Editorial
Tanz aus der Reihe!

ein Gastkommentar von Karl-Heinz Schubert 

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Mithilfe des Foucault´schen Theorie-Werkzeugkastens sezierte Robert Hamm am Freitagabend, den 5.1. gefeatured vom Partisan.net und in Kooperation mit der Initiative menschliche Emanzipation im Mehringhof Ordnungsformen und -rituale von pädagogischen Institutionen.

Als besonders zur herrschaftsförmigen Normierung geeignet, erweist sich in deutschen Kitas und Schulen seit Jahrhunderten die Zweierreihe. Antreten und sich und seinen Körper reduziert in das Gruppenganze einfügen, machen Herrschaft machbar und bereiten auf künftige Subalternität als Staat- und WirtschaftsbürgerIn vor. Einmal als Geistes- und Körperhaltung inkorporiert, wird der anfänglich gegebene Befehl:  "Tanz nicht aus der Reihe!" als ständig zu wiederholender Befehl obsolet. Nur wenn die subjektlosen Subjekte ihre Subalternität spüren und die Reihe zu verlassen wagen, werden sie gleichsam zur Erinnerung an diesen Befehl entsprechend sanktioniert.

Doch mit zunehmender Vergesellschaftung des Individuums auf spätbürgerlich kapitalistischer Grundlage wird diese Zweckform einer Substituierung von Herrschaft in Staat und Gesellschaft disfunktional. Treffend führte Robert Hamm aus, wie der Kreis die Reihe als Ordnungsform abzulösen beginnt. Mit anschaulichen Beispielen aus seiner Praxis als Erzieher illustrierte er, wie sich nun institutionelle Herrschaft hinter egalitären Gesellungsformen  verbirgt, anstatt sich offen zu vollziehen. Abstrafen und Ausgrenzen als Sanktionsformen für sogenanntes abweichendes Verhalten wird nun scheinbar zur inneren Angelegenheit des Kreises.

Selbstorganisation als moderne Herrschaftsform zur Erfüllung kapitalistischer Vernutzungszwecke erscheint natürlich angenehmer und erträglicher als ein rigides Zweierreihenprogramm. Imaginierte Selbstbestimmung ist programmatischer Eckpfeiler auf der Fantasiereise einer Reformpädagogik, die nicht angreift sondern verschleiert. Diese und andere Entfremdungshüllen aufzubrechen ist Anspruch der Initiative menschliche Emanzipation. Angelika arbeitete in ihrem Korreferat heraus, wie sich dieses politische Ziel in dazu kompatiblen Politikformen umsetzen könnte. Den ersten Schritt dazu tat sie selber durch Musik, Gesang, Schminke und Interaktivität für die TeilnehmerInnen. Es folgte eine lebendige und kontroverse Diskussion über Formen und Inhalte einer emanzipatorischen Praxis, die subversiv ist, weil sie "den Bruch mit der repressiven Sozialisierung" (Angelika) will.

Das "Aus der Reihe tanzen" für eine menschliche Gesellschaft, so wurde u.a. in der Diskussion herausgearbeitet, muß aber selber Gegenstand kritischer Reflektion bleiben, will dieser Anspruch nicht zu einer atavistischen Denunziation von Verhältnissen verkommen. 

Der trend tanzt seit 1995 aus der Reihe, seitdem Gewerkschaftsfunktionäre ihn mit der Zensurkeule kaputtzuschlagen suchten. Sie scheiterten an unserer subversiven Praxis ebenso, wie spätere Angriffe gegen das virtuelle Projekt scheiterten. Dennoch sollte das trend-Projekt das Ergebnis dieses Abends ernstnehmen; nämlich dass das "Aus der Reihe tanzen" an das Vorhandensein hierarchisch-rigider Organisationsform gebunden ist, die es regelverletzend sichtbar zu machen und aufzuheben gilt - auch um den reformistischen Preis der Beihilfe zur Modernisierung der spätbürgerlichen Gesellschaft.

Oder anders: Welche Regelverletzungen müssen heute durch subversive Projekte im Internet begangen werden? Welche "subversive & emanzipatorische Praxis draußen" sollte unterstützt werden?

Und last not least. Wenn die Formel vom "Aus der Reihe tanzen" historisch überholt erscheint, weil softe Formen von Macht und Herrschaft vorherrschend werden (Stichwort: "Kreis"), welchen Tanz müssen wir dann künftig tanzen, damit die Verhältnisse, die eben nicht mehr versteinert sind, zum Tanzen gebracht werden?

Am 18.1. 2001 ist der  trend fünf Jahre im Internet. Hieße dies nicht auch in diesem Sinne Bilanz zu ziehen, damit es weiterhin heißen kann: "Macht weiter so!"