Geschichte der bürgerlichen politischen Ökonomie
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Simonde de Sismondi
Das Ende der klassischen bürgerlichen politischen Ökonomie. Die Entstehung der kleinbürgerlichen politischen Ökonomie
 

Sismondi, Jean-Charles-Leonard, Simonde de (1773—1842), stammte aus der Schweiz. In seinem Werk reflektierte er die sozialökonomische Lage und die Interessen des französischen Kleinbürgertums nach der Französischen Revolution. Von diesem Standpunkt aus übte er eine weitgehend treffende Kritik an den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und deckte dabei viele ihrer inneren Widersprüche auf. Insofern vertritt er eine kritische politische Ökonomie des Kapitalismus, erbringt er Beiträge zur weiteren wissenschaftlichen Entwicklung der politischen Ökonomie und gebührt ihm ein Ehrenplatz in der Geschichte der politischen Ökonomie. Gleichzeitig ist er nicht in der Lage, vom Standpunkt des Kleinbürgertums vorwärtsweisende Schlußfolgerungen aus seiner Kritik am Kapitalismus zu ziehen, sondern orientiert er auf die Rückkehr zu den Verhältnissen der kleinen Warenproduktion unter den Bedingungen des Feudalismus. Insofern ist die von ihm gegründete politische Ökonomie „romantisch", konservativ und reaktionär. Seit Sismondi besteht innerhalb der bürgerlichen politischen Ökonomie eine in vielfältigen Schattierungen auftretende kleinbürgerliche politische Ökonomie. Viele ihrer .heutigen Vertreter „kritisieren" den monopolistischen und staatsmonopolistischen Kapitalismus vom Standpunkt des Kapitalismus der freien Konkurrenz. Zu dieser Richtung gehört auch die zu Beginn der siebziger Jahre in den USA entstandene „radikale politische Ökonomie" .

Sismondis Hauptwerk, „Neue Grundsätze der Politischen Ökonomie", erschien 1819 in Paris.

Marx und Engels zur Charakterisierung von Sismondis Lehre:

„In Ländern wie in Frankreich, wo die Bauernklasse weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, war es natürlich, daß Schriftsteller, die für das Proletariat gegen die Bourgeoisie auftraten, an ihre Kritik des Bourgeoisregimes den kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Maßstab anlegten, und die Partei der Arbeiter vom Standpunkt des Kleinbürgertums ergriffen. Es bildete sich so der kleinbürgerliche Sozialismus. Sismondi ist das Haupt dieser Literatur nicht nur für Frankreich, sondern auch für England.

Dieser Sozialismus zergliederte höchst scharfsinnig die Widersprüche in den modernen Produktionsverhältnissen. Er enthüllte die gleisnerischen Beschönigungen der Ökonomen. Er wies unwiderleglich die zerstörenden Wirkungen der Maschinerie und der Teilung der Arbeit nach, die Konzentration der Kapitalien und des Grundbesitzes, die Überproduktion, die Krisen, den notwendigen Untergang der kleinen Bürger und Bauern, das Elend des Proletariats, die Anarchie in der Produktion, die schreienden Mißverhältnisse in der Verteilung des Reichtums, den industriellen Vernichtungskrieg der Nationen untereinander, die Auflösung der alten Sitten, der alten Familienverhältnisse, der alten Nationalitäten. Seinem positiven Gehalte nach will jedoch dieser Sozialismus entweder die alten Produktions- und Verkehrsmittel wiederherstellen und mit ihnen die alten Eigentumsverhältnisse und die alte Gesellschaft, oder er will die modernen Produktionsund Verkehrsmittel in den Rahmen der alten Eigentumsverhältnisse, die von ihnen gesprengt wurden, gesprengt werden mußten, gewaltsam wieder einsperren. In beiden Fällen ist er reaktionär und utopistisch zugleich.

Zunftwesen in der Manufaktur und patriarchalische Wirtschaft auf dem Lande, das sind seine letzten Worte." (MEW, Bd. 4, S. 484 f.)

Lenin zu Sismondi:

„Im Gegensatz zu den klassischen Ökonomen, die bei ihren Systemen eine schon ausgebildete kapitalistische Gesellschaftsordnung im Auge hatten und die Arbeiterklasse als gegeben und selbstverständlich voraussetzten, hebt Sismondi gerade den Prozeß des Ruins des Kleinproduzenten hervor, den Prozeß, der zur Bildung der Arbeiterklasse geführt hat. Daß sich Sismondi durch den Hinweis auf diesen Widerspruch in der kapitalistischen Gesellschaft ein Verdienst erworben hat, ist unbestreitbar, doch hat er als Ökonom nicht vermocht, diese Erscheinung zu verstehen, und hat seine Unfähigkeit zu einer konsequenten Analyse mit ,frommen Wünschen' bemäntelt." (LW, Bd. 2, S. 127.)

„Wenn aber Sismondis Hinweise auf den widerspruchsvollen Charakter der kapitalistischen Anwendung von Maschinen in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein bedeutender Fortschritt waren, so ist es heutzutage absolut unverzeihlich, sich auf eine derart primitive Kritik zu beschränken und nicht zu begreifen, wie kleinbürgerlich beschränkt sie ist." (Ebenda, S. 179 f.)

„In allen Punkten unterscheidet er sich dadurch von den Klassikern, daß er auf die Widersprüche des Kapitalismus hinweist. Dies einerseits. Anderseits vermag er in keinem Punkte die Analyse der Klassiker weiterzuführen (und will es auch gar nicht), weshalb er sich auf eine sentimentale Kritik am Kapitalismus vom Standpunkt des Kleinbürgers beschränkt. Diese Ersetzung der wissenschaftlichen Analyse durch sentimentale Klagen und Lamentationen bedingt die außerordentliche Oberflächlichkeit seiner Auffasssung." (Ebenda, S. 195.)

„Seine Utopie antizipierte nicht die Zukunft, sondern restaurierte die Vergangenheit; er blickte nicht vorwärts, sondern zurück." (Ebenda, S. 244.)

 

Editorische Anmerkungen

Günter Fabiunke, Geschichte der bürgerlichen politischen Ökonomie  Berlin DDR 1975, S.176ff

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