B. Schmid: "Gelbwesten-Chronik"

Fünf Monate nach Beginn der „Gelbwesten“-Proteste

Bericht vom 05. April 2019

Verfassungsgericht entschärft Demonstrationsrechts-Novelle an einem wichtigen Punkt – An diesem Wochenende (05./06./07. April 19) findet die zweite „Versammlung der Versammlungen“ des eher linken Pols der Protestbewegung im Atlantikhafen Saint-Nazaire statt – Ein sozialer „Konfliktherd“ besteht derzeit ferner im Bildungswesen

Die Nachricht traf am gestrigen Donnerstag Nachmittag, den 04.04.19 mehr oder minder überraschend ein: Der französische Verfassungsgerichtshof oder Conseil constitutionnel (wörtlich: „Verfassungsrat“) hat die jüngste Demonstrationsrechts-Verschärfung teilweise kassiert. Den Text dazu hatte das französische Paralament in letzter Lesung am 12. März d.J. Verabschiedet: vgl. http://www.labournet.de/

Zuvor hatte zuerst die konservative Opposition den in der Umgangssprache allgemein als Loi anti-casseurs (ungefähr: „Anti-Chaoten-Gesetz“) bezeichneten Text 2018 ins Parlament eingebracht. Damals lehnte das regierende Macron-Lager den, die Gesetzeslage zum Demonstrationsrecht erheblich verschärfenden Text zunächst noch ab, um kurz darauf im Kontext der „Gelbwesten“-Protestdemonstrationen allerdings eine Kehrtwende zu vollziehen und ihn nun doch auf seine Fahnen zu schreiben. Die offizielle Bezeichnung der Gesetzesnovelle lautet übrigens „Gesetz zur Verhinderung von Gewalttaten auf Demonstrationen und zur Bestrafung ihrer Urhebung“; die umgangssprachlich benutzte Bezeichnung „Anti-Chaoten-Gesetz“ oder „Anti-Randalierer-Gesetz“ trug hingegen offiziell ein Gesetzestext vom 08. Juni 1970, den die etablierte Linke (französische Sozialdemokratie in einer Koalition mit der französischen KP) bei ihrem Regierungsantritt 1981 wieder abschaffte.

Die Vorlage beim Verfassungsgericht hatte dieses Mal Staatspräsident Emmanuel Macron selbst vorgenommen. Dabei ging es ihm jedoch nur darum, die juristische Mine zu entschärfen, um einer eventuellen späteren Verfassungswidrigkeits-Erklärung durch das zuständige Gericht zu entgehen bzw. vorzubeugen, sowie um einer geplanten Anrufung des Verfassungsgerichts durch die Oppositions-Abgeordneten den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Mutmaßlich hatte Macron nicht damit gerechnet, doch das Verfassungsgericht hat nun tatsächlich zumindest einen wichtigen Passus des Gesetzestexts kassiert und für verfassungswidrig erklärt: Die „administrativen Demonstrationsverbote“, d.h. die vorbeugend erfolgende Verhängung von Anwesenheitsverboten durch die Präfekturen (d.h. Polizeibehörden) mit in aller Regel nur nachgelagerter richterlicher Kontrolle, mitsamt Anlegen einer „Demo-Straftäterdatei“, widerspricht der Verfassung und verletzt grundlegende Freiheitsrechte. (Vgl. bspw. https://actu.orange.fr/ ) Die Verfassungsrichter/innen erblickten darin das Risiko von Willkürentscheidungen durch die Exekutive, die durch eine erst nach Beendigung der betreffenden Demonstration erfolgende richterliche Kontrolle nicht ungeschehen gemacht werden könnten.

Verurteilt wurde unterdessen einer der mittlerweile in den Meden prominent gewordenen Wortführer der „Gelbwesten“-Bewegung, der draufgängerische LKW-Fahrer Eric Drouet, wegen „Organisierens einer illegalen Demonstration“. Am Freitag, den 29. März 19 wurde gegen ihne Geldstrafe in Höhe von 2.000 Euro, darunter 500 Euro mit und 1.500 Euro ohne Bewährung, ausgesprochen. (Vgl. bspw. http://www.lefigaro.fr/) Das Urteil wurde verhängt, nachdem Drouet am 22. Dezember 18 formal eine Demonstration in Versailles (rund fünfzehn Kilometer westlich von Paris) angemeldet hatte, doch dann selbst bei einer unangemeldeten Demonstration in Paris-Montmartre aufgegriffen wurde, sowie infolge seiner Ingewahrsamnahme bei bzw. in räumlicher Nähe zu einer Demonstration am 02. Januar 19 unweit der Champs-Elysées. Eric Drouet hatte angegeben, sich im zweitgenannten Falle lediglich auf dem Weg zu einem Restaurant in der Nähe der Champs-Elysées begeben zu halten. Entgegen gehalten wurden ihm jedoch Nachrichten bei Facebook und in den sozialen Medien, mittels derer er Verabredungen zu Demonstrationen oder Protestaktionen getroffen hatte.

Einige „Gelben Westen“ waren am gestrigen Donnerstag, den 04.04.19 auch auf der Insel Korsika zu sehen, wo Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron den allerletzten Akt der von ihm am 15. Januar 19 eingeleiteten, von Staats wegen organisierten „großen nationalen Debatte“ abschloss. (Vgl. https://actu.orange.fr/) Überschattet wurde ihr Protest in diesem Falle allerdings durch das, stark symbolpolitisch aufgeladene, Ringen zwischen dem französischen Präsidenten und korsischen Inselnationalisten, welche im Regionalparlament in Ajaccio seit Dezember 2017 eine satte Mehrheit aufweisen.

Laut Regierungsangaben hatten am vorigen Samstag, den 30. März frankreichweit „33.700“, laut einer der Protestbewegung zuzurechnenden Zählstelle hingegen „102.713“ (wie wurden die denn bis auf das einzelne Inviduum genau geszählt?) Demonstrierende an Protestzügen teilgenommen. Vgl. https://www.francetvinfo.fr/ respektive https://www.20minutes.fr

In Paris war die Teilnehmer/innen/zahl, laut Regierungsangaben, auf nur noch 1.800 zurückgegangen. Tatsächlich war die quantitative Beteiligung in Paris auch laut Wahrnehmungen des Verf. dieser Zeilen nicht sonderlich stark, was inhaltlich schade war, da der „Akt Zwanzig“ an diesem zwanzigsten Protestsamstag (30.03.19) inhaltlich im Zeichen eines „sozialen“ Themas statt, nämlich der Wohnungsnot und Wohnraumpolitik. Allerdings fanden an jenem Samstag mehrere Protestmobilisierungen statt, die zeitgleich Teile des (im weiteren Sinne) linken Spektrums anzogen, denn parallel fanden mindestens noch eine Demonstration zum Lehrer/innen/streik sowie zum Israel-Palästina-Konflikt statt.

Vor allem der Lehrer/innen/streik gegen einen Gesetzentwurf des amtierenden Bildungsministers Jean-Michel Blanquer, der u.a. die Zusammenlegung von mehreren Grund- mit je einer Mittelschule, Einsparungen und den Wegfall von Leitungsposte in Schulen ermöglichen wird, bildet derzeit einen starken sozialen „Konfliktherd“. Zur Unterstützung der Streikenden mobilisieren vielerorts auch „Gelbe Westen“. Am gestrigen Donnerstag, den 04. April 19 streikten erneut, wie bereits am 19. März 19, bis zu 25 Prozent des Lehrpersonals an französischen Grundschulen. Über diesen, sich derzeit eher zuspitzenden Konflikt werden wir auch noch gesondert berichten.

Nicht alle Teile des „Gelbwesten“-Spektrums bleiben auf sozialen und progressiven Positionen verortet. Am 10. Dezember 18 hatte, auf einer Verkehrsblockadestelle im Zusammenhang mit den „Gelben Westen“, eine Hochzeit unter Protestteilnehmenden stattgefunden (vgl. https://actu.orange.fr/). Diese Ehe wurden nun allerdings vorige Woche geschieden, infolge von Vorfällen von Gewalt in der Ehe. Aus diesem Anlass wurde bekannt, dass der Ehemann bereits wegen häuslicher Gewalt vorbestraft war. (Vgl. https://actu.orange.fr/)

Und in Nordwestfrankreich wurde ein prominenter „Gelbwesten“-Sympathisant – welcher 193.000 „Freunde“ in seiner Gruppe bei Facebook zählt - verurteilt, weil er im Internet dazu aufgerufen hatte, „Löcher in die Polizei“ (sic) zu ballern. Aus diesem Anlass wurde bekannt, dass gegen dasselbe Individuum auch Strafverfolgungen wegen einer „Gruppenjagd auf Migranten“ laufen... (Vgl. http://www.lefigaro.fr )

Es bleibt dabei, dass die progressiven Kräfte in dieser Protestbewegung Feinde nicht NUR auf Seiten der Polizei & in Regierungskreisen ausmachen müssen...