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Deutsche Heimatkunde 

Was alles normal ist

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In manchen Teilen Deutschlands gehören Neonazis und deren Gedankengut mittlerweile wieder zur "Normalität". Hier erzählen fünf Leute aus Jena (Thüringen), wie diese so genannte Normalität ihren Alltag prägt. Zu beachten: Die Universitätsstadt gilt nicht als Hochburg der Rechtsextremisten.

Was Tom, 23, im Fussballstadion hört.

Ich bin Fan von Carl Zeiss, dem Fussballregionalligisten aus Jena. Aber ich gehe nicht mehr so oft hin, wie ich eigentlich möchte. Was da abgeht, ist nämlich ziemlich krass. Da wird schon in der Strassenbahn auf dem Weg zum Spiel nach Leuten gesucht, die irgendwie links aussehen, während des Spiels grölt der Fanblock dann zum Beispiel "Wir bauen ne U-Bahn bis nach Auschwitz", "Kanacken raus", "Baut die Mauer wieder auf", "Ihr lebt in einem Judenstaat", "Ausländer raus", irgendwas mit Hitler ist meistens auch dabei.

Die Jena-Funktionäre und die Sponsoren haben sich das jahrelang angeschaut und angehört, ohne was zu machen. Jetzt, nachdem Rechtsradikalismus in der Presse ist, gibt es plötzlich zu den Eintrittskarten Aufkleber mit "Thüringen tolerant", und dann heisst es, dass der Verein mit allen Mannschaften die Aktion unterstützt. Aber ich bin auch mal beim Training, auch von den Jugendmannschaften, und da heisst es regelmässig "Gib den Ball her, Judensau" und so Sachen. Ich habe noch nie gehört, dass ein Trainer was dagegen gesagt hätte. Man kann schon nicht mehr sagen, dass die sich als rechts verstehen. Für die ist das völlig normal. (. . .)

Besonders die Jüngeren, die 15-, 16-Jährigen, machen einen richtigen Kult um Adolf Hitler und erzählen sich schon gegenseitig, dass es unwertes Leben gibt und auf der anderen Seite die Nordmänner, die Arier. Ohne dass sie wirklich richtig wissen, was sie da eigentlich erzählen. Das wird aber allgemein toleriert.

Ich arbeite in einem Krankenhaus, und für die Schwestern dort sind einfach generell alle Vietnamesen "Fidschis" und alle Schwarzen "Neger". Da sagt auch kein Arzt mehr was dagegen. Wenn ich dann was sage, werde ich nur dumm angeschaut. Deswegen habe ich das aufgegeben. Man macht sich sonst nur zum Aussenseiter und ändert doch nichts. (. . .)

Es ist auch schon passiert, dass der Chef vom "Thüringer Heimatschutz", der militanten Kameradschaft in Thüringen, uns gefilmt hat, als ich mit Freunden und dem Stadtjugendpfarrer, der sich in Jena stark gegen Rechtsradikalismus engagiert, auf der Wiese Fussball gespielt habe. Jeder Einzelne wurde fotografiert, und im Hintergrund standen drei schwarz gekleidete Männer. Das mussten wir uns gefallen lassen, und da hatte ich schon ein mulmiges Gefühl. Zumal ich weiss, dass auf den Internetseiten vom "Heimatschutz" auch Linke abgebildet sind. Die sind auf den Fotos vermummt, aber drunter haben die Rechten geschrieben, dass sie auch noch bessere Fotos hätten und der Spruch: "Wir haben eure Namen und eure Adressen, es gibt kein Vergeben und kein Vergessen." (. . .)

Tina, 23, ist aus dem Gröbsten raus.

Hier in Jena haben wir eigentlich noch ein kleines Paradies, und damit meine ich nicht unseren gleichnamigen Park. In Gera und in Erfurt sind die Zustände viel, viel schlimmer, oder in Fürstenwalde und Wurzen. Da gibt es ja niemanden mehr, der nicht rechts ist. Obwohl es bei uns auch schon normal ist, dass 13-, 14-Jährige mit Bomberjacke rumlaufen. Ich habe Dreadlocks, und man sieht mir an, dass ich nicht rechts bin, aber so wirkliche Probleme mit den Nazis habe ich nicht. Zumindest ist mir körperlich noch nie etwas passiert, obwohl ich lange in Lobeda (die grosse Plattenbausiedlung Jenas, Red.) gelebt habe.

Sprüche wie "Du Scheisszecke, so was wie dich hätte man früher vergast" habe ich früher öfter gehört, aber ich weiss, dass sich die Jüngeren, die nicht rechts sind, dies dauernd hören müssen. Die gehen auf die Strasse und wissen: Gleich kommt wieder so ein Spruch, oder irgendwann wirst du wieder dumm angeschaut. Ich fühle mich in Jena ziemlich sicher. Obwohl: Richtig sicher fühle ich mich nur in der Stadtmitte. In die Fascho-Treffs in den Stadtvierteln Winzerla und Lobeda würde ich vielleicht nicht unbedingt reingehen.

Aber ich bin mit 23 auch schon ein bisschen aus dem Alter raus, wo ich Angst haben muss. Bei den Jüngeren ist das was anderes, die Skater, die sich hier auf dem Marktplatz treffen, oder kleine Punker, die müssen Angst haben. Zwei Bekannten von mir ist neulich etwas Furchtbares passiert, Anne und Norman. Die beiden sind 16, ein ganz niedliches Paar. Die wohnen in Lobeda in der Plattenbausiedlung und waren abends auf dem Weg nach Hause. Plötzlich hielt ein schwarzer BMW mit quietschenden Reifen neben ihnen, sechs schwarz gekleidete Rechte stiegen aus und verkloppten Norman, Anne konnte nur dabeistehen und zugucken. Als die Rechten fertig waren, haben sie zu Anne gesagt: "Wenn du zur Polizei gehst, bist du dran. Wir haben deinen Namen, deine Adresse, deinen Steckbrief." Sie hatte so viel Angst, dass sie zuerst nicht zur Polizei gehen wollte. (. . .)

Früher war es so, dass einer Schlägerei oft noch ein Wortgefecht vorausging. Da wurde gestritten, und dann gabs Prügel. Heute ist es so, dass die Rechten kommen, zwei Typen sehen, die ihnen nicht passen, und dann geht es los. Ohne Vorwarnung. Zack, drauf, fertig.

Johannes, 16, spielt nicht mehr im Verein.

Wenn ich jemanden kennen lerne, warte ich erst mal eine gewisse Zeit ab, bis ich dem meine Telefonnummer gebe. Ich muss vorsichtig sein, denn ich engagiere mich im Kampf gegen die Rechten. Einige von denen kennen mich. Die grüssen mich sogar, wenn sie mich sehen. Manchmal treffen wir uns in der Bahn, wenn wir zu Demos fahren. Sie zu ihrer und wir zur Gegendemo. So weiss ich, wer so im "Thüringer Heimatschutz" ist. Aber meinen Nachnamen kennen sie noch nicht. Es wäre ein bisschen gefährlich, weil es in Thüringen schon Morddrohungen gegen Antifa-Aktivisten gab. (. . .) Aus meiner Klasse haben zum Beispiel nicht alle meine Adresse. Als ich noch Rastalocken hatte, wurde ich zweimal verprügelt, danach hatte ich dann immer CS-Gas dabei. Ich bin nachts durch den Park gefahren, da sind mir so sechs von denen entgegengekommen, sie haben mich vom Rad gezerrt und dann verprügelt, aber ich hatte keine richtig ernsthaften Verletzungen. (. . .)

Aus meinem Freundeskreis wurde fast jeder schon mal von den Nazis zusammengeschlagen, manchmal wegen der Frisur oder wegen der roten Schnürsenkel, je nach dem, wie hoch der Alkoholpegel von denen gerade ist. Einem Schwarzen, den ich kenne, wurde Blut über den Briefkasten und an die Haustür gekippt. Ich mache wahnsinnig gerne Sport, Fahrradfahren, Volleyball und Wandern; Fussball spiele ich am liebsten. Bis vor anderthalb Jahren habe ich noch im Verein gespielt, aber irgendwann hat das keinen Spass mehr gebracht. Weil alle in der Mannschaft rechts waren. (. . .)

In Jena ist es normal, rechts zu sein. Es herrscht ein rechter Lifestyle; je weiter man in die Vororte oder in die umliegenden Dörfer geht, umso schlimmer wird es. Die Jugendlichen treffen sich in irgendwelchen Garagen und hören Nazi-Musik, es ist einfach schwer, vor allem für die kleineren Kinder, da nicht mitzumachen, wenn die Freunde es doch auch tun. Da heisst es dann mitmachen oder Arschloch sein. (. . .) Aber Jena ist wenigstens gross genug, sodass es hier auch noch eine Gegenkultur geben kann.

Michael, 25, meidet den Marktplatz.

Wenn Winter- oder Sommerrummel ist, dann gehört der Marktplatz den Rechten. Spätestens nach Einbruch der Dunkelheit, wenn die Familien nach Hause gegangen sind. Ich gehe da dann nicht mehr hin, weil es nur Ärger gibt. Wenn ich abends noch mal schnell was einkaufen muss und es wirklich eilig habe, gehe ich trotzdem um den Marktplatz herum, obwohl das fünf Minuten länger dauert. Die Rechten sammeln sich da, bringen Kassettenrecorder mit und hören ihre Musik. Die warten nur auf einen Anlass, schon geht die Prügelei los. Man muss nicht mal wie ein Linker aussehen, oft reicht es schon, dass du da bist. Dann steht am nächsten Tag wieder etwas von "Prügelei unter Jugendlichen" in der Zeitung. Das war bis vor ein paar Wochen die Standardformulierung, wenn Rechte jemanden zusammengeschlagen haben. Erst als Rechtsradikalismus bundesweit ein Medienthema wurde, stand nach einem Überfall in der Lokalzeitung: "Jetzt hat auch Jena seine erste rechtsradikale Straftat." (. . .)

Said, 47, kann nur lachen.

Die Frage, ob ich manchmal beschimpft oder angepöbelt werde, ist lustig. Jedes Mal, wenn ich einkaufen gehe oder in der Strassenbahn sitze, kommen ausländerfeindliche Sprüche gegen mich. "Hau ab, Scheissneger", "Ausländer raus", "Du gehörst nach Auschwitz", "Geh zurück in den Urwald", so was. Nicht manchmal. Immer. Ob mir schon mal jemand geholfen hat? Nein, natürlich nicht. Aber da lache ich nur drüber. Ich lache viel, eigentlich den ganzen Tag. Denn Lachen kostet nichts. Die Leute in Deutschland sollten auch mehr lachen. Aber natürlich ist es eigentlich nicht lustig. Wenn mich Freunde aus Afrika fragen würden, ob sie nach Jena kommen können, würde ich ihnen davon abraten.

Ich bin vor sieben Jahren aus dem Kongo nach Jena gekommen, ich arbeite hier als Journalist und schreibe Berichte für die Uni. Die ersten vier Jahre meines Aufenthalts hatte ich keine Probleme. Ich habe eine Wohnung im Stadtteil Lobeda, im Moment kann ich dort aber nicht schlafen. Ich gehe, wenn überhaupt, nur tagsüber in die Wohnung. Ich übernachte bei Freunden in der Innenstadt.

In den letzten drei Jahren haben die Rechten mich dreimal überfallen. Das letzte Mal war vor drei Monaten, meine Rippen tun immer noch weh, und ich trage jetzt für immer eine Beule auf der Stirn. Das war hier mitten in der Stadt. Das Mal davor haben sie mir vor meiner Haustür aufgelauert, es traf mich wirklich wie aus heiterem Himmel. Ausserdem wurde ich mal in der Strassenbahn auf dem Weg nach Hause verprügelt. Die Polizei kam, doch die Täter hatten keine Ausweise dabei und wurden wieder freigelassen. Dann hat die Polizei versucht, den Fall zu verschweigen. Erst als ich jemanden von der Kripo angerufen habe, ist was passiert. Bei allen drei Überfällen waren die Rechten bewaffnet, mal mit Pistolen, mal mit Messern oder Baseballschlägern.

Jetzt gehe ich nach zehn Uhr am Abend nicht mehr auf die Strasse. Kürzlich war ein Kulturfestival in Jena, aber weil die Veranstaltungen erst um 20 Uhr begannen, ging ich da nicht hin. Ich hatte Angst vor dem Heimweg, obwohl das nur ein paar Hundert Meter sind. Auch wenn Freunde mich ins Kino oder auf ein Fest mitnehmen wollen, komme ich nicht mit, auch wenn sie wirklich alle sehr nett sind und mich später auch nach Hause bringen wollen, damit nichts passiert. Ich habe einfach keine Lust mehr. Nach Einbruch der Dunkelheit mit der Strassenbahn zu fahren traue ich mich auch nicht, und ich kann doch nicht jedes Mal ein Taxi nehmen, das kostet zu viel Geld. Und man erkennt ja die Rechtsradikalen nicht immer sofort. Die, die mich verprügelt haben, waren ganz normal gekleidet.

Jena ist trotzdem noch mein Zuhause. Wenn ich rumreise, dann aber nur mit dem Auto, im Zug ist es zu gefährlich. Einmal bin ich ein paar Skinheads auf einer Zugfahrt nach Erfurt begegnet, da bin ich nur knapp Prügeln entgangen; das hätte böse enden können. Normal sind auch Sprüche wie "So was wie dich hätte man früher vergast" oder dass die Rechten mir mit dem Hitler-Gruss entgegenkommen. Einmal habe ich zurückgegrüsst, auch mit dem Hitler-Gruss. Den Rechten blieb der Mund offen stehen, die waren richtig geschockt. Dann hat mich einer gefragt: "Mann, weisst du eigentlich, was das heisst?" Da habe ich geantwortet: "Ich schon. Und du?"

Die Protokolle - von der TA-Redaktion leicht gekürzt - stammen aus der Jugendbeilage der Süddeutschen Zeitung, "jetzt:". Sie wurden im September von Nina Böttcher und Eugen Nord aufgenommen. Aus Angst vor Rache wollten sich die Gesprächspartner nicht fotografieren lassen.