ak - analyse & kritik, Nr. 445 / 21.12.2000

Prostitution - eine Arbeit wie jede andere?
Ein Kommentar zum Berliner Prostitutions-Urteil 

von Anke Schwarzer

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Obwohl das Thema Prostitution immer noch die Gemüter erhitzt und Huren letztlich immer noch gesellschaftlich geächtet sind, setzt sich die Sichtweise durch, dass Prostituierte endlich rechtlich bessergestellt werden müssen. Prostitution soll als normaler Beruf anerkannt werden - das ist mittlerweile Mainstream in Meinungsumfragen, bei zahlreichen Verbänden, mitunter auch kirchlichen Einrichtungen. Auch die liberale und linke Tagespresse klatschte Beifall zum Berliner Urteil über die Sittenhaftigkeit der Prostitution. Äh, aber war da nicht noch etwas?

Am 1. Dezember erklärte das Berliner Verwaltungsgericht 100 Jahre deutsche Rechtsprechung zum Thema Prostitution für überholt: Erstmals hat ein Gericht entschieden, dass Prostitution nicht grundsätzlich gegen die guten Sitten verstößt, und folgte damit nicht dem Urteil der höchsten Bundesgerichte. Konkret ging es bei der Verhandlung um das Berliner Etablissement "Psst", das von Felicitas Weigmann betrieben wird und nun weiterhin sexuelle Dienste anbieten darf.

Der Richter Percy MacLean holte 50 Stellungnahmen über die "sozialethische Bewertung der Prostitution in unserer Gesellschaft" ein. Ein Großteil der Protokolle von Sozial- und Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Kirchen weisen darauf hin, dass ein Wandel in der Bewertung der Prostitution stattgefunden habe. Tendenz: Die Rechte der Frauen müssten stärker geschützt werden. "Prostitution wird als Teil des Zusammenlebens akzeptiert", heißt es in der Urteilsbegründung.

Selbstbestimmt, aber nicht freiwillig

Die bislang postulierte Sittenwidrigkeit der Sex-Dienstleistungen aller Art für Männer führt dazu, dass Prostituierte ihren vorenthaltenen Lohn nicht einklagen und nicht einer Sozialversicherung beitreten können, auch wenn sie gleichzeitig Steuern abführen müssen. Nach dem Berliner Gerichtsurteil sollen nun auch rechtliche Konsequenzen gezogen werden: Auch wenn sich die SPD noch ziert, eine entsprechende Gesetzesinitiative der rot-grünen Regierungskoalition ist für Frühjahr 2001 angekündigt.

In anderen europäischen Ländern gab es bereits Gesetzesveränderungen im Bereich Prostitution. In den Niederlanden wurde im September dieses Jahres das seit 1912 bestehende Bordellverbot aufgehoben. Die Prostitution von Volljährigen, die ihrem Gewerbe freiwillig nachgehen, ist legalisiert worden. Gleichzeitig werden strafrechtliche Maßnahmen gegen die Ausbeutung von Prostituierten verschärft. Nach wie vor macht sich zum Beispiel strafbar, wer eine Person zwingt, der Prostitution nachzugehen, oder wer eine minderjährige Person in die Prostitution zwingt.

Ein ganz anderes Modell hat Schweden umgesetzt: Seit Januar 1999 ist der Kauf sexueller Dienste strafbar. Freiern droht eine Geldbuße oder eine Haft bis zu einem halben Jahr, Prostituierte bleiben straffrei. Laut Hydra e.V., einen Berliner Interessensverband von Huren, gab es dort 1999 59 Anzeigen, wovon 56 eingestellt wurden. Die Beweisführung sei schwierig, da bei sexuellen Handlungen meistens keine Zeugen vorhanden sind. In der Regel sei auch die Prostituierte als potenzielle Zeugin nicht an der Strafverfolgung interessiert. Eine weitere Konsequenz sei die Zunahme von versteckter Prostitution und privaten Bordellen.

Die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen ist groß und lässt sich - wie das Beispiel Schweden zeigt - auch dann nicht eindämmen, wenn die Herren höchstpersönlich mit Bestrafung rechnen müssen.

Ist Prostitution also ein Naturgesetz? Die Kommentare zum Berliner Urteil in der Tagespresse am 2. Dezember von Frankfurter Rundschau bis zum Neuen Deutschland legen das nahe. Das Ende der Doppelmoral wird begrüßt, rechtliche Besserstellung von Prostituierten gefordert. "Nicht die Prostitution ist bigott, sondern der Umgang der Gesellschaft mit ihr", schreibt Pitt von Bebenburg in der Frankfurter Rundschau. Peter Kirschey vom Neuen Deutschland freut sich, wenn mit der "verlogenen Moral der ,Sittenwidrigkeit` Schluss gemacht wird." Und in der taz ist zu lesen: "Prostitution ist normal. Deshalb ist es auch zu begrüßen, dass das Urteil wie auch der Gesetzesentwurf das Verhältnis des Staates zu den Frauen ein weiteres Mal liberalisieren." Immerhin stellt die taz-Autorin Heide Oestreich auch fest, dass diese Art von Sex bisher nur ein Bedürfnis von Männern ist. Sie verspürt auch die Sorge, dass mit dem Urteil die "gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber, wie Männer mit Sex umgehen", verstummen könnte. Fragt sich nur, wie etwas verstummen kann, das noch gar nicht zu vernehmen ist. Fragt sich auch, ob es bei der gängigen Form der Prostitution - bis auf einen vernachlässigbaren Prozentsatz handelt es sich um weibliche Prostituierte für männliche Freier - tatsächlich um Sex geht. Ähnlich wie es bei einer Vergewaltigung nur vordergründig um Sex geht, dreht sich Prostitution nur am Rande darum, sexuelle Befriedigung für Männer zu erreichen - auch wenn dies individuell so empfunden werden mag.

Normalisierung ätzender Verhältnisse

Prostitution - im Sinne von Lust nach anonymen Sex oder Intimität bei Männern und Frauen - muss nicht notwendigerweise antiemanzipatorisch sein. Bei der vorherrschenden Form der Prostitution aber wird ein Herrschaftsverhältnis reproduziert, dessen Kennzeichen unter anderem die Verfügbarkeit des weiblichen Körpers für Männer und die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung ist. Prostitution bedeutet strukturelle Macht und zuweilen handfeste Gewalt gegenüber Frauen sowie die Geringschätzung von Frauen und ihren Körpern (Wie schnell auch jede "anständige" Frau plötzlich zur Hure oder Schlampe werden kann, zeigen die immer noch üblichen Beschimpfungen männlicherseits, wenn Frauen nicht deren Bedürfnissen nachkommen, sei es auf dem Fahrradweg oder in der U-Bahn). Dabei ist Prostitution nur ein Bereich neben vielen anderen - zum Beispiel Haus- und Gefühlsarbeiten, geschlechtshierarchischer Erwerbsarbeit oder (sexueller) Gewalt gegen Frauen -, in dem sich diese patriarchale Struktur ausdrückt bzw. dort generiert wird. Zwar kann Freiern nicht als einziges und wesentliches Motiv für ihr Handeln der Wunsch unterstellt werden, Macht ausüben zu wollen. Sie passen sich in diese gewaltförmige Struktur ein, ohne konkret das Gefühl zu haben, persönlich einem Bedürfnis nach Macht nachzugehen, wenn sie Sex von einer Prostituierten kaufen. Der Prostitution und den dafür notwendigen Deutungsmustern ("Männer brauchen Sex", "Sex mit der Ehefrau ist langweilig und kompliziert") liegen Subjektivitätsstrukturen zu Grunde, die nur im Kontext patriarchaler Vergesellschaftungsprozesse entstehen und wirkungsvoll werden können.

Die vermeintliche (Natur-)Gesetzlichkeit der Prostitution und das marktliberale Glaubensbekenntnis bringt die Puffbesitzerin Felicitas Weigmann in einem Interview in der jungen Welt (2.12.2000) auf den Punkt: "Das ist ja eine Sache, die machen zwei miteinander aus in den eigenen vier Wänden. Die Frau sagt okay, ich biete dir diese Dienstleistung an. Und der Mann sagt, okay, ich bin bereit, dafür Geld zu zahlen. Und dass es Prostitution gibt und man die nicht verbieten kann, wissen wir schon längst. Es ist ein Bestandteil unserer Gesellschaft. Sie ist wichtig und auch nötig. Wir erfüllen ja auch eine soziale Funktion." Strukturelle Zwänge, die es Frauen gesellschaftlich und individuell sozusagen erst "ermöglichen", sich zu prostituieren und eben nicht mehrheitlich als Kundinnen aufzutauchen, kennen Frau Weigmann und Konsorten nicht.

Ein großer Teil der Huren prostituiert sich aus individueller Sicht selbstbestimmt, keineswegs sind sie nur die "armen Opfer" - auch wenn es Frauenhandel und Zwangsprostitution gibt, deren großes Ausmaß seit Ende der 80er Jahre global gesehen eine neue Qualität erreicht hat. Angesichts der großen Nachfrage der Männer nach käuflichem Hetero-Sex, der weltweiten ökonomischen Ungleichheit und den oft schwierigen Möglichkeiten, auf andere Art und Weise Geld zu verdienen, sollte aber die Entscheidung, sich zu prostituieren, nicht mit Freiwilligkeit verwechselt werden. Genauso wenig freiwillig arbeiten MigrantInnen als ZeitungsverkäuferInnen auf der Straße, halten die Betriebskantine rein oder jobben bei McDonalds - auch wenn sie individuell glücklich sind, überhaupt eine Arbeit gefunden zu haben. Fatal für emanzipatorische Ansprüche wäre es, diese Zuweisungsmuster und hierarchischen Arbeitsteilungen als gegeben hinzunehmen. Diskriminierende gesellschaftliche Verhältnisse werden festgeschrieben und normalisiert, wenn die Arbeit, welche die verschiedenen sozialen Gruppen verrichten (müssen), als von ihnen selbstbestimmt und selbstgewählt interpretiert werden.

Huren sind keine verblendeten Geschöpfe in einem falschen Bewusstseinszustand. Es geht auch nicht darum, Prostitution von Frauen zu verbieten. Selbstverständlich muss auch die rechtliche Situation von Huren verbessert werden. Aber so zu tun, als sei dann alles in Butter, verkennt, dass Prostitution patriarchale Strukturen und hegemoniale Männlichkeitsformen verfestigt. Der selbstgefällige Jubel der liberalen und linken Presse über das Urteil übertönt den Katzenjammer angesichts der geringen Bereitschaft von (linken) Männern, ihre Beteiligung an (patriarchalen) Machtstrukturen zu demontieren.

Migrantinnen bleiben auf der Strecke

Abgesehen davon, dass bei diesem Medienbeifall über das Urteil und die geplante rechtliche Besserstellung der Prostituierten die Rolle der Männer aus dem Blick gerät, bleiben auch Migrantinnen, die im Sex-Gewerbe tätig sind, auf der Strecke: Ein Großteil der Huren sind Arbeitsmigrantinnen, die in der Regel "illegal" ihre Dienste anbieten, da sie keine Arbeitserlaubnis haben. In Frankfurt am Main beispielsweise sind laut agisra e.V. von den rund 1.500 Prostituierten 95% Migrantinnen, vor allem aus Kolumbien, der Dominikanischen Republik, Brasilien, aber auch Thailand, Ghana, Nigeria und anderen Ländern. Für die Frauen ohne (Arbeits-)Papiere ist die Einklagbarkeit des Lohns oder die Möglichkeit, sich sozialversichern zu können, einen feuchten Dreck wert. Ein Schutz vor Polizeirazzien, Abschiebung, Zwangs- und Gewaltsituationen wird ihnen auch die geplante rechtliche Besserstellung von Prostituierten nicht bieten.

Prostitution ist eine Realität. Schätzungsweise zwischen einer und anderthalb Millionen Männer - Messebesucher, Normalos, Touristen, Alte und Junge - suchen täglich in Deutschland Huren auf. Zur Feier eines Geschäftsabschlusses, der gelungenen Gesellenprüfung, nach Überstehen der Bundeswehrzeit oder einfach nur so. Prostitution ist ein fest verankerter Wirtschaftszweig, in dem Immobilienbesitzer, Bordellchefs, Zuhälter, Rechtsanwälte, Verlage (mit Werbung und Anzeigen für Prostitution) und nicht zuletzt die Regierung über Steuern ganz sicher nicht zu kurz kommen. Der Jahresumsatz im Rotlichtmilieu wird auf 12,5 Milliarden Mark geschätzt und erreicht damit die Wirtschaftskraft eines Großunternehmens wie adidas. Normal und unabänderlich ist Prostitution deswegen noch lange nicht.