jungle world online special: Deutsche Einheit und die Linke

Widerstand war zwecklos
Vor zehn Jahren vereinigten sich die Deutschen. Die Einheit gebar Rassismus, Antisemitismus, Krieg und eine Linke, die alldem nichts entgegenzusetzen hatte. 
von stefan wirner

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Wir sind ein Volk.« »Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.« »Die Deutschen sind heute das glücklichste Volk der Welt.« »Deutschland den Deutschen.« Diese Parolen stehen exemplarisch für die Stimmung in Deutschland im Jahre 1990. Am 23. August 1990 beschloss die Volkskammer in Ost-Berlin den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland. Der Beitritt wurde am 3. Oktober vollzogen. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Was in beiden deutschen Staaten über 40 Jahre lang aus reiner Staatsräson niedergehalten wurde, kam von diesem Tag an wieder zum Vorschein. Mit dem Abschied der alliierten Besatzungstruppen kehrten in Deutschland die alten Ungeister zurück.

Zehn Jahre Wiedervereinigung bedeuten: zehn Jahre tödlicher Rassismus mit weit über hundert Opfern rassistischer Gewalt; das Wiedererstarken des Antisemitismus in Gestalt von alltäglichen Beleidigungen, Friedhofsschändungen bis hin zu Sprengstoffanschlägen gegen jüdische Bürger (wie zuletzt in Bamberg und wohl auch in Düsseldorf); ein wieder erwachtes deutsches Großmachtstreben, das seinen bisherigen Höhepunkt 1999 im Krieg gegen Jugoslawien fand.

Sozialstaatliche Strukturen wurden im Zuge der Einigung sowohl in Ost- als auch in West-Deutschland abgebaut oder zerstört. Die Konkurrenz zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen, zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen, zwischen Frauen und Männern - die Konkurrenz aller gegen alle wurde verschärft. Dort, wo vom Einheitskanzler Helmut Kohl »blühende Landschaften« versprochen wurden, gibt es heute »national befreite Zonen«. Und der radikalen Linken gelang es nicht, gegen diese Entwicklung nennenswerten Widerstand zu entwickeln.

Eine Aktion steht symbolisch für das linke Dilemma. Am 3. Oktober 1990 hatte das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen dazu aufgerufen, die Feierlichkeiten rund um das Brandenburger Tor in Berlin mit einem eigenen Demonstrationszug zu stören. Die Masse der Feiernden aber war so groß, dass die kleine Anti-Demo gar nicht mehr auffiel und dem unwissenden Beobachter wie ein Teil der Feierlichkeiten erscheinen musste. Angesichts einer sich formierenden Volksgemeinschaft war linker Protest meist nur marginal.

Folgerichtig schrieb Reinhard Mohr (heute Der Spiegel) in der taz vom 2. Oktober 1990 einen »Rückblick auf ein umwälzendes Jahr, in dem die westdeutsche Linke die Geschichte immer weniger verstand«. Mit der Wiedervereinigung sollte alles desavouiert werden, was noch einen linken, sozialistischen Anspruch hatte. »Während Kohl schon die Währungsunion vorbereitete, beharrten Linke und Grüne auf der Zweistaatlichkeit«, kritisierte Mohr die Linke und verdrehte dabei die Tatsachen. Es gab keine Bewegung gegen die Wiedervereinigung, es gab nur einen Streit darüber, nach welchem Artikel des Grundgesetzes - 23 oder 146 - sie stattfinden sollte. Bündnis 90 und PDS wollten den Prozess der Vereinigung nicht blockieren, sie wollten ihn »mitgestalten«. (Vgl. Ebermann / Trampert, konkret, 10/90)

Aber auch diese zahnlose Linke musste noch bloßgestellt werden, denn das »Ende der Geschichte« war als Ende der Linken intendiert. »Große Teile der Linken (auch innerhalb der Grünen) pflegten ihre Projektionen: Sie verbreiteten ihre Version vom ðkapitalistischen AusverkaufÐ der DDR und vom ðnationalen TaumelÐ, der die Deutschen auf ihrem Weg zur ðWiedervereinigungÐ erfasst habe. (...) Erst wenn die rückwärts gewandten linken Beschwörungsformeln, die die deutsche Geschichte, einschließlich Auschwitz, gerade nicht reflektieren, sondern zum Fetisch einfrieren, durch die Erkenntnis der historischen Herausforderung abgelöst werden, können auch die Chancen dieses Augenblicks wahrgenommen werden«, schrieb Reinhard Mohr.

Als Renegat verstand Mohr etwas von den »historischen Herausforderungen«: »Die mitteleuropäische Geschichte hat im letzten Jahr keine Atempause gestattet. Die Nachkriegszeit ist beendet, Deutschland ist - in den Grenzen von 1990 - ein souveräner Bundesstaat, dessen Armee verkleinert und angriffsunfähig gemacht werden soll.« (taz, 2. Oktober 1990) Eine angriffsunfähige Armee? Das Gegenteil hat sich als wahr erwiesen. Und der nationale Taumel fordert täglich seine Opfer.

Die Wiedervereinigung brachte den Krieg im Inneren wie im Äußeren. Deutschnational war wieder in, jeder Fuhrunternehmer und jeder Bäcker warb plötzlich mit den Farben Schwarz, Rot, Gold. Der nationale Diskurs stieß nicht auf taube Ohren. Viele verstanden, worum es ging. Das sächsische Hoyerswerda wurde 1991, nach tagelangen Ausschreitungen, die erste »ausländerfreie« Stadt Deutschlands. Darauf folgten die Morde von Mölln und Solingen und das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen. CDU/CSU, FDP und SPD verstanden ihre Wähler und änderten den Asylrechtsparagrafen, Artikel 16 des Grundgesetzes.

Die Gesellschaft wurde militaristischer, rassistischer und unsozialer. Die deutsche Geschichte wurde Vor-Geschichte. Zwischen das sich neu formierende Deutschland und die nationalsozialistische Vergangenheit passte plötzlich die DDR. Eine Diktatur jagte die andere. Was war die SS gegen die Stasi? Der Holocaust gegen die Mauerschützen? Auschwitz wurde zu einem Detail der deutschen Geschichte. Oder deutlicher: »Der Bezug auf Auschwitz hat keine Orientierungskraft mehr.« (Helmut Dubiel in Die Zeit, 26/99)

Die radikale BRD-Linke der achtziger Jahre - engagiert im Häuserkampf oder in der Anti-Atom-Bewegung - wurde von der Entwicklung überrollt. Im Anschluss an die Wiedervereinigung kam es zum zweiten Golfkrieg, der das Feindbild USA wieder einmal zu bestärken schien. Die Kritik am Krieg konnte nicht wirksam mit einer Kritik am gerade wieder vereinigten Deutschland verbunden werden. Die Bedrohung Israels durch den Irak wurde von vielen ausgeblendet. Noch einmal hieß es: »USA - internationale Völkermordzentrale«.

Der Golfkrieg war ein Krieg der alten Zeitrechnung. Deutschland tat noch nicht richtig mit. Das sollte sich nach und nach ändern: 1994 mit dem Einsatz in Somalia, 1995 in Bosnien-Herzegowina, vor allem aber durch eine außenpolitische Aktion des neuen Deutschland. Die Anerkennung von Slowenien und Kroatien erfolgte im Alleingang und gegen den Wunsch der europäischen Partner. Es ist wohl unumstritten, dass dies zur Eskalation des sezessionistischen Konflikts in Jugoslawien beitrug.

Nur langsam tat sich etwas in der Linken. Eine neue Auseinandersetzung mit der Shoah begann, auch mit dem virulenten Antisemitismus in der Linken selbst. Aber wie so oft, wenn die deutsche Linke eine Sache lernt, vergisst sie gleich die andere. War man jetzt in erster Linie antideutsch oder antinational? Nichts gegen Auseinandersetzungen, aber gebracht hat diese Diskussion nicht viel, außer der Abspaltung von der Abspaltung. Das Volk wurde derweil immer völkischer. Die radikale Linke schrumpfte. Und Deutschland hielt einfach nicht das Maul.

Deutschland wählte Rot-Grün. Schröder war der kommende Mann. Kapitalismus hieß nun Globalisierung und Sozialabbau Reform. Und dem deutschen Interesse reichte das Feindbild Milosevic, um sich zu verwirklichen. Und wieder bombardierten deutsche Kampfflieger im Frühjahr 1999 Serbien.

Die Wiedervereinigung war eine Vorbedingung für den Kosovo-Krieg. Nicht die einzige, aber auf jeden Fall eine. Hätten noch zwei deutsche Staaten existiert, hätte die BRD Jugoslawien nicht angreifen können. Womöglich wäre es nicht zum Zerfall Jugoslawiens gekommen. Zehn Jahre deutsche Einheit bedeuten: deutsche Soldaten in fremden Ländern, Fremde raus aus deutschen Landen. Weitere kriegerische Auseinandersetzungen sind zu befürchten, der Rassismus gehört inzwischen zum Mainstream. Rassismus und Krieg sind die zwei Seiten der Medaille zur Deutschen Einheit.

»Es lebe die Freiheit«, freute sich Reinhard Mohr in der taz einen Tag vor der Wiedervereinigung. Der damalige Kanzler Helmut Kohl formulierte es eloquenter: »Der Zug der deutschen Einheit fährt jetzt langsam durch den Bahnhof der Geschichte.« Der Zug hat den Bahnhof inzwischen verlassen.