B. Schmid: "Gelbwesten-Chronik"

Nach einem Doppelwochenende der „Gelbwesten“-Protestbewegung: Wie weiter?

Bericht vom 20. Februar 2019

Listen und Parteien gründen, oder doch lieber nicht? - Antisemitismusproblematik: als solche sehr real, aber durch das Regierungslager gegen den Protest gewendet..; Frankreich debattiert und polemisiert, die „Gelben Westen“ (mit oder ohne eigenes Verschulden) mittendrin.

Die „Gelben Westen“ und die durch sie verkörperte Protestbewegung bleiben in Frankreich, auch nach drei Monaten ununterbrochener Auseinandersetzungen, das innenpolitische Thema Nummer Eins. Nach wie vor beherrschen sie zum Teil die parteipolitischen Diskussionen, die Agenda des Präsidenten - seitdem Emmanuel Macron am 15. Januar dieses Jahres die „große nationale Debatte“ als vorgebliche Antwort auf die Proteste startete, füllen seine Debattenauftritte alle vier Tage bei manchen Live-TV-Sendern je sechs bis sieben Stunden am Stück; aufgrund geringfügiger Einschaltquoten ist nun allerdings ihre Absetzung vom Sendeplan in der Diskussion... ( vgl. https://www.valeursactuelles.com ) -, die Tätigkeit von bedeutenden Teilen der Polizei und sorgen noch regelmäßig für Schlagzeilen.

Auch wenn man sich vor bisweilen verbreiteten schiefen Darstellungen, Übertreibungen und auch großmäulig vorgetragenen Lügen hüten sollte wie jener (vgl. https://communemag.com/ ), es handele es sich hier um (Zitat): << The largest uprising in France since 1968 >>. Bei aller Liebe, aber pardon, weniger Kiffen beim Schriftstellern tut auch gut – oder waren es doch so genannte harte Drogen? Die Formulierung ist jedenfalls absoluter, barer, blanker UNSINN. Bei der (in Teilen ebenfalls militanten) Bewegung gegen den Angriff auf den Kündigungsschutz für unter 30jährige im März/April 2006 waren beispielsweise zum selben Zeitpunkt bis zu drei Millionen Menschen unterwegs (vgl. http://archiv.labournet.de/), in den letzten Wochen nicht einmal ein Zehntel davon. Breite zeichnet die Unterstützung für die derzeitige Protestbewegung in den Umfragen aus, nicht jedoch die Anzahl derer, die selbst aktiv auf den Straßen unterwegs sind, gemessen an vielen früheren Protestbewegungen (1995, 2003, 2006, 2010..) - völlig unabhängig von ihrer jeweiligen inhaltlichen Bewertung. Dies wird durch die aktuelle Protestbewegung u.a. durch eine, in Teilen, deutlich zur Schau gestellte Militanzbereitschaft gewissermaßen kompensiert, es besteht also kein Aufmerksamkeitsdefizit. Dennoch haben wir es eher mit einer zahlenmäßig relativ starken, in Teilbereichen militanzbereiten / gewaltförmig auftretenden / gewalttätigen (je nach konkreter Aktionsform, Zeitpunkt und Ort sowie je nach inhaltlicher Bewertung und Standpunkt!) Avantgardebewegung zu tun; nicht im engeren Sinne mit Massenkämpfen. „Avantgarde“ im Sinne von agierenden Minderheiten, die auf die Zustimmung der Massen hoffen und diese zumindest teilweise auch erhalten, doch unter Ausbleiben einer realen, aktiven Anteilnahme der Massen. Zumal die Übersetzung des Protestimpulses in Unternehmen und an Arbeitsplätzen, jedenfalls in Form von Arbeitskämpfen, ausgesprochen schwach bleibt, was auch mit der klassenmäßigen (gemischten und nicht allein von Lohnabhängigen geprägten, und/oder von Lohnabhängigen in Kleinstunternehmen mit geprägten) Zusammensetzung der Protestierenden zu tun hat.

Die Listenfrage

Einige Protagonist/inn/en sehen sich unterdessen bereits als – mehr oder minder selbsternannte und selbstermächtigte - Nachlassverwalter einer Protestbewegung, welche sie durch die Gründung von Parteien oder Wahllisten zu beerben trachten. Bereits vier, im vorgeblichen oder vorgeschobenen Namen der „Gelbwesten“ gegründete Listen sollen zur kommenden Europaparlamentswahl am 26. Mai dieses Jahres antreten. Dabei machen sich viele Karrieristen und Profilneurotiker/innen breit, die ihre Stunde gekommen sehen, um sich in den Vordergrund zu schieben. Anderen Vertreter/inne/n darf man hingegen etwas mehr guten Willen unterstellen.

Die Krankenpflegerin Ingrid Levavasseur etwa, die sich als frühere Grünen-Wählerin bezeichnet, als Gründerin einer der putativen Europaparlaments-Wahllisten [inzwischen hat sie auf ihre Spitzenkandidatur dort verzichtet; vgl. : https://www.lemonde.fr/ ], drängte sich nicht selbst in den Vordergrund. Ein TV-Journalist wurde durch einen Zufall im November 19 auf sie aufmerksam, als er infolge einer Reifenpanne just an der Stelle zum Halten kam, wo die 31jährige mit den auffälligen, langen roten Haaren sich in einer Gruppe von Verkehrsblockierer/inne/n befand. (Vgl. auch : https://www.lemonde.fr/ ) Nachdem sie in eine Fernsehdebatte eingeladen wurde, erwies sich ihr Argumentationstalent in den Augen einer breiteren Öffentlichkeit. Der Star-Fernsehjournalist David Pujadas, der selbst ein fünfstelliges Monatseinkommen bezieht, studierte das monatliche Budget der alleinerziehenden geschiedenen Mutter und stellte vor laufenden Kameras fest, nach Abzug aller erzwungenen Ausgaben wie Miete, Heizkosten und Grundnahrungsmittel blieben ihr gerade zwanzig Euro zum Leben.

Ihre [ bisherigen ] Mitstreiter/innen machten oder machen Ingrid Levavasseur jedoch bisweilen zu schaffen. Einige von ihnen trafen am Dienstag, den 05. Februar d.J. im zentralfranzösischen Montargis mit dem italienischen Vize-Premierminister Luigi di Maio von der Retortenpartei „Fünf-Sterne-Bewegung“ zusammen. [Vgl. etwa https://www.larep.fr/und https://www.lanouvellerepublique.fr/ ] Das Treffen rief erhebliche Empörung hervor - bei einigen, weil eine Regierung mit faschistoiden Elementen wie die aktuell in Rom amtierende dann doch als inhaltlich problematisch gilt. Bei anderen Exponenten eher aus methodischen Gründen, weil das Treffen nicht abgesprochen worden [ vgl. https://france3-regions.francetvinfo.fr/ ] und von selbsternannten Führungspersonen durchgeführt worden sei. In diesem Sinne argumentierte im konkreten Fall übrigens auch Ingrid Levavasseur selbst.

Unterdessen wurde soeben bekannt, dass es zu einem Bündnis der italienischen „Fünf-Sterne-Bewegung“ mit französischen „Gelbwesten“ bei der kommenden Europaparlamentswahl wohl doch nicht kommen wird; vgl. https://www.heise.de (der Verfasser jenes Artikels ist wohl als Sympathisant des italienischen und des österreichischen Regierungsbündnisses einzustufen).

Die Qualle des Monats

Christophe Chalençon, der bis dahin bei der durch Ingrid Levavasseur gegründeten Liste für die „Durchführung von Bürgerversammlungen“ zuständig war, geriet in die Kritik. Daraufhin rief er am Montag, den 11. Februar d.J. seine eigene Partei, den Mouvement d’action citoyenne (ungefähr: „Bewegung für Bürgeraktion“), aus; vgl. http://www.lefigaro.fr/ Ob diese realen Erfolg haben kann, steht in den – fünf – Sternen.

Chalençon zählt zum erkennbar rechten bis rechtsextremen Flügel innerhalb des heterogenen Protestspektrums. Ende 2018 initiierte er eine Petition, die forderte, den amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron durch einen Militär – den 2017 im Streit mit Macron ausgeschiedenen Generalstabschef, Pierre de Villiers – zu ersetzen. Dieser Herr ist nun wirklich.. nun ja, aus strafrechtlichen Gründen werden wir hier nun nicht „rechter Oberspinner“ oder gar „gefährlicher Irrer“ schreiben (nein, nicht doch, wo kämen wir denn da hin). Als eine der durch die Medien entdeckten und aufgebauten Figuren im südostfranzösischen Département Vaucluse – i.Ü. einer rechtsextremen Hochburg in Frankreich – und Kleinunternehmer war er in Teilen der Protestbewegung sehr präsent. Dieser gefährliche I.., dieser werte Herr verbreitet etwa in einer Aufnahme, welche mit „versteckter Kamera“ gefilmt/aufgezeichnet und am Donnerstag, den 14. Februar 19 in einer Sendung des italienischen Fernsehens ausgestrahlt wurde; Sprüche wie folgenden: „Wir verfügen über paramilitärischen Einheiten, die zum Eingreifen bereit stehen!“ (Vgl. bpsw. https://www.rtl.fr/ und https://www.huffingtonpost.fr/ ) Ja: Auch solche Totalverstrahlten zählt(e) die Protestbewegung in ihren Reihen!

Die französische Regierung echauffierte sich unterdessen aus anderen Gründen über die Visite Luigi di Maios, von der die französischen Behörden im Vorfeld keine Kenntnis hatten, und bezeichnete sie als beispiellose Einmischung in innere Angelegenheiten“. Am Donnerstag, den 08. Februar 19 berief Frankreich seinen Botschafter in Rom „zu Beratungen“ ab. Manche Beobachter/innen wiesen darauf hin, solches sei zuletzt 1940 passiert, infolge der Kriegserklärung des damaligen Mussolini-Regimes an die Französische Republik. Allerdings befindet sich, neben einem Schuss Dramatik, auch eine gewisse Dosis von comedia italiana in der jüngsten Polemik. Am Freitag den 15. Februar d.J. wurde unterdessen die Rückkehr des französischen Botschafters in Rom vermeldet (vgl. https://www.rtl.fr/), ohne dass jedoch der Konflikt zwischen den jeweiligen Regierungen dadurch beigelegt wäre (vgl. https://www.lopinion.fr/

Aus manchen Kreisen der „Gelbwesten“-Bewegung zirkulieren derzeit noch andere Appelle an auswärtige Regierungen. Auch in linkeren Kreisen geht ein Aufruf um, der die Entsendung „internationaler Beobachter“ fordert, um die Polizeigewalt in Frankreich zu untersuchen oder durch ihre Präsenz einzudämmen. Bei manchen Protestierenden, eher auf dem linken Flügel, kann man dies als ironische Aktion in Anbetracht der tatsächlich sehr massiven Polizeiübergriffe einerseits, des militärischen Interventionismus Frankreichs – mit und ohne Legitimation durch die UN – besonders in Afrika andererseits (wie jüngst mit Bombenabwürfen auf Rebellen im Tschad vom 03. bis 06. Februar 19) werten. Hingegen wird dies in der lunatic fringe der Protestbewegung, also in jenem Teil, der ebenso Affinitäten zu Verschwörungsthesen wie erkennbare Sympathien für Wladimir Putins Regime aufweist, eher als ein Aufruf im Sinne von „Wladimir, hilf!“ aufgefasst. Eine Gruppe von „Gelbwesten“ aus dem Département Oise, rund fünfzig Kilometer nördlich von Paris, plante am Wochenende des 09./10. Februar 19, vor der russischen Botschaft in der französischen Hauptstadt „für internationale Hilfe“ zu demonstrieren. Aus Whatsapp- und Mailinggruppen innerhalb der Protestbewegung rief dies aber auch massive Kritik hervor, es wurde still um das Vorhaben. Welch Glück..

Die Irrenhausfraktion (im Unterschied zu Deutschland ohne Alumiumhütchen)

Einen verschwörungstheoretisch denkenden Narrensaum gibt es jedoch auch weiterhin. Eine Umfrage des Instituts Ifop für die Jean Jaurès-Stiftung und die Organisation Conspiracy Watch – deren Ergebnisse allerdings wenig repräsentativ sein könnten – kam jüngst zu dem Ergebnis, unter den Anhänger/inne/n der „Gelben Westen“ seien solche Sichtweisen überdurchschnittlich verbreitet. Vgl. u.a.: https://actu.orange.fr/

18 Prozent der Teilnehmer/innen in einer Querschnittsbefragung hätten sich selbst zu „Gelbwesten“ erklärt, verlautbarten sie dazu; eine größere Gruppe, nämlich 50 Prozent, als „Unterstützer/innen“ derselben. In der ersten Gruppe habe man eine signifikante Zunahme der Affinität zu Verschwörungsthesen gegenüber der übrigen Bevölkerung beobachten können, in der zweiten dagegen nicht. 23 Prozent in der erstgenannten Gruppe stimmten bspw. der Vermutung zu, das djihadistische Attentat vom 11. Dezember 18 in Strasbourg (mit fünf Toten) könne durch die Regierung inszeniert worden sein, um der damals höchst aktiven „Gelbwesten“-Bewegung Schaden zuzufügen respektive sie aus dem Fokus der Medienöffentlichkeit zu verdrängen.

Allerdings ist keinerlei Überprüfung der subjektiven Selbsteinordnung als „Gelbweste“, Unterstützerin oder Nichtunterstützerin möglich, und die Umfrage könnte sehr verzerrte Ergebnisse liefern, wenn ein bestimmtes Potenzial in der Gesellschaft sich einfach selbst als „Gelbwesten“ etikettierte, ohne aktiv zu sein. Denn wenn auch 18 Prozent der Teilnehmenden an dieser Umfrage sich selbst als „Gelbwesten“ einstuften, so sind doch nicht 18 Prozent der volljährigen Bevölkerung selbst in dieser Protestbewegung aktiv, sonst würden die Demonstrationen nämlich annähernd zehn Millionen Menschen umfassen.

Eine starke Korrelation scheint zum Medienverhalten zu bestehen; 59 Prozent der erstgenannten Gruppe „informierten“ sich demnach vorwiegend über Facebook und andere social media, und nicht über klassische Medien. Da liegt es nahe, dass so mancher pseudo-kritisch verbreitete Unfug, Unsinn oder auch astreine Scheißdreck als vermeintliche „Information“ aufgeschnappt wird.

Protestwochenende & „Vorfall“ rund um Alain Finkielkraut

Auf der Straße geht die Bewegung, die sich von jener im Internet erheblich unterscheiden mag, unterdessen weiter. Das letzte Protestwochenende am 16. & 17. Februar 19 war dabei jenes, das den vollendeten dritten Monat markierte: Ein genaues Vierteljahr war es an diesem zurückliegenden Sonntag her, dass die Proteste – damals noch vorwiegend in Form von Verkehrsblockaden – am Samstag, den 17. November 2018 anfingen.

Dieses Mal fanden am Samstag, den 16. Februar 19 zum Teil un-, zum Teil angemeldete Demonstrationen statt. Zu ihnen kamen frankreichweit (laut Zahlen des Innenministeriums, die sicherlich untertrieben sein mögen; falsch sind aber auch die Angaben aus Protestkreisen, die von einem stetigen Anwachsen schwärmen) 41.500 Menschen, unter ihnen rund 5.000 in Paris. Im Unterschied zum Samstag, den 09. Februar d.J. blieb das Autonomenfestival mit massivem Glasbruch dieses Mal weitgehend aus.

Am Sonntag, den 17.02.19 kamen – zum vollen Vierteljahr – erneut in Paris rund 1.000 bis 2.000 Personen zum Protest zusammen. Dieses Mal rief auch die CGT der Rathausbeschäftigten (ihren Vorsitz hat ein Angehöriger der radikalen Linken inne) zuvor zu einem eigenständigen Treffpunkt auf. Bei der Hauptdemonstration wurde jedoch nur eine geringfügige Zahl von CGT-Gewerkschaftsfahnen und hinter bzw. neben ihnen Herlaufenden sichtbar; und es kam auch zu einigen Anfeindungen („Vereinnahmer“, oder sinngemäß: „Das protestierende Volk braucht weder Gewerkschaften noch Parteien“ bis hin zu: „Hättet Ihr Euren Job gemacht, stünden wir jetzt nicht hier“ - also zwischen aufrechtem Protestwillen und reaktionären antigewerkschaftlichen Resentiments schillernd). Die Demonstration am Sonntag war angemeldet worden, und zwar durch Sophie Tissier (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=3s8XIU22KEc ), die sich vor Kameras und Mikrophonen ganz gerne zur Vertreterin der „friedlichen Gelbwesten“ aufschwingt; eine oftmals selbstgewählte Rolle, die ihr bereits bei der Platzbesetzerbewegung Nuit debout im Frühjahr 2016 zum Teil angekreidet wurde.

Real stellt sich nun tatsächlich die Frage, wie es weiter gehen soll, denn die Dynamik der Demonstrationen scheint sich tatsächlich zu erschöpfen – und ihre schlichte Fortsetzung dürfte auch nur eine begrenzte Perspektive liefern. Allerdings sah es bereits einmal danach aus, als falle die Protestbewegung in sich zusammen, und zwar Mitte und v.a. Ende Dezember 2018, bevor sie dann allerdings ab Anfang Januar 19 einen ziemlichen Neuaufschwung hinlegte. Jedoch bröckelt in Umfragen die bisher erstaunlich breite Unterstützung für die Protestbewegung erstmals wohl wirklich ab; zum ersten Mal wünschte Ende voriger Woche eine Mehrheit der Befragten ein Ende der aktiven Straßenproteste – vgl. bspw. https://elabe.fr/und https://www.lejdd.fr . Auch wenn 58 Prozent derselben Befragten weiterhin in der Sache Sympathie, Verständnis oder Unterstützung äußern.

Ansonsten rufen mehrere Gewerkschaften (auf der Ebene der Dachverbände: CGT und FO) nun für den 19. März dieses Jahres zu einem Streik- und Aktionstag auf, wobei sich die Zeit bis dahin jedoch noch um Einiges hinziehen wird. (Vgl. dazu https://www.liberation.fr/ und http://www.lefigaro. sowie http://syndicat.cgt und http://ud82.reference-syndicale.fr/ ) Nur, für ein Überbrücken im Sinne eines direkten Anknüpfens an den (oder einer direkten Fortsetzung des) jetzigen Protests, zwecks eines erneuten Brückenschlags zwischen Gewerkschaften und „Gelbwesten“ wie zuletzt am 05. Februar 19 – wir berichteten ausführlich -, liegt dies ein bisschen zu weit weg.. Auch wenn es natürlich sein mag, dass der „Gelbwesten“-Protest auch bis dahin noch fortgesetzt wird. Gesichert ist es jedoch nicht.

In relevanten Teilen der Öffentlichkeit für Furore sorgte allerdings ein anderer Aspekt, nämlich ein Zwischenfall, welcher sich im Laufe des Samstag Nachmittag (16.02.19) mit dem einerseits als konservativ, andererseits als jüdisch bekannten - und je nach Personenkreis als das Eine oder das Andere oder als beides wahrgenommenen..- Schriftsteller Alain Finkielkraut ereignete. Letzterer wurde am Rande der Demonstration angefeindet, wobei einzelne Schreihälse wesentlich weiter gingen als der umstehende Rest.

Antisemitismusdebatte

Das Ganze passierte in einem Kontext, welcher alles andere als fingiert ist. Insofern ist es zwar nicht völlig unrichtig, aber doch leicht tendenziös, wenn die geschätzen Kolleg/inn/en vom Labournet am Montag, den 16. Februar 19 schrieben, betreffend die Wahrnehmung der Demonstrationen durch das Regierungslager: Da naht die Rettung: Antisemiten! Jetzt aber!  (Vgl. http://www.labournet.de/ ) Es stimmt zwar natürlich, dass das Regierungslager genau so reagiert; sollte jedoch nicht ein Geschmäckle der Art bekommen, dass man glauben könnte, es handele sich etwa um eine ausschließlich inszenierte Empörung.

Und dies ist der Kontext.

Abermals wurde ein jüdischer Friedhof mit Hakenkreuzen beschmiert, in der Nacht vom Montag zum Dienstag dieser Woche (vom 18. zum 19. Februar 19) im elsässischen Quatzenheim, einem Dorf rund zwanzig Kilometer von Strasbourg/Straßburg entfernt. (Vgl. https://actu.orange.fr/und
http://www.lefigaro.fr/) Es handelt sich nur um das letzte Ereignis in einer Serie von Hakenkreuzschmierereien und antisemitischen Graffitis, die seit Anfang dieses Jahres erheblich an Intensität zunimmt.

Betroffen waren neben tatsächlich oder vermeintlich jüdischen Zielpersonen auch andere Einrichtungen, Hakenkreuze wurden beispielsweise bei einer Geschäftsstelle der französischen KP in Vienne – in der Nähe von Grenoble - am 12. Februar 19 (vgl. http://www.lefigaro.fr/) und auf einer Moscheebaustelle im westfranzösischen Amboise am 08. Januar 19 (vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu) entdeckt. Die südfranzösische sozialdemokratische Regionalpräsidentin Carole Delga erhielt am 15. Februar d.J. einen Drohbrief mit Hakenkreuzen ( vgl. http://www.lefigaro.fr/ ); ebenso kurz darauf der südfranzösische sozialdemokratische Régionalpolitiker Kléber Mesquida (vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu ).

In diesen Fällen dürfte ziemlich glasklar sein, dass die Urheber in einer außerparlamentarischen, stiefelfaschistischen oder neonazistischen Rechten zu suchen sind. Letztere befindet sich auf diese Weise in den vergangenen Wochen in einer Offensive. Zuvor hatte sie sich, vor allem im Spätherbst vorigen Jahres, in weiten Teilen an Auseinandersetzungen auf den Straßen im Zusammenhang mit der Protestbewegung der „Gelben Westen“ beteiligt, deren Legitimität in den Augen zunächst breiter Teile der Gesellschaft sie in Anspruch nahm, um sich selbst als eine Art „Speerspitze des Volkswiderstands“ zu inszenieren.

In jüngerer Zeit hat die Teilnahme der gewaltbereiten Rechten an den „Gelbwesten“-Demonstrationen jedoch eher wieder abgenommen. Zum Einen, weil die Konflikte mit Linken zunahmen, vor allem, seit diese ab Anfang Februar d.J. fraktionsübergreifend auf die rechtsextreme Attacke gegen einen Demoblock der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA), welche sich am 26. Januar 19 in Paris ereignete, reagierten. Andererseits fürchten die rechtsextremen Strukturen, zusammen mit Teilen der Protestbewegung stärker ins Visier staatlicher Verfolgungsbehörden zu geraten. Nach dem halben Dutzend von Organisationsverboten gegen die gewaltbereite extreme Rechte von Juni und Juli 2013, infolge des Todes von Clément Méric, eines 18jährigen Antifaschisten, schienen neue zu drohen. (Am Abend des 20. Februar 19 kündigte Staatspräsident Emmanuel Macron Verbotsanträge gegen drei gewaltbereite rechtsextreme Gruppen an, unter ihnen der zeitweilig in den „Gelbwesten“-Demonstrationen ziemlich aktive „Bastion Social“; vgl. dazu http://www.lefigaro.fr )

Nun sind die „Gelben Westen“ selbst, als solche, jedoch verstärkt im Zusammenhang mit der Antisemitismusdebatte ins Gerede gerückt, nachdem am vergangenen Samstag (16. Februar 19) in Paris der Philosoph und - in die Académie française aufgenommene - Schriftsteller Alain Finkielkraut am Rande einer Demonstration beschimpft worden war. (Vgl. bspw.: https://www.youtube.com/ ) Finkielkraut, der sich vom Maoisten der 68er Jahre zum konservativen Fürsprecher der unbedingten Notwendigkeit von Eliten und des Kampfs gegen den Kulturverfall sowie „Migrationskritiker“ gewandelt hat, lässt sich mitunter gerne am Rande von Demonstrationen, die er als feindselig betrachtet, blicken. Im April 2016 war er auf ähnliche Weise am Rande der Pariser Platzbesetzerbewegung Nuit debout aufgetaucht und angefeindet worden. Allerdings scheint er in diesem Falle, der Vorgang ereignete sich in der Nähe des Montparnasse-Bahnhofs im südlich gelegenen 14. Pariser Bezirk, tatsächlich in der Nähe zu wohnen.

Die Feindseligkeit vieler Demonstrant/inn/en gegen ihn resultiert zuvörderst aus seinen politischen Positionen. Allerdings fühlten sich Einzelne durch die Unmutsäußerungen von vielen der Umstehenden dazu ermutigt, selbst erheblich weiter zu gehen und sich in Rage zu reden. Im konkreten Falle ereiferte sich insbesondere ein muslimischer Teilnehmer, dessen Barttracht die der Salafisten zumindest nachahmt (ein Vollbart ohne Schnauzer bzw. mit extra abrasiertem Schnurrbart trät eine ziemlich eindeutige Handschrift respektive Rasiererführung). Er bezeichnete Finkielkraut unter anderem als „schmutzigen Zionisten“ und laberte davon, „Gott“ werde ihn „strafen“ – die Behauptung des Regierungssprechers Benjamin Griveaux, Finkielkraut sei als „dreckiger Jude“ beschimpft worden, ließ sich auf hingegen anhand keiner der Videoaufzeichnungen verizifieren, sie ist schlicht falsch.

Der Haupt-Agitator wurde inzwischen identiziert, und am heutigen Mittwoch Vormittag (20.02.19) wurde bekannt, er sei einige Stunden zuvor in Polizeigewahrsam genommen worden. (Vgl. https://www.francetvinfo.fr ) Vorliegenden Informationen zufolge hat sich bestätigt, dass konkret ein islamistischer oder ex-islamistischer Hintergrund vorliegt (wobei sich eher die Aktivität in solchen Milieus als die Ideologie reduziert zu haben scheint). Eine wirkliche Strömung unter den „Gelbwesten“ bilden Personen mit solcher Ideologie nicht; da sie sich jedoch subjektiv als Rebellen betrachten, mögen sie aus solchen Gründen wohl mitunter mitlaufen. Das Lustige ist, dass es sich – wie oft bei besonders üblen islamistischen Agitatoren oder Aktivisten – um einen Konvertiten handelt. (Vgl. https://www.ladepeche.fr/und https://www.midilibre.fr )

Regierungssprecher Benjamin Griveaux wiederum erblickte wohl eine durchaus willkommene Angelegenheit, die Gelbwesten als solche zu denunzieren. Bereits am Samstag zuvor (09. Febr. 19) hatte er dies versucht, nachdem antisemitische Wandschriften an dem jüdischen Restaurant Bagelstein auftauchten. In einem Tweet stellte Griveaux diese in eine Reihe mit Attacken auf Polizeibeamte am Rande der Demonstrationen; in der Nähe von Lyon waren zuvor zwei Polizeifahrzeuge attackiert worden (vgl. u.a. https://actu.orange.fr und https://www.lyoncapitale.fr/ sowie http://videos.leparisien.fr/ ). Der Eigentümer von Bagelstein stellte jedoch selbst öffentlich klar, es sei keinerlei Zusammenhang zur Protestbewegung erwiesen. (Wir berichteten bereits darüber.)

Die sich seit dem Wochenende des 16./17. Februar aufheizende Debatte hat nun neue Aufmerksamkeit auf die am gestrigen Dienstag, den 19. Februar 19 stattfindenden Initiativen gegen Antisemitismus aus diversen politischen Lagern hervorgerufen. Den Anlass dazu gaben zunächst nicht die Vorfälle bei der Demonstration, sondern ein wohl auf rechtsextreme Antisemiten zurückgehendes Ereignis von Mitte letzter Woche: Portraits der früheren jüdischen, liberalen Ministerin und Auschwitz-Überlebenden Simone Veil auf zwei Briefkästen am Rathaus des 13. Pariser Bezirks waren nächtlich mit zwei Hakenkreuzen überpinselt worden. (Vgl. als ein Beispiel unter vielen: https://www.parismatch.com/ ) Veil gilt in diesen Kreisen als „Planerin eines Völkermords an den Franzosen“, seitdem sie 1975 als Gesundheitsministerin federführend bei der Legalisierung der Abtreibung, damals in den ersten zehn Schwangerschaftswochen, war.

Daraufhin ergriff die sozialdemokratische Partei PS die Initiative und rief alle anderen staatstragenden Parteien zu einer gemeinsamen Kundgebung auf. Französische KP, Grüne, Macron-Anhänger und Konservative antworteten positiv. Jean-Luc Mélenchons Partei LFI behauptete, sie sei zur Vorbereitung nicht eingeladen worden und stehe deswegen nicht unter dem Aufruf, schloss sich jedoch an (Mélenchon persönlich demonstrierte dann in Marseille und nicht in Paris). Zeitgleich verbreitete sich jedoch ein Aufruf aus der antifaschistischen und antirassistischen Linken zu einer zeitlich parallel stattfindenden Kundgebung unter dem Motto „Gegen den Antisemitismus, gegen jeden Rassismus und gegen ihre politische Instrumentalisierung“ (in letzterem Punkt ist gemeint: durch die Regierung gegen Protestbewegungen). Diese sollten an der Métro-Station Ménilmontant, einen knappen Kilometer von der anderen Kundgebung entfernt stattfinden. Zu ihr riefen u.a. manche Antifagruppen, die linke „Jüdische Union für den Frieden“ (UJFP) und Migrantenvereinigen auf.

Real kamen zur letztgenannten Kundgebung rund 500 Menschen, wobei die Sache organisatorisch sehr schlecht in die Hand genommen worden war – den, sehr zahlreichen und oftmals in Überlänge sprechenden, Redner/inne/n konnte man nur in einem sehr kleinen inneren Kreis rund um die Métro-Station überhaupt zuhören. Nur einige Meter entfernt, konnte man sie kaum noch hören, geschweige denn sehen. Eine Reihe prominenter Linksintellektueller (aus der radikalen Linken der letzten Jahrzehnte) zeigten sich, für ein kürzeres oder längeres Verweilen. Bei der „institutionellen“ Kundgebung auf der place de la République, die zeitgleich stattfand – der Autor dieser Zeilen warf selbst einen Blick auf beide Veranstaltungen – fanden sich unterdessen rund 20.000 Menschen (lt. Angaben des zuerst aufrufenden PS) ein. Auch die Ex-Staatspräsidenten François Hollande und Nicolas Sarkozy hatten dort ihren Auftritt im Publikum, aber auch mehrere Minister der amtierenden Regierung. Um 20 Uhr war die, kurze, Veranstaltung jedoch bereits wieder vorbei. Eine knappe Stunde hindurch diskutierten auf dem Platz jedoch noch verbleibende Teilnehmergrüppchen mit ebenfalls, obwohl in relativ geringer Zahl, anwesenden Menschen in „Gelben Westen“ sowie einigen Anhänger/inne/n von Jean-Luc Mélenchon (den bei der letzten Kundgebung gegen antisemitische Gewalt im März 2018 in Paris, nach dem Mord an Mireille Knoll, rechtszionistische Aktivisten attackiert hatten, weshalb er auch das Ausweichen nach Marseille vorzog). Dabei ging es, teilweise ruhig aber hart diskutierend und teilweise gestikulierend, querbeet um Antisemitismusvorwürfe mit und ohne gute Begründung, um die Haltung zu Israel, um „Populismus“vorwürfe, um „Gelbe Westen“ mit oder ohne Antisemitenbeteiligung und noch einige andere Themen. Immerhin – unter den auf dem Platz Verbleibenden hat man sich lange zugehört.