihre restlichen Identitätskrücken nahezu
ein, nachdem selbst "Gefangenen aus dem Widerstand" und ein Gruppe der
Revolutionären Zellen den Antizionismus vehement kritisierten. (7) Trotzdem muß
bezweifelt werden, daß dieser Aufsatz schon ein Nachruf ist. Eine mehr als
zwanzigjährige Geschichte von disparaten Gruppen und Sekten, die sich schon über
der Frage heftig befehdeten, ob El Fatah, PFLP oder DFLP der linken Sympathie
teilhaftig werden dürften, dazu die Entwicklung von der anfangs enthusiastischen
Hoffnung auf Veränderung über die bald nur noch stereotype Beschwörung der
weltweiten Einheit der revolutionären Bewegung bis hin zu den verquasten
völkisch-nationalistischen und antisemitischen Phrasen der 80er Jahre, deren
Verbreitung sich die Zeitschrift Al Kamarah verschrieben hat - läßt sich all das
überhaupt als der Antizionismus darstellen?
Das antiimperialistische
Weltbild macht keine Fehler... So verschieden und untereinander
zerstritten die Verfallsprodukte der 68er-Bewegung, die diversen Kaderparteien
sowie die Gruppen des bewaffneten Kampfes bis hin zu den Autonomen und den
Antiimperialisten der 80er Jahre auch waren: Sie einte doch eine spezifische
Interpretationschablone, deren Grundstruktur hier idealtypisch als
antimperialistisches Weltbild skizziert werden soll. (8) Diese
Weltanschauung gehört bis heute zum diffusen Grundkonsens der Linken und bildet
einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis des Antizionismus und seiner
wohlwollenden Akzeptanz als legitimer Bestandteil "linker" Gesinnung. Der linke
Common Sense begreift die Gesellschaft als von einem monolithischen Machtblock
aus Kapital und Staat gesteuert. Weder wird die bürgerlich-kapitalistische
Ökonomie als ein System sozialer Beziehungen begriffen oder das relativ
getrennte Dasein eines politischen Gebildes namens "Staat" als ein notwendiger
Ausdruck dieser sozialen Verfaßtheit gesehen, noch wird unter "Ideologie" mehr
verstanden als Manipulation und geschickte Lüge. So entsteht zwangsläufig ein
binäres und verdinglichendes, ein personalisierendes und moralisierendes Denken,
das eine Clique von bösen Herrschenden annehmen muß, die mittels direkter
Repression, Korruption durch Sozialpolitik und gemeiner Propaganda in den Medien
die Guten, die Beherrschten, niederhalten - ein Ideenkonglomerat, das zur
unsäglichen These vom "neuen Faschismus" in der BRD treibt. Doch wo hört die
Herrschaft auf, wo fangen die Unterdrückten an? Alle nach 1968 unternommenen
Versuche, das Proletariat über seine wahre Lage aufzuklären und es von seinen
eigentlichen Interessen zu überzeugen, scheiterten. Waren Repression und
Indoktrination daran schuld? Oder war das Proletariat bereits so durch den der
"Dritten Welt" abgepreßten Profit korrumpiert worden, daß es nun selbst bekämpft
werden mußte? Die Linke bliebt marginal, jede Hoffnung auf baldige praktische
Veränderung wurde und wird schnell frustiert. Nach dem Scheitern der
Anti-Springer-Kampagne, der Verabschiedung der Notstandsgesetze, dem Ende des
Pariser Mai und des Prager Frühlings verblichen die demokratischen,
sozialistischen und utopischen Inhalte der Neuen Linken, und an die Stelle der
Utopie trat die negative Selbstdefinition als "Opfer", das gegen das System
rebelliert. Doch je notwendiger eingehendere Analysen oder zumindest das
Eingeständnis der eigenen Ratlosigkeit und Ohnmacht sowie der Haltlosigkeit der
Phrase von der "Diktatur des Proletariats" wurden, desto mehr schwor man sich
auf einen maoistisch eingefärbten Marxismus-Leninismus ein. Je
unwahrscheinlicher die Revolution in der BRD wurde, desto mehr glaubte man (auch
weil die UdSSR trotz aller ideologischer und praktischer Kongruenzen dazu nicht
mehr taugen konnte) wenigstens in den Befreiungsbewegungen der "Dritten Welt"
die Verkörperung der weltrevolutionären Kräfte gefunden zu haben. Im Trikont
schien es noch leicht, den "klaren Trennungsstrich zwischen sich und dem Feind"
(Mao) zu ziehen. Der monolithische (US-)Imperialismus stand weltweit als
Verschwörung der Metropolen gegen den vereint kämpfenden "proletarischen
Internationalismus". Je aussichtsloser die eigenen Aktionen zur Konfrontation
mit dem staatlichen Repressionsapparat führten, desto entschiedener hefteten
sich die antiimperialistischen Sehnsüchte an den "Sieg im Volkskrieg". Und je
unabweisbarer die objektiven Schwierigkeiten der linken Theorie und Praxis in
der BRD hätten reflektiert werden müssen, desto stärker wurde das subjektive
Bedürfnis, sich stattdessen eine linke revolutionäre "Identität" (auch ein
neulinker Modebegriff) durch den Bezug auf die "geborgte Realität" (Oskar Negt)
der Befreiungsbewegungen in der "Dritten Welt" zu verschaffen. Das Modell
war griffig: Ein Volk fordert seine Selbstbestimmung gegen fremde Herrschaft und
imperialistische Ausbeutung. Herrschaft wurde auf Fremdherrschaft, Kapitalismus
auf fremde Ausbeutung reduziert. Die notwendige und richtige Parteinahme für die
aufständische Bevölkerung mutierte zur unkritischen Pauschalidentifikation mit
den jeweiligen Befreiungsbewegungen. Was in Wirklichkeit in erster Linie
nationale Befreiungsbewegungen waren, das geriet der erfolgs- und
perspektivlosen Metropolenlinken zur Stellvertreterbewegung, die die
sozialistische Utopie an ihrer Statt verwirklichen könne. Dieser unkritische und
identifikatorische Bezug auf die Kämpfe der nationalen Befreiungsbewegungen -
legitimiert durch die Pseudotheorie des Marxismus-Leninismus, der von Anfang an
wenig mehr war als die nationale Legitimationsideologie der sowjetrussischen
Entwicklungsdiktatur und mit Kommunismus nichts zu tun hatte(Claussen 1979,
Pannekoek 1991)-, führte zur unkritisch-affirmativen Besetzung der Begriffe
Nation, Staat und Volk. Gelangte eine nationalistische Befreiungsbewegung
erfolgreich an die Macht, so wurde sie zu dem, was sie werden wollte bzw. was
erwartbar war: im besten Fall zu einem relativ "normalen" Nationalstaat, mit
einer ganz normalen Regierung, mit staatlicher Repression usw. Oft genug wurde
sie aber auch zu einem äußerst diktatorischen Regime, dessen Brutalität,
Vertreibungen und Massaker meist lange kritiklos beschwiegen und vielmehr bis
zum völligen Verlust aller moralischen Maßstäbe und jeglicher politischen
Vernunft mit marxistisch-leninistischen Phrasen so lange zu legitimieren
versucht wurden, bis die blinde Gefolgschaft, enthusiastische Romantisierung und
Heroisierung dann Hals über Kopf aufgegeben und der revolutionäre Weltgeist
sodann in einer anderen Weltengegend entdeckt wurde. Das
antiimperialistische Weltbild ist nicht nur mit einigen "Fehlern" behaftet,
sondern es weist - in seiner vereinfachenden Sicht von Herrschaft als
Fremdherrschaft und Ausbeutung als fremde Machenschaft, in seinem binären
Denken, das unter Verlust des Realitätsbezuges das Weltgeschehen sauber in Gut
und Böse sortiert, in seinem Willen, den Kampf um nationale Unabhängigkeit als
Revolution mißzuverstehen und der daraus resultierenden Identifizierung mit dem
Volk und dessen Gleichschaltung mit dem "guten Volksstaat", schließlich in
seiner Tendenz, Politik und Ökonomie zu personalisieren - zahlreiche
strukturelle Affinitäten mit dem antisemitischen Weltbild
auf.
Das gute Volk kämpft gegen das künstliche Zionistengebilde
Der Antizionismus ist die Anwendung des antiimperialistischen Schemas auf
den Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen nationalen
Befreiungsbewegung. Darin führt die strukturelle Affinität zur teilweisen
inhaltlichen Affinität: das antiimperialistische Weltbild ist den
antisemitischen Stereotypen gegenüber nicht nur nicht immun, sondern es
tendiert, wird es zum Antizionismus konkretisiert, dazu, diese selbst
hervorzubringen. Ordnet man das Material von zwanzig Jahren antizionistischer
Agitation, so läßt sich aus all den Traktaten und Elaboraten verschiedenster
Provenienz doch eine allgemeine Logik des bundesdeutschen Antizionismus
destillieren. Von rebellischen Identifikations- und Projektionsbedürfnissen
getrieben, sucht das binäre Denken auch im Nahost-Konflikt nach Gut und Böse und
findet das Unheil mit schlafwandlerischer Sicherheit im "Zionismus" sowie im
Staat Israel, der, und hier darf ausnahmsweise einmal das Bewußtsein das Sein
bestimmen, zu dessen "materiellen Ausdruck" erklärt wird (Autonome Nahostgruppe
Hamburg 1988, 9). Um den Zionismus zu geißeln, wird zuerst seine üble
Herkunft, d.h. sein "Klassencharakter", als bloße "ideologie jüdischer
Kapitalisten" (Rote Pressekonfernez, 18.10 1973) nachgewiesen, wobei der
vulgärmaterialistischen Phantasie keine Grenzen gesetzt sind. Al Karamah weiß,
daß der Zionismus von der osteuropäischen jüdischen Bourgeoisie, deren bislang
so arbeitssame jüdische Lohnarbeiter gefährliche klassenbewußt wurde, um mit
"der Errichtung eines eigenen 'rein jüdischen' Staates die Verhältnisse des sich
auflösenden Ghettos...zu reproduzieren"(Al Karamah Nr.8 (1988,40)); die "Gruppe
Arbeiterpolitik" dagegen hat schon etwas von Antisemitismus gehört und
favorisiert die jüdische Bourgeoisie in Westeuropa als Urheber des Zionismus,
weil diese "das sorgfältig gehütete Gerüst der 'Assimilation'" angesichts der
starken Zuwanderung von Juden aus Osteuropa habe schützen wollen. Wie
phantasievoll hergeleitet auch immer, der Zionismus ist jedenfalls "die
imperialistische Antwort auf die 'Judenfrage'"(Nahostgruppe Hamburg 1989, 4f) -
was allemal besser klingt als der verzweifelte Fluchtversuch vor dem
Antisemitismus, der er war. Dieses abstrakte Böse schuf etwas Künstliches,
eine "Gebilde" mit dem Namen "Israel". Zwar ist der Zionismus bemüht Israel "als
'Heimstätte aller Juden' zu tarnen"(Nahostgruppe Freiburg 1988b), doch der
geschulte Antiimperialist durchschaut das natürlich und verurteilt diese
naturwidrige Existenz mit deutscher Gründlichkeit, d.h. mittels Gänsefüßchen,
zum Tode. Wie konnte dieser "Garten des Bösen"(Elias 1983, 93), dieser Staat
"der ein einziges Kontinuum des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist"
(Khella 1988, 19) überhaupt entstehen? Natürlich ist "der Imperialismus"
mitbeteiligt. nur im Bündnis mit dem Imperialismus konnte der "Zionistenstaat"
als "Brückenkopf gegen die nationalen Befreiungsbewegungen" geschaffen werden
(Arbeiterkampf November 1973); und er hatte "seit jeher die Funktion, die
Interessen des Imperialismus in dieser Region durchzusetzen" (Autonome
Nahostgruppe Hamburg 1989,2). Diese üble Abkunft läßt "den Zionismus" dann
zur Metapher für das Böse schlechthin taugen, und meist wird er in einem Atemzug
mit Imperialismus und Rassismus genannt. Er "wehrt sich vehement gegen ein
friedliches Zusammenleben der Völker"(Nahostgruppe Freiburg 1988b). Mit der
"durch keine Vernunft und Menschlichkeit gebundenene Ungeheuerlichkeit
zionistischer Aggressionen"(Elias 1983, 94) ist er "nicht nur der unversöhnliche
und unreformierbare Feind der Palästinenser. Er ist auch unser Feind. Er ist der
Feind aller Menschen"(Autonome Nahostgruppe Hamburg 1989, 2). Dem abstrakten
Bösen in Gestalt des Zionismus/Imperialismus tritt geschlossen das konkrete Gute
entgegen: ein Volk! "Sehr oft wurde behauptet, das palästinensische Volk gäbe es
nicht...Das ist eine absolute Lüge" denn alle Aktionen und Forderungen beweisen
die Einheit des palästinensischen Volkes...alles spricht dafür und beweist die
Integrität und die Einheit dieses Volkes...Israel ... ist mit dem gesamten Volk
konfrontiert..."(Nahostgruppe Freiburg 1988c). Die Zionisten und Imperialisten
"zerstören die sozialen Zusammenhänge der Menschen und vertreiben sie von Land
und Boden. Damit vernichten sie ihre Würde und Identität." Insbesondere die
"völlige Entwurzelung" gefährde ihre "Identität als Volk"(Nahostgruppe Freiburg
1988a). Das derart beschworene Volk ist dem Antizionisten ans Herz gewachsen,
weil es erstens ein Opfer ist, zweitens kämpft und das drittens auch noch gegen
die Entwurzelung durch die Israelis. Israel dagegen darf kein Volk
vorweisen, und die Juden sind daher auch gar kein richtiges Volk. In der für die
PLO wie die deutschen Antizionisten "grundlegenden Frage, ob die Juden ein Volk
sind" (Autonome Nahostgruppe Hamburg 198, 14), sind alle der einhelligen
Meinung, daß dieses "angebliche Volk" (Rote Presse Korrespondenz, 8.10.1983),
"das niemals existiert hatte" (Palästina-Nachrichten Nr.7), selbstverständlich
kein 'Naturrecht' auf einen richtigen Staat geltend machen könne, weil es - und
hier wird gerne die Palästinensische Nationalcharta zitiert-, weder einen
"Heimatboden" vorzuweisen hat noch eine angeborene "Identität...(als) genuine,
unauslöschliche Eigenschaft. Sie geht von Elterngeneration auf die Nachkommen
über"(nach Al Kamarah Nr. 2/1986, 13). Alle richtigen Völker, die im Genuß von
Blut und Boden sind, dürfen Staaten gründen, die Palästinenser und Kurden, nur
die Juden nicht, weil sie nach deutsch-völkischen Kriterien keines sein dürfen.
Al Kamarah weiß dies am anschaulichsten vor Augen zu führen: "Was das Volk
letztlich ausmacht, ist sein Land, seine Bildung, seine Geschichte und auch die
folkloristischen und kulturellen Gewohnheiten und Traditionen spielen eine große
Rolle." "Wenn die die Wurzeln eines Volkes erkennen willst, schau sein Tänze,
seine Folklore an" "Den Zionisten fehlt eine einheitliche Folklore, weil sie aus
verschiedenen Teilen der Welt, aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen". "Sie
bilden keine Nation und müssen sich nationale Eigenschaften durch Raub
erwerben"(Nach Heinrich 1989, 123ff) Da "Zionismus und Frieden...ebenso
unvereinbar sind wie Feuer und Wasser"(Al Kamarah Nr.12/1989,4), ist klar: "Wer
an eine Lösung glaubt, die an der Beseitigung des zionistischen Regimes Israels
vorbeigeht, der irrt"(Nahostgruppe Hamburg 1988, 10). "Israel mußt Weg!"(Interim
1992, 6). Im Rahmen der antiimperialistischen Arbeitsteilung hat das
palästinensische Volk, je nach Gusto der metropolitanischen Antizionisten, die
sozialistisch-ökologisch-feministische Revolution durchzusetzen: "Die
Perspektiven..der palästinensischen Revolution liegen...in der Befreiung der
Menschen, der Widerherstellung ihrer Würde und Identität als freie Menschen und
in einer Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen und ihrer
Verantwortung gegenüber der Natur orientiert"(Nahostgruppe Freiburg 1988a).
Und während die Tatsache, daß dieses schöne Programm nur durch die
Vertreibung oder Tötung der Millionen von Israelis, die nicht mit dem Urteil der
deutschen Antizionisten einverstanden sind, hinter der Formel verborgen wird,,
doch nur die 'zionistischen Staatsstrukturen zerschlagen' zu wollen, ruft Al
Kamarah unverhohlen dazu auf, "für jede und jeden Palästinenser / in [der
getötet wird] einen Siedler zu liquidieren" (Al Kamrah, a.a.O. 4). Im
"kompromißlosen Existenzkampf" zur "Zerschlagung der allumfassenden
zionistischen Verkörperung in Form des zionistischen Staates Israel" (Al
Karamah, Nr 3, 18), "mit dem Rücken zur Wand" - da ist kein Platz mehr zum
Zurückweichen. "Vor sich den Feind"(Nahostgruppe Freiburg 1988c), da findet der
Antizionist, was er so dringend benötigt, die "kämpferische nationale Identität,
die nicht zu zerschlagen ist"(Al Karamah Nr 7/1988, 3); und auch die RAF fühlte
schon 1972, daß die deutsche Linke anhand derlei "antiimperialistischen,
antifaschistischen und internationalistischen" Aktionen wie der des Schwarzen
September "ihre eigene politische Identität wiederfinden" könne(RAF 1987, 38).
Nachdem so das gute Volk gegen das abstrakte in Gestalt des
Zionismus/Imperialismus in Stellung gebracht worden ist und die Palästinenser
nun den Kampf gegen das zur Staatlichkeit nicht befugte Pseudo-Volk als
Avantgarde der nationalrevolutionären Identifikationsbedürfnisse bundesdeutscher
Antizionisten zu führen haben, entwickeln die Traktate noch all die anderen
antisemitischen Sterotypen, die symptomatisch sind. So kann ungeniert von
"zionistischer Weltbewegung" (Al Kamrah Nr 3 1986, 18) geschrieben werden, und
auch Wall Street darf nicht fehlen: "Die zionistischen Multimillionäre, die in
allen Teilen der Welt leben..., treffen sich immer wieder in privaten
Konferenzen, um Israels Aggression zu unterstützen"(Antiimperialistisches
Informationsbulletin, April 1971). Zions Herrschsucht ist noch immer
unersättlich, und manch ein Antizionist fragt sich mit lüsterner Besorgnis: Wird
"Groß-Israel von Nil bis zum Euphrat" reichen, wie Brigitte Heinrich als
Rednerin der bundesweiten Demonstration gegen die Libanon-Invasion am 21.8.1988
formulierte (Nach Kloke 1990, 139)? Mitnichten! Israels "seit Jahrzehnten
erklärtes Ziel...(ist) die mythisch-biblische Ausdehnung seines Einflusses auf
den ganzen nahem Osten in der weiteren Perspektive"(Elias 1983, 85) Auch die
"Beherrschung der Weltöffentlichkeit durch die zionistische Propaganda" darf
nicht fehlen, deren "organisierte Demagogie... in der Lage war, jede kritische
Äußerung gegen den zionistischen Staat zum Schweigen zu bringen"(Al Kamarah Nr.
3 1986, 18) Und der Staat des staatsunfähigen Unvolks ist natürlich ein "mit
geraubtem Land und geschnorrten Geld errichtetes künstliches
Gebilde"(Arbeiterkampf, Januar 1975) mit "Parasitären Charakter"(Konkret
28.6.1973). Daß diese antisemitischen Stereotypen mit einer systematischen
Ignoranz gegenüber dem Antisemitismus und seiner Geschichte einhergehen und dazu
mit der durchgängigen Verkennung seines ideologischen Gehalts, kann nicht mehr
überraschen. Fall der Antisemitismus überhaupt als Problem erscheint, dann
erstens lediglich als eine Form von Rassismus unter vielen due schon deshalb
keine gesonderte Betrachtung erfordere, zweitens wird er zur bloßen Erfindung
und Lüge, zum Täuschungsmanöver der Bourgeoisie verniedlicht, "um den Haß der
Unterdrückten von den wahren Ursachen abzulenken und zu spalten"(Autonome
Nahostgruppe Hamburg 1989, 2). Damit glaubt sich der Antizionismus die
Generalabsolution erteilt zu haben, ist doch der Antisemitismus per definitionem
die exklusive Angelegenheit von Bourgeoisie und (Neo-)Nazis, gegen die sich der
Antizionist "als Teil der unterdrückten Klasse"(ebd.) im Kampf wähnt. Daß der
moderne Antisemitismus immer als Bewegung auftrat, die sich als Revolte
verstand, wird unverzüglich und rückstandslos verdrängt. Dagegen spart dies
pathologisch gute Gewissen, das sich mit der Gnade der späten Geburt brüstet,
nicht mit Vorwürfen an die Zionisten, sie hätten, nur um ihr Leben zu retten,
statt den revolutionären Kampf gegen Hitler zu führen, lieber den reaktionären
Weg der Flucht gesucht (Vgl. Offenberg 1983, Polkehn 1988; Autonome Nahostgruppe
Hamburg 1989, 8). Aber am liebsten mag der Antizionist von Antisemitismus
und Auschwitz gar nichts hören, und wie er die Entstehung Israels von Auschwitz
trennt, um die Vernichtung des imperialistischen Brückenkopfs fordern zu können,
so soll auch die Entstehung des Zionismus mit dem Antisemitismus nichts zu tun
haben: "Die zionistische Ideologie entstand um die Jahrhundertwende. (...) Erst
später kommt bei einigen zionistischen Ideologien der sog. 'ewige
Antisemitismus' als Rechtfertigung für den Staat Israel hinzu."(Nahostgruppe
Freiburg 1988c). Das Bild, das sich der antiimperialistischer Antizionismus
von Nationalsozialismus macht, wird mit der gleichen Palette gemalt. Streng nach
Georgi Dimitroff ist auch er nur eine Verschwörung der Bourgeoisie gegen die
revolutionären Massen. So unermüdlich die Politik jeder einzelnen Unterfraktion
des Monopolkapitals nachverfolgt und jede Reichsmarkspende der Industrie an die
NSDAP akribisch aufgelistet wird, so wenig wird Auschwitz wahrgenommen oder als
Schlüssel zum Verständnis des NS auch nur in Betracht gezogen. Krampfhaft wird
versucht, der Vernichtung einen Sinn abzugewinnen, um sie den Kapitalisten
zuschrieben zu können. "Theorie selbst wurde zu einer Form psychischer
Verdrängung"(Postone 1988, 275). Nach neusten Erkenntnissen der Nahostgruppe
Hamburg diente "der Terror gegen die jüdische Minderheit zur Warnung an alle,
die Widerstand leisten wollten"(Autonome Nahostgruppe Hamburg 1989, 15);
Auschwitz war das Mittel, um "den Schein einer ideologischen Motivation
aufrechtzuerhalten, daß die Politik des Faschismus nicht allein wirtschaftlichen
Zwecken dient."ebd., 19). Allenfalls dann, wenn sich Auschwitz innerhalb einer
"Ökonomie der Endlösung" für das Kapital doch noch auf Heller und Pfennig zu
rechnen scheint, hat die Massenvernichtung eine Chance, vom
antiimperialistischen Weltbild überhaupt wahrgenommen zu werden (man siehe nur
die Rezeption der Arbeiten von Heim/Aly 1988, 1991). Bereits die
Zuordnungsreihe Bourgeoisie/NS/Antisemitismus enthält eine Tendenz zur
Exkulpation der deutschen Nation. In dem Vorwurf, die Zionisten hätten
gekniffen, schwingt die Hoffnung mit, die Juden könnten doch noch einer
(Mit-)Schuld an Auschwitz überführt werden. Unverhüllt zu Tage tritt dieses
Bedürfnis, in den von Teilen der Palästina-Solidarität betriebenen und nur noch
als zwangshaft zu klassifizierenden Versuchen einer Verkopplung des NS und des
Antisemitismus mit dem Zionismus bzw. mit Israel. Zwar war die Linke, die den NS
strikt nach Dimitroff als bloße Fortsetzung der bürgerlichen Herrschaft mit
etwas rabiateren Mitteln mißverstand, schon immer mit dem Faschismus-Vorwurf zur
Hand, um irgendein Unrecht als besonders schlimm anzuklagen. Doch kein anderer
Staat löst unter Linken - von den K-Sekten bis zur RAF, von den
Palästina-Gruppen bis zu den Grünen -, so prompt die Assoziation "Faschismus"
aus wie Israel. Der SDS-Heidelberg hatte behauptet, die israelische Regierung
wolle "mit den arabischen Völkern ebenso verfahren...wie die Nazis mit den
Völkern Polens und der UdSSR"(Rote Kommentare 29.2.1970), die KPD, daß die
Zionisten, "die Nazis unserer Tage", Palästina "araberfrei" (Rote Fahne,
28.2.1973) machen wollten. Die RAF schrieb vom "Moshe-Dayan-Faschismus - diesem
Himmler Israels", der "seine Sportler verheizt wie die Nazis Juden"(RAF 1987,
38), und schon 1969 kursierte die Rede vom "National-Zionismus"(Amery 1969, 41)
Die Reaktionen auf die Libanon-Invasion offenbarten 1982 erneut, mit welch
"obsessiver Beharrlichkeit" (Kolke 1990, 139) die deutsche Linke Analogien
zwischen der israelischen Politik und der nazistischen Judenvernichtung
herstellen will. Bundesweit wurde zur Demonstration "gegen den israelischen
Vernichtungskrieg" aufgerufen - die taz, das Antiimperialistische
Informations-Bulletin, die Blätter des IZ3W und andere schreiben vom "Holocaust
an den Palästinensern" und von der "Endlösung der Palästinenserfrage"(nach Kloke
1990, Vgl. Deutsche Linke 1988, 50ff). Das Bedürfnis Israel den Faschismus
anhängen zu wollen, äußert sich überdies in der mittlerweile zwanzigjährigen
Geschichte jener unzähligen Karikaturen, die in immer neuen Variationen das
Hakenkreuz mit dem Davidstern verschmelzen. (Vgl. Kolke 1990, 107ff, Bruhn
1991a) (9) In den späten Achtzigern bemühte sich Al Kamarah, "das
faschistische Gesicht" und die "faschistische Vernichtungsmaßnahmen des
zionistischen Siedlerstaates" zu entlarven, die "die Maßnahmen des deutschen
Faschismus bei weitem übertreffen."(Nr 7/ 1988, 4, Nr.9 1988,3). Karam Khella,
derzeit der Chefideologe der Restbestände des antiimperialistischen Lagers,
entwarf gar eine ganz neue Faschismustheorie zur Beantwortung der ohnehin nur
rhetorisch gestellten Frage "Ist Israel ein faschistischer Staat?" (Kehlla o.J.
ebenso Interim 1991), um zu dem gewünschten Resultat zu kommen, daß der
Faschismus erstens in jedem kapitalistischen Staat, zweitens besonders in
Israel, drittens aber keinsfalls im Irak zu finden sei. Der zionistische
Faschismus besitze gar einen besonders perfiden Charakter, versuche er doch die
Weltöffentlichkeit über seinen wahren Charakter zu täuschen, indem er Wahlen,
Gewerkschaften und gar eine KP zuläßt. Auch mit der Vergangenheit sucht sich
dies aggressive Bedürfnis nach Exkulpation zu befriedigen. (10) So werden das
Ha'avara-Abkommen, das 1933 zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und der
Zionistischen Vereinigung für Deutschland geschlossen wurde und gegen den Export
deutscher Waren nach Palästina bis 1939 60.000 Juden die Ausreise ermöglichte,
sowie die Kontakte einiger rechtsextremer Zionisten mit der SS (als diese noch
die Auswanderung der Juden betrieb) benutzt, um einen "Komplott", eine
"Kollaboration" (Pohlkehn 1970), eine "verbrecherische Allianz des Zionismus und
des Nazismus"(Al Kamarah Nr.3 1986, 18) zu erfinden.. Die Haganah wird dabei
fast zum Urheber der NS-Judenpolitik, habe sie doch versucht, "die Mithilfe der
SS bei der Beschleunigung der Austreibung der Juden zu gewinnen"(Pohlkehn 1970).
Zuerst entzogen sich die Zionisten durch feige Flucht der Verpflichtung, den NS
anstelle der versagenden deutschen Arbeiterbewegung zu stürzen, und dann
brachten sie mit dem Ha'avara-Abkommen "jeglichen Versuch eines wirtschaftlichen
Boykotts des Nazireichs zum Scheitern"(Pohlkehn, nach Autonome Nahost-Gruppe
Hamburg 1989, 10)! Selbst sind sie schuld die Juden-Zionisten, hat doch "ihre
Konspiration mit den Nazis...dazu beigetragen, das Nazi-Regime zu stärken und
die Front des antifaschistischen Kampfes... zu schwächen" (Phoken 1970), und
hielten sie doch "den Faschismus im Sinne ihrer Pläne für wünschenswert..., der
den Juden den Tod brachte."(Elias 1986, 94), womit die Zionisten "den Tod von
vielen tausenden von Juden durch Hitler auf dem Gewissen habe"(Al Kamarah
Nr.3/1986, 19). Der antizionistische Export des NS nach Israel, die Rede von
einer "ideologischen Verwandtschaft zwischen dem Antisemitismus des
NS-Faschismus und dem Zionismus" (Nahostgruppe Freiburg 1988a, ähnlich Offenberg
1983, 102) bis hin zu der obszönen Behauptung einer Mitschuld an der Vernichtung
- all das verdrängt den NS derart unverfroren und arbeitet so schamlos an der
Exkulpation der deutschen Nation und der Restituierung des deutschen
Nationalgefühls wie es noch nicht einmal die Nolte & Co. wagen würden:
Israel, dessen Existenz allein schon die Erinnerung an Auschwitz wachhält, steht
dem Bedürfnis nach deutschem Nationalgefühl im Wege. "So sind sie uns
perverserweise ähnlich geworden"(Elias, 1983, 92) stellen mit der Gnade der
späten Geburt gesalbte deutsche Antizionisten fest, und die einem solch
scheinheiligen Entsetzen auf den Fuß folgende Entdeckung der Palästinenser als
die "Juden der Juden" (Offenberg 1983, 104) bedeutet in ihrer Konsequenz nicht
nur eine Entschuldigung, sondern den Aufruf zu neuerlicher Gewalt - die Juden
sollen nämlich bloß nicht glauben, "als hätten sie durch unsere Taten eine Art
Mordbonus erhalten"(Elias 1983, 91) "Angesichts der zionistischen Greultaten
verblassen.. die Nazigreul" stellte de Gründe Kalender 1983 befriedigt fest und
rief nicht nur dazu auf: "Kauft nicht bei Juden", sondern fragte erwartungsvoll,
"wann den Juden endliche ein Denkzettel verpaßt wird"(nach Broder 1984, 45).
Die Reaktionen, die die Kritik daran typischerweise auslöst, sind ein
weiterer signifikanter Beleg für den hohen Anteil projektiver Energien und
Identifikationsbedürfnisse. Sie zeugen von der Brüchigkeit der "revolutionären
Identität" der organisierten Antizionisten, die im antiimperialistischen und
autonomen Spektrum allmählich zur Sekte degenerieren. So wenig die Kritik auch
nur wahrgenommen werden kann, so rigide muß sie, zumal dann, wenn sie von links
kommt, durch aggressive Abwehr verdrängt werden, indem man die Person und die
Absicht der Kritiker vernichtend angreift. Zu dem noch vergleichsweise
freundlichen Vorwürfen gehört "der Abschied von einer klassenkämpferischen
Praxis"(Autonome Nahostgruppe Hamburg 1989, 2), dazu kommen "Antikommunismus"
(Khella 1988, 20) oder die 'nur' von antiintellektuellen Ressentiment (11)
gespeiste Abwehr von Kritik als "theoretischer Firlefanz" (Immer rebellieren
1988b, 62; Autonome Nahostgruppe Hamburg 1989,2), den sich nur eine
"kleinbürgerliche Intelligenz" ausgedacht haben kann (Nahostgruppe Freiburg
1988a, 44). Khella dagegen sieht schon eine "gezielt und systematisch
betriebene" "Zersetzung" am Werkt, die eigentlich den Tatbestand der
"Volksverhetzung" erfüllt (Khella 1988, 18,20). Al Kamarah entlarvt solche
Elemente, die "mit veralteten Slogans wie 'Antisemitismus' daherkommen, als
'pseudolinke Kräfte', die nur eine "massive Propagandakampagne zugunsten des
Zionismus durchführen wollen (Nr. 8/1988, 37). Der Antizionist fühlt sich durch
"Fälschungen" und "Denutiationsversuche" von "Hofideologen" bedroht
(Nahostgruppe Freiburg 1988a, 43), deren "Lumpenhaftigkeit" sie "konsequent"
"Staatspolitik" treiben läßt (Immer rebellieren 1988b, 63). Ende 1991
rechnete eine Revolutionäre Zelle mit dem "Mythos der nationalen Unabhängigkeit
und dem ihr immanenten homogenisierenden Volksbegriff" ab, dessen naive
Projektionen" und handfeste Verdrängungen" spätestens im Fall Israel zu
"historischer Amnesie und moralischer Desintegration" führten. Schon die
"Katastrophe" von Entebbe, die "Selektion entlang völkischer Linien" hätte
zeigen müssen, "daß auch Linke nicht gegen antisemitische Ressentiments gefeit
sind, die notdürftig mit nationalrevolutionären Definitionen kaschiert
werden"(Revolutionäre Zellen 1991). Doch auch diese traurige Wahrheit quittierte
das antiimperialistische Lager in unbewußter Selbstironie postwendend mit dem
Vorwurf, daß nun auch die RZ "Propagandalügen" kolpotiere, um eine
"proisraelische Politik" sowie "ihren eigenen Rückzug" zu legitimieren.
Erfolgreich wurden die RZ der "Denuntionation nationaler Befreiungsbewegungen";
des "kleinbürgerlichen Anarchismus", der "tiefen rassistischen
Verachtung...gegenüber dem Trikont" sowie des "bürgerlichen Antifaschismus"
überführt (Interim 1992, 12f).
...das antiimperialistische Weltbild
ist der Fehler - und mehr als nur das Zwar mag man einzelne Äußerungen
immer wieder als bloße "Fehler" erklären und relativieren - in der Gesamtsicht
jedoch schlägt die Quantität in Qualität um: Der Vorwurf des antisemitischen
Gehalts des Antizionismus, den die 'kleinbürgerlich-zionistischen' Kritiker seit
Ende der 60er Jahre erheben, ist kaum zu entkräften. Die Äußerungen und
Positionen der überzeugtesten Antizionisten sind alles andere als Ausrutscher.
Fehler oder Marginalien, vielmehr bringen sie die dem Antizionismus inhärente
Logik nur hemmungslos auf ihren Begriff, d.h. auf das Programm eines
rebellischen Nationalismus von links, der nicht umhin kann, sich antisemitisch
zu artikulieren. Die "Fehler" haben Methode und sie ergeben ein System; sie
verweisen auf zwei miteinander verwobene Gründe des Antizionismus: auf das
antiimperialistische Weltbild als ideologische Denkform sowie auf die Abwehr der
selbstkritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen nach
individueller und kollektiver Identität als deren notwendiges psychologisches
Komplement. Das antiimperialistische Weltbild macht keine Fehler, es ist der
Fehler: Es tendiert notwendig dazu, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu
simplifizieren, zu verdinglichen und zu personifizieren, sie
verschwörungstheoretisch zu mißdeuten und damit eine auch moralisch binäre
Weltsicht zu entwickeln. Weil diese unreflektierten Bedürfnisse nach
Veränderung, kämpferischer Gemeinschaft, eindeutigem Feind und einfach zu
durchschauenden Verhältnissen hierzulande nicht erfüllt werden können, werden
sie in die Fernen des Trikont projiziert. Die unkritische Identifikation mit den
nationalen Befreiungsbewegungen muß zwangsläufig zur Unterscheidung von guten
und schlechten Staaten, zur Verwechslung von sozialer Revolution mit nationaler
Befreiung und schließlich zur Entdeckung guter Völker führen, die gegen das als
"Imperialismus" bezeichnete Böse kämpfen. (Die letzte Ursache dieser Denkform
ist eine falsche Verarbeitung der gesellschaftlichen Verhältnisse im allgemeinen
und der durch sie gegebenen Verhältnisse im allgemeinen und der durch sie
gegebenem objektiven Probleme einer aktivistisch die Revolution wollenden Linken
im besonderen. Die Übernahme der Pseudotheorie des 'Marxismus-Leninismus'
erfolgte aus genau diesem Dilemma; hätte er nicht schon bereitgestanden, er
hätte erfunden werden müssen). Wenn sich diese strukturell antisemitische
Denkweise dem Palästina-Konflikt widmet, muß sich nahezu zwangsläufig auch
materiell antisemitische Erklärungsmuster hervorbringen und reproduzieren. Denn
wenn der antiimpierialistische Antizionismus mit seinem Bedürfnis nach Revolte
die Palästinenser als das gute Volk identifizieren will, das im Kampf gegen
fremde Herrschaft sich homogenisieren und einen guten Staat aufbauen soll, dann
dürfen die Juden kein Volk sein, muß der Zionismus zur ebenso abstrakten wie
magischen Formel für alles Böse werden, dann müssen Antisemitismus und Auschwitz
relativiert und negiert werden. Schon um die binäre Weltsicht des
antiimperialistischen Antizionismus legitimieren und aufrechterhalten zu können,
muß objektiv antisemitisch argumentiert werden. Doch im Antizionismus
manifestiert sich nicht nur der Wunsch nach echter und kämpferischer
Gemeinschaft, sondern auch das nie eingestandene Bedürfnis nach "deutscher
Normalität", nach Entlastung von der Vergangenheit des "eigenen" Kollektivs.
Keine Linke war vor 1967 so pro-israelisch, keine war so antizionistisch wie die
deutsche. Der unkritische Pro-Isrealismus der Linken, der das Leid der
palästinensischen Bevölkerung nicht sehen wollte, trug den Charakter einer
Politik des schlechten Gewissens und zeigte ihre angesichts der Monströsität der
deutschen Verbrechen verständliche Befangenheit gegenüber Israel. Doch der
Umschwung zum glühenden Antizionismus war mehr als eine Überreaktion darauf, daß
die bisher zum reinen Opfer Stilisierten diesem Bild nicht entsprachen und gar
von der gehaßten Springer-Presse als Blitzkrieger gefeiert wurden. Es steckte
mehr dahinter als nur ein platter Antiimperialismus, der in den Palästinensern
die neueren und gar "besseren", weil sich wehrenden Opfer entdeckte. Denn
schon die von Anfang an kursierende Täter-Opfer-Metaphysik, die die
Palästinenser zu den "Opfern der Opfer" erklärte und damit die Juden zu Tätern,
diente der Relativierung der deutschen Verbrechen. Es war die Dialektik dieser
scheinbar nur abstrakt-moralischen Rede, die ihre logische Konkretion in der
skandalösen Gleichsetzung Israels bzw. des Zionismus mit dem Faschismus fand.
Mit dem "Pathos des doppelt reinen Gewissens"(Simon 1984, 9), da sich -
nachgeboren und links -jeder selbstkritischen Reflexion auf die eigenen
Beweggründe enthoben wähnte, verurteilen deutsche Antizionisten, oder genauer:
antizionistische Deutsche Israel als ein zu eliminierendes "Gebilde". In der
Projektion des NS auf Israel äußert sich nicht nur das Bedürfnis, sich als
"revolutionär" und "links" im antifaschistischen Kampf phantasieren zu wollen,
sondern zugleich der Wunsch, endlich "normal" und unbelastet von der Geschichte
des eigenen Kollektivs zu leben. "Allein der Vergleich an sich ist schon ein
Skandal. Man muß um jeden Preis Auschwitz aus dem Gedächtnis der Menschen
auslöschen wollen, um einen solchen Vergleich anzustellen. Tatsächlich werden
sich am Tage, an dem man bewiesen hat, daß die Opfer genauso schuldig sind, wie
die Henker, die Henker oder die Kinder der Henker erleichtert fühlen"(Alain
Finkielkraut, Nach Heenen 1983, 104). In der Bekämpfung der deutschen
Vergangenheit an Israel wird so das Geschäft der Normalisierung und
Restituierung des deutschen Nationalgefühls betrieben, wieder einmal auf Kosten
der Juden - veritabler sekundärer Antisemitismus "linker" Provenienz. Daß
nicht mehr unterscheidbar ist, ob die national-emotional aufladenden Metaphern
"Feind der Welt" oder "Feind der Menschen" oder "blutrünstiger und machtgierige
Bastion gegen die Völker" oder "Sinnbild des Bösen" nun von "rechten" deutschen
Nationalsozialisten auf "die Juden" oder von "linken" deutschen
Befreiungsnationalisten auf den "Zionismus" gemünzt sind, (12) macht endgültig
klar, wie kurz der Weg vom "Antiimperialismus der dummen Kerle", den Deutscher
1967 fälschlicherweise bei den Arabern befürchtete, zum Antisemitismus ist.
So ist der Antizionismus gleichsam eine doppelt verschobene und damit
doppelt konformistische Rebellion. Er verschiebt nicht nur das Böse auf ein
Abtraktum mit dem Namen "Zionismus", sondern delegiert zudem noch den Widerstand
an die Palästinenser, die als Brückenkopf nationalrevolutionärer deutscher
Bedürfnisse Israel von der Landkarte tilgen sollen (und wenn sie dazu nicht
bereit sind, wird auch die PLO des kleinbürgerlichen Verrats geziehen). Der
Sache der palästinensischen Bevölkerung erweist die sich revolutionär gebärdende
und mit der Gnade der späten Geburt sich brüstende geschichts- und
reflexionslose Unschuld einen Bärendienst, weil gerade sie den so oft beklagten
Antisemitismus-Vorwurf der israelischen Regierung bewahrheitet. Die Kritik
des Antizionismus trifft nicht nur den sektiererischen Kern der
Palästina-Solidarität, sondern das manichäische antiimperialistische Weltbild
generell sowie den Nationalismus von links, wie er nicht nur während des
Golfkrieges in Erscheinung trat. Antinationalismus stellt nicht nur eine
Grundbedingung zum Begreifen und Erkennen des Antisemitismus sondern auch eine
Grundbedingung der Linken überhaupt dar. Als gesellschaftlich geprägte
Individuen sind die Linken potentielle so nationalistisch und antisemitisch wie
die sie umgebende Gesellschaft, als in Deutschland aufgewachsene sind sie ebenso
anfällig für die spezifischen Zwänge des deutschen Nationalismus, für die
Verweigerung der Auseinandersetzung mit der belastenden Vergangenheit und für
die symptomatische Wiederkehr des Verdrängten in Form eines sekundären
Antisemitismus. Es wäre die Aufgabe einer als radikal sich begreifenden und
historisch reflektierenden politischen Linken, sich der (selbst-)kritischen
Auseinandersetzung zu stellen: Das eigene Bedürfnis nach kollektiver und damit
potentiell nationaler Identität reflektieren, das die gesellschaftlichen
Verhältnisse verdinglichende antiimperialistische Weltbild als ideologisches und
falsches zu kritisieren, den Antizionismus als das aufzuweisen und zu
denunzieren, was er ist, und nicht weiter als "links" durchgehen zu lassen - das
muß zum grundlegenden Selbstverständnis einer Linken werden, die sich der
Aufklärung und Kritik verpflichtet weiß.#
Nachwort aus:
Léon Poliakov Vom
Antizionismus zum Antisemitismus dort auch die Nachweise und Literaturliste.
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