Die
Krisentheorie
Sismondis
Kommentar
-
Ausgehend vom „Smithschen Dogma", wonach
der Wert des jährlichen Gesamtprodukts gleich der Summe der
Einkommen (Lohn, Profit und Rente) sei - also unter
Ausklammerung des in den Wert des jährlichen Gesamtprodukts
übertragenen konstanten Kapitals (Maschinen, Rohstoffe usw.)
-, erklärte Sismondi, daß sich das Produkt jedes Jahres nur
gegen das Einkommen des jeweils vorangegangenen Jahres
austausche. („Das Einkommen des vergangenen Jahres muß die
Produktion dieses Jahres bezahlen.")
Da die auf Basis des Maschinen- und Fabriksystems beruhende
kapitalistische Produktion von den Kapitalisten aus
Profitgründen ständig ausgedehnt werde, übersteige sie
fortwährend die Konsumtionsfähigkeit (die durch Einkommen
fundierte zahlungsfähige Nachfrage) der Gesellschaft, fehle
es ständig an Einkommen und Nachfrage, um den
Produktionszuwachs realisieren zu können. Der aus der
ständigen Unterkonsumtion entstehende Widerspruch zwischen
Produktion und Konsumtion bzw. Produktion und Markt führe
gesetzmäßig zur kapitalistischen Wirtschaftskrise. Der
einzige „Ausweg aus der Krise", aus der Schwierigkeit, den
Produktionszuwachs zu realisieren, sei der äußere Markt.
- Die Fehler der von Sismondi begründeten Krisentheorie
bestehen darin,
- daß er die kapitalistische Wirtschaftskrise als
Unterkonsumtionskrise erfaßt, statt als
Überproduktionskrise, was sie ihrem Wesen nach ist;
- daß er die Konsumtion auf die individuelle Konsumtion
reduziert und hierbei die für die Entwicklung des
Kapitalismus bedeutungsvolle produktive Konsumtion
übersieht;
- daß er das Marktproblem des Kapitalismus demzufolge
einseitig auf den Markt der Konsumtionsmittel begrenzt und
dabei die Rolle des Marktes der Produktionsmittel negiert;
- daß er den Widerspruch zwischen Produktion und
Konsumtion bzw. zwischen Produktion und Markt nicht auf
den Grundwiderspruch des Kapitalismus zwischen dem
gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der
privatkapitalistischen Form der Aneignung der Produkte
zurückzuführen vermag;
- daß die als Grundlage des Widerspruchs zwischen
Produktion und Konsumtion konstatierte Trennung von Arbeit
und Eigentum lediglich eine verzerrte Reflexion des
Grundwiderspruchs der kapitalistischen Produktionsweise
bot;
- daß er durch das Hineinziehen des äußeren Marktes das
kapitalistische Realisierungsproblem nur vor sich
herschiebt, statt es zu lösen;
- daß die von Sismondi konstatierte Gesetzmäßigkeit der
kapitalistischen Wirtschaftskrise nichts über den
zyklischen Charakter der kapitalistischen Wirtschaftkrise
aussagen kann.
- Die Hauptursache des zur Krise führenden Widerspruchs
zwischen Produktion und Konsumtion sah Sismondi in der für
den Kapitalismus charakteristischen Trennung von Arbeit und
Eigentum. „Wir befinden uns in einer Lage," so formulierte
er eine seiner wichtigsten Erkenntnisse, „die für die
Gesellschaft gänzlich neu ist: wir streben dahin, jede Art
Eigentum von jeder Art Arbeit zu trennen." (Zitiert in: MEW,
Bd. 23, S. 790}
Der Widerspruch zwischen Arbeit und Eigentum führe
einerseits zur Konzentration allen Reichtums in den Händen
von immer weniger Kapitalisten und Grundeigentümern,
andererseits zur Ruinierung und .Proletarisierung des
Kleinbürgertums, zur Verarmung und Verelendung der
Arbeiterklasse und damit zur Unterkonsumtion. Während die
Arbeiterklasse unter den Bedingungen der maschinellen
Produktion ein ständig größeres Produkt schaffe, verringere
sich ständig ihr Einkommen und damit ihre
Konsumtionsfähigkeit. So verenge sich durch die Vereinigung
der Vermögen auf eine kleine Zahl von Eigentümern der innere
Markt immer mehr, und die Industrie werde genötigt, auf
fremden Märkten ihre Absatzwege zu suchen. Sah Sismondi im
äußeren Markt den Ausweg aus der Schwierigkeit der
Realisierung des gesellschaftlichen Produkts und
insbesondere des Mehrwerts, so schien ihm die Rückkehr zur
einfachen Warenproduktion und zu der für sie
charakteristischen Identität von Arbeit und Eigentum als die
einzige Möglichkeit zur Überwindung des Kapitalismus.
Editorische
Anmerkungen
Günter Fabiunke, Geschichte der
bürgerlichen politischen Ökonomie Berlin
DDR 1975, S.179-181
OCR-Scan: red .trend
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