B. Schmid: "Gelbwesten-Chronik"

„Gelbe Westen“-Protest:
Abflauen war gestern...

Bericht vom 07. Januar 2019

.... derzeit steht Wiederaufflammen auf der Tagesordnung. Regierungssprecher auf der Flucht…

Wie viele werden kommen, und wird es ein Abgesang werden? Diese Frage stellte sich ernsthaft am vergangenen Samstag (05. Januar 19), als in Paris und in anderen französischen Städten zum „Akt 8“ der Protestbewegung unter dem Symbol der mittlerweile berühmten „gelben Westen“ aufgerufen wurde.

Das Ergebnis sei vorweggenommen: Sofern ein Rückgang oder Abflauen zu verzeichnen schien, so war dies „vorher“ – aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Tatsächlich war die Teilnehmer/innen/zahl an den Protesten am 15. Dezember erstmals leicht rückläufig gegenüber den vorherigen Samstagen (24. November, 01. und 08. Dezember 18). Am 22. und 29. Dezember war dann ein starker Rückgang zu verzeichnen, nur noch rund 20.000 Menschen waren laut Zahlenangaben des französischen Innenministeriums unterwegs. Zu Sylvesternacht am 31.12.18 war ein Aufruf im Umlauf, an jenem Abend auf den Pariser Champs-Elysées – auf der Feiermeile – unter den Augen von Kameras aus dem In- und Ausland in gelben Westen aufzutreten und lautstark „Macron, Rücktritt!“ zu fordern. Dazu kamen jedoch letztendlich 200 Menschen (oder so viele kamen durch, vielleicht wurden einige weitere Menschen durch die Polizeikontrollen aufgehalten), die unter 250.000 Feiernden total untergingen.

Doch an diesem Samstag, den 05. Januar 19 sind nun wieder da, die Träger/innen von „gelben Westen“, oder auch von Alltagskleidung, die dennoch demonstrieren. In Paris etwa wälzt sich ein mehr oder minder ansehnlicher Demozug, der über zwanzig Minuten zum Vorbeiziehen braucht – schätzungsweise plus/minus fünftausend Menschen – ab 14 Uhr auf der zentralen, angekündigten Demoroute vom Rathaus bis zur französischen Nationalversammlung. Parallel dazu finden an manchen Orten in Frankreichs Hauptstadt Scharmützel zwischen kleineren Gruppen und „Sicherheitskräften“ statt. Ausweislich der mitgeführten Symbolik, sowie bekannter Gesichter, lässt sich der Pariser Demozug an diesem Samstag als überwiegend links geprägt (plus politisch unorganisiert) einschätzen. Einzelne CGT-Mitglieder laufen neben vielen Personen, die – zum ersten Mal seit Beginn der „Gelbwesten“-Bewegung – vereinheitlichte Aufkleber tragen. Ohne Organisationsbezeichnung, jedoch mit Aufschriften wie „Gleichheit“ oder „Revolte“.

Einige haben, von Hand und in leichten Abweichungen in der Formulierung, Aufschriften wie diese auf ihre Gelben Westen aufgetragen: Ni raciste, ni homophobe, ni antisémite – en colère, also: „Weder Rassist/in noch Homphob/er noch Antisemit/in – doch (sozial) in Wut“, oder auch dasselbe mit der Endung „…(nur) Gelbe Weste“. Dies ist auch eine Antwort auf die neueste Diskussion aus dem Regierungslager, die das (in der Sache leider unbestreitbare) Vorhandensein einer rechtsextremen Komponente im aktuellen Protest zu nutzen versucht, um den Protest insgesamt zu diskreditieren. Was die linken Kräfte im Übrigen zu einem Zwei-Fronten-Kampf zwingt, gegen die unbestreitbar zu bekämpfenden rechtsextremen Kräfte (auch in den Reihen der Protestierende) wie gegen das Regierungslager.

Bis zur Nationalversammlung kommt man natürlich nicht durch, vielmehr sind in deren Vorfeld starke Polizeikräfte zusammengezogen. Vorne steigt bereits Tränengasnebel auf, als der mittlere Teil der Demonstration noch mehrere Hundert Meter entfernt ist. Das Gros der Demonstration macht daraufhin kehrt, ein kleinerer Teil ergießt sich in Seitensträßchen – die in Richtung Boulevard Saint-Germain führen, was wiederum im weiteren Verlauf des Nachmittags zu einigen Scharmützeln in dieser Nobelgegend (mit ein paar brennenden Mofas) führen wird.

Frankreichweit spricht das Innenministerium am frühen Samstag Abend von insgesamt 50.000 Demonstrierenden. Unabhängig von der Richtigkeit der Angaben (in Frankreich sind ministerielle Zahlen meist untertrieben, Veranstalterangaben meistens aufgebläht)

Zur Rechten-Debatte

Im Mittelpunkt der oben erwähnten Debatte über die Präsenz von Rechten stand in den ersten Januartagen dieses Jahres der 35jährige LKW-Fahrer Eric Drouet, mittlerweile einer der bekanntesten Köpfe. Er verbreitete etwa im Frühsommer 2018 im Internet mehrfach einwanderungsfeindliche Kommentare.

Anfang Januar 19 entspann sich eine breite öffentliche Polemik um seine Positionen: Zunächst hatte der Linksnationalist und Linkssozialdemokrat Jean-Luc Mélenchon sich am 02. Januar positiv auf ihn bezogen und erklärt, von ihm (Drouet) „fasziniert“ zu sein. (Vgl. beispielsweise https://www.lci.fr/ei 2017 ein bekennender Wähler von Marine Le Pen „in beiden Durchgängen der Präsidentschaftswahl“ gewesen. Dies habe er mehrfach in den sozialen Medien gelesen, fügte er auf Nachfragen später hinzu. ( Vgl. https://www.lexpress.fr/ ) Allerdings dementierte Drouet alsbald, und zwei Tage später behauptete der Sender BFM TV, er habe 2017 angeblich vielmehr Mélenchon gewählt (vgl. auch https://www.lexpress.fr/actualite/) – was wiederum zutreffen mag oder auch nachträglich konstruiert sein kann, um nicht in eine „rechte Ecke“ gedrängt zu werden und/oder um sich für das öffentliche Lob Mélenchons zu revanchieren.

Unterdessen gehen Medienkommentare etwa beim liberalen Wochenmagazin L’Express davon aus, Aphathie habe Drouet und eine andere Sprecherfigur der Bewegung, den 31jährigen Leitarbeiter Maxime Nicolle alias „Fly Rider“, miteinander verwechselt. Was Nicolle betrifft, so ist auch dessen persönliches Wahlverhalten nicht bekannt, doch ist gesichert, dass er bei Facebook wiederholt Pressemitteilungen von Marine Le Pen mit einem „Like“-Kommentar versah. Maxime Nicolle trat auch wiederholt als Liebhaber von Verschwörungstheorien hervor; er verbreitete etwa nach dem jihadistischen Attentat von Strasbourg vom 11. Dezember 18 den (infolge von Kritik wieder gelöschten) Kommentar, es handele sich um eine „false flagg“-Aktion der Regierung. Überdies verbreitete er bei Facebook abstruse Ankündigungen von Plänen für einen „Dritten Weltkrieg“.

Neben Drouet und Nicolle zählt allerdings auch etwa die schwarze Karibikfranzösin Priscillia Ludosky, eine 39jährige Therapeutin, zu den bekannteren Gallionsfiguren der Protestbewegung. Sie war politisch zuvor ein unbeschriebenes Blatt, hat allerdings ein eher progressives und jedenfalls nicht rassistisches Profil. Aufgrund eines 14tägigen USA-Aufenthalts Anfang Dezember 18 verlor sie zwar zeitweilig de faco ihren Status als führende Exponentin der Bewegung, bei den Pariser Demonstrationen am 15. Dezember 18 (dort hielt sie vor auf dem Pariser Opernplatz eine Rede) und am 05. Januar 19 nahm sie jedoch eine zentrale Position ein.

An diesem Samstag, den 05. Januar d.J. traten Frau Ludoksy und Herr Nicolle bei der Abschlusskundgebung der Demo vor dem Pariser Rathaus gemeinsam auf, wobei Letzterer sich in der Sache darauf beschränkte, die Einführung von Referenden durch Bürger/innen/begehren oder RIC (référendum d’initiative citoyenne) zu fordern. In Teilen der Protestbewegung schien sich dieses Verlangen seit kurz vor Weihnachten 18 zum neuen „Patentrezept“ zu entwickeln, und da diese Forderung keinen Klassencharakter zu tragen scheint, freunden sich auch die rechteren Kräfte ganz gerne damit an. Auch die Regierung ist übrigens durchaus bereit, an dieser Stelle nachzugeben.

Die Darstellung der Proteste als insgesamt rechtsextrem geprägt – was so nicht zutrifft – entwickelte sich unterdessen, vor allem seit dem Jahreswechsel 2018/19, zum Argument für einen Teil der gesellschaftlichen Eliten (etwa in bürgerlichen Medien) und das Regierungslager, um die „Gelbe Westen“-Bewegung insgesamt zu diskreditieren. Ein weiterer, mit Bestimmtheit negativer Nebenaspekt dieser Polarisierungsstrategie besteht darin, dass die extreme Rechte dadurch in vieler Menschen Augen zur „wichtigen und für die Regierung gefährlichen Oppositionskraft“ aufgewertet wird.

Zum 18. Januar 19 rufen prominente Vertreter der außerparlamentarischen extremen Rechten wie der Berufs-Antisemit Alain Soral (Gründer der 2007 entstanden Gruppierung Egalité & réconciliation, „Gleichheit und Aussöhnung“), der bekannte Holocaustleugner Hervé Ryssen sowie Jérôme Borbon von der 1951 gegründeten alt- und neofaschistischen Wochenzeitung Rivarol zu einer Großveranstaltung in Paris unter dem Titel „Gelbe Westen: die kommende Revolution“ auf. Dabei handelt es sich um einen offenen Versuch des Andockens an die, und einer Vereinnahmung der Protestbewegung. Wie viel Aufmerksamkeit die Protagonisten damit ernten, musste bei Redaktionsschluss noch offen bleiben.

Eskalationsschübe

An mehreren wurden an diesem Samstag erneut Eskalationsschwellen überschritten, was die Regierung mutmaßlich überrascht hat.So kam es auf einer der Seinebrücken, die entlang der Strecke vom Pariser Rathaus zur Nationalversammlung liegen, zu Zusammenstößen mit dort konzentrierten Polizeikräften. Auf einer dieser Brücken prügelten zwar Polizisten auf jene, die dort den Fluss zu überqueren versuchten, ein, im selben Zeitraum schlug jedoch umgekehrt ein später nur als „der Boxer“ bezeichneter Mann einen (dabei zu Boden gehenden, und kurz darauf am Boden liegenden) Beamten. / Vgl. https://actu.orange.fr/l und https://actu.orange.fr/france/ / Was zunächst den Anwesenden wohl nicht klar war – es handelte sich tatsächlich um einen früheren Profiboxer, einen ehemaligen Frankreichmeister. Vgl. https://actu.orange.fr/societe/

Er musste zunächst, wegen Fehlverhaltens der Polizei bei seiner Festnahme, wieder freigelassen werden. Am Montag um die Mittagszeit wurde jedoch seine Verhaftung vermeldet… Vgl. https://www.lepoint.fr/

Aus dem südostfranzösischen Toulon wiederum kamen Bilder, auf denen man einen prügelnden Polizeioffizier sieht (vgl. bspw. http://www.lefigaro.fr) . Dieser versuchte sich zunächst damit zu rechtfertigen, dass er behauptete, auf den Bildern sei nicht die Gänze der Szene zu sehen – er habe einen Protestteilnehmer, der einen abgeschlagenen Flaschenhals als gefährliche Waffe bei sich geführt habe, in Schach halten müssen. ( Vgl. etwa https://www.varmatin.com/ oder https://actu.orange.fr/) Dies ist jedoch unbewiesen. Später stellte sich heraus, dass der fragliche Polizist bereits in jüngerer Vergangenheit wegen gewaltförmigen Fehlverhaltens im Dienst sanktioniert disziplinarrechtlich belangt worden ist; https://www.lexpress.fr . Dadurch sieht die Sache nicht besonders gut aus. Die IGPN (Dienstaufsicht, welche die Polizei kontrolliert) wurde diesbezüglich eingeschaltet.

Der amtierende Regierungssprecher und „Minister für Beziehungen zum Parlament“ (entspräche in Deutschland wohl ungefähr einem Kanzleramtsminister), Benjamin Griveaux, zeigte sich am Samstag Spätnachmittag auf der Flucht. 15 bis 20 „Gelbwest“träger hatten es geschafft, bis zu seinem Ministerium zu gelangen, nachdem Polizeikräfte wohl von dort abgezogen und andernorts eingesetzt worden waren. Dort klingelten sie an der Tür, ihnen wurde nicht geöffnet – doch dann holte einer der Beteiligten von einer nahe gelegenen Baustelle ein, einem Gabelstapler ähnelndes Baufahrzeug heran und drückte selbige Tür ein. Der Minister ließ es nicht auf eine Diskussion ankommen. ( Vgl. https://www.bfmtv.com oder https://actu.orange.fr/france/ )

Diese Aktion dürfte kaum von längerer Hand vorbereitet worden sein, zumal auf den Bildern sichtbar zu erkennen ist, dass die Mehrzahl der Beteiligten sich keine Mühe gibt, ihre Gesichter zu verhüllen oder unkenntlich zu machen. Vielmehr dürfte die sich bietende Gelegenheit spontan den Auslöser gegeben haben.

Aber zweifellos herrscht nun in Regierungskreisen eine gewisse Verunsicherung, zumal man dort wohl mit einem Abflauen der Protestbewegung gerechnet hatte.