B. Schmid: "Gelbwesten-Chronik"

Die Versammlung von Commercy und eine faschistische Attacke auf linken Demonstrationsblock

Bericht vom  31. Januar 2019

Wir Gelbwesten der Verkehrskreisel, der Parkplätze, der öffentlichen Plätze, der Versammlungen, der Demonstrationen, wir haben uns am 26. und 27. Januar in einer Versammlung der Versammlungen getroffen..“ So beginnt der Appel, den rund 300 Delegierte, die an die einhundert Abordnungen angehörten, am vergangenen Wochenende (also 26./27. Januar 19) in der ostfranzösischen kleineren Industriestadt Commercy – in der Nähe von Nancy – verabschiedeten.

Seit Wochen zirkulierte der Aufruf der örtlichen Protestbewegung von Commercy, zu diesem Delegiertentreffen zusammenzukommen. Letztendlich fand er in einer Reihe von Städten, darunter auch in der Hauptstadt und in manchen Pariser Trabantenstädten – wo die „Gelbwesten“-Bewegung jedoch schwächer verankert ist als in kleineren und mittleren Kommunen -, ein Echo.

Der Ansatz derer von Commercy, den man als den linkesten Pol der aktuellen Protestbewegung oder jedenfalls einen Teil davon betrachten kann, beruht in hohem Maß auf der Schaffung basisdemokratischer Organisations-, Diskussions- und Koordinationsstrukturen. Ferner rückt er stark die soziale Frage in den Focus; nicht den Willen zur Reduktion von Steuern, welch Letzterer auch von reaktionären Kräften aufgegriffen und politisiert wird. Der Appel fordert eine Umverteilung der Reichtümer, die Anhebung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen, aber auch etwa die Rücknahme des derzeit durch die Regierung geplanten Gesetzes zur Kriminalisierung unangemeldeter Demonstrationen, zu dem die parlamentarischen Beratungen am Dienstag dieser Woche einsetzten. Die Repression – die bislang im Zusammenhang it dem „Gelbwesten“-Protest unter anderem 17 Menschen ein Auge kostete, durch den Einsatz von Hartgummigeschossen, und vier Personen eine Hand – wird in scharfen Worten kritisiert. Und es wird betont: „Wir sind weder rassistisch noch sexistisch noch homophob“, und soziale Rechte müssten „unabhängig von der Nationalität“ gewährleistet werden. Umwelt- und klimapolitische Maßnahmen werden ebenfalls befürwortet, sofern die Belastungen „gerecht“ ausfielen und nicht, wie in der Regierungspolitik unter Emmanual Macron, die Armen bestraften.

Nicht alle, die im Zusammenhang mit der Protestwelle seit November aktiv wurden, sind in vergleichbarer Weise progressiv. Höchst unterschiedliche Kräfte versuchen an die aktuelle Protestbewegung anzudocken, auch vom absolut entgegengesetzten Ende des politischen Spektrums.

Wie zum Beweis dafür fand am vorigen Samstag in der Nähe des Bastille-Platzes und des „Lyoner Bahnhofs“ in Paris eine Attacke von faschistischen Elementen gegen den Demonstrationsblock der undogmatisch-trotzkistischen Partei NPA (Neue Antikapitalistische Partei) statt. In Wirklichkeit handelte es sich eher um zwei Angriffe: zunächst mit Fäusten auf der Ebene des Fronttransparents, wenig später mit Steinwürfen auf den gesamten Demoblock, der dabei auseinander gesprengt wurde. An ihm waren rund fünfzig Personen aus dem Kern sowie dem Umfeld der Gruppe Les Zouaves beteiligt. Der Begriff Zouave benannte ursprünglich 1830 einen einheimischen Hilfssoldaten im soeben kolonisierten französischen Algerien, und wird seitdem für eher unernst auftretende Personen verwendet. Es handelt sich um eine informelle Gruppe, welcher sowohl ehemalige Mitglieder der für ihre Gewalttätigkeit bekannten, 1969 gegründeten, studentisch-neofaschistischen Gruppe GUD (Groupe Union Défense) als auch der „identitären Bewegung“ sowie Fußballhooligans angehören.

Inzwischen gibt es mehrere Solidaritätsbekundungen mit den Angegriffenen, auch aus Gewerkschaften, vor allem von der Union syndicale Solidaires, einem Zusammenschluss linksalternativer Basisgewerkschaften wie SUD. Und es zirkulieren Aufrufe für fraktionsübergreifende „antifaschistische Wachsamkeit“ bei den nächsten Protestterminen.

Ebenfalls am vorigen Samstag wurde eine prominente Gallionsfigur der „Gelben Westen“, der ältere und als betont „gewaltfrei“ geltende Jérôme Rodrigues, Jérômé Rodriogues entweder durch einen Granatsplitter oder – wie die Protestbewegung angibt – durch ein Hartgummigeschoss, abgeschossen aus der Distanzwaffe LBD alias flash-ball, aus nächster Nähe am Kopf getroffen. Er droht, ein Auge für immer zu verlieren. Die Regierung soll sich darob „berunruhigt“ zeigen. Dennoch rief er selbst im Nachhinein zu Ruhe und Besonnenheit auf, während der ihm relativ nahe stehende „Gelbwesten“-Prominente Eric Drouer – der 35jährige LKW-Fahrer aus dem östlichen Pariser Umland – in seiner draufgängerischen und verbalradikalen Art einen „beispiellosen Aufstand“ und „mit allen Mitteln“ ankündigte.

Ab dem 05. Februar zeichnet sich unterdessen eine wahrscheinlich interessant werdende Konstellation ab. Die Spitze des gewerkschaftlichen Dachverbands CGT hatte zunächst für dieses Datum zum Streik aufgerufen und einen allgemeinen Appell veröffentlicht. Allerdings glaubte sie wohl selbst nicht an einen durchschlagenden Erfolg – die Politik der CGT-Spitze besteht seit Dezember darin, zu Protestterminen unabhängig von den „Gelben Westen“ und parallel zu ihnen jedoch an anderen Daten aufzurufen, um zu versuchen, die soziale Energie auf ihre Art zu kanalisieren. Doch seitdem bezogen sich u.a. Eric Drouet - er nimmt dazu das Wort „Generalstreik“ in den Mund -, der radikale Linke und vormalige NPA-Sprecher Olivier Besancenot, der linkssozialdemokratische und linksnationalistische Ex-Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon auf diesen Aufruf und betonen, an dem Tag etwas Gemeinsames auf die Beine stellen zu wollen. In linksgewerkschaftlichen u.a. Milieus gewinnt dieser Aufruf an Breite.

Ein Flop wurde hingegen die faktische Pro-Regierungs-Demonstration der „Roten Schals“, die sich als Gegenbewegung – „für eine Rückkehr zur Vernunft“ – verstehen, am Sonntag mit real unter 2.000 Teilnehmern, trotz höherer Angaben aus dem Innenministerium, die unglaubwürdig sind.

Erstveröffentlicht in der Wochenzeitung Jungle World, Ausgabe vom 31. Januar 2019