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China greift nach Zentralasiens Öl und Gas

Von John Chan

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Aufgrund der wachsenden Energienachfrage hat die chinesische Regierung den Zugang zu den großenteils unerschlossenen Reserven an Öl und Gas in Zentralasien zum vorrangigen Ziel ihrer Wirtschaftspolitik für die nächsten zwei Jahrzehnten erhoben. Pekings Pläne, China Zugang zu einer strategisch bedeutsamen Region zu verschaffen, sind ehrgeizig, kostspielig und haben bedeutende geopolitische Folgen. Die Energiepläne Chinas wurden auf dem Nationalen Volkskongress 2000 enthüllt. Schwerpunkt ist dabei der Bau eines 4.200 Kilometer langen Netzwerks von Öl- und Gaspipelines, das von Chinas westlicher Provinz Singkiang bis zur Ostküstenmetropole Schanghai verlaufen soll.

Das erste Stadium des Projekts ist der Bau von zwei Gaspipelines von Feldern in der Provinz Sichuan zur zentralen Industriestadt Wuhan und dann im Jahr 2002 nach Schanghai. Gasfelder in der Provinz Shaanxi werden an diese Pipelines angeschlossen werden. Öl und Gas von Becken in den Provinzen Qinghai und Singkiang, einschließlich des größeren Tarimbeckens, sollen bis 2005 angeschlossen werden. Wenn es einmal abgeschlossen ist - die geschätzten Kosten liegen bei über 30 Milliarden DM - wird das Energieprojekt in der Lage sein, 25 Milliarden Kubikmeter Gas und 25 Millionen Tonnen Öl pro Jahr in die Industrieregionen rund um Schanghai zu liefern. Zusätzlich zum Pipelinenetzwerk werden moderne Raffinerien und Kraftwerke an strategischen Orten in ganz China gebaut.

Singkiang, wo geschätzte Ölreserven von 20,9 Milliarden Tonnen und Erdgasreserven von 10,3 Billionen Kubikmeter lagern sollen, soll zu Chinas zweitgrößter Öl produzierender Region nach dem Nordosten des Landes entwickelt werden. Um seine Kontrolle zu festigen, setzt Peking zum einen auf die erbarmungslose Unterdrückung einer separatistischen Bewegung - die Provinz Singkiang ist überwiegend von Uiguren, einer zumeist moslemischen, turksprachigen Volksgruppe bewohnt - und zum anderen auf die rasche Industrialisierung der ärmeren westlichen Provinzen des Landes.

Der Bau des Pipelinenetzwerks entlang von Chinas Westgrenzen unter der Kontrolle der China National Petroleum Corporation (CNPC) und anderer großer chinesischer Energieunternehmen eröffnet zudem die Möglichkeit, die großen Energiereserven der früheren zentralasiatischen Sowjetrepubliken zu erschließen.

1997 erwarb die CNPC das Recht auf zwei möglicherweise lukrative Ölfelder in Kasachstan und warf dabei amerikanische und europäische Ölkonzerne aus dem Rennen. Im Austausch für die Bohrrechte ist die CNPC verpflichtet, Pipelines nach Singkiang zu bauen, um damit den Export von bis zu 50 Millionen Tonnen kasachischen Öls pro Jahr nach China zu ermöglichen. Außerdem sind Machbarkeitsstudien über den möglichen Bau einer 3000 km langen Gaspipeline von Turkmenistan nach Singkiang im Gange.

Theoretisch könnten Öl- und Gaspipelines von Turkmenistan und Kasachstan an die Pipelinenetzwerke sowohl Russlands als auch des Iran angeschlossen werden. Dieses Modell ist als die "Panasiatische globale Energiebrücke" bezeichnet worden - ein eurasisches Netzwerk von Pipelines, die Energieressourcen des Nahen Ostens, Zentralasiens und Russlands bis an Chinas Pazifikküsten verbinden würden.

Zunehmende ausländische Investitionen in Chinas Energiesektor

Zugrunde liegt dem Pipelineprojekt und der langfristigen Orientierung auf das Öl und Gas Zentralasiens der exponentiell zunehmende Energieverbrauch Chinas. Obwohl es der fünftgrößte Ölproduzent der Welt ist, hat sein Wirtschaftswachstum China seit 1993 in einen Nettoimporteur von Öl verwandelt. Im Jahr 2000 hat China bereits 65,5 Millionen Tonnen Öl importiert, hauptsächlich aus dem Nahen Osten, was gegenüber 1999 einen Anstieg von 97 Prozent bedeutet.

Nachdem sich die chinesische Wirtschaft in den neunziger Jahren mehr als verdoppelt hat, wird sie sich in diesem Jahrzehnt Prognosen zufolge erneut verdoppeln. Als Ergebnis werden die Importe sich von 20 Prozent des Ölverbrauchs auf 40 Prozent im Jahr 2010 erhöhen. Der Energieverbrauch der Industrie - 70 Prozent des gesamten Verbrauchs - ist dieses Jahr um 10 Prozent gewachsen. Der private Verbrauch wächst ebenfalls um 10 bis 14 Prozent pro Jahr. Nach konservativen Schätzungen wird der Anteil der Stadtbevölkerung von 20 auf mindestens 40 Prozent der 1,3 Milliarden Einwohner des Landes ansteigen. Mehr als 520 Millionen Menschen werden, v.a. an der Ostküste, in dicht besiedelten Städten leben und Elektrizität, Heizung und Transport brauchen.

Da Peking nicht in der Lage ist, die notwendige Infrastruktur zu finanzieren, hat es gezwungenermaßen den bisher isolierten chinesischen Energiesektor für ausländische Investitionen geöffnet. Große Summen von Kapital werden benötigt, nicht nur für die viele Milliarden teuren Pipelines, sondern auch zur Modernisierung technisch veralteter Raffinerien und zur Entwicklung von Netzwerken. Im Juli hat die chinesische Regierung bekannt gegeben, dass in verschiedenen mit der Ost-West-Pipeline verbundenen Joint Venture-Projekten ausländische Mehrheitsbeteiligungen zugelassen würden. Chinas zwei größte staatseigene Energieunternehmen haben Tochterfirmen an der Wall Street notieren lassen, um die für Ausbau und Umstrukturierung notwendigen Milliarden aufzubringen.

Um für ausländische Investoren attraktiv zu werden, haben die chinesischen Ölgesellschaften Arbeitsplätze abgebaut und beispielsweise Schulen und Krankenhäuser ausgelagert, die sie vorher für ihre Beschäftigten unterhalten hatten. Die CNPC, notiert unter dem Namen PetroChina, hat schätzungsweise 158.000 Arbeitsplätze vernichtet. Im Oktober ließ sich die "China Erdöl und Chemie Gesellschaft" als Sinopec notieren. Das erste Angebot der Aktien der dritten großen chinesischen Ölgesellschaft, China National Offshore Oil Corporation (CNOOC), ist für Anfang 2001 vorgesehen.

Die großen internationalen Ölgesellschaften bemühen sich aggressiv um einen Platz im chinesischen Energiesektor, dem mittlerweile größten außerhalb der USA. Während der letzten zwölf Monate hat es einen regelrechten Wettlauf um strategische Investitionen und Joint Ventures gegeben.

Anfang August kaufte die britische BP Amoco 2,2 Prozent von PetroChina im Austausch für ein Joint Venture, mit dem Erdöl und Gas an Chinas Küstenprovinzen verkauft werden soll, sowie Beteiligung an der Ost-West-Pipeline. BP Amoco will zusammen PetroChina in den nächsten fünf bis sieben Jahren eine Kette von mindestens 1000 Tankstellen in Südchina und eine Raffinerie und einen Terminal für Flüssiggas in Schanghai aufbauen.

Längerfristig will BP Amoco eine 2400 km lange Gaspipeline bauen, die Nordchina mit ihrem Feld in Kovitkinskoje bei Irkustsk in Russland verbindet.

Im Oktober kaufte die amerikanische ExxonMobil 19 Prozent von Sinopecs erstem öffentlichen Angebot. Nun bauen die beiden Gesellschaften unter einem gemeinsamen Firmennamen 500 Tankstellen in den Provinzen Guangdong, der Hauptexportregion Chinas. Gemeinsam mit saudischem und japanischem Kapital bauen ExxonMobil und Sinopec hochmoderne Erdölraffinerien in den Provinzen Guangdong und Fujian.

ExxonMobil ist einer der größten "Spieler" in den aufsteigenden Märkten Zentralasiens und des Fernen Ostens. Sie hat Ölanteile in Aserbaidschan und Kasachstan, sowie Gasbeteiligungen in Turkmenistan und auf der russischen Sachalin-Inseln nördlich von Japan. In Zusammenarbeit mit der CNPC prüft sie gerade die Möglichkeit von Gaspipelines von ihren Feldern im Osten Turkmenistans nach China.

Die strategischen Folgen

Chinas Pipelinenetzwerk könnte eine bedeutsame strategische Umgruppierung in der Region mit sich bringen. Zentralasien mit seinen großen Reserven an Öl, Gas und Bodenschätzen und seiner strategischen Lage ist bereits ein Gebiet erbitterter Rivalität zwischen den USA, Europa und Japan. Alle Großmächte suchen ebenso wie die transnationalen Konzerne nach Bündnissen, Beteiligungen und möglichen Pipelinerouten in den zentralasiatischen Republiken.

Das jeweilige Eigeninteresse hat China in die Gruppe der "Schanghaier-Fünf"-Nationen mit den zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan und Tajikistan zusammengebracht. Durch diese Gruppe versucht China, Russland wirtschaftlich und politisch an sich und Nordostasien zu binden, während Russland damit seinen traditionellen Einfluss in Zentralasien aufrecht zu erhalten versucht. Die Zeitung South China Morning Post kommentierte nach dem letzten Gipfel der Gruppe im Juli: "Wenn irgend etwas die beiden Länder einander näher bringen kann, dann ist es Russlands Export seiner großen Öl- und Gasreserven."

Es sind jedoch mehr als nur wirtschaftliche Erwägungen im Spiel. Besonders seit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien und der darauffolgenden Besetzung Kosovos ist ein wichtiger Bestandteil der chinesisch-russischen Beziehungen die Angst, dass separatistische Tendenzen auf ihrem eigenen Gebiet - wie in Tschetschenien oder Singkiang - von den USA zur Intervention in die Region ausgenutzt werden könnten. China wie Russland sind erbitterte Gegner der Entwicklung eines amerikanischen Raketenabwehrsystems, das ihre nukleare Abschreckung amerikanischer Aggressionen wirkungslos machen würde. Dementsprechend versuchen beide Staaten dem Einfluss der USA in Zentralasien entgegen zu wirken und bauen ihre Beziehungen mit Schlüsselländern wie dem Iran auf.

Russland hat sich jüngst einen Vertrag mit Turkmenistan über den Kauf von 30 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr gesichert. Das war ein weiterer Schlag für die vom Unglück verfolgte, US-gesponserte Transkaspische Gaspipeline - eine Pipeline für turkmenisches Gas über das Kaspische Meer zur Türkei.

Bis jetzt gibt es noch kein Bündnis zwischen Russland und China. Sollte eine solche Partnerschaft jedoch zustande kommen, würde sie die Beziehungen in Zentral- und Ostasien dramatisch verändern. Sie würde den notwendigen politischen Rahmen für größere Investitionen in ein Pipelinenetz schaffen, das sich über Zentralasien und das russische Sibirien bis an Chinas Pazifikküste erstreckt. Innerhalb von zehn Jahren könnte China zu einem größeren Verteilungsknoten für Öl- und Gasexporte nach Südkorea und Japan werden, zwei der größten Energieimporteure der Welt.

Im November besuchte Chinas Premierminister Zhu Rongji Südkorea und rief dort das "Komitee für die Wiederbelebung Westchinas und Koreas" ins Leben, das südkoreanische Investitionen in das Pipelineprojekt fördern soll. Das gegenwärtige Tauwetter auf der koreanischen Halbinsel und die Öffnung der Grenze zwischen Nord- und Südkorea für den Handel hat Koreas Interesse an Energie aus Zentralasiens geweckt. Die "Korea Gas Corporation" hat sich bereits an einer Machbarkeitsstudie beteiligt, die eine mögliche Erweiterung der vorgeschlagenen Gaspipeline vom BP Amoco gehörenden Feld Kovitskoje in Russland nach Nordchina um weitere 1600 km durch Nord- nach Südkorea untersucht.

China hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass es sich massive japanische Investitionen in seine Projekte erhofft. Der japanische Kapitalismus hat ein erhebliches wirtschaftliches und strategisches Interesse daran, sicheren kontinentalen Zugang zu Öl und Gas des Nahen Ostens als Alternative zu möglicherweise verwundbaren Seerouten zu haben.

Eine Studie über Chinas Energiepläne des amerikanischen Think Tanks Brookings Institute hat bereits vor dem Potential einer strategischen Partnerschaft zwischen Japan und China zum Nachteil der USA gewarnt. Sergei Troush schrieb dazu: "Eine mögliche Tendenz könnte eine stärkere Zusammenarbeit zwischen China, Japan und Korea in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen sein... Die abnehmende Bedeutung der Seerouten im Indischen und Pazifischen Ozean könnte zur Überarbeitung des grundlegenden Sicherheitsabkommens zwischen den USA und Japan führen."

Die herrschende Klasse Japans, die keine eigenen Reserven an Öl hat, war in dieser Frage schon immer sehr empfindlich. Die japanische Invasion von 1931 in Chinas nordöstliche Provinz Mandschurei zielte teilweise auf die Kontrolle über die dortigen Ölvorkommen ab. Japans Angriff auf Pearl Harbour und die darauffolgende Invasion Südostasiens war eine Reaktion auf die Seeblockade der USA, mit der die Verbindungswege durch die Straße von Malakka blockiert und Japans Ölversorgung aus dem Nahen Osten und Indonesien unterbunden wurde.

Japans Abhängigkeit von Energie, die mit Öltankern durch die Seestraßen Südostasiens transportiert werden muss und deshalb durch Blockaden verwundbar ist, ist heute sogar noch größer als vor dem Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig sind japanische Banken und Konzerne von der Aussicht auf hohe Profite durch die Ausbeutung zentralasiatischer Rohstoffe ebenso angezogen wie die großen transnationalen Konzerne mit Sitz in den USA und Europa.

Troush zitierte die Bemerkungen von Ikuro Sugawara, einem Analysten der Nationalen Japanischen Ölgesellschaft, der schrieb: "Die neuen Spieler Asiens, darunter Länder wie Indien und China, werden einen harten Kampf um stabile Versorgung mit Öl führen und könnten dabei auf Ansichten beharren, die sich von denen der USA und Japans unterscheiden. Japan, das ein integraler Bestandteil des asiatischen Marktes und ebenso wie seine Nachbarn vom Öl des Nahen Ostens abhängig ist, wird nicht in der Lage sein, der Linie der USA so treu wie bisher zu folgen."

Das genaue Ergebnis der gegenwärtigen Manöver in Zentralasien und ihre Folgen für das strategische Gleichgewicht in Nordostasien sind noch nicht klar. Aber die internationalen Reaktionen auf Chinas Energiepläne machen die zentrale Bedeutung der Region ebenso deutlich wie das Potential für scharfe Konflikte.