B. Schmid: "Gelbwesten-Chronik"

„Gelbwesten“-Krise und extreme Rechte

Bericht vom 06. Januar 2019

Ein Symbol ging um die Welt: Das Tragen von gelben Warnjacken bei sozial oder ökonomisch motivierten Protesten wurde im Spätherbst 2018 nahezu weltweit beobachtet. Ob am 04. Dezember im irakischen Basra, bei Protesten für eine bessere Wasser- und Energieversorgung, ob am 18. Dezember im israelischen Tel Aviv bei einer Demonstration gegen Preissteigerungen, ob zwischenzeitlich in Brüssel und weiteren belgischen Städten oder beim Protest gegen eine als „Sklavengesetz“ bezeichnete Arbeitsrechtsnovelle in Ungarn – überall waren die gelben Jacken in Neonfarben präsent.

Auch in Deutschland übrigens, wo das Symbol allerdings frühzeitig durch die extreme Rechte vereinnahmt und zu Auftritten gegen den – am 10. Dezember 18 in Marrakesch unterzeichnen – „Pakt zur Migration“ der Vereinten Nationen benutzt wurde, wie etwa am 1. Dezember vor dem Brandenburger Tor. Eine Initiative der „Gelben Westen Dortmund“ versuchte dem allerdings mit progressiven Inhalten entgegenzusteuern. Eine Auseinandersetzung um den mit dem Protestzeichen zu verbindenden Sinngehalt (und damit auch um politische Hegemonie über die Bewegung), die auch in seinem Ausgangsland selbst, also in Frankreich, heftig geführt wurde und wird.

Erstmals vorgeschlagen wurde diese Bekleidung als Protestform tatsächlich ab Ende Oktober 2018 in Frankreich, wo es ab dem 17. November zu Verkehrsblockaden an Mautstellen, auf Autobahnzubringern und auf Kreiseln, aber auch zu wiederholten Straßendemonstrationen sowie zu Krawallen unter anderem im Pariser Zentrum kam. Bei Redaktionsschluss, Anfang Januar 19, war die Protestbewegung nicht abgeschlossen: Am 05. Januar d.J. gingen erneut Zehntausende in Paris und anderswo in Frankreich auf die Straße.

Doch worum ging es? Den Anlass zu Unmut und Protest bot eine damals angekündigte, inzwischen (jedenfalls für 2019) stornierte, Spritsteuer-Erhöhung. Diesel sollte um sechs und Benzin um drei Cent pro Liter stärker besteuert werden, und die Treibstoffsteuer sollte bis 2023 schrittweise weiter ansteigen. Offiziell wurde dies mit dem offiziell zum Regierungsprogramm gehörenden „ökologischen Umbau“ (transition écologique) - vor allem mit der Förderung der Elektromobilität,. Real waren von eingeplanten vier Milliarden Euro jedoch weniger als eine Milliarde für solche Maßnahmen eingeplant, der Rest schlicht zum Ausgleichen des Staatshaushalts. Als nicht einkommensprogressive Konsumsteuer gilt die Spritsteuer, wie andere unabhängig von den Einkünften erhobene Abgaben, als im Kern sozial ungerecht

Dagegen richtete sich ein doppelter Protest, insofern, als er aus zwei unterschiedlichen Milieus kam und kommt. Einerseits meldete sich ein generell steuerfeindlicher, in der Tradition der „Steuerrebellen“ unter Pierre Poujade – dessen Partei, die UDCA („Union zur Verteidigung der Geschäftsleute/Ladeneigentümer und Handwerker“) erlebte 1956 seinen Höhenflug – stehender Mittelständlerprotest zu Wort. Er steht gewiss nicht in einer progressiven Tradition. Als jüngster Abgeordneter der UDCA zog bei den Parlamentswahlen vom 02. Januar 1956 übrigens ein gewisser Jean-Marie Le Pen, damals 27jährig, in die französische Nationalversammlung ein.

Auf der anderen Seite wies die im Herbst 2018 entstandene Protestbewegung eine stärker „sozial“ geprägte Komponente auf, deren Protagonisten stärker auf höheren Einkommen und mehr „Steuergerechtigkeit“, statt auf der generellen Infragestellung von Besteuerung, beharrten und auch nicht unbedingt den motorisierten Individualverkehr unkritisch verteidigten wie die reaktionäreren Kräfte.

Dieser Doppelcharakter drückt sich darin aus, wie sich unterschiedliche Teile der französischen Wählerschaft zu dem Protest stellten. In einer Umfrage, die am 30. November 18 publiziert wurde, zeigte dieser sich am stärksten in zwei unterschiedlichen Wählergruppen verankert: Deutliche Unterstützung zeigten auf der einen Seite 68 Prozent der Wählerschaft des rechtsextremen Rassemblement national (RN, diesen Namen trägt seit dem 1. Juni 2018 der frühere Front national) und 65 Prozent der Wählerschaft des rechtsbürgerlichen, EU-feindlichen Nationalisten Nicolas Dupont-Aignan und seiner Kleinpartei Debout la France (DLF, Ungefähr: „Stehe auf, Frankreich“). Auf der anderen Seite äußerten 45 Prozent der Wählerinnen und Wähler des Linkssozialisten und Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon ihre aktive Unterstützung. Unter mehreren möglichen Antworten stellte „Unterstützung“ dabei – neben „Verständnis“ und „Sympathie“ – die stärkste mögliche positive Antwort dar. (Insgesamt vereinigten die positiven Antworten, von Verständnis bis Sympathie, über siebzig Prozent der Antworten auf sich.)

Tatsächlich waren Marine Le Pen, die Chefin des RN, und Nicolas Dupont-Aignan auch diejenigen SpitzenpolitikerInnen, die als erste, nämlich bereits ab der vorletzten Oktoberwoche 18, lautstark ihre Unterstützung für die – damals erstmals im Internet und bei Facebook angekündigten – Verkehrsblockaden ab dem 17. November hervorhoben. Erst in einer späteren Phase, ab Anfang November, verkündeten auch andere Berufspolitiker wie der Konservative Laurent Wauquiez (Les Républicains, LR) und Jean-Luc Mélenchon als Chef der Wahlplattform La France insoumise (LFI, „Das unbeugsame Frankreich“) ihre Absicht, sich zum Protest hinzuzugesellen.

Zwar achteten Parteien wie der RN und DLF darauf, dass sie sich keine plumpe „Vereinnahmung“ (récupération) der Protestbewegung vorwerfen lassen mussten, wofür politische Parteien oft kritisiert werden. Deswegen verzichteten ihre Aktivisten darauf, mit Parteiabzeichen oder -fahnen erkennbar aufzutreten. De facto jedoch waren beide vor allem in der Anfangsphase der Bewegung deutlich vertreten. Als es etwa am ersten landesweiten Protesttag – dem 17. November 18 – in Etaples-sur-Mer (am Ärmelkanal) zu einem Auffahrunfall mit einem PKW an einem Verkehrsblockadepunkt kam, bei dem ein örtlich bekannter Kommunalparlamentarier verletzt wurde, stellte sich heraus, dass es sich um einen Mandatsträger des RN handelte, Francis Leroy. Als Parteifunktionär bei Debout la France (DLF) aktiv ist wiederum ist Frank Buhler, der Ende Oktober sowie nach dem 17. November 18 zwei der mobilisierungsträchtigsten Videos rund um die Bewegung bei den sozialen Medien verbreitete. Besonders pikant ist, dass Buhler zuvor die Mitgliedsrechte beim damaligen Front National (auf Zeit) entzogen worden waren, nachdem er rassistische Witze bei Facebook veröffentlicht hatte, welche die Partei als kontraproduktiv bewertet hatte.

Zu einem späteren Zeitpunkt und an anderen Orten waren jedoch faktisch auch eher linke Kräfte vertreten. Die extreme Rechte in Frankreich macht nicht die Substanz der Protestbewegung als solcher aus und initiierte sie auch nicht (- anders als etwa manche „Gelbe Westen“-Kollektive in Ostdeutschland, die von vornherein von Rechtsextremen gegründet wurden). Doch sie hängt sich an die Proteste an und versucht darüber Politik zu machen.

Aus diesem faktischen politischen Crossover-Phänomen resultierte auch die anfänglich sehr erhebliche Skepsis der französischen Gewerkschaften. Doch im Laufe der Wochen trat dann eine gewisse Änderung ein, da sich vor allem auf regionaler Ebene viele gewerkschaftliche Strukturen – etwa Kreisverbände der CGT – in die Proteste vor Ort einklinkten.

Bis zum Schluss wies die Protestbewegung jedoch beide Facetten auf. An militanten Auseinandersetzungen mit der Polizei sowie Ausschreitungen, wie sie mehrfach - am stärksten am 01. und 08. Dezember - im Zentrum von Paris stattfanden, beteiligten sich sowohl militante Faschisten aus außerparlamentarischen rechtsextremen Gruppen, etwa dem Bastion Social (hervorgegangen aus dem GUD – Groupe Union Défense, einer 1969 gegründeten, ursprünglich studentischen militanten Gruppe), und Monarchisten der traditionsreichen Gruppierung Action française als auch Angehörige autonomer und anarchistischer Strömungen. Beide Spektren arbeiteten keineswegs zusammen, sondern wurden parallel zueinander ohne jegliche Absprache oder Koordination aktiv; Linksradikale attackierten darüber hinaus am 1. Dezember den rechtsextremen Kader Yvan Benedetti innerhalb einer Demonstration und warfen ihn zu Boden. Hinzu kamen Gelegenheitsrandalierer und Plünderer, die oft zum ersten Mal im Leben an einer Demonstration teilnahmen, sich vom Aktionsfieber anstecken ließen und dann erwischen ließen. Anlässlich der Eilprozesse, die etwa am 03. und 10. Dezember in Paris gegen Teilnehmer an Plünderungen stattfanden, waren vor allem Angehörige der letztgenannten Gruppe vertreten.

Ab dem 26. November 18 verlieh die „Gelbe Westen“-Bewegung sich ein offizielles Sprecherkollektiv aus acht Personen sowie einen Forderungskatalog aus 42 Punkten, der sozial progressive sowie steuerfeindliche, auch im Sinne von Unternehmen ausfallende Forderungen miteinander vermischt und vermengt. Von den acht Personen – deren Legitimität, für die Protestbewegung zu sprechen, vor allem in West- und Südfrankreich schnell in Frage gestellt wurde – hat die Mehrheit einen eher rechten denn progressiven Vorlauf.

Der 35jährige LKW-Fahrer Eric Drouet, mittlerweile einer der bekanntesten Köpfe, verbreitete etwa im Frühsommer 2018 im Internet mehrfach einwanderungsfeindliche Kommentare. Anfang Januar 19 entspann sich eine breite öffentliche Polemik um seine Positionen: Zunächst hatte der Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon sich am 02. Januar positiv auf ihn bezogen und erklärt, von ihm (Drouet) „fasziniert“ zu sein. Daraufhin behauptete der bürgerliche Fernseh-Starjournalist Jean-Michel Aphatie, Eric Drouet sei 2017 ein bekennender Wähler von Marine Le Pen „in beiden Durchgängen der Präsidentschaftswahl“ gewesen. Dies habe er mehrfach in den sozialen Medien gelesen, fügte er auf Nachfragen später hinzu. Allerdings dementierte Drouet alsbald, und zwei Tage später behauptete der Sender BFM TV, er habe vielmehr Mélenchon gewählt – was zutreffen mag oder auch nachträglich konstruiert sein kann, um nicht in eine „rechte Ecke“ gedrängt zu werden und/oder um sich für das öffentliche Lob Mélenchons zu revanchieren. Unterdessen gehen Medienkommentare etwa beim liberalen Wochenmagazin L’Express davon aus, Aphathie habe Drouet und eine andere Sprecherfigur der Bewegung, den 31jährigen Leitarbeiter Maxime Nicolle alias „Fly Rider“, miteinander verwechselt. Was Nicolle betrifft, so ist auch dessen persönliches Wahlverhalten nicht bekannt, doch ist gesichert, dass er bei Facebook wiederholt Pressemitteilungen von Marine Le Pen mit einem „Like“-Kommentar versah. Maxime Nicolle trat auch wiederholt als Liebhaber von Verschwörungstheorien hervor; er verbreitete etwa nach dem jihadistischen Attentat von Strasbourg vom 11. Dezember 18 den (infolge von Kritik wieder gelöschten) Kommentar, es handele sich um eine „false flagg“-Aktion der Regierung. Überdies verbreitete er bei Facebook abstruse Ankündigungen von Plänen für einen „Dritten Weltkrieg“.

Neben Drouet und Nicolle zählt allerdings auch etwa die schwarze Karibikfranzösin Priscillia Ludosky, eine 39jährige Therapeutin, zu den bekannteren Gallionsfiguren der Protestbewegung. Sie war politisch zuvor ein unbeschriebenes Blatt, hat allerdings ein eher progressives und jedenfalls nicht rassistisches Profil. Aufgrund eines 14tägigen USA-Aufenthalts Anfang Dezember 18 verlor sie zwar zeitweilig de faco ihren Status als führende Exponentin der Bewegung, bei den Pariser Demonstrationen am 15. Dezember 18 (dort hielt sie vor auf dem Pariser Opernplatz eine Rede) und am 05. Januar 19 nahm sie jedoch eine zentrale Position ein.

Die Darstellung der Proteste als insgesamt rechtsextrem geprägt – was so nicht zutrifft – entwickelte sich unterdessen, vor allem seit dem Jahreswechsel 2018/19, zum Argument für einen Teil der gesellschaftlichen Eliten (etwa in bürgerlichen Medien) und das Regierungslager, um die „Gelbe Westen“-Bewegung insgesamt zu diskreditieren. Ein weiterer, mit Bestimmtheit negativer Nebenaspekt dieser Polarisierungsstrategie besteht darin, dass die extreme Rechte dadurch in vieler Menschen Augen zur „wichtigen und für die Regierung gefährlichen Oppositionskraft“ aufgewertet wird.

Zum 18. Januar 19 rufen prominente Vertreter der außerparlamentarischen extremen Rechten wie der Berufs-Antisemit Alain Soral (Gründer der 2007 entstanden Gruppierung Egalité & réconciliation, „Gleichheit und Aussöhnung“), der bekannte Holocaustleugner Hervé Ryssen sowie Jérôme Borbon von der 1951 gegründeten alt- und neofaschistischen Wochenzeitung Rivarol zu einer Großveranstaltung in Paris unter dem Titel „Gelbe Westen: die kommende Revolution“ auf. Dabei handelt es sich um einen offenen Versuch des Andockens an die, und einer Vereinnahmung der Protestbewegung. Wie viel Aufmerksamkeit die Protagonisten damit ernten, musste bei Redaktionsschluss noch offen bleiben.

Erstveröffentlicht  für die Antifa-Zeitschrift (NRW & Hessen) Lotta am 06. Januar 2019