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aus: Aufsätze zur Diskussion, Nr. 34, Dezember 1985, Ffm 1985

Unterkonsumtion und allgemeine Krise des
Kapitalismus

III. Eugen Vargas Verständnis der Marxschen Krisentheorie

Fortsetzung von Teil I+II 

von Klaus Winter 
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In einem Abschnitt über die "Verschärfung des Markt Problems im Kapitalismus" wies Varga 1938 auf den Zusammenhang hin, der zwischen seiner Auffassung der Marxschen Krisentheorie und der Erklärung des Absatzmangels in der Periode der allgemeinen Krise des Kapitalismus besteht. "Die allgemeine Erörterung des zyklischen Ganges der kapitalistischen Reproduktion und der unvermeidlichen periodischen Wiederkehr der industriellen Krisen fällt außerhalb des Rahmens dieser Arbeit. Wir wollen an dieser Stelle nur auf die entscheidende Rolle, die der 'Konsumtionskraft der Gesellschaft' zufällt, hinweisen, weil deren fortschreitende relative Einschränkung die Hauptursache des tendenziell chronischen Absatzmangels in der Periode der allgemeinen Krise des Kapitalismus ist." Die zentrale Bedeutung der "Konsumtionskraft der Gesellschaft" für die Erklärung der Krisen hatte Varga in verschiedenen Darstellungen der Marxschen Krisentheorie hervorgehoben, unter anderen in seinem Bericht über das l. Viertel des Jahres 1931.(47)

1. Das Mißverständnis von Produktion und Konsumtion

Dort knüpfte er an die Ausführungen von Marx an, daß "die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer Realisierung ... begrifflich auseinander(fallen)". Wahrend erstere nur durch die Produktivkraft der Gesellschaft beschränkt sind, ist die Realisierung der Ausbeutung neben der Proportionalität der Produktionszweige durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft beschränkt.. "Diese letztere ist aber bestimmt weder durch die absolute Produktionskraft noch durch die absolute Konsumtionskraft; sondern durch die Konsumtionskraft auf Basis antagonistischer Distributionsverhaltnisse Sie ist ferner beschränkt durch den Akkumulationstrieb, den Trieb nach Vergrößerung des Kapitals und nach Produktion von Mehrwert auf erweiterter Stufenleiter."(48) Marx hatte damit begründet, daß die Verwertung innerhalb des Produktionsprozesses nicht unmittelbar identisch ist mit der Verwertung im Zirkulationsprozeß, daß daher die Möglichkeit besteht, daß sich mit Ausdehnung der Produktion der Markt nicht erweitert, eine Möglichkeit, die in der Notwendigkeit, den Markt beständig auszudehnen, eingeschlossen ist. Dennoch war Marx der Meinung, daß das Kapital im großen und ganzen die Bedingungen für die Einheit von Produktion und Zirkulation selbst schafft. "Im großen und ganzen muß sich diese (Einheit; d.V.) bewähren, soweit das Ganze der Produktion auf dem Kapital beruht, also es die notwendigen Momente seiner Selbstgestaltung alle realisieren muß und die Bedingungen für die Verwirklichung derselben enthalten."(49)

Vargas Überlegungen dagegen zielten in die Richtung, den Wert des gesellschaftlichen Gesamtprodukts (des Resultats der gesellschaftlichen Produktionskraft) dem konsumierbaren Teil dieses Wertes gegenüberzustellen. Wahrend der Produktenwert der Gesellschaft c + v + m ist (konstantes + variables Kapital + Mehrwert), drückt sich die Konsumtionskraft in dem Bestandteil v + m - a aus, wobei a der zu kapitalisierende Teil des Mehrwerts ist. "Unter Konsumtionskraft der Gesellschaft versteht Marx die Nachfolge nach Waren der Abteilung II, die Nachfrage nach Konsumtionsmitteln, also v + (m-a), d.h. Summe des variablen Kapitals plus jenem Teil des Mehrwerts, der nach Abzug der zur Akkumulation verwendeten Summen zur Befriedigung des individuellen Bedürfnisses der Bourgeoisie verwendet wird."(50) Aus dieser Gegenüberstellung zog Varga die Konsequenz: "Dies ist die Grundlage der Tatsache, daß es im Kapitalismus keine Proportionalität, kein Gleichgewicht zwischen Produktionskraft und Konsumtionskraft geben kann."(51) Über die Rolle des konstanten Kapitals äußerte sich Varga an dieser Stelle nicht weiter, dafür schenkte er dem "Abzug der zur Akkumulation verwendeten Summen" besondere Beachtung: "Der Prozeß der Akkumulation selbst ergibt zwangsmäßig eine Disproportion, indem die Kapitalisten einen Teil des angeeigneten Mehrwerts statt zum Kauf der Waren der Abteilung II immer wieder zum Ankauf von Waren der Abteilung I, zur Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion verwenden, während gleichzeitig parallel mit der Erhöhung der Produktivität der Arbeit ein Sinken des Wertes der Arbeitskraft, eine relative Verminderung von v eintritt, was die Konsumtionskraft der Arbeiter verhindert. Es muß daher immer wieder eine relative Überproduktion in Abteilung II entstehen."(52)

Für die Disproportion zwischen "Produktionskraft und Konsumtionskraft" gibt Varga zwei Gründe an: Erstens - bei gegebenem Ausbeutungsgrad - verwenden die Kapitalisten einen Teil des Mehrwerts "statt" zur Nachfrage nach Konsumtionsmitteln zur Ausdehnung der Produktion. Würden sie den gesamten Mehrwert in Konsumtionsmitte In umsetzen, so würde insofern das Mißverhältnis zwischen Produktion und Konsumtion nicht auftreten. Als Maß für das Funktionieren der kapitalistischen Reproduktion erscheint hier wieder die vollständige Konsumtion des Mehrwerts - während die Akkumulation als Abweichung von einem "Gleichgewicht" von Produktion und Konsumtion erscheint und sich auf Kosten der Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft vollzieht. Zweitens aber sinkt der Wert der Arbeitskraft mit der Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit - und damit die Konsumtionsfähigkeit der Arbeiterklasse. Durch diese Produktion des relativen Mehrwerts und Erhöhung des Ausbeutungsgrades hat sich aber zunächst nur das Verhältnis geändert, in dem sich das Wertprodukt der Gesellschaft (v + m) als Einkommen auf Kapitalisten- und Arbeiterklasse aufteilt. Die Konsumtionsfähigkeit der gesamten Gesellschaft könnte also erhalten bleiben, wenn die Kapitalisten den Zuwachs des Mehrwerts zur Ausdehnung der Konsumtion verwenden würden. Benutzen sie ihn aber stattdessen wieder zur Akkumulation, so bietet ihr Konsum keinen Ersatz für die sinkende Konsumtionsfähigkeit der Arbeiter. Die Produktion des relativen Mehrwerts erhöht in diesem Sinne die Anforderungen an den Luxus der Kapitalisten, während die Erhöhung des Akkumulationsfonds die "Disproportionalität zwischen Produktionskraft und Konsumtionskraft" steigert. Im wesentlichen ist es hier - ähnlich wie bei Kautskys Darstellung von 1902 - die bloße Tatsache der Akkumulation, mit der Varga das Mißverhältnis zwischen Produktion und Konsumtion begründet; die Produktion des relativen Mehrwerts stellt durch die Verwandlung eines Teils des Konsumtionsfonds der Arbeiterklasse in Akkumulationsfonds eine quantitative Verschärfung dieses Mißverhältnisses dar.

2. Die Identität von Akkumulation und Überproduktion

Als unmittelbare Konsequenz dürfte eine Überproduktion nicht "immer wieder" entstehen, wie Varga formuliert hatte, sie müßte vielmehr die beständige. dauerhafte Begleitung der Akkumulation sein. "Der Prozeß der Akkumulation", schließt Varga, "ist daher identisch mit einer ständigen relativen Überproduktion".(53) Daß dies auch die Auffassung von Marx gewesen sei, belegt er mit dem folgenden Zitat: "So findet .... in der Agrikultur (wie in allen anderen Produktionszweigen, die kapitalistisch betrieben werden) fortwährend jene relative Überproduktion statt, die an sich identisch ist mit derA kkumulation."(54)

Aus der - von Varga nicht zitierten - Fortsetzung des Satzes geht jedoch hervor, daß Marx mit "jener relativen Überproduktion" kein Zuviel an produzierten Waren gegenüber der Konsumnachfrage meint, sondern "jene relative Überproduktion, die an sich identisch ist mit der Akkumulation und die bei anderer Produktionsweise direkt durch die Vermehrung der Bevölkerung und in Kolonien durch fortwährende Einwanderung bewirkt wird."(55) Marx ging es hier nicht um eine Erklärung der Krisen, sondern um die Frage, wie "die Ausdehnung der Kultur auf größere Bodenflächen"(56) zustande kommt. Diese Erweiterung der landwirtschaftlichen Produktion findet auch "bei anderer Produktionsweise" statt - und wird direkt durch die Zunahme der Bevölkerung bewirkt, unter kapitalistischen Bedingungen durch zusätzliche Anlage von Kapital. "Jene relative Überproduktion" ist insofern nicht spezifisch kapitalistisch, sondern eine Gemeinsamkeit verschiedener Produktionsweisen. Sie ist auch nicht mit einem Mißverständnis von Produktion und Konsumtion identisch, sondern stellt eine Ausdehnung der Produktion dar, die im allgemeinen mit steigendem Bedarf einhergehc. "Der Bedarf wächst beständig", fahrt Marx fort, "und in dieser Voraussicht wird fortwährend neues Kapital in neuem Boden angelegt; obgleich je nach Umständen für verschiedene Bodenprodukte . Es ist die Bildung neuer Kapitale, die dies an und für sich mit sich bringt."(57)

3. Die Überproduktion in der Form ihres "scheinbaren Verschwindens"

Vargas irrtümliche Ansicht, daß die Akkumulation von vornherein ein Mißverhältnis von Produktion und Konsumtion einschließt und daher mit einer ständigen Überproduktion identisch ist. hat Auswirkungen auf seine weitere Fragestellung: "Akkumulation, d.h. Verwendung eines Teils des Wertprodukts nicht zur individuellen Konsumtion, sondern zur Vergrößerung des Kapitals, bedeutet aber eine ständige, relative. - periodisch latente, periodisch offene Überproduktion."(58) Nicht mehr die Entstehung der Überproduktion ist jetzt zu erklären, sondern warum sie zeitweise verborgen, nicht sichtbar ist. "Warum zeigt sich", fragt Varga, "diese fortwährende, relative Überproduktion" einmal in Form einer allgemeinen Überproduktionskrise, während sie in den Phasen des Aufschwungs und der Hochkonjunktur scheinbar ganz verschwindet?"(59)

Die fortwährend, bestandig vorhandene Überproduktion zeigt sich also abwechselnd in zwei Formen, einmal in der Form der Krise, zum andern in der Form des Aufschwungs und der Prosperität, oder in der Form ihres nur scheinbaren völligen Verschwindens.

Wie dieser periodische Wechsel von scheinbarem Verschwinden und offenem Hervortreten der beständigen Überproduktion möglich ist, wird von Varga damit beantwortet, daß der Aufschwung zuerst nur in der Produktion von Produktionsmitteln stattfindet, wo die Schranke der Konsumtion sich nicht geltend mache. "Die Realisierung der Waren der Abteilung I (Produktionsmittel) geht in dieser Phase glatt vor sich, da die Kapitalisten selbst gegenseitig Käufer ihrer Waren sind."(60) Das stets vorhandene Ungleichgewicht von Produktion und Konsumtion kann sich dann erst in einer zweiten Phase zeigen, in der mit den neu geschaffenen Produktionsmitteln in der Abteilung II Konsumtionsmittel produziert werden. "Ist daher der Prozeß der Ausdehnung des Produktionsapparates zu einem teilweisen Abschluß gelangt, indem mit den neueingerichteten Betrieben die Produktion von Waren der Abteilung II begonnen wird, so tritt unvermeidlich Überproduktion in II ein, da die Konsumtionskraft der Gesellschaft in viel geringerem Maße gestiegen ist als die Produktionskraft."(61) Eine weitergehende Erklärung für das Einsetzen der Krise brauchte Varga nicht zu geben, da mit der Ausdehnung der Produktion in der Abteilung II das von vornherein vorhandene Ungleichgewicht nur manifest wurde.

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