B. Schmid: "Gelbwesten-Chronik"

Armee gegen Protestbewegung
im Einsatz?

Bericht vom 22. März 2019

Innenminister Castaner knöpft sich zwei prominente "Gelbwesten"- Exponenten persönlich vor – Repressives Delirium auf Regierungsseite

Eine schlechte Nachricht kommt selten allein. Während die französische Regierung – dankbar dafür, dass die Polizei durch einige Ereignisse am Rande des „Akt 18“ (= des achtzehnten Protestsamstags der „Gelben Westen“ am 16. März 19 ) in Rage versetzt ist und die öffentliche Meinung ihrerseits auf Distanz geht – sich in repressiven Ankündigungen ergeht, vgl. unten, tätigte ein prominenter Vertreter aus dem „Gelbwesten“-Spektrum eine Kandidatur-Erklärung. Bei ihm geht es allerdings nicht um eine der mehrfach angekündigten Listengründungen im Namen der „Gelbwesten“ zu den Europaparlamentswahlen; jedenfalls bislang erwiesen solche Kandidaturprojekte doch eher als Rohrkrepierer. Aber Benjamin Cauchy aus dem Raum Toulouse/Südwestfrankreich will nicht auf einer eigenen „Gelbwesten“-Liste kandidieren, sondern möchte auf einer bereits gebildeten Liste antreten. Und zwar auf jener des Rechtsnationalen Nicolas Dupont-Aignan. Bei ihm handelt es sich um einen rechtsbürgerlichen Politiker, welcher zwar zwischen Konservativen (Partei LR/Les Républicains) und Neofaschisten oder Realfaschisten (Partei RN/Rassemblement national, ehemals FN/Front National) angesiedelt ist, doch im Frühjahr 2017 mit der Realfaschistin Marine Le Pen wahlpolitisch verbündet war. Vgl. https://actu.orange.fr/ - Ja, es trifft zu: Benjamin Cauchy hatte bereits zuvor längst an Zustimmung im Bereich der „Gelbwesten“ eingebüßt, weil er bereits einen hartnäckigen Ruf als „Karrierist“ weghatte. Schlimm genug ist die Sache dennoch, werden Rechte & Nationalisten sich nun doch stärker denn je als angebliche politische Repräsentant/inn/en der Protestierenden in Szene setzen können.

Die amtierende Regierung vergisst darüber nicht, in ein repressives Delirium tremens einzutreten. Ihre neueste Ankündigung von diesem Donnerstag, den 21. März 19 – pünktlich zum Frühlingsanfang – lautet, nunmehr werde die Armee respektive ihre Anti-Terror-Mission Opération Sentinelle (ungefähr: Operation Wachposten) zum Einsatz kommen. ( Vgl. https://actu.orange.fr/france/ ) Letztgenannte Einheit wurde nach den djihadistischen Attentaten auf französischem Boden vom Januar & November 2015 gebildet und besteht aus rund 10.000 Soldaten und Soldatinnen, unter ihnen dreitausend Reservisten. Derzeit ist die u.a. für den Objektschutz an öffentlichen Gebäuden zuständig, allerdings nicht gegen Demonstrierende (oder Glasbruchanhänger in ihren Reihen), sondern gegen eventuelle djihadistische Mordbuben und ähnliche Attacken.

Um diese Pläne hat sich auf politischer Ebene eine gewisse Polemik entsponnen, denn anlässlich der TV-Debatte (eine Art Elefantenrunde) zwischen sechs prominenten Parteivorsitzenden, von Jean-Luc Mélenchon auf der Linken bis hin zu Marine Le Pen auf der Rechten, wurde das Thema angesprochen. Besonders der linkssozialdemokratische und linksnationalistische Parteichef Mélenchon übte zugespitzte Kritik an dem Vorhaben. ( Vgl. https://actu.orange.fr/ )

Und noch eine taufrische Meldung vom heutigen Freitag früh dazu… Einige Soldaten der Truppe zeigen sich in der Öffentlichkeit selbst besorgt über diese Entwicklung und äußern sich dazu: „Es droht, Tote zu geben“; vgl.: https://www.francetvinfo.fr - Als nähere Begründung dazu führen sie an, ihre Einheiten besäßen keinerlei Ausbildung für ordnungspolizeiliche Einsätze, und darüber hinaus auch kein angemessenes Material. Während die Polizei über ein Arsenal von Distanzwaffen (im Spektrum zwischen dem Schlagstock und der unmittelbar tödlichen Waffe) verfügt, habe die Truppe nur scharfe, also kriegstaugliche Schusswaffen wie Sturmgewehre in den Händen. Sollte es mit diesen zum Clash kommen, dann sind die Schäden wohl vorprogrammiert… Die zuständige „Ministerin der Armeen“ (Florence Parly) kündigt allerdings ihrerseits an, die Angehörigen der Armeeeinheit würden „nicht den Demonstranten gegenüber stehen“ (vgl. https://www.lci.fr/ ). Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass sie innerhalb von Gebäuden zum Objektschutz bereit stehen; allerdings könnten ja selbige angegriffen werden.

Es handelt sich im Übrigen nicht um die einzige Ankündigung zum Thema „Durchsetzung des Ordnungsrechts bei Demonstrationen“, die auch nach einem eventuellen Ende der Protestbewegung in ihrer derzeitigen Form als „Erbe“ für andere Sozialproteste erhalten bleiben dürften. (Wir berichteten bereits am Mittw., den 20.03.19 an dieser Stelle ausführlich.) Dazu zählen Demonstrationsverbote respektive präventive Platzverweise, Farbmarkierungen von „Randalierern und Straftätern“, Überwachungsdrohnen… Einen aktuellen Überblick bietet auch: https://www.linternaute.com/ Auch wird eine Rückkehr zu dickeren Wummen stattfinden, nachdem das Kaliber der Gummigeschosswaffen am vergangenen Samstag, den 16.03.19 reduziert worden war; der zu Wochenanfang geschasste Pariser Polizeipräfekt Michel Delpuech (der 66jährige wurde im Jahr 2017 durch den ausscheidenden Präsidenten François Hollande eingesetzt, nicht „2016“, wie wir am Mittwoch fälschlich eintippten) gilt als Kritiker der Gummigeschosswaffe LBD 40, die Vierzig-Millimeter-Geschosse verfeuert. Am vorigen Sonnabend war überwiegend ein kleineres Kaliber zum Einsatz gekommen. Laut einer „vorläufigen Bilanz“, die durch den Journalisten David Dufresner erstellt wurde (er spezialisierte sich in den letzten Monaten auf die Polizeigewalt anlässlich der Demonstrationen) und die am gestrigen Donnerstag um 10.55 Uhr auf der Facebookseite Cerveaux non disponibles erschien, wurden dennoch am selben Samstag insgesamt 289 Demonstrierende verletzt, „unter ihnen 62 durch Gummigeschosse und elf im Gesichtsbereich“.

CGT gegen Platzkonzert, ähm: gegen Platzverbot

Unterdessen ruft die örtliche CGT dazu auf, ein angekündigtes Demonstrationsverbot in Toulouse zu durchbrechen. Zu den anvisierten „verbotenen Orten“ für Demonstrationen, laut letzten Regierungsankündigungen, zählt die place du Capitole (der Rathausplatz) in der südwestfranzösischen Großstadt, neben den Champs-Elysées in Paris oder der place Pey-Berland in Bordeaux. (Vgl. bspw. https://www.europe1.fr/) Sowohl Toulouse als auch Bordeaux zählen zu „den“ Hochburgen der Protestbewegung der „Gelben Westen“, und tendenziell eher zu ihrem progressiven Teil, jedenfalls in Toulouse. Nunmehr kündigt die CGT in Toulouse an, sie rufe dazu auf, am morgigen Samstag (den 23. März 19) dennoch auf den Kapitolsplatz in der Stadt zu mobilisieren. Vgl. auch https://www.francebleu.fr

Bewegung in diffiziler Lage

Vor dem jüngsten „Akt 18“ von vor einer Woche befand sich die „Gelbwesten“-Bewegung sogar erneut in einem leichten Umfragehoch, dergestalt, dass sie im Verlauf der Vorwoche von 58 auf 61 Prozent positive Sympathiewerte zugelegt hatte; vgl. https://planetes360.fr (Laut dem Nachrichtenportal Orange.fr war dieses leichte Umfragehoch vor allem einem Sympathiezuwachs von plus acht Prozent unter den Rentner/inne/n geschuldet/zu verdanken.) Und vor dem Samstag, den 16.03.19 platzte das Pariser Gewerkschaftshaus bei einer Vorab-Veranstaltung quasi aus den Nähten; https://www.revolutionpermanente.fr/

Diese Wirkung (in der öffentlichen Meinung) ist nun allerdings verpufft, und infolge der jüngsten Gewaltdiskussion befindet sich die Zustimmung/das Verständnis/die Sympathie für die Protestbewegung im derzeitigen Meinungsklima im Abschwung. Vgl. etwa: https://www.lci.fr/ Überdies war der Mobilisierungserfolg am Samstag, den 16.03.19 zum „Akt 18“ kein wirklich durchschlagender; von (laut Regierungsangaben, zu denen man gerne 50 % oder auch 75 % hinzuaddieren mag) wuchs die Anzahl der Teilnehmenden von gut 28.000 am Samstag zuvor auf gut 32.000 beim „Akt 18“. (Nein, es stimmt übrigens nicht, wie zuvor im Labournet zu lesen stand, vgl. http://www.labournet.de/, dass die französische Polizei sich blamiert hätte, indem sie die Gesamtzahl der Demonstrierenden in Frankreich außerhalb von Paris mit nur 4.500 angegeben habe. Die Polizeizählung für den vergangenen Samstag beläuft sich auf „10.000“ in Paris und, per Konsequenz, gut 18.000 für den Rest Frankreichs.)

Allein beim „Akt 18“ an jenem, inzwischen berühmten oder berüchtigten 16. März d.J. sollen laut Regierungsangaben übrigens dreißig Millionen Euro Sachschaden entstanden sein ( vgl. etwa http://www.lefigaro.fr/ und https://www.20minutes.fr/ ), zuvor 170 Millionen insgesamt seit Mitte November 2018. Insgesamt werden die Sachschäden seit Beginn der „Gelbwesten“-Protestbewegung also von offizieller Seite derzeit auf zweihundert Millionen Euro beziffert. (Vgl. https://www.cnews.fr/france/2019-03-21/gilets-jaunes-en-direct-pour-une-majorite-de-francais-les-violences-de-samedi ) Aufgrund des anfänglich, in den ersten Protestwochen, sehr erheblichen Überraschungseffekts – bis hin zu den Reihen der Protestierenden selbst – konnte man dieses Phänomen zu Anfang durchaus als Bestandteil beim Aufbau eines Kräfteverhältnisses (Stichwort: die Regierung einschüchtern, die Aufmerksamkeit der Medien erregen) betrachten. Nur ist derzeit diese Überraschung nicht mehr gegeben.

Nein, nicht allein das anarchistisch-insurrektionalistische Spektrum ist an den derzeitigen Sachschäden beteiligt; vielmehr existiert ein wachsendes Spektrum (jedoch eher nicht aus dem progressiven Teil dieser Protestbewegung, eher im Bereich der rasenden Kleinbürger), das diese Erscheinungen zumindest positiv hinnimmt und als Bestandteil einer Art Abschreckungsstrategie gegen die Regierung betrachtet.

Innenminister gegen „Gelbwesten“-Prominente

Zu letzterem Spektrum zählen faktisch auch zwei der Prominenten der Protestbewegung, der 35jährige LKW-Fahrer und der 31jährige Krankenpfleger Maxime Nicolle (alias „Fly ryder“). Beide haben in ihrem Vorlauf/Vorleben einen eher rechten denn linken Hintergrund, Drouet übernahm etwa kritische bis feindliche Kommentare zu Migration in Calais auf einer Facebookseite und Nicolle „likte“ Pressemitteilungen von Marine Le Pen. Eric Drouet tritt eher als verbaldradikaler Draufgänger auf und liebt mehr oder minder vollmundige Ankündigungen (wie jene von Anfang Dezember 18, man werde in den – gewöhnlich gut bewachten – Elyséepalast eindringen, oder jene im Vorfeld des 05. Februar 19 vom „unbefristeten Generalstreik“; von beiden Vorhaben hat man hinterher nicht mehr viel vernommen). Durch seine unerschrocken wirkende Erscheinung wurde er auch in Teilen der Linken beliebt. Maxime Nicolle, persönlich kein unangenehmer Bursche – der Verfasser dieser Zeilen lief ihm über den Weg, er wirkt eher wie ein etwas älterer Teenager – ist sanfter im Auftreten, liebt aber ebenfalls vollmundige Erklärungen. Vor rund zwei Monaten kündigte er etwa an, würden die Forderungen der Protestbewegung nicht innerhalb von vier Wochen erfüllt, werde er alsbald im Ausland Asyl beantragen. Und mitunter verbreitet er auch Verschwörungsquark. (Nicolle suggerierte bei Facebook, die Regierung könne den djihadistischen Mordanschlag in Strasbourg vom 11. Dezember 18 inszeniert haben, nur um den „Gelbwesten“ zu schaden, und warf die Frage auf, ob der juristisch unverbindliche „Pakt von Marrakesch“ zu Migrantenrechten vom 10. Dezember 18 nicht dem finsteren Vorhaben diene, die Souveränität Frankreichs so eiskalt wie planmäßig abzuschaffen. Beide Einträge löschte er nach mehr oder weniger kurzer Zeit wieder.)

Im aktuellen Kontext suggerierte etwa Drouet, das Anzünden von Banken (wie am vorigen Samstag in Paris, mit dem unangenehmen Ebeneffekt, dass elf Personen in darüber gelegenen Wohnetagen leicht verletzt wurden) sei zwar keine sonderlich schöne Angelegenheit, aber vielleicht notwendig, um das Kräfteverhältnis mit der Regierung aufzubessern. http://www.francesoir.fr/ Hin und wieder suggeriert er, wenn es (wie auf den Champs-Elysées) qualmt, dann habe die Regierung es sich eben selbst zuzuschreiben, wo sie doch unverschämter Weise nicht nachgebe. Wütende Kleinbürger in diesem Spektrum finden dies tatsächlich unverständlich und schreiben es persönlicher Bosheit der Regierenden zu, weisen sie doch – anders als etwa Aktivist/inn/en oder Köpfe der Arbeiterbewegung – keinerlei Erfahrungen mit Kräfte- und Klassenverhältnissen auf. Darüber können sie sich dermaßen empören, dass sie dann auch einmal bereit scheinen, Schwarzvermummte (deren Kader sich ihrerseits für Revolutionäre und irgendwie linksradikal halten) vorübergehend einzugemeinden, wenn es denn dazu dient, auf die Kacke zu hauen.

Deswegen knüpfte Emmanuel Macrons amtierender Innenminister Christophe Castaner (dessen politischer Ruf oder Stand jedoch angeknackst scheint) persönlichen Zoff mit den beiden „Gelbwesten“-Exponenten an, und behandelte sie in der Öffentlichkeit als – in seiner Darstellung lächerlich wirkende und dennoch gefährliche – „Operettenrevolutionäre“. ( Vgl. bspw. “ : https://actu.orange.fr/ und https://actu.orange.fr/politique/ Wesentlich schlimmer: Und er suggerierte, tatsächliche oder angebliche Anführer wie die beiden – aus der Protestbewegung wird ihm natürlich entgegen gehalten, es gebe gar keine Chefs; sicherlich gibt es informell welche, doch die „Gelbwesten“ sind tatsächlich sehr heterogen zusammengesetzt und können schon deswegen keine Kommandozentrale aufweisen – seien im Falle von Schäden eventuell mit ihrem persönlichen Vermögen haftbar zu machen. Auch diese Ankündigung droht, für künftige Protestbewegung im Gedächtnis der Herrschenden hängenzubleiben…

Seinerseits hatte Eric Drouet kurz vor der Protestmobilisierung zum „Akt Achtzehn“ vom 16. März 19 angekündigt, dieses werde seine „letzte Demonstration“ (jedenfalls vorläufig) werden. (Vgl. https://www.letelegramme.fr/ oder https://www.huffingtonpost.fr/ sowie in einer rechtsreaktionären Quelle: https://www.valeursactuelles.com )

Dieser Ausspruch war z.T. fälschlich als Ankündigung eines Rückzugs aus den Reihen der Protestbewegung interpretiert worden. Doch Drouet hatte etwas Anderes im Sinne. Aufbauend auf der Beobachtung, dass sich das Protestmittel der Demonstrationen erschöpfe – eine durchaus reale Erkenntnis, jedenfalls im aktuellen Zusammenhang -, zog er die Schlussfolgerung, es müssten nun andere Saiten aufgezogen werden. (Daraus folgte bei ihm etwa ab Ende Januar 19 die durchaus richtige Entscheidung, zur Mobilisierung der CGT und anderer Gewerkschaften vom 05. Februar 19 mit aufzurufen; mit dem weniger guten Nebenaspekt, dass das verbalradikale und realitätsuntüchtige Gerede vom „unbefristeten Generalstreik“ zu diesem Datum das Anliegen z.T. diskreditierte.)

Konkret schlug Drouet nun vor, es müsse zum Blockieren „von Häfen oder Raffinerien“ übergegangen werden. Dadurch könne die Sache mit der Blockadehaltung der Regierung angeblich „in drei oder vier Tagen erledigt werden“. (Vgl. etwa : https://blogs.mediapart.fr/j oder https://tendanceclaire.org ) Auch hier hat die Sache allerdings einen Schönheitsfehler respektive veritablen Haken: Das Unverständnis im Hinblick auf reale Kräfteverhältnisse lässt den Mann leider verkennen, dass dieses Mittel bereits eingesetzt wurde, und dass in jüngerer Vergangenheit ebenfalls versucht wurde, Raffinerien zu blockieren, im Übrigen in Kombination mit einem Streik der dort Arbeitenden. Insbesondere fand im Oktober 2010, im Rahmen der massiven Proteste gegen die mittlerweile vor-vor-vorletzte „Rentenreform“ unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys (die Sozialbewegung dagegen dauerte von Ende Mai bis Anfang November 2010 an und brachte auf ihren Höhepunkten 1,5 bis zwei Millionen Menschen gleichzeitig auf die Straßen), ein vierzehntägiger Arbeitskampf innerhalb der Raffinerien statt. Solidaritäts-Aktivist/inn/en stellten sich mit vor selbige, um diese zu blockieren. Diese Aktivitäten waren jedoch heftigem Druck der, mehrmals Räumungen durchführenden, Polizeikräfte ausgesetzt. Dadurch, dass die (ebenfalls beteiligte) CFDT, also die an ihrer Spitze „sozialpartnerschaftlich“ orientierte und neben der CGT größte Gewerkschaftsvereinigung, ab dem 25. Oktober 2010 im Namen erzielter „Zugeständnisse“ zur Beendigung des Streiks aufrief, brach der Streik in sich zusammen. Kurz darauf auch das Kräfteverhältnisse, weshalb die letzten Demonstrationen am 06.11.2010 dann tendenziell zur Beerdigungsveranstaltung für die Protestbewegung wurden – Sarkozy setzte sich damals weitgehend durch.

Dass eine Protestbewegung wie die derzeitige, die frankreichweit plus/minus 50.000 Menschen zu Demonstrationen mobilisieren kann, dort mit Blockaden weiterkommt, wo eine quantitativ mindestens zwanzig mal stärkere Protestbewegung scheiterte, erscheint deswegen erst einmal unplausibel. Ja, auch während des Kampfs von März bis Juli 2016 gegen die Arbeitsrechts-Novelle oder Loi Travail (diese trat trotz Protests am 08.08.2016 in Kraft) war Ähnliches wie 2010 versucht worden; aber ebenfalls im Kontext einer mehrere Hunderttausende Protestteilnehmer/innen zählenden Protestbewegung. In diesem Falle sorgten branchenspezifische Zugeständnisse an Beschäftigte in der Chemie/petrochemischen Industrie, die auf der Ebene dieses Sektors durchaus real waren (aber nicht die Arbeitsrechts-Novelle verhinderten), für die Beendigung des Arbeitskampfs in den Raffinerien. Insofern müsste man sagen, dass Drouet zum Teil durchaus in die richtige Richtung denkt, doch sich über die Frage von wirklichen Kräfteverhältnissen durchaus mehr Gedanken anstellen sollte… Die entscheidende Frage würde nämlich lauten, wie man erheblich mehr Mitstreitende & Verbündete gewinnt und ein reales Kräfteverhältnis aufbauen kann.

A propos Eric Drouet: Zu Anfang dieser Woche wurde bekannt, dass er selbst zum Opfer von Sachbeschädigungen geworden sei. Konkret wurden sein Auto und sein Wohnhaus attackiert, das Fahrzeug wurde mit gelber Farbe zugeschmiert. (Vgl. https://actu.orange.fr und https://www.ladepeche.fr/ sowie in Bildern: https://www.linternaute.com/ ; zur eigenen Reaktion von Drouet : http://www.leparisien.fr/ )

Dieses Vorgehen ist wohl sicherlich reaktionären Aktivbürgern zuzuschreiben. Ein Teil des reaktionären Spektrums unterstützt zwar aus ihm eigenen Gründen den Protest der „Gelbwesten“ (für deren heterogene Bewegung es ebenfalls Unterstützung aus der Linken gibt!), doch ein anderer Teil der Reaktionäre entscheidet sich eher dafür, Protest generell nicht gut zu finden. Letzterer Teil meldet sich heutzutage lautstarker zu Wort als noch vor ein paar Wochen. Überdies ist es heute eher die Wählerschaft der linkssozialdemokratischen und linksnationalistischen Wahlplattform Mélenchons – La France insoumise (ungefähr: „Das unbeugsame Frankreich“, LFI) -, die sich mehrheitlich für eine Fortsetzung des Protests ausspricht (mit 78 %), als jene der extremen Rechten (welche sich in der Anfangsphase im November 2018 zunächst in höherem Prozentanteil für seine Unterstützung aussprach) mit 67 %; vgl. https://actu.orange.frl Auf dem rechten Flügel scheint das Umkippen der öffentlichen Meinung gegen die „Gelbwesten“ am stärksten ausgeprägt.

Vor dem nächsten „Akt“ (Nummer 19)

Derzeit ist für den kommenden Samstag, den 23. März 19 und seinen „Akt 19“ eine mehr oder minder zentrale Mobilisierung der „Gelbwesten“ – es dürfte real wohl vor allem die Südhälfte Frankreichs betreffend - für das südostfranzösische Nizza angekündigt. Dessen amtierender Bürgermeister, der Konservative Christian Estrosi, ein früherer Minister unter Nicolas Sarkozy (Nizza ist insgesamt eine ausgesprochen rechte Stadt), forderte daraufhin zunächst ein generelles Demonstrationsverbot für diese fünftgrößte Stadt, zumal in den kommenden Tagen im Raum Nizza ein Gipfeltreffen zwischen dem französischen und dem chinesischen Staatspräsidenten – Emmanuel Macron und Xi Jinping – stattfinden wird. (Vgl. https://actu.orange.fr/ und http://www.leparisien.fr/) Inzwischen haben sich die Ankündigungen darauf eingependelt, dass es eine Demonstration-Verbotszone innerhalb von Nizza geben soll, die jedoch wesentlich weiter als „nur“ um die Innenstadt gezogen sein wird. (Vgl. https://actu.orange.fr/ oder https://france3-regions.francetvinfo.fr/ )

Generell übt sich derzeit die konservative Rechte darin, zu versuchen, das Regierungslager in Sachen Repressionsforderungen noch zu übertreffen und es dadurch in den Augen der öffentlichen Meinung zu übertrumpfen -während ausweislich Umfragen 76 % der Auffassung sein sollen, Innenminister Christophe Castaner sei „unfähig“, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, wodurch er ein Autoritätsproblem haben dürfte. ( Vgl. : https://www.lci.fr/) Unter anderem sprach sich der frühere Immigrations- (2007) sowie Innenminister (2009) unter Nicolas Sarkozy, also Brice Hortefeux, für ein generelles Verbot unangemeldeter Demonstrationen aus. Vgl. https://actu.orange.fr&sowie https://www.sudradio.fr/ In Sachen Illegalität kennt der Mann sich aus, Hortefeux ist nicht nur Rassist, sondern auch ein verurteilter Straftäter, u.a. für Drohungen gegen einen Anwalt, vgl. https://www.capital.fr/

Hingegen kritisierte – auch wenn dies jetzt für manche Leser/innen an dieser Stelle überraschend klingen mag – die neofaschistische Politikerin Marine Le Pen die Regierung für ihre „polizeiliche Antwort“ auf einen, in ihrer Darstellung legitimen Protest aus den Reihen der Bevölkerung. (Vgl. https://actu.orange.fr/ &. https://www.la-croix.com/ ) Dies ist eben der Unterschied zwischen einer konservativ-staatstragend-repressiven und einer (sozial)demagogisch auftretenden, verkappt-jedoch-real-faschistischen Rechten, die überdies in der derzeitigen Phase als radikale Opposition gegen das Establishment auftritt.

Und noch ein paar Wörtchen zum generellen Kontext:

  • Zum Ausgang der durch Emmanuel Macron am 15.01.19 gestarteten, als „Antwort“ des Regierungslagers angedachten „großen nationalen Debatte“ berichteten wir bereits zu Anfang dieser Woche. Wie wir bereits berichteten, antworteten 90 Prozent der für die nun als Nachfolge-Laberveranstaltungen konzipierten (regionalen) „Bürger/innen/konferenzen“ angefragten Franzosen und Französinnen: Ach nö, dochliebanich‘… Zusätzlich noch eine neue Zahl: Danach befragt, was sie sich zum Ausgang der „Debatte“ wünschten, befürworteten 86 Prozent der Umfrageteilnehmer/innen eine radikale Änderung der Wirtschafts- und Sozialpolitik. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/ ) Sicherlich, „dafür“ hat das Macron-Lager nicht seine Anstrengungen unternommen, um die „nationale Debatte“ zu initiieren…
  • Unterdessen kamen bislang zwei Millionen Lohnabhängige im Land in den Genuss eines der (unter Bedingungen gestellten und zunächst reichlich unkonkreten) Zugeständnisse, welche Emmanuel Macron anlässlich seines TV-Auftritts am 10. Dezember 18 infolge der „Gelbwesten“-Proteste annoncierte. Damals verkündete er, Lohnabhängige sollten eine Jahresprämie bekommen, deren Auszahlung für die Unternehmen freiwillig sei; die jedoch dadurch begünstigt wird, dass – und hier liegt prinzipiell die Crux bei der Sache – diese steuerbefreit und teilweise durch die Steuerzahlenden finanziert wird. Konkret vor Ort verschafft es dennoch den Lohnabhängigen mitunter ein bisschen Luft. Mancherorts war für die Ausschüttung einer solchen Jahresprämie – wo die Unternehmensführungen unwillig waren – gestreikt worden. Insgesamt ist sie nun also im Rahmen von zwei Millionen Arbeitsverhältnissen ausbezahlt worden, meistens um die 1.000 Euro.
  • Im Zusammenhang mit den „Gelbwesten“-Protesten erklärten kürzlich 53 Prozent der Befragten, diese seien durch die (etablierten) Medien tendenziös dargestellt und in ein schlechtes Licht getaucht worden. (https://www.francetvinfo.fr /& https://www.20minutes.fr/) Dies trifft sicherlich in den Wochen seit ungefähr Jahresanfang 2019 zu, in denen eine veritable Sensationsberichterstattung sich vor allem auf die Sachschäden und die Gewalt(-gegen-Sachen) kapriziert, was sich sicherlich auch durch das Ringen um Einschaltquoten erklärt. Zuvor hatten bürgerliche Medien im Spätherbst 2018 diese neuartige Protestbewegung in Gestalt der „Gelbwesten“ zunächst eher verhätschelt, doch dies änderte sich daraufhin.
  •  Ein gewisses Misstrauen gegenüber etablierten Medien, das hier zum Ausdruck kommt, kann nicht schaden. Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass im Umfeld der „Gelbwesten“ umgekehrt die Bereitschaft wächst, beinahe jeden absoluten Unsinn aus „sozialen Medien“ und dem Internet für bare Münzen zu nehmen (wie den baren Unfug von der angeblichen Regierungsinszenierung der djihadistischen Mordattacke vom 11.12.18).
  • Auch in Deutschland wurde in linken Medien viel rezipiert, dass sich das basisorientierte und /oder linke Spektrum der Protestbewegung der „Gelben Westen“ – jedenfalls relevante Teile davon – bei einer Delegiertenversammlung am 26. & 27. Januar 19 im ostfranzösischen Commercy (Lothringen) getroffen haben. Nunmehr wird es in Kürze eine Folgeveranstaltung geben. Dies wird am 05., 06. und 07. April 19 im westfranzösischen Atlantikhafen Saint-Nazaire stattfinden.