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Was ist Geld? 

von  Wal. Buchenberg (Hannover)

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Über den gerechten Tausch schrieb der Philosoph Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr.[1]: Vorausgesetzt, „a sei ein Haus, b zehn Minen, c ein Bett. a ist nun ½ b, wenn das Haus fünf Minen wert oder ihnen gleich ist. Das Bett sei 1/10 b. So sieht man dann, wieviel Betten dem Haus gleich sind, nämlich fünf. Daß in dieser Weise der Austausch vor sich ging, bevor das Geld aufkam, ist klar. Denn es macht nichts, ob man fünf Betten für ein Haus gibt oder den Geldwert der fünf Betten.“

Sein Beispiel ist von verführerischer Einfachheit. Erst bestimmte Aristoteles den Geldwert eines Hauses („die Hälfte von zehn Minen“), dann den Geldwert einer Polsterliege („ein Zehntel von zehn Minen“), dem wichtigsten und teuersten Möbelstück der alten Griechen, und bekommt als Ergebnis, „wieviel Betten dem Haus gleich sind“. Daraus werde klar,behauptete er, in welcher Weise „der Austausch vor sich ging, bevor das Geld aufkam.“

Aristoteles kam durch die Berechnung der Geldwerte eines Hauses und einer Polsterliege zur Gleichwertigkeit von einem Haus und fünfPolsterliegen als Waren, obwohl er gleichzeitig zugab, daß es Warentausch und Warenwert ohne Geld und vor dem Geld gab. Er stellt das Frühere (Warenwert) als Folge des Späteren (Geldwert) hin. So wird weder klar, wie der Warentausch vor sich ging, bevor es Geld gab, noch wie und warum das Geld aufkam. Die Natur des Geldes ist aus dem Warentausch zu erklären, nicht umgekehrt.

1. Gebrauchsmittel und Tauschmittel

Der älteste Handel, von dem die griechische Literatur berichtet, war der Einkauf einer Frau im Haushalt des Odysseus, „welche ... Laertes mit seinem Gute gekauft, in jungfräulicher Blüte, für zwanzig Rinder.“[2] Daß Frauen wie Vieh gehandelt wurden, war keine griechische Besonderheit und bedeutete schon ein Fortschritt gegenüber dem vorher üblichen Frauenraub. Frauenraub war in der antiken Welt so verbreitet, daß er zu Herodots Zeiten, im fünften Jahrhundert v. Chr., nicht als Menschenrechtsverletzung galt, die zum Kriegsgrund reichte: „Bisher war nichts weiter geschehen, als daß von beiden Seiten Weiber entführt worden waren. ... Weiber entführen sei eine Ungerechtigkeit; wegen der Entführten auf Rache zu denken, eine Torheit; sich um die Entführten nicht weiter bekümmern eine Klugheit.“[3]

Zwanzig Rinder für eine Frau waren jedenfalls ein märchenhaft hoher Preis. Durchleuchten wir einmal, welche unterschiedliche Rollen die beiden Handelspartner und ihre Handelsgüter dabei spielten:

Laertes, der Vater des Odysseus, hatte das Bedürfnis nach einer zweiten Frau und konnte zwanzig Ochsen entbehren. Die Braut wollte er alsGebrauchsmittel besitzen, auf die zwanzig Rinder konnte er als überflüssiges Nichtgebrauchsmittel verzichten. Laertes bot sein eigenes Nichtgebrauchsmittel für ein Gebrauchsmittel in fremder Hand. Was für den jungen Laertes ein Brautkauf, war ein Ochsenkauf für die Brauteltern. Sie hatten ein Bedürfnis nach zwanzig Ochsen und wollten die Tochter zum günstigen Zeitpunkt ihrer „jungfräulichen Blüte“ weggeben. Für sie waren die zwanzig fremden Rinder ein ersehntes Gebrauchsmittel, die eigene Tochter ein Nichtgebrauchsmittel.

Die Handelspartner stellten im Tausch zwei Produkte in bestimmter Menge gegenüber, die im Wert gleich galten, deren Funktionen im Tausch jedoch doppelt waren: Jedes Tauschobjekt, die 20 Rinder wie die Braut, war gleichzeitig Gebrauchsmittel für den Nichtbesitzer und Nichtgebrauchsmittel für den Besitzer.

Der Besitz eines fremden Gebrauchsmittels war für beide Parteien Zweck des Tausches. Aber jede Seite erreichte ihren Zweck nur, indem sie ein geeignetes Tauschmittel in der passenden Menge anbot, das für die andere Seite Zweck des Tausches und damit Gebrauchsmittel war. „Im unmittelbaren Produktentausch ist jede Ware unmittelbar Tauschmittel für ihren Besitzer.“[4] Je nach Sicht der handelnden Personen verkörperte sowohl die Braut wie die 20 Ochsen den Tauschzweck wie das Tauschmittel. Das waren die komplizierten Vorbedingungen, die den direkten Tausch ermöglichten.

Als Tauschmittel erfüllten die Ochsen wie die Braut im direkten Tausch die Funktion von Geld, ohne schon Geld zu sein. Das Tauschmittel war noch kein Geld, weil es noch nicht an eine bestimmte Warenart gebunden war, sondern in jede Warengestalt schlüpfen mußte, die getauscht wurde. Die Geld­funk­­tion des Tauschmittels war eine vorübergehende Vermittlerfunktion, die das Kunststück fertigbrachte, den Nichtgebrauchswert des früheren Besitzers in einen Gebrauchswert des neuen Besitzers zu verwandeln.

Solange nur einige, bekannte Arbeitsprodukte innerhalb einer Gemeinschaft getauscht wurden, wußten alle Beteiligten, wieviel Arbeitszeit und damit wieviel Wert in jeder Ware steckte. Menschen konnten auf dieser Stufe mit Vieh getauscht werden, weil diese Menschen Herren über sich hatten, denen sie wie Vieh gehörten und die sie wie Vieh benutzten. Der Brautvater, der seine Tochter verkaufte, war ebenso Herr über ihr Schicksal wie der Bräutigam, der sie kaufte. Die verkaufte Braut war wie das Vieh nicht einfach nur Naturprodukt, sondern ebenso Produkt menschlicher Arbeit. Das Menschenvieh hatte Arbeit durch seine Ernährung, Bekleidung, Behausung, Pflege, Erziehung und Ausbildung gemacht, ganz so wie das richtige Vieh Arbeit durch Zähmung, Pflege, Aufsicht, Fütterung u. ä. gekostet hatte. In Mensch und Tier vermischt sich das Wirken der Natur und die Arbeit der Menschen wie in allen Produkten, die der Mensch schafft: „Die Gebrauchswerte, ... die Warenkörper, sind Verbindungen von zwei Elementen, Naturstoff und Arbeit.... In dieser Arbeit der Formung selbst wird er beständig unterstützt von Naturkräften. Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte... Die Arbeit ist sein Vater ... und die Erde seine Mutter.“[5] Daß aber die neue Frau des Laertes volle 20 Rinder wert war, lag wohl daran, daß sie aus vornehmem Hause stammte und königliche Ernährung und Erziehung genossen hatte.

Je nach gewohnheitsmäßigem Wert gaben beide tauschenden Parteien mehr oder weniger von ihrem Tauschmittel her. Im Außenhandel mit neuen, fremden Waren mußte diese Wertbestimmung erst durch Erfahrung erlernt werden. Herodot erzählte davon, daß ein Schiff von der Insel Samos von Nordafrika an die Atlantikküste der iberischen Halbinsel verschlagen wurde, und dort zu einer Stadt kam, „die noch nie besucht worden war... weshalb diese Samier bei ihrer Rückkehr... den größten Gewinn von ihrer Ladung hatten.“[6]

2. Eine besondere Geldware als Zirkulationsmittel

Sobald der Tausch zur Gewohnheit und zum Bedürfnis wird, treten auf dieser Entwicklungsstufe spezifische Probleme auf.

Wenn einem griechischen Weinbauern ein irdener Mischkrug zerbrochen war, konnte er sich mit etwas Wein auf den Weg zum nächsten Markt machen. Dort bot ihm ein Töpfer zwar ein schönes Mischgefäß an, hatte aber vielleicht alle seine Vorratskrüge schon gefüllt und brauchte daher keinen Wein mehr. Ohne einen Weinbedarf des Töpfers taugte der Wein des Bauern nicht zum Tauschmittel. Der Handel kam nicht zustande.

Vielleicht kam zufällig am selben Tag ein Hirte zum Markt, um Wein zu erhandeln und bot dafür ein Lämmchen. Jeder der drei hatte ein Arbeitsprodukt als Nichtgebrauchsmittel anzubieten, trotzdem konnte kein Handel zustande kommen, weil sie keinen Tauschpartner fanden, für den ihr Nichtgebrauchsmittel ein begehrenswertes Gebrauchsmittel war. Ohne den passenden Partner hatte niemand das passende Tauschmittel.

Die drei wären aber dumm gewesen, wenn sie unverrichteter Dinge nach Hause gegangen wären. Es gab für ihr Problem mehrere Lösungen, die aber einige Zeit in Anspruch nahmen. Zum Beispiel konnte der Weinbauer den Töpfer dazu überreden, für einige Krüge Wein das Lamm von dem Hirten zu erstehen, um dann wieder Platz und Bedarf für Wein zu haben. Dann könnte er für den Wein des Bauern seine Töpferware verkaufen. Bauer und Hirte hätten dann, was sie wollten, der eine Wein, der andere einen Mischkrug. Der Töpfer hätte Wein und einen Krug verkauft, und dafür ein Lamm erhalten, das er dann seinerseits verkaufen mußte, wenn er es nicht mit seinen Freunden verspeisen wollte.

Beim Tauschhandel muß jeder Warenbesitzer für sein Nichtgebrauchsmittel einen passenden Gegenüber finden, der es als Gebrauchswert ansieht, damit sich das Nichtgebrauchsmittel in ein Tauschmittel verwandeln kann. Diese Suche nach passenden Interessenten wurde um so länger, je mehr sich die Zahl der Warenarten auf dem Markt vermehrte. Bei Homer wird von phönizischen Kauffahrern erzählt, die trotz einer Aufforderung, ihren Handel zu beschleunigen, einen ganzen Sommer brauchten, um eine einzige Schiffsladung in Waren für die Rückfahrt zu tauschen: „Und die Phönizier weilten ein ganzes Jahr auf der Insel, kauften und schleppten ins Schiff unzählige Güter zusammen.“[7] Weil in den Wintermonaten das Mittelmeer für die antiken Schiffe zu gefährlich war, mußten die Phönizier bis zum Frühjahr auf die Rückfahrt warten.

Am schnellsten konnte jemand ein fremdes Gebrauchsmittel erhandeln, wenn er im Besitz einer Ware war, die sich allgemeiner Beliebtheit erfreute. Ein gefragtes Gebrauchsmittel für die einen war ein günstiges Tauschmittel für die andern. Solche gefragten Warenarten mußten sich zu besonderen Geldwaren entwickeln, die sich jeder zu verschaffen suchte, um sie als Tauschmittel zu benutzen. Zu ihrem normalen Zweck als Gebrauchsmittel trat der besondere Zweck hinzu, ein günstiges Tauschmittel zu sein. „Der Gebrauchswert der Geldware verdoppelt sich. Neben ihrem besonderen Gebrauchswert als Ware, wie Gold z. B. zum ... Rohmaterial von Luxuswaren usw. dient, erhält sie einen formalen Gebrauchswert, der aus ihren spezifischen gesellschaftlichen Funktionen entspringt.“[8]

In ein Tauschmittel hatte sich jede Ware verwandeln müssen, die im direkten Tausch einen bestimmten Käufer suchte, dessen spezielles Bedürfnis sie befriedigte. Indem eine besondere Ware zu Geldware wird, die viele fremde Kaufwünsche auf sich zieht, wird sie vom individuellen Tauschmittel zum allgemeinen Tauschmittel oder Zirkulationsmittel, das den Austausch oder die Zirkulation vieler Waren ermöglicht.

Welche Warenart in diese Rolle schlüpfte, hing von der lokalen Beliebtheit ab. Besonders beliebt waren entweder solche Waren, die in dem jeweiligen Umkreis besonders häufig waren, z. B. Rinder, Wein und Getreide,oder solche Waren, die aus der Fremde kamen und daher besonders selten und begehrenswert waren. Bei Homer waren das z. B. Gerätschaften aus Silber und Gold, aber auch Eisenwerkzeuge und Rohmetall. Sobald eine dieser bestimmten Waren zur Geldware geworden war, wurde sie in ihrem Geltungskreis allgemeines Tauschmittel oder Zirkulationsmittel. Ohne ihr Dazwischentreten war dann ein Tausch nicht mehr möglich. So wie im Beispiel vom Weinbauer und Töpfer ohne Mithilfe einer dritten Person, dem Hirten, kein Verkauf zustande kam, so tritt jetzt statt einer vermittelnden Person die besondere Geldware als Mittler zwischen die Käufer. „Als Vermittler der Warenzirkulation erhält das Geld die Funktion des Zirkulationsmittels.“[9]

Bevor unser Weinbauer seinen Krug kaufen konnte, mußte er zuerst an die Geldware kommen. Er ging vielleicht zum Hirten und verkaufte ihm seinen Wein, für den er die Geldware erhielt. Dann kaufte er damit beim Töpfer seinen Mischkrug. Er tauschte also immer noch Wein gegen Krug, Ware A gegen Ware B, aber der Tausch wurde jetzt vermittelt durch das Dazwischentreten einer Geldware. Ware A tauschte sich erst mit Geldware, dann tauschte sich die Geldware mit Ware B. Um an die Geldware zu kommen, brauchte der Weinbesitzer zwar immer noch als dritte Person einen Geldbesitzer, aber die Suche nach diesem Vermittler verkürzte und vereinfachte sich in dem Maße, in dem sich die Geldware jetzt in vielen Händen befand und nicht nur in den Händen von denen, die diese besondere Ware produzierten.

Die Verwandlung eines Lamms in Wein und von Wein in einen Mischkrug oder die Umwandlung eines Nichtgebrauchsmittels in ein Tauschmittel und dann in ein Gebrauchsmittel sind ganz erstaunliche Erscheinungen. Die Entwicklung des griechischen Handelsverkehrs wurde zur Geburtshelferin des dialektischen Denkens. Das Schmiede- und Töpferhandwerk und den Handel seiner Heimatstadt Ephesos hatte Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. der Vater der Dialektik, Heraklit, vor Augen, als er von der Verwandlungskraft des Feuers sprach: „Alles ist austauschbar gegen Feuer und Feuer gegen alles, wie Waren gegen Gold und Gold gegen Waren.“[10]

3. Geld als allgemeines Wertmaß und Rechengeld

Als allgemeines Tauschmittel oder Zirkulationsmittel dient die besondere Geldware auch als Wertmaß. Als Homer deutlich machen wollte, wie verrückt der Tausch zwischen einer goldenen und einer bronzenen Rüstung war, sagte er: „Aber dann nahm Zeus ... ihm seinen Verstand, daß er seine goldene Rüstung ... gegen eine aus Bronze vertauschte, den Wert von hundert Ochsen gegen den Wert von neun Ochsen.“[11] Die Ochsen sind hier das Wertmaß der Rüstungen, und ihr Unterschied wird mit hundert zu neun quantifiziert. Homer nahm an, daß seinen Zuhörern der Wert von goldenen Rüstungen unbekannt war und setzte den Wert der unbekannten Ware mit einem bestimmten Quantum einer allgemein üblichen Ware, den Ochsen, gleich. Homer bestimmte die Werte der Rüstungen als Ochsenwerte.

In ihrer Rolle als Wertmaßstab dient die besondere Geldware auch als Rechengeld, das man zur Preisangabe benutzt, auch wenn man diese Ware nicht selber besitzt. So kannten die Griechen schon ausländisches Geld als Rechengeld, bevor sie wirklich damit zahlten: „Als man den Anacharsis fragte, wozu die Hellenen das Geld brauchen, antwortete er: zum Rechnen.“[12]

Ende des 7. Jahrhunderts berechnete der Athener Solon bei seiner Vermögenseinteilung „ein Schaf und eine Drachme ist gleich einem Scheffel Getreide“.[13] Der Scheffel Getreide ist hier die Größe, deren Wert Solon angeben wollte (Karl Marx nannte diese Größe „relative Wertform“), „ein Schaf und eine Drachme“ sind ihr Wertgleiches (bei Marx heißt das „Äquivalent“). Als Wertmaß dienten Solon zwei Geldwaren: Schafe und Drachmen. Im Austausch waren also „ein Schaf und eine Drachme“ die passende Menge Tauschmittel oder der eigene Tauschwert, der für einen Scheffel Getreide als begehrten Gebrauchswert gegeben werden mußte. Für den Getreidebesitzer galt das Umgekehrte: Sein Scheffel Getreide war ihm der Tauschwert, für den er „ein Schaf und eine Drachme“ als direkten Gebrauchswert oder als Zirkulationsmittel, d.h. indirekten Gebrauchswert, erwarten konnte.

Die griechischen Geldnamen „Drachme“ und „Obolos“ waren Mengenbezeichnungen aus der Zeit des Eisengeldes. Ein „Obolos“ war eine Stange oder Pfeilspitze aus Eisen, sechs davon konnte man in einer Hand halten und hießen „Drachme“, „eine Hand voll“. Die anderen beiden griechischen Geldnamen „Talent“ und „Mine“ hatten sich aus Gewichtseinheiten entwickelt. „Talent“ war ursprünglich eine menschliche oder tierische Traglast und wechselte je nach Gegend im Gewicht zwischen rund 26 kg und 39 kg. Eine „Mine“ war davon der sechzigste Teil. Mine und Drachme wurden in verschiedenen Teilungsverhältnissen aufeinander bezogen. In Athen wurden im Laufe der Zeit 105, 138 und 150 Drachmen pro Mine gerechnet. In diesen Größenveränderungen der Wertmaße spiegelten sich wohl Wertveränderungen wichtiger Waren wider.

4. Geldware Edelmetall und Geld als Schatz

Wie heute in verschiedenen Ländern verschiedene Währungen nebeneinander bestehen, so existierten in der antiken Mittelmeerwelt verschiedene Geldwaren als Währungen nebeneinander. Die Spartaner benutzen Eisenwährung, die Ägypter kamen im Innern lange ohne Warenverkehr und Geld aus und benutzten im Außenhandel Goldwährung, Nomadenvölker benutzten Rinder als besondere Geldware und wieder andere, was sie gerade als Gebrauchsmittel bevorzugten. Das Beispiel von Solons Getreidescheffel zeigte auch, daß innerhalb einer Stadt mehrere Geldwaren als Währungen nebeneinander bestehen konnten. Daß sich in dieser Vielfalt der konkurrierenden Währungen Metalle als Geldware allmählich durchsetzten, hat ebenso praktische Gründe der Zeit- und Arbeitsersparnis wie der Übergang vom direkten Tausch zu einer besonderen Geldware als Tauschmittler.

Geld als Vereinbarung der Menschen aus Gründen der Handlichkeit und Nützlichkeit sind die Gesichtspunkte, die Aristoteles in seiner Darstellung der Geschichte des Metallgeldes herausstreicht: „Natürlich war in der ursprünglichen Gemeinschaft eines Familienverbandes ein Tauschhandel nicht nötig. Dieser wurde erst dann zur Notwendigkeit, als die Gemeinschaften größer wurden. In der ursprünglichen Gemeinschaft hatten alle Anteil am gemeinschaftlichen Besitz, in der vergrößerten Gemeinschaft hatten die einen Überfluß an dem, die anderen an jenem. Dies mußte also nach den jeweiligen Bedürfnissen direkt ausgetauscht werden, so wie es auch jetzt noch viele von den unzivilisierten Völkern tun. Sie tauschen gegenseitig nur diese Gebrauchsgüter, also Wein gegen Korn usw. ... 

Durch die Einfuhr dessen, was man entbehrte, und die Ausfuhr des eigenen Überschusses dehnte sich diese Hilfeleistung über die Landesgrenzen hinaus, und so ergab sich mit Notwendigkeit die Verwendung von Geld. Denn nicht alle normalerweise notwendigen Güter sind leicht zu transportieren. Also kam man überein, beim Tausch gegenseitig eine Sache zu nehmen und zu geben, die selbst nützlich und im täglichen Verkehr handlich war, wie Eisen, Silber usw. Zuerst bestimmte man sie einfach nach Größe und Gewicht, schließlich drückte man ihr ein Zeichen auf, um sich das Abmessen zu ersparen. Denn die Prägung wurde als Zeichen der Quantität gesetzt.“[14]

Was Gold und Silber vor anderen Geldwaren auszeichnet, ist einmal die beliebige Teilbarkeit und Zusammensetzbarkeit, wobei jede Teilmenge dieselbe gleichförmige Qualität wie alle anderen Stücke aufweist. Es ist ihre relative Unzerstörbarkeit und es ist im Vergleich zu ihrem Gewicht der relativ hohe Wert. Keine andere Geldware vereinte alle diese Bedingungen auf sich: Vieh konnte nicht in „Kleingeld“ unterteilt werden, Wein und Getreide wurden relativ schnell schlecht und verloren an Wert. Eisen war im Vergleich zu seinem Wert recht schwer, und seine Verwendung als Tauschmittel machte einen Großkauf zur Schwerstarbeit.

Der Erfolg von Edelmetall als besondere Geldware muß also zu den Zeiten und an den Orten eingetreten sein, wo relativ große Warenmengen in vielfältiger Warengestalt mit relativ großen Wertsummen umgeschlagen wurden. Gold und Silber konnten allen anderen Waren jedoch nur als besondere Geldware gegenübertreten, weil sie diesen Waren vorher schon als nützlicher Tauschgegenstand gegenüberstanden.

Vom persischen König berichtete Herodot, daß dieser alles als Steuern eingegangene Gold einschmelzen und in Tongefäße gießen ließ. „Braucht er aber Geld, so schlägt er davon so viel ab, als er jedesmal benötigt.“[15] Solche Bruchstücke mußten vom Verkäufer wie vom Käufer abgewogen werden, damit der eine wußte, wieviel Gold er als Tauschmittel gab und der andere, wieviel Gold (direktes Gebrauchsmittel) oder Geld (indirektes Gebrauchsmittel) er bekam.

Wir kennen nicht den konkreten Anlaß, der die Lyder dazu bewog, zwischen 640 und 600 v. Chr. aus Weißgoldstücken oder Elektron, einer Gold-Silber-Legierung, die in Kleinasien natürlich vorkam, Münzen zu prägen. Aber klar ist, daß weiteres Abwiegen beim Kauf erspart wird, wenn die Metallstücke im Gewicht genormt sind und ein Zeichen zur Beglaubigung ihrer Gewichtsnormung tragen. Jeder, der solche genormte Metallstücke als Geldware in den Handel brachte und dessen Korrektheit beim Auswiegen glaubwürdig war, konnte mit Erfolg Münzen schlagen. Einer staatlichen Autorität bedurfte es dazu nicht.

Daß die Lyder schon vor den geprägten Münzen Weißgold als Tausch- oder Zirkulationsmittel benutzten, wissen wir aus einem Schatzfund, der in das Fundament des Ar­te­mis­­tempels von Ephesos eingemauert war. Der Schatz von Ephesos enthält sowohl unbehandelte Metallklümpchen wie solche mit einer eingeprägten regelmäßigen Riffelung auf der Oberfläche, die den Grad einer Abnutzung anzeigen konnte. Das waren die ersten Münzen. Der Schatzfund enthält auch schon Metallstücke mit Bildprägungen, einem Löwenkopf oder Löwentatzen. Das chemische Material weist auf den lydischen Ursprung, und die unterschiedlichen Formen zeigen die ältesten Entwicklungsstufen des Münzwesens.[16]

In Griechenland hatte nach der griechischen Tradition die damalige Handelsmetropole Aigina (um 570 v. Chr.)als erste Stadt Münzgeld eingeführt. Dann folgten bald Korinth und Athen und im weiteren Verlauf des sechsten Jahrhunderts die meisten anderen griechischen Städte.[17] Andere Regionen, die ebenfalls im Mittelmeerhandel eine Rolle spielten, wie Karthago, Ägypten oder auch Rom, übernahmen diesen Brauch erst einige hundert Jahre später. In Karthago und Rom wurden sogar erst im 3. Jahrhundert v. Chr. Münzen geprägt.[18]

Daraus und aus der Tatsache, daß kaum aiginetische Münzfunde außerhalb Aiginas gefunden wurden, hat man den falschen Schluß gezogen, daß das Münzgeld anfangs „im Handel noch kaum eine Rolle gespielt habe“.[19] Je weiter sich eine Münze jedoch von ihrem Ursprungsort entfernte, desto weniger Glaubwürdigkeit konnte der Prägestempel erwarten, der ihr korrektes Gewicht anzeigte. In vielen griechischen Städten war die Verwendung auswärtiger Münzen ausdrücklich verboten. Weder war die Geldfunktion als allgemeines Tausch- oder Zirkulationsmittel überall und ständig an Edelmetall gebunden, noch das Metallgeld an die Münzform. Nominalwert und Metallwert unterschieden sich kaum, so konnte die Münze ständig in Metallgestalt und das Metall in Münzgestalt schlüpfen.

Die lydischen Münzen im Tempel von Ephesos haben jetzt 2600 Jahre überstanden, ohne an Aussehen oder Gewicht viel eingebüßt zu haben. Die relative Unzerstörbarkeit der Edelmetalle machte sie zum bevorzugten Schatzbildner. Von Homer wissen wir, daß in alter Zeit meist zu Gegenständen verarbeitetes Gold und Silber als Schatz gehortet - die Griechen sagten „gerettet“ - worden sind. Schatzbildung war Vorratsbildung für Notzeiten und spielte in allen alten Gesellschaften eine viel größere Rolle als heute. Die ersten „Schatzhäuser“ waren die öffentlichen Getreidespeicher der orientalischen despotischen Planwirtschaften.

5. Geld als Zahlungsmittel, Kredit

Im griechischen Rechtsdenken war ein Kauf erst dann rechtsgültig, wenn er vollständig bezahlt war, also wenn beide Waren vollständig die Hände gewechselt hatten. Trotzdem entstanden Schuld- und Kreditbeziehungen naturwüchsig aus den wirtschaftlichen Verhältnissen. Die ersten Schuldverhältnisse konnten in der Landwirtschaft entstehen, weil die Bedürfnisse der Bauern in kurzen Zeiträumen, täglich oder wöchentlich, nach Befriedigung verlangten, aber nur in langen Zeiträumen die Produkte reiften und verkaufsfertig wurden, mit denen sie ihre Bedürfnisbefriedigung über die Eigenproduktion hinaus bezahlen konnten. Getreide wurde jährlich geerntet. Olivenbäume brauchten sogar zehn oder zwölf Jahre bis zur ersten Ernte. Ein Bauer konnte also leicht in die Lage kommen, daß er kaufen mußte, bevor er ein Arbeitsprodukt hatte, mit dem er zahlen konnte. Er wurde zum Schuldner, der reiche Nachbar, der ihm Lebensmittel oder Geld vorstreckte, wurde Gläubiger.

Ebenso fiel der Händewechsel von Ware und Geld im Fernhandel zeitlich auseinander. Waren fanden am Heimatort einen Käufer, der aber erst bezahlen konnte, nachdem er die gekaufte Ware an einem weit entfernten Marktplatz verkauft hatte. Aus dem zeitlich kurzen Handelsakt von Käufer und Verkäufer - Ware gegen Ware - wurde die längerfristige Bindung von Gläubiger und Schuldner.

Soweit uns die athenischen Seefrachten bekannt sind, hatten sie beim Auslaufen meist einen Wert zwischen 2.000 - 5.000 Drachmen[20], das waren rund 16 bis 40 Jahreslöhne aus einfacher Arbeit. Die athenischen Kauffahrer der klassischen Zeit waren aber einfache „Handwerker“ bzw. Seeleute, die den Wert ihrer Fracht vor der Ausfahrt von aristokratischen Großgrundbesitzern vorgestreckt bekamen. Ein griechischer Kauffahrer belud also in Athen sein Schiff mit Handelsware, die er erst nach seiner Rückkehr - mit dem erwarteten Handelsgewinn von 20 Prozent - zu bezahlen hatte.

Hierbei funktionierte das Geld einmal als Wertmaß der Preisbestimmung, um den Wert der Fracht und die Höhe seiner Schuld zu bestimmen. Als Tausch- bzw. Zirkulationsmittel tritt das Geld nicht wirklich auf, sondern nur ideell als Zahlungsversprechen. Als Zahlungsmittel wechselte das Geld erst die Hände, wenn der Kauffahrer mit seiner Rückfracht in Athen gelandet war und diese dort mit Gewinn verkauft hatte.

Als Zahlungsmittel vermittelt das Geld keinen Warentausch, sondern schließt ihn ab. Mit seinem Seehandelsdarlehen gab der athenische Aristokrat nur Geld, um mehr Geld dafür zu bekommen. In den Augen des aristokratischen Geldgebers - aber nur aus seiner Sicht - findet dabei kein Warentausch mehr statt. „Die Wertgestalt der Ware, Geld, wird also jetzt zum Selbstzweck des Verkaufs durch eine den Verhältnissen des Zirkulationsprozesses selbst entspringende, gesellschaftliche Notwendigkeit.“[21] An dieser Bewegung des Geldes - Geld geben, um mehr Geld zu bekommen - erkannte Aristoteles richtig: „Daher hat denn auch dieser Reichtum, der aus dieser Art Erwerbskunst fließt, kein Ende und keine Schranke.“[22]

6. Dämonisierung des Geldes

Im Gegensatz zu Karl Marx konnte sich Aristoteles die scheinbar austauschlose Geldvermehrung des Gläubigers noch nicht erklären und meinte daher, daß sie „naturwidrig“ sei, weil das Geld dabei nicht zu dem Zweck verwendet werde, „wofür das Geld da ist. Denn das Geld ist um des Tausches willen erfunden worden.“[23] Wo sein Verständnis noch nicht ausreichte, wurde Aristoteles zum Moralisten, der dem Geld vorschreiben möchte, was es darf und nicht darf.

Solange die Geldfunktion nicht an einer besonderen Geldware haftete, entstand und verschwand sie durch freie Vereinbarung zweier Warenbesitzer, die sich auf ein Tauschmittel einigten. Als allgemeines Tauschmittel oder Zirkulationsmittel war Geld aber eine unbewußte Schöpfung aller Warenproduzenten. Es verwandelte sich aus einem individuellen Willensakt in einen gesellschaftlichen Willen und damit scheinbar in eine übermenschliche Macht, die über dem Willen der Individuen steht. Scheinbar regierte von nun an das Geld den Austausch, die Produktion und die Produzenten.

Sogar das Wort Gottes konnte im berühmten Orakel von Delphi gekauft werden. Herodot berichtete, daß die Seherin des Heiligtums, „mit Geschenken“[24] beeinflußt wurde und bald nach 490 v. Chr. wurde eine Seherin wegen zu offensichtlicher Bestechlichkeit aus dem Heiligtum von Delphi verjagt.

Wenn sogar die Macht eines göttlichen Orakels gekauft werden konnte, woher kam dann die Macht des Geldes? Das Geld wurde dämonisiert - entweder in einzelnen unverstandenen Funktionen wie von Aristoteles oder insgesamt und pauschal wie in der „Antigone“ von König Kleon: „Denn unter allem, was in Brauch ist bei den Menschen, erwuchs so schlimm nichts wie das Geld! Dies zerstört selbst Städte, dies treibt Männer aus von Hof und Herd; dies lehrt und verkehrt den rechten Sinn der Menschen, üblem Tun sich zuzuwenden.“[25]Hinter der Verteufelung des Geldes steht der Wunsch, das Geld und seine Macht zu beseitigen. Geld ist zwar von den Menschen geschaffen, aber ohne Willen und ohne Bewußtsein - nur durch die Entwicklung des Warentausches. Scheinbar ist Geld nur eine Sache, aber im Geld verbirgt sich die gesellschaftliche Arbeit aller Gesellschaftsmitglieder.

Eine Wirtschaftsweise ohne Geld ist keine Utopie, sondern wird -stückweise- längst praktiziert: innerhalb jeder Familie, früher innerhalb eines Klosters, heute innerhalb jedes kapitalistischen Unternehmens. Die Sowjetwirtschaft hat bewiesen, daß mit despotischen Mitteln die Macht des Geldes nur beschränkt, nicht beseitigt werden kann. Erst wenn alle Gesellschaftsmitglieder - oder wenigstens ihre übergroße Mehrheit - freiwillig und mit Bewußtsein die Produktion und Dienstleistungen nach ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten leiten und planen, wird das Geld überflüssig.



[1] Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1133b.
[2] Odyssee 1, 430-431.
[3] Herodot, 1, 4.
[4]Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 103.
[5]Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 57-58.
[6]Herodot 4, 143.
[7] Odyssee 15, 454ff.
[8] Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 104.
[9]Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 128.
[10] Die Vorsokratiker I, Heraklit 63.
[11] Ilias 6, 234-236.
[12] Athenaeus, „Deipn.“ I. IV. 49, v. 2.
[13] Plutarch, Solon 23.
[14] Aristoteles, Politik 1257a.
[15] Herodot 3, 91.
[16] vgl. Boardman, John: Kolonien und Handel der Griechen. Vom späten 9. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. München 1981, S. 119.
[17] Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland. Geschichte der Antike. dtv. 6. Aufl. 1998, S. 296.
[18] Pekáry, Thomas: Die Wirtschaft der griechisch-römischen Antike. Wiesbaden 1976, S. 5.
[19] „... dem Handel scheinen diese Münzen anfangs wenig gedient zu haben: die Münzen des 6. und teilweise noch des 5. Jh. v. Chr. werden meist nur in den Gebieten gefunden, wo sie hergestellt wurden. Daher können sie im Handel noch kaum eine Rolle gespielt haben.“ Pekáry, S. 31.
[20] Hasebroek, Johannes: Griechische Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte; 1931, S. 99.
[21] Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 150.
[22] Aristoteles, Politik 1257 b 24.
[23] Aristoteles, Politik 1258 b 5.
[24] Herodot 5, 62.
[25] Sophokles, Antigone.
 
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