Geschichte der bürgerlichen politischen Ökonomie
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Ricardos Unzulänglichkeiten bei der Unterscheidung der Kapitalbestandteile

Ricardo:

„Die vom Arbeiter konsumierte Nahrung und Kleidung, die Gebäude, worin er arbeitet, die Werkzeuge, die bei seiner Arbeit mitwirken, sind alle vergänglicher Natur. Doch besteht ein gewaltiger Unterschied in der Lebensdauer dieser verschiedenen Kapitalien. Eine Dampfmaschine hält länger als ein Schiff, ein Schiff länger als die Kleidung des Arbeiters, die Kleidung des Arbeiters wieder länger als die von ihm konsumierte Nahrung.

Je nachdem Kapital schnell vergänglich ist und oft reproduziert werden muß oder einer langsamen Abnutzung unterliegt, wird es entweder mit dem Namen zirkulierendes oder fixes Kapital bezeichnet." (Ricardo, D., Über die Grundsätze. . „a. a. 0., S. 29.)

„Zwei Gewerbezweige können . . . die gleiche Menge Kapital verwenden, aber es kann sehr unterschiedlich bezüglich des fixen und des zirkulierenden Anteils aufgeteilt sein. In dem einen Zweig kann sehr wenig Kapital als zirkulierendes, d. h. für den Unterhalt der Arbeit, angewendet werden, - es kann hauptsächlich in Maschinen, Gerätschaften, Gebäuden usw. investiert sein, also Kapital von verhältnismäßig fixem und dauerhaftem Charakter. In einem anderen Zweige kann Kapital gleicher Größe verwendet werden, aber es kann vornehmlich zum Unterhalt der Arbeit angewendet werden und sehr wenig mag in Gerätschaften, Maschinen und Gebäuden investiert sein. Ein Steigen des Arbeitslohnes wird dann unweigerlich unter so verschiedenen Bedingungen produzierte Waren auch ungleich treffen.

Andererseits wiederum können zwei Unternehmer den gleichen Betrag von fixem als auch von zirkulierendem Kapital anwenden, jedoch kann die Lebensdauer ihres fixen Kapitals sehr ungleich sein. Der eine hat möglicherweise Dampfmaschinen im Werte von 10000£, während der andere Schiffe von gleichem Wert besitzt." (Ebenda, S. 30 f.)

Marx:

„Als ein großes Verdienst ist es... zu betrachten, daß Ricardo die Unterschiede von fixem und zirkulierendem Kapital zusammenstellt mit der verschiednen Umschlagszeit des Kapitals und alle diese Unterschiede herleitet aus der verschiednen Zirkulationszeit also in fact aus der Zirkulations- oder Reproduktionszeit des Kapitals." (MEW, Bd. 26.2, S. 173.)

„Die ursprüngliche Unklarheit (Ricardos — G. F.) zeigt sich aber von vornherein in der gleichgültigen Nebeneinanderstellung:

,Dieser Unterschied im Grad der Dauerhaftigkeit des fixen Kapitals, und dieser Wechsel in den Verhältnissen, worin beide Kapitalarten kombiniert sein können.'

Fragen wir nun, welches die beiden Kapitalarten sind, so hören wir:

,Ebenfalls die Verhältnisse, worin das Kapital, das die Arbeit unterhalten soll, und das Kapital, das in Werkzeugen, Maschinerie und Gebäuden ausgelegt ist, verschieden kombiniert sein können.'

Also fixes Kapital = Arbeitsmitteln, und zirkulierendes Kapital = Kapital, das in Arbeit ausgelegt ist. Kapital, das die Arbeit unterhalten soll, ist schon ein abgeschmackter, aus A. Smith herübergenommener Ausdruck. Das zirkulierende Kapital wird hier einerseits zusammengeworfen mit dem variablen Kapital, d. h. mit dem in Arbeit ausgelegten Teil des produktiven Kapitals. Andrerseits aber, weil der Gegensatz nicht aus dem Verwertungsprozeß geschöpft ist — konstantes und variables Kapital —, sondern aus dem Zirkulationsprozeß (die alte Smithsche Konfusion), kommen doppelt falsche Bestimmungen heraus:

Erstens: Die Differenzen im Grad der Dauerhaftigkeit des fixen Kapitals und die Verschiedenheiten der Kapitalzusammensetzung aus konstantem und variablem Kapital werden als gleichwertig gefaßt. Der letztre Unterschied aber bestimmt den Unterschied in der Produktion des Mehrwerts; der erste dagegen, soweit der Verwertungsprozeß in Betracht kommt, bezieht sich nur auf die Art und Weise, wie ein gegebner Wert vom Produktionsmittel auf das Produkt übertragen wird; soweit der Zirkulationsprozeß in Betracht kommt, betrifft er nur die Periode der Erneuerung des ausgelegten Kapitals, oder anders betrachtet, die Zeit, für welche es vorgeschossen ist. Wenn man, statt das innere Getriebe des kapitalistischen Produktionsprozesses zu durchschauen, sich auf den Standpunkt der fertigen Phänomene stellt, so fallen diese Unterschiede in der Tat zusammen. Bei der Verteilung des gesellschaftlichen Mehrwerts unter die in verschiednen Betriebszweigen angelegten Kapitale wirken Differenzen in den verschiednen Zeiträumen, wofür Kapital vorgeschossen wird (also z. B. die verschiedne Lebensdauer bei fixem Kapital), und verschiedne organische Zusammensetzungen des Kapitals (also auch die verschiedne Zirkulation von konstantem und variablem Kapital) gleichmäßig mit bei Ausgleichung der allgemeinen Profitrate und bei Verwandlung der Werte in Produktionspreise.

Zweitens: Vom Standpunkt des Zirkulationsprozesses stehn auf der einen Seite die Arbeitsmittel: fixes Kapital, auf der ändern Seite Arbeitsmaterial und Arbeitslohn: flüssiges Kapital. Dagegen vom Standpunkt des Arbeits- und Verwertungsprozesses steht auf der einen Seite: Produktionsmittel (Arbeitsmittel und Arbeitsmaterial), konstantes Kapital; auf der ändern Seite Arbeitskraft, variables Kapital. Für die organische Zusammensetzung . . . des Kapitals ist es ganz gleichgültig, ob dasselbe Wertquantum konstantes Kapital aus viel Arbeitsmitteln und wenig Arbeitsmaterial oder aus viel Arbeitsmaterial und wenig Arbeitsmitteln besteht, während alles abhängt vom Verhältnis des in Produktionsmitteln ausgelegten zu dem in Arbeitskraft ausgelegten Kapital. Umgekehrt: Vom Standpunkt des Zirkulationsprozesses, des Unterschieds von fixem und zirkulierendem Kapital, ist es ebenso gleichgültig, in welchen Verhältnissen ein gegebnes Wertquantum zirkulierenden Kapitals sich in Arbeitsmaterial und Arbeitslohn teilt. Von dem einen Standpunkt rangiert das Arbeitsmaterial in derselben Kategorie mit den Arbeitsmitteln, im Gegensatz zu dem in Arbeitskraft ausgelegten Kapitalwert. Von dem ändern Standpunkt rangiert der in Arbeitskraft ausgelegte Kapitalteil zusammen mit dem in Arbeitsmaterial ausgelegten, im Gegensatz zu dem in Arbeitsmitteln ausgelegten Kapitalteil.

Daher erscheint bei Ricardo der in Arbeitsmaterial (Roh- und Hilfsstoffen) ausgelegte Wertteil des Kapitals auf keiner Seite. Er verschwindet ganz. Er paßt nämlich nicht auf die Seite des fixen Kapitals, weil er in seiner Zirkulationsweise ganz mit dem in Arbeitskraft ausgelegten Kapitalteil zusammenfällt. Und er darf andrerseits nicht auf die Seite des zirkulierenden Kapitals gestellt werden, weil damit die von A. Smith übertragne und stillschweigend durchlaufende Gleichstellung des Gegensatzes: fixes und zirkulierendes Kapital, mit dem Gegensatz: konstantes und variables Kapital, sich selbst aufhöbe. Ricardo hat zu viel logischen Instinkt, um das nicht zu fühlen, und daher verschwindet ihm dieser Kapitalteil ganz und gar." (MEW, Bd. 24, S. 217 ff.)

Editorische Anmerkungen

Günter Fabiunke, Geschichte der bürgerlichen politischen Ökonomie  Berlin DDR 1975, S.150-153

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