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Quelle: LORA München

"Chavez, Castro und das Chaos" (SZ, 28.12.) 
ein Land unter Verdacht

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Venezuela, früher einmal ein einigermaßen prosperierendes Erdölland, gehört mittlerweile auch zu den Armenhäusern der Welt. Die großen imperialistischen Staaten hatten daran keine Kritik, denn seine Funktionalität war gesichert: Es lieferte sein Erdöl ab, es bediente seine Schulden und die `politische Klasse' hatte ihre verelendeten Untertanen im Griff. Seit ein paar Monaten hat Venezuela einen neuen Präsidenten, Hugo Chavez, der sich eine Art `nationalen Aufbruch' oder `nationale Errettung' vorgenommen hat. Von diesem Programm hört man bislang:

Der Präsident will die `Korruption' bekämpfen oder umgekehrt: der Staat soll wieder `in Ordnung' kommen, was immer das ist; ein paar `Sozialprogramme' für die Armen soll es geben, Ärzte wurden für einen vorübergehenden Einsatz aufs Land geschickt; und besonderen Wert legt der Präsident auf die Einführung einer neuen Verfassung und auf die Umbenennung Venezuelas in "Bolivarische Republik". Häufig hat Chavez versichert, große Stücke auf Marktwirtschaft und Demokratie zu halten, Venezuelas Schulden will er pünktlich bedienen und Amerika beteuert er, die früheren guten Beziehungen sollten weiterhin gelten. Andererseits hat er auch Beziehungen zu Kuba aufgenommen, weil er das in sozialer Hinsicht für ein gewisses Vorbild hält. Besonders revolutionär kann man dieses Programm wohl kaum nennen - aber seit es Chavez gibt, lässt es sich keine Zeitung nehmen, in einem ausgesprochen negativen Tonfall über ihn zu berichten zu berichten.

Jetzt kommt es zu schweren Überschwemmungen, sehr viele Leute sterben und das bisschen Reichtum Venezuelas wird ein weiteres mal dezimiert. Für die "Süddeutsche Zeitung" ist das ein Anlass - nein, nicht für Bedauern geschweige denn für die Frage, ob man da helfen kann, sondern -, dem Präsidenten aus dieser Katastrophe einen Strick zu drehen.

"Venezuelas Präsident Hugo Chavez ist an vorderster Front ganz in seinem Element: Er übernachtet in den Notunterkünften der Obdachlosen, er tröstet Kinder und beruhigt Alte."

Nichts normaler als das, könnte man meinen. Bei größeren Unglücken werfen sich Politiker in ihre Feldjacken, reisen an, um `die Lage zu besichtigen', und sie präsentieren sich den Betroffenen als Retter und Helfer. Erst kürzlich soll so etwas hier in einer Gegend namens Oderbruch passiert sein. Bei Chavez ist jedoch etwas anderes im Busch:

"Wie sein großes Vorbild Fidel Castro tritt er fast nur noch im grün getigerten Feldanzug auf. Wie Castro hat er auch immer gleich eine Lösung für jedes Problem parat. Die Pläne für den Wiederaufbau der weitgehend zerstörten Küstenregion hat er bereits in der Tasche."

Eigentlich müsste sich dieser Mensch also - wohl so, wie das unsere Politiker immer machen - zu Ohnmacht und Planlosigkeit bekennen. Statt dessen präsentiert er sich als tatkräftiger Organisator, der die Folgen des Unglücks in den Griff bekommen will. Ohne dass die SZ irgendein Argument gesagt hätte, drücken der ganze Tonfall und der Querverweis auf Fidel Castro schon aus: Das steht diesem Menschen einfach nicht zu. Entrüstet berichtet die Zeitung, dass die Verfassungsgebende Versammlung - nebenbei ein demokratisches Organ - dem Präsidenten "besondere Vollmachten" zur Bewältigung der Katastrophe gegeben hat - mit verheerenden Folgen:

"So hat der Präsident jetzt das Recht, ohne parlamentarische Kontrolle Kredite aufzunehmen."

Um Gottes willen! Womöglich baut er damit `unkontrolliert' Wohnungen für die Obdachlosen. Damit aber nicht genug: Er könnte jetzt auch die "Kriegswirtschaft" ausrufen,

"das würde ihm erlauben, öffentlichen und privaten Transport sowie sämtliche Gesundheitseinrichtungen zentral zu steuern."

Dabei gibt es bekanntlich gegen Katastrophen nur ein Mittel: Privatisieren, alles dem freien Unternehmertum überlassen... Statt dessen greift Chavez zum Äußersten und beauftragt das Militär, in den am meisten verwüsteten Zonen aufzuräumen - und das poliert womöglich, ganz anders als damals bei uns im Oderbruch, dessen gutem Ruf auf.

Der Artikel hat noch ein paar Anwürfe dieser Art auf Lager - und am Schluss sagt uns die SZ, worauf sie eigentlich hinaus will:

"Bislang weiß niemand so recht, ob Chavez insgeheim diktatorische Ambitionen hegt... Es wird sich herausstellen, ob er seinem Idol Castro nacheifern oder an der Demokratie festhalten will."

`Diktator plus Castro', eine Kombination aus zwei Reizwörtern. Diesen Verdacht setzt das liberale Weltblatt in die Welt, ohne dann dafür aber Belege anzuführen. Die Beschreibungen des Handelns des Chavez in der Katastrophe können als Belege nur verstanden werden, wenn man die Verdachtsbrille von vornherein aufsetzt. Oder anders: Der Verdacht steht vorab schon fest und wird nur in denunziatorischem Ton wiederholt.

Das wirft die Frage auf: Was ist dann eigentlich das Verdächtige an diesem Mann? Ein kleiner Hinweis steckt in dem: "...ob er seinem Idol Castro nacheifern oder an der Demokratie festhalten will." Mit der Demokratie Venezuelas war nämlich - wie am Anfang gesagt - das imperialistische Ausland und mit ihm die "Süddeutsche" einigermaßen zufrieden. Sicher: Die sogenannte `Korruption' wurde auch hierzulande schon mal kritisiert und das Elend der Massen konnte man bedauern - aber eine solche Kritik steht ausschließlich `uns' zu. Und wenn es an Venezuela etwas zu ändern gibt, dann hat das auf `unser' Drängen und Eingreifen hin zu geschehen. Jetzt kommt aber dieser Mann ganz und gar unbestellt daher, verspricht seinen Leuten eine soziale Besserstellung und eine bessere staatliche Verwendung der Erdöleinnahmen. Die `Neue Weltordnung' sieht so etwas aber nicht vor, da ist umstandslos Stabilität verlangt ohne irgendwelche `soziale Experimente', die nur unnötige Kosten verursachen - in diesem Fall muss man sich nebenbei die Frage stellen, ob Chavez nicht unser sensibles internationales Kreditsystem gefährdet, denn er könnte vielleicht doch einmal die Zahlung einer Rate verweigern... Sich ein solches Programm wie das des Chavez herauszunehmen, qualifiziert den Urheber heutzutage schon zum möglichen Störenfried, der sich mit `unserer' unumschränkt richtigen und weltweit gültigen Ordnung nicht vorbehaltlos einverstanden erklärt beziehungsweise - wenn er von sich aus Änderungen an den Resultaten dieser Ordnung vornehmen will - Unordnung hereinbringt. Als Kritiker westlicher Werte und Institutionen ist der `insgeheime' Diktator Chavez wirklich nicht aufgetreten, sein Programm einer neuen Verfassung und einer "Bolivarischen Republik" zeugt eher von einem gewissen Wunderglauben an die ordnungstiftende Macht der Demokratie, aber seine Anomalität berechtigt jederzeit und überall dazu, ihn mit einem feindseligen Misstrauen zu überziehen. Von daher stammt auch die Gleichsetzung des Chavez mit Castro. Man weiß ja auch nicht, was Castro eigentlich Schlimmes macht und wo er die westliche Ordnung tatsächlich stört - aber weil er die vollständige Unterwerfung verweigert, wird er als eine sehr grundsätzliche Störung angesehen und behandelt. Wer Chavez also in einem Atemzug mit Castro nennt, der will eine Gefahr erfinden und sie dann aufbauschen - damit ist nämlich schon jetzt die Legitimation für den Fall geleistet, dass `wir' dem Treiben in Venezuela nicht länger tatenlos zuschauen können.

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