zurück Septemberstreiks 1969
Materialsammlung zu den Filmveranstaltungen im September 2009
 

Die Chronologie der Streiks
zusammengestellt von Eberhard Schmidt
 
Der erste Tag: 2. September 1969 (Dienstag)

Neun Uhr morgens. 3000 Hüttenarbeiter des Hoesch-Werks Westfalenhütte verlassen gemeinsam ihre Arbeitsplätze und ziehen vor das Verwaltungsgebäude. Sie verlangen eine Lohnerhöhung von 30 Pfennig pro Stunde, nachdem die Werkleitung die Forderung der Betriebsräte auf 20 Pfennig abgelehnt und nur 15 geboten hat. Die demonstrierenden Arbeiter besetzen Treppen und Flure des Hauptgebäudes. Der Aufsichtsratsvorsitzende, Dr. Willy Ochel, und der Vorstandsvorsitzende, Dr. Friedrich Harders, können das Gebäude nicht mehr durch den Vorderausgang verlassen. Betriebsrat, Arbeitsdirektor und Vorstand verhandeln. Draußen wechseln die Sprechchöre: »Ausbeuter« und »Alle Räder stehen still, wenn der Arbeiter es will.«

Die Chronik ist zusammengestellt nach den Berichten aller in Frage kommenden lokalen Zeitungen und Angaben in der Dokumentation des IMSF, Die Septemberstreiks, S. 54 ff.
In dieser Chronik kaum berücksichtigt sind die zahlreichen Streiks in der Metall verarbeitenden Industrie, die im Gefolge der Streikbewegung bei Eisen und Stahl zustande kamen und von dieser Bewegung zweifellos mitbeeinflußt waren.

Mittags sprechen Hoesch-Arbeitsdirektor Walter Hölkeskamp und der Betriebsratsvorsitzende Albert Pfeiffer von einer Empore des Hauptgebäudes zu den Streikenden. Sie erläutern noch einmal die Verhandlungsvorschläge. Die Direktion bietet nun 20 Pfennig an; vergeblich, die Arbeiter bleiben hart. Der Betriebsrat zieht sich zur Beratung zurück. Nach langen Diskussionen stellt er sich schließlich hinter die 3o-Pfennig-For-derung der Arbeiter und will diesen Beschluß dem Vorstand mitteilen. Dieser hat das Gebäude freilich inzwischen durch einen Hinterausgang verlassen. Eine Entscheidung ist an diesem Nachmittag nicht mehr zu erreichen. Die Arbeiter, verstärkt durch die Mittagsschicht, weichen nicht. Ein Lautsprecherwagen wird zum Diskussionszentrum. Als ein Student antigewerkschaftliche Parolen verbreitet, wird ihm das Mikrophon entzogen. Die Arbeiter sind der Meinung: wir sind die Gewerkschaft. (Die Westfalenhütte ist zu fast 100 %  in der IG Metall organisiert.) Überredungsversuche von Arbeitsdirekter Hölkeskamp, die Arbeiter sollten den Betriebsrat mit der Vertretung der 30-Pfennig-Forderung beauftragen und wieder an die Arbeitsplätze gehen, scheitern. Die Arbeiter sind mißtrauisch. Sie wollen warten, bis sie feste Zusicherungen haben. Und viele warten die ganze Nacht hindurch. Die Nachtschicht hat sich dem Streik angeschlossen. In den Abendstunden dehnt sich der Streik auch auf andere Betriebsteile der Hoesch-AG aus. Die Betriebsräte der Werke Phönix und Union, die zunächst dem 15-Pfennig-Kompromiß zugestimmt hatten, verlangen nun ebenfalls 30 Pfennig. Am späten Abend sind bereits über 15000 Arbeiter im Ausstand; Hunderte schlafen auf dem Rasen vor dem Verwaltungsgebäude.

Der zweite Tag: 3. September 1969 (Mittwoch)

Am Morgen läßt sich Vorstandsvorsitzender Dr. Harders im Werk nicht blicken. Die restlichen Stahlschmelzer der Werke Phönix und Union haben sich dem Streik angeschlossen. Auch! sie marschieren zur Hauptverwaltung. Nun sind 27000 im Ausstand. Gegen zehn Uhr vormittags brechen die Tausendel vor dem Verwaltungsgebäude auf und beginnen eine Demonstration durch die Dortmunder Innenstadt. Einen Kilometer lang ist der Zug. Sieben, acht, neun Mann in einer Reihe, ziehen sie vom Dortmunder Norden in die Stadtmitte. Straßenschilder werden mit der Zahl »30« übermalt. Die Polizei hält sich zurück. Anderthalb Stunden später sind die Arbeiter wieder vor dem Hauptgebäude angekommen und warten weiter. Seit 11.00 Uhr verhandeln an einem geheim gehaltenen Ort die Betriebsräte mit der Werkleitung. Schließlich gegen 13.30 Uhr bahnt sich der Betriebsratsvorsitzende Albert Pfeiffer einen Weg durch die Menge zum Lautsprecherwagen und verkündet das Verhandlungsergebnis: die 30 Pfennig sind durchgesetzt, keine Anrechnung auf künftige Lohnerhöhungen. Die Streiktage werden bezahlt. Die Begeisterung ist groß. Die Arbeiter schlagen sich gegenseitig vor Freude auf die Schultern und singen: »So ein Tag, so wunderschön wie heute . . .« Gegen 14 Uhr wird nach 30 Stunden Streik die Arbeit wieder aufgenommen. Der Produktionsausfall wird vom Werk mit 40000 Tonnen Stahl angegeben. Die Nachricht von dem Erfolg der Hoesch-Arbeiter verbreitet sich rasch im Ruhrgebiet. Am Mittwochnachmittag kommt es in der Rheinstahl-Gießerei Meiderich in Duisburg zu einem zweistündigen Streik in der Reparaturabteilung. Die Handwerker, der endlos andauernden Verhandlungen über die Lohnangleichung müde, haben begriffen, daß man auf andere Weise schneller zum Ziel kommen kann. Die Unruhe greift aber auch schon auf das Saargebiet über. Walzwerker der Neunkircher Eisenwerke sammeln Unterschriften für eine Lohnerhöhung über 50 Pfennig und entsenden Delegierte zum Vorstand des Unternehmens.

Der dritte Tag: 4. September 1969 (Donnerstag)

Die Belegschaft der Rheinstahl-Gießerei in Meiderich, 1300 Arbeiter, legt geschlossen die Arbeit nieder und fordert 30 Pfennig Lohnerhöhung. »Was Dortmund kann, kann Meiderich schon lange«, lautet die Parole. Der Betriebsratsvorsitzende, Heinz Lukrawka, ein Kommunist, vertritt die Forderung der Belegschaft gegenüber der Werkleitung in Mülheim. Die Arbeiter haben auch hier ihren Betrieb »besetzt«; sie warten vor dem Verwaltungsgebäude auf Ergebnisse. Gegen Mittag erscheint der Arbeitsdirektor Gerhard Hagener und bietet 20 Pfennig plus 10 Pfennig, anrechenbar auf die nächste Tariflohnerhöhung, an. Aber es stellt sich heraus, daß er einen Alleingang unternommen hat. Der Vorstand von Rheinstahl ist zu derartigen Zugeständnissen nicht bereit; er bietet lediglich eine Prämie von je 30,- DM für August und September an. Die Arbeiter pfeifen den Arbeitsdirektor aus, als er diesen Vorschlag vorträgt; der Betriebsratsvorsitzende hatte sich geweigert, das Angebot vor der Belegschaft zu vertreten. Die Mittags- und Nachtschicht in Meiderich nimmt unter diesen Bedingungen die Arbeit nicht wieder auf. Die Arbeiter halten die Werktore besetzt und erscheinen in Arbeitskleidung im Werk, ohne zu arbeiten.

Im Rheinstahlbereich hat sich unterdessen die Nachricht vom Meidericher Streik herumgesprochen. Am Nachmittag kommt es zu ersten Diskussionen und Arbeitsniederlegungen im Rheinstahl-Werk Mülheim, der Friedrich-Wilhelmshütte. Die Gießereiarbeiter machen den Anfang. Diskussionen zwischen Arbeitern und Betriebsratsmitgliedern finden verstärkt auch in anderen Unternehmen statt, so bei Mannesmann in Huckingen, wo die Nachtschicht aber noch ruhig an die Arbeit geht. Dagegen ist im Saargebiet bei den Neunkircher Eisenwerken der Streik bereits zum Ausbruch gekommen. Um 11 Uhr haben die Walzwerker im Walzwerk Süd die Walzstraßen stillgelegt und sind vor das Verwaltungsgebäude gezogen, wo Betriebsrat und Werkleitung seit dem frühen Morgen verhandeln. Die Arbeiter fordern 50 Pfennig Erhöhung. Der Vorstand bietet 15 Pfennig an. Daraufhin ziehen starke Gruppen von Arbeitern durch das Werkgelände und fordern andere Abteilungen zur Arbeitsniederlegung auf. Am Abend steht das ganze Werk still. Die Belegschaft versammelt sich in immer größerer Zahl vor dem Verwaltungsgebäude und beginnt, weitere Aktionen zu beraten. Die Roheisenbahn wird blockiert, und die beiden Stahlwerke werden besetzt, um den Abstich zu verhindern. Schließlich stellt man ein Ultimatum: Um Mitternacht werde das Verwaltungsgebäude gestürmt, falls kein positives Ergebnis vorliege. Die Androhung wird wahrgemacht und der Vorstand gezwungen, Rede und Antwort zu stehen. Die Nacht hindurch warten viele Belegschaftsmitglieder im Betrieb auf weitere Verhandlungsergebnisse.

Der vierte Tag: 5. September 1969 (Freitag)

An diesem Tag erreicht die Streikbewegung einen neuen Höhepunkt. Über 40000 Arbeiter befinden sich im Ausstand.

Im Rheinstahlbereich greift die Unruhe weiter um sich. Die 1300 Arbeiter in der Meidericher Gießerei in Duisburg haben die Arbeit nicht wieder aufgenommen. Die Ankündigung einer generellen Erhöhung der Löhne ab 1. September (ohne konkrete Zahlen) reicht nicht aus, um die Arbeiter zu bewegen, den Streik abzubrechen. Mit großer Befriedigung haben sie am Morgen zur Kenntnis genommen, daß auch die Arbeiter im Rheinstahlwerk Mülheim und beim Schalker Verein in Gelsenkirchen die Arbeit niedergelegt haben. Der Werkschutz hat inzwischen das gesamte Gelände abgeriegelt. Die Arbeiter drohen mit größeren Demonstrationen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Unterdessen wird in Düsseldorf auf höchster Konzernebene verhandelt.

Beim Schalker Verein in Gelsenkirchen verlangen die Arbeiter, die nach der Frühstückspause nicht mehr an ihre Arbeitsplätze zurückgegangen sind, 50 Pfennig Lohnerhöhung. Die Mittagsschicht solidarisiert sich. Eine Demonstration führt über das Werkgelände und durch einen nahe gelegenen Ortsteil. Die Besetzung des Betriebes wird aufrechterhalten. Vor dem Tor sitzen die Arbeiter mit ihren weißen Schutzhelmen und skandieren: »50 Pfennig, 50 Pfennig«. Die Streikenden lassen sich weder vom Arbeitsdirektor noch vom örtlichen Gewerkschaftsvorsitzenden zur Arbeitsaufnahme überreden. Am Abend beschließen die Arbeiter, noch am folgenden Tag eine Demonstration zur überraschend einberufenen Sitzung der Großen Tarifkommission der IG Metall in Gelsenkirchen zu organisieren. Auch die Nachtschicht weigert sich, die Arbeit wieder aufzunehmen.

Zur Arbeitsaufnahme, ohne daß greifbare Zusagen ausgehandelt worden sind, kommt es dagegen am Nachmittag in der Friedrich-Wilhelmshütte von Rheinstahl in Mülheim. Die Ankündigung der bevorstehenden Tarifverhandlungen zwischen IG Metall und dem Arbeitgeberverband Eisen und Stahl zusammen mit der Drohung der Stilllegung oder jedenfalls weitgehender Rationalisierungsmaßnahmen bewirken Resignation unter den Vertrauensleuten und der Belegschaft. Die Arbeit wird nach längerer Diskussion wieder aufgenommen in dem Gefühl, von Betriebsrat und Gewerkschaft im Stich gelassen worden zu sein. Man fürchtet um die Arbeitsplätze.

Ganz im Gegensatz dazu entwickelt sich die Kampfbereitschaft der Arbeiter bei den Mannesmann-Werken in Huckingen und Großenbaum (Hahnsche Werke). 500 Stahlwerker riegeln am Freitagmorgen das Haupttor ab und beschließen, eine Lohnerhöhung von 30 Pfennig zu fordern, dazu die Bezahlung der Streikstunden und lohnregulierende Maßnahmen. »Wir bleiben, bis sie uns konkret etwas auf die Hand legen können«, heißt die Parole. Allmählich solidarisieren sich die einzelnen Abteilungen. Gegen Mittag muß der Betriebsratsvorsitzende bekannt geben, daß nun die gesamte Produktion stillsteht. Werkvorstand und Betriebsrat verhandeln ununterbrochen. Bei Schichtwechsel am Mittag ist noch nichts Neues bekannt, also lassen die Arbeiter niemanden ins Werk hinein oder heraus. Als gegen Abend immer noch kein Ergebnis vorliegt, wächst die Empörung. Radikale Sprechchöre und die Blockierung der Hauptverwaltung veranlassen den Werkdirektor, um Polizeischutz zu bitten. Die Nachricht von einer zwischen IG Metall und Arbeitgeberverband vereinbarten Lohnerhöhung ab 1. September durch einen neuen Tarifvertrag vermag die Nachtschicht nicht zur Arbeitsaufnahme zu bewegen.

Bei den Neunkircher Eisenwerken hat sich der Streik inzwischen auf den Zweigbetrieb in Homburg ausgedehnt. Spontan organisieren die Arbeiter einen Demonstrationszug durch die Stadt, an dem rund 2000 Streikende teilnehmen. Dem Zug wird eine rote Fahne vorangetragen. Sprechchöre verlangen vom Vorstandsvorsitzenden Schluppkotten: »Schluppes, Schluppes, wann kriegen wir unser Mubbes?« Die Forderung von 50 Pfennig wird aufrechterhalten, vor allem nachdem bekannt wird, daß der IG Metall-Bezirksleiter Pleitgen bereits Verhandlungen mit dem Arbeitgeberverband der saarländischen Eisen- und Stahlindustrie führt. Der Betriebsrat hatte mittags beschlossen, den Verhandlungsraum nicht mehr zu betreten, falls nicht akzeptable Vorschläge gemacht würden.

Am Freitag beginnt auch der Streik in der Klöckner-Hütte in Bremen. Schon während der Nachtschicht gibt es den ersten Warnstreik im Walzwerk, bei dem der als unternehmerhörig bekannte Arbeitsdirektor Düßmann vergeblich zu beschwichtigen sucht. Seit Monaten waren Verhandlungen über die Erhöhung der betrieblichen Zulagen verzögert worden. Nun greifen die Arbeiter zur Selbsthilfe. Um 9 Uhr morgens steht der gesamte Betrieb still. Die Arbeiter ziehen vor das Verwaltungsgebäude und fordern 70 Pfennig Lohnerhöhung. Die Werkleitung hatte 30 Pfennig angeboten, ohne damit Eindruck auf die Arbeiter machen zu können. Nun unterbricht sie die Verhandlungen, um die Konzernleitung in Duisburg zu Rate zu ziehen. Die Arbeiter organisieren Streikposten und einen Notdienst. Auf Aufforderungen, die Tore zu öffnen, reagieren sie mit Gelächter. Am Abend befinden sich 6000 Klöckner-Arbeiter im Streik. Die Werkleitung hat im letzten Augenblick noch den großen Mischer im LD-Stahlwerk füllen lassen.

Im kleineren Klöckner-Stahlwerk in Osnabrück und der zugehörigen Georgsinarienhütte haben die Arbeiter im Laufe des Tages von der Arbeitsniederlegung in Bremen erfahren. Gegen 18 Uhr schließen sie sich den Forderungen an und treten ebenfalls in Streik.

In einigen Betrieben der metallverarbeitenden Industrie haben die Beispiele von Hoesch und Meiderich Folgen gezeitigt. Bei den Krupp-Widia-Werken in Essen, im AEG-Reparaturwerk in Mülheim und bei der Heidelberger Druckmaschinen-AG in Geislingen besinnt man sich wieder auf die eigene Kraft, um betriebliche Konflikte zu lösen. Die erste Zeche, die sich der Streikwelle anschließt, ist die Zeche Ewald in Oer-Erkenschwick, wo 250 Kumpel einen dreistündigen Warnstreik veranstalten.

Der fünfte Tag: 6. September 1969 (Sonnabend)

Am Sonnabend scheint sich die Lage etwas zu beruhigen. Zwar befinden sich die meisten Belegschaften, die am Freitag gestreikt haben, noch im Ausstand, aber die Bewegung weitet sich am arbeitsfreien Sonnabend nicht mehr aus. Der Tag ist gekennzeichnet durch Verhandlungen zwischen den Betriebsräten und den Vorständen. Die IG Metall hat ihre Große Tarifkommission Eisen und Stahl nach Gelsenkirchen einberufen. Es soll darüber entschieden werden, ob der Arbeitgeberverband zur sofortigen Aufnahme von Tarifverhandlungen aufgefordert wird. Tatsächlich hatte schon am Freitag ein Gespräch zwischen Vertretern des Vorstandes der IG Metall, den nordrhein-westfälischen Bezirksleitern und Vertretern des Arbeitgeberverbandes in Düsseldorf stattgefunden. Man erzielte Einigkeit über eine Lohn- und Gehaltserhöhung, die rückwirkend ab 1. September gezahlt werden soll. Verhandlungen über die Lohnhöhe sollten sobald als möglich stattfinden. Mit diesem raschen Entschluß will man einer Ausweitung der wilden Streiks, die beide Seiten beendet wissen wollen, vorbeugen.

4000 Arbeiter des Mannesmann-Werkes in Huckingen warnen an diesem Tag die Große Tarifkommission mit einem Protestmarsch durch die Duisburger Innenstadt, weniger als 14% Lohnerhöhung zu fordern. 2000 Arbeiter des Schalker Vereins machen ihre Ankündigung wahr und ziehen durch die Gelsenkirchner Innenstadt zum Tagungsort der Tarifkommission. Dort vertreten sie ihre Forderungen: 50 Pfennig nicht anrechenbare innerbetriebliche Lohnerhöhung und eine Tariflohnerhöhung von 12-16 Prozent. Die Diskussion in der Tarifkommission ergibt Einigkeit. Allgemein spricht man sich unter dem Druck der Forderungen der Streikenden für eine 14pro-zentige Forderung aus. Im Protokoll der Sitzung heißt es, daß diese 14% real verwirklicht werden müßten. Die Bereitschaft zu streiken, um diese Forderungen durchzusetzen, sei vorhanden.

Die Verhandlungen innerhalb der Konzerne führen zu ersten Ergebnissen. Bei Mannesmann einigt man sich Sonnabendnacht nach der Sitzung der Großen Tarifkommission mit dem Betriebsrat auf eine Vorauszahlung auf die zu erwartende Lohn- und Gehaltserhöhung von 50 DM, die sofort ausgezahlt werden sollen. Daraufhin nimmt die Belegschaft bereits am Sonntagfrüh die Arbeit wieder auf. Eine tariflohnunabhängige Erhöhung wird nicht durchgesetzt.

Die Streiks bei Klöckner in Bremen und Osnabrück dauern dagegen an, ebenso die in den Neukircher Eisenwerken. Dort lehnt die Belegschaft das Verhandlungsergebnis zwischen IG Metall-Bezirksleitung und Arbeitgeberverband in Höhe von 30 Pfennig im Vorgriff auf die Tariferhöhung mit Mehrheit ab.

Im saarländischen Steinkohlenbergbau beginnen die ersten Streiks. 200 von 300 Arbeitern der Mittagsschicht der Zeche Luisenthal weigern sich einzufahren und verlangen, ohne genaue Zahlen zu nennen, ebenfalls Lohnerhöhungen.

Der sechste Tag: 7. September 1969 (Sonntag)

Am Sonntag scheint sich die Lage an einigen Orten weiter zu entspannen. Im Rheinstahlbereich bietet die Direktion nun 50 DM innerbetriebliche Vorauszahlung an. Die Vertrauensleute im Schalker Verein und in der Meidericher Gießerei sind nach längerer Diskussion einverstanden; allerdings fordern sie noch die Bezahlung der Streikausfallschichten. Die Aufnahme der Arbeit für Montag wird in Aussicht genommen. Verschärft hat sich die Lage nur bei der Saarzeche Luisenthal, die nun vollständig durch Streik stillgelegt ist.

Die Verlagerung der Konfliktregelung von der betrieblichen auf die überbetriebliche Ebene nimmt den Streikenden vielerorts den Wind aus den Segeln. Ihre betrieblichen Forderungen sollen mit den kommenden Tariflohnerhöhungen verrechnet werden. Die Arbeitgeber können jetzt radikalere Forderungen mit dem Hinweis auf diese Tarifverhandlungen, die abgewartet werden müßten, abwehren. Dennoch tritt der erhoffte Erfolg nicht in dem gewünschten Maße ein.

Der siebte Tag: 8. September 1969 (Montag)

An diesem Tag flammt die Streikbewegung an vielen Orten wieder auf oder beginnt erst neu. Im Rheinstahlbereich kehrt keine Ruhe ein. Der Kompromißvorschlag für den Schalker Verein wird von der Konzernleitung nicht gebilligt. Man glaubt, nun, da Tarifverhandlungen unmittelbar bevorstehen, keine Zugeständnisse mehr machen zu müssen. Daraufhin legt ein Teil der Beschäftigten in Gelsenkirchen die Arbeit sofort wieder nieder. Gleichzeitig tritt die 2000 Mann starke Belegschaft des Gußstahlwerks Gelsenkirchen, ebenfalls eine Rheinstahltochter, in den Streik. In Meiderich wird nur unregelmäßig gearbeitet. Die Arbeiter diskutieren die Situation. Als die Nachrichten von der erneuten Arbeitsniederlegung beim Schalker Verein eintreffen, spitzt sich die Lage zu, aber es kommt nicht mehr zu einer geschlossenen Arbeitsniederlegung. Dagegen streiken nun die 1300 Arbeiter des Rheinstahlwerks in Brackwede. Die Belegschaft will die schon in den anderen Werken angebotenen 50 DM Vorschuß nicht akzeptieren. Man fordert 30 Pfennig effektive Stundenlohnerhöhung. Die Stimmung ist gereizt. Ein Arbeiter erklärt: »Entweder wir kämpfen oder wir lassen uns weiter über die Ohren hauen. Ich bin für das erstere.« Auch hier besetzen die Arbeiter das Werkgelände, geraten aber in Konflikt mit den Angestellten, die sich nicht solidarisch verhalten.

Weiter gestreikt wird auch in der Klöckner-Hütte in Bremen. Hier hat sich die Situation nicht entspannt, da die Streikenden nicht bereit sind, den auf Weisung der Direktion noch in letzter Minute gefüllten Mischer zu leeren. Die Direktion läßt in der Öffentlichkeit laufend Meldungen verbreiten, daß der Mischer in Gefahr sei zu erkalten und ein Millionenverlust drohe. Die Streikenden sind anderer Auffassung. Sie halten die Agitation der Werkleitung mit dem Mischer für Erpressung. Das seit längerem gespannte Verhältnis zwischen der IG Metall und dem Betriebsrat, der die Interessen der Streikenden vertritt, verschärft den Konflikt zusehends. Die Streikenden halten ihre 7o-Pfennig-Forderung nach wie vor aufrecht. Während die Osnabrücker Stahlwerker das Ergebnis des Bremer Streiks abwarten wollen, nehmen die Arbeiter der Georgsmarienhütte am Montag die Arbeit wieder auf. Auch hier wirkte das Druckmittel einer eventuellen Betriebsschließung, verbunden mit vagen Zusagen über eine Lohnerhöhung.

In Neunkirchen kommt es ebenfalls zur Beendigung des Streiks - allerdings durch die Erfüllung eines wesentlichen Teils der Forderungen der Streikenden. Schon am Sonntagabend hatte eine Versammlung der Vertrauensleute stattgefunden, die in einem Marsch auf das Verwaltungsgebäude endete, nachdem die Belegschaftsmitglieder über den Rundfunk von dieser Versammlung Kenntnis erhalten hatten. Der IG Metall-Bezirksleiter teilt dort dem Betriebsratsvorsitzenden ein neues Ergebnis mit: 20 Pfennig übertarifliche Zulage und 8% = 30 Pfennig Tariflohnerhöhung. Damit wären die geforderten 50 Pfennig durchgesetzt. Die Frühschicht nimmt das Ergebnis zur Kenntnis und geht wieder an die Arbeit.

Inzwischen greift die Streikbewegung nun auch auf die oberpfälzische Hüttenindustrie über. Im Eisenwerk Maximilianshütte in Haidhof haben die Arbeiter schon am Wochenende Lohnforderungen erhoben. Am Montag vormittag legt dann die Frühschicht die Arbeit nieder. 70 Pfennig mehr pro Stunde werden verlangt. Die 4000 Arbeiter und Angestellten handeln solidarisch. Eine halbe Stunde später kommt die Nachricht, daß auch die 4000 Belegschaftsmitglieder der Maximilianshütte Sulzbach-Rosenberg dem Beispiel ihrer Kollegen gefolgt sind. Aber während man in Haidhof mit Spannung die neuesten Streiknachrichten aus dem Ruhrgebiet verfolgt, die der Betriebsratsvorsitzende über Lautsprecher bekanntgibt, finden sich die Arbeiter in Sulzbach-Rosenberg zur Arbeitsaufnahme bereit. Ein Vorstandsmitglied des Unternehmens hat ihnen zugesagt, daß am Mittwoch Verhandlungen über ihre Forderungen stattfinden werden. Der Abbruch des Streiks nach fünfstündiger Dauer wird von den Arbeitern in Haidhof mit Mißfallenskundgebungen quittiert. Hier ist man entschlossen, weiterzustreiken, um die Unternehmer an den Verhandlungstisch zu zwingen. Der Druck wirkt. Die Verhandlungen werden für Dienstag angesetzt.

Auch einige kleinere Stahlwerke sind inzwischen von der Streikbewegung erfaßt worden. So die Fried.-Krupp-Hüttenwerke AG in Hohenlimburg, wo am Montagmorgen erst zweihundert und dann im Laufe des Tages rund 750 Arbeiter streiken, um eine Angleichung ihrer Löhne an die heimische Kaltwalzindustrie zu erreichen. Aber auch hier werden 30 Pfennig nicht anrechenbarer Lohnerhöhung gefordert. In den Stahl- und Röhrenwerken Reisholz, Zweigwerk Oberbilk in Düsseldorf, beteiligen sich alle 600 Arbeiter an dem wilden Streik, der eine Lohnerhöhung um 20 Pfennig bringen soll. Das Werk, das zum Thyssen-Bereich gehört, wird von dem Streik völlig überrascht. Arbeitsdirektor Best macht die NPD und die Kommunisten verantwortlich. Er ist für Härte: »Es handelt sich hier um einen wilden Streik, den wir nicht sanktionieren werden. Die Tarifpartner sind völlig überrumpelt und unterlaufen worden.« Auch der Betriebsratsvorsitzende verbreitet Pessimismus: »Ich glaube nicht, daß die Kollegen mit ihren Forderungen durchkommen werden.«

Pressemeldungen über die Streiks in anderen Betrieben führen in den Klöckner-Werken AG-Drahtindustrie in Düsseldorf dazu, daß 1000 Arbeiter am Montag für eine 50 Pfennig-Lohnerhöhung streiken, obwohl sie bereits Anfang August durch den Tarifvertrag in der metallverarbeitenden Industrie, der sie angehören, 8°/o mehr erhalten haben. Das Unbehagen über die Lohnpolitik der Geschäftsleitung kommt nun zum Ausbruch.

Ähnliches gilt für das Werk der Westfälischen Union-Drahtindustrie in Hamm. Hier fordern die 1000 Arbeiter mit einem Streik Effektivlohnerhöhungen und protestieren gleichzeitig gegen die geplante Einführung der analytischen Arbeitsplatzbewertung. Was in »ruhigeren« Zeiten mit Verhandlungen über die Bühne geht, nimmt im Rahmen der Streikbewegung radikalere Formen an.

Voll zum Ausbruch kommt an diesem Montag der Streik der Saarbergleute. In allen saarländischen Gruben ruht die Arbeit. 20000 Bergleute streiken. Sie fordern Lohnerhöhungen von 12 bis 15%), eine neue Urlaubsregelung und neue Lohnfin-dungsmethoden. Am Nachmittag ziehen 400 Bergleute durch die Saarbrücker Innenstadt zur Geschäftsstelle des Unternehmensverbandes des Saarbergbaus, um gegen die niedrigen Löhne zu protestieren. Sie wollen, daß keiner von ihnen weniger als 1000 Mark netto monatlich mit nach Hause nimmt. Die Polizei hält sich zurück, auch als Scheiben splittern. Der Unternehmensverband Saarbergbau will unverzüglich Verhandlungen mit der Gewerkschaftsführung aufnehmen, die den Streik in Flugblättern scharf verurteilt. Entgegen den Hoffnungen der Gewerkschaftsführungen und der Unternehmer hat also das Wochenende nur in Teilbereichen eine Abschwächung der Streikbewegung gebracht. Eine Reihe neuer Streiks hat die Gesamtzahl der Streikenden an diesem Tag auf rund 56000 ansteigen lassen.

Der achte Tag: 9. September 1969 (Dienstag)

Eine Woche nach dem Beginn des wilden Streiks bei der Hoesch-AG erreicht die Bewegung ihrer zahlenmäßigen Höhepunkt. Am Dienstag, dem 9. September, streiken über 65000 Arbeiter in den verschiedensten Industriebereichen. In der Stahlindustrie bewirken die für den 11. September angekündigten Tarifverhandlungen mit der vom Vorstand der IG Metall übernommenen 14-Prozent-Forderung eine Abschwächung der Streikbewegung.

Beim Schalker Verein haben die Streikenden am Dienstag früh weiter das Heft in der Hand. Über 2000 Arbeiter warten im Betrieb auf das Ergebnis der Verhandlungen, die zwischen Rheinstahl-Vorstand und dem Arbeitgeberverband stattfinden. Die Betriebsleitung versucht vergeblich, Zwietracht zu stiften. Es wird bekannt, daß die Polizei einen Großeinsatz vorbereitet. In der Nacht treffen in dem zum Werk gehörenden Stadtteil mehrere Hundertschaften Polizei sowie Reiterstaffeln und Hundetrupps ein, angeblich um etwaige Demonstrationen im Zaum zu halten. Gerüchte über eine Aussperrung der Arbeiter, die noch immer den Betrieb besetzt halten, sind schon am Nachmittag umgegangen. Die Werktore für die Frühschicht sollen von Werkschutz und Polizei abgeriegelt werden. Im Gußstahlwerk ist inzwischen die Arbeit in der Hoffnung auf die Tarifverhandlungen wieder aufgenommen worden. Beim Schalker Verein will man davon noch nichts wissen. Die geforderten 50 Pfennig haben mit der Tarifbewegung nichts zu tun, argumentieren die Arbeiter; sie wollen eine Angleichung ihrer Löhne an die Mülheimer Verdienste. Am Abend erntet der Betriebsratsvorsitzende Pfiffe, als er ankündigt, die Nachtschicht solle am Werktor namentlich darüber abstimmen, wer streiken will und wer nicht. Die Streikenden geben die Parole aus: »Wir lassen uns nicht irremachen. Die Nachtschicht soll die Abstimmungszettel nicht annehmen, sondern zerreißen.« Die Empfehlung zu dieser Abstimmungsaktion war von der örtlichen IG Metall gekommen.

Im Preßstahlwerk Brackwede geht der Streik am Nachmittag nach 27 Stunden zu Ende. Während vormittags die Arbeiter noch keine Anstalten machten, die Arbeit wieder aufzunehmen und die Verhandlungen weitergingen, einigt man sich gegen 15 Uhr. Eine Betriebsvereinbarung bringt lohnregulierende Maßnahmen, die in etwa der 30-Pfennig-Forderung der Arbeiter entsprechen. Der 5o-DM-Vorschuß auf die Tariferhöhung wird aufrechterhalten. Die Arbeiter gehen wieder an ihre Arbeitsplätze, nachdem ihnen der Rheinstahl-Vorsitzende Blankenagel die Erfüllung dieser Zusagen persönlich garantiert hat.

Bei den Krupp-Hüttenwerken in Hohenlimburg wird ebenfalls nach 30 Stunden am Dienstagnachmittag die Arbeit wieder aufgenommen, nachdem die Konzernspitze lohnregulierende Maßnahmen zugesagt hat und eine Lohnangleichung vornehmen will. Die Belegschaft folgt einer Aufforderung der außerordentlichen Vertrauensleuteversammlung. Die Arbeiter im Oberbilker Werk der Stahl- und Röhrenwerke Reisholz erreichen eine einmalige Brutto-Zahlung von 52 Mark zusätzlich. Da aber die Streikausfallzeiten nicht bezahlt werden, kann der Streik nicht als Erfolg bezeichnet werden. Die Arbeiter nehmen die Arbeit dennoch wieder auf. Erfolgreicher beenden die Arbeiter der Maxhütte ihren Streik am Dienstag. Nach 48 Stunden Arbeitsniederlegung haben sie eine 5O-Pfennig-Erhöhung ihrer Löhne erreicht und eine Reihe von tariflich abgesicherten Zuschlägen. Die Einigung war zwischen der Bezirksleitung der IG Metall und dem Unternehmerverband zustande gekommen.

Mit unvermindeter Schärfe wird die Auseinandersetzung in der Bremer Klöckner-Hütte fortgesetzt. Die Arbeitgeber wollen keine neuen Angebote mehr unterbreiten, nachdem die IG Metall ihre 14-Prozent-Forderung aufgestellt hat. Die Arbeiter dagegen beharren darauf, daß ihre /o-Pfennig-Forderung unabhängig von dem gewerkschaftlichen Tarifkampf zu sehen sei. Das 40-Pfennig-Angebot der Direktion, ohnehin zum Teil als anrechenbar gedacht, ist nach der Ablehnung durch den Betriebsrat vom Tisch. Die Direktion gibt weiterhin Gefahrenmeldungen über den Zustand des Mischers an die Öffentlichkeit. Auch die IG-Metall-Bezirksleitung läßt sich in diese Panikmache hineinziehen und fordert die Belegschaft auf, den Mischer sobald als möglich zu entleeren, weil sonst Arbeitsplätze gefährdet seien. Bei den Arbeitern herrscht die Überzeugung vor, die IG Metall sei ihnen mit der i4-Prozent-Forderung in den Rücken gefallen und mache ihre betrieblichen Forderungen kaputt. Der Rücktritt von Arbeitsdirektor Düßmann wird gefordert.

In Osnabrück ziehen die Stahlwerker an diesem Tag zum Gewerkschaftshaus, um mit Vertretern der IG Metall zu diskutieren. Das Direktorium hat 50 DM Vorschuß auf eventuelle Lohnerhöhungen angeboten, aber die Arbeiter sind nicht bereit, deshalb ihren Streik zu beenden. Sie wollen die Ergebnisse in Bremen abwarten.

Bis auf den Streik bei der Klöckner-Hütte in Bremen, der noch über den neuen Tarifabschluß hinausreicht, ist der Dienstag der letzte Streiktag in der Eisen- und Stahlindustrie.

Aber an diesem Tag greift die Streikbewegung auf die Werften über. Nach Beendigung der Mittagspause gehen mehr als 2000 Arbeiter im Gaardener Betrieb der Howaldtswerke-Deutsche Werft AG nicht mehr an ihre Arbeitsplätze, sondern ziehen zum Verwaltungsgebäude; die zweite Schicht schließt sich später an. Ihre Forderungen haben sie schon seit längerem erhoben, ohne daß etwas geschehen ist. Sie wollen eine Angleichung an die Hamburger Löhne. Es sei lange genug verhandelt . worden, erklärt ein Sprecher der Streikenden. Der Betriebsratsvorsitzende versucht vergeblich, die Arbeiter wieder zur Arbeit zu bewegen. Es ist absehbar, daß der Streik auf weitere Werftbetriebe übergreift.

Im Saarbergbau erreicht der Streik seinen Höhepunkt. Am Dienstagvormittag demonstrieren 10000 Bergarbeiter in Saarbrücken und legen den Verkehr lahm. Die Hälfte von ihnen zieht zum Gewerkschaftshaus, wo der Bezirksleiter der IG Bergbau niedergeschrien wird, als er die Gewerkschaftspolitik zu rechtfertigen sucht. In einigen Fällen werden rote Fahnen der APO verbrannt. Der saarländische Ministerpräsident Röder (CDU) muß eine Sitzung des Kabinetts unterbrechen, nachdem die Demonstranten alle Zufahrtswege zur Staatskanzlei blockiert haben und ihre Forderungen über Lautsprecher an die Landesregierung richten. Die Landesregierung ist mit einem Viertel am Aktienbesitz der bestreikten Saarbergwerke beteiligt. Röder gesteht zu, daß die Forderungen der Kumpel berechtigt sind. Er will sich auf ihre Seite stellen. Die Forderungen liegen inzwischen bei 300 DM Lohnnachzahlung, Fünf-Tage-Woche und Wohngeld-Erhöhung. Die Bezirksleitung der IG Bergbau und der Unternehmerverband nennen gemeinsam diese Forderungen überspitzt und illusorisch. Die Arbeiter rufen den Gewerkschaftsfunktionären in Sprechchören zu »Schloofköpp«. Indessen verhandelt die Spitze der IG Bergbau im Ruhrgebiet an geheimen Orten mit dem Unternehmerverband; sie läßt verlauten, die Lage sei sehr ernst.

Sie ist vor allem deshalb ernst, weil nun auch im Ruhrbergbau die ersten Streiks zu verzeichnen sind. Die Kumpel der Zechen »Fürst Hardenberg« und »Minister Stein« in Dortmund haben als erste die Arbeit niedergelegt. 4 joo Bergarbeiter treffen sich vor dem Verwaltungsgebäude von »Minister Stein« und veranstalten dort ihre Streikversammlung. Die Nachricht platzt mitten hinein in die Tarifverhandlungen der IG Bergbau in Schloß Hugenpoet bei Kettwig; auch 100 Mann des Zechenkraftwerks Ibbenbüren streiken am Vormittag, um Druck auf die Tarifverhandlungen auszuüben.

Die Streikchronik dieses Dienstags wäre unvollständig, würde nicht erwähnt, daß auch im Bereich des öffentlichen Dienstes sich erste Anzeichen von Streikbereitschaft zeigen. 180 Arbeiter und Angestellte der Stadtwerke Dortmund treten an diesem Tag in einen Warnstreik - eine Woche bevor überall Streiks im öffentlichen Dienst beginnen.

Der neunte Tag: 10. September 1969 (Mittwoch)

In der Stahlindustrie hat sich die Lage weiter beruhigt, jedenfalls an der Ruhr, im Saargebiet und in Bayern. Die Frühschicht des Schalker Vereins in Gelsenkirchen hat erstmals die Arbeit wiederaufgenommen; das gleiche gilt für das Gußstahlwerk in Gelsenkirchen. Man hat sich mit der informellen Zusage des Rheinstahlvorstandes auf 50 DM Sonderzahlung zufriedengegeben und will die Ergebnisse der am nächsten Tag beginnenden Tarifverhandlungen abwarten.

Dagegen gehen die Streiks der Stahlwerker und Werftarbeiter in Norddeutschland weiter.

In Bremen hat die Werkleitung den Klöckner-Arbeitern ein »letztes« Angebot gemacht - eine Erhöhung um 20 Pfennig, unbeschadet der Verhandlungsergebnisse bei den zentralen Tarifgesprächen. Der Betriebsrat lehnt dieses Angebot ab und läßt darüber in einer Versammlung der Streikenden abstimmen. Die Zustimmung zu der Entscheidung des Betriebsrates ist eindeutig. Man hält das Angebot nach sechs Tagen Streik für eine Unverschämtheit. Aber auch die Stimmung gegen die IG Metall verschärft sich. Bezirksleiter Scholz wird ins Werkgelände eingeladen und muß sich anhören, wie ihm ein Arbeiter sagt: »Wenn das hier alles vorbei ist, machen wir mit unseren Mitgliedsausweisen ein nettes, kleines Feuerchen.« Die Klöckner-Arbeiter wollen unabhängig von Tariferhöhungen 40 oder 50 Pfennig und die Bezahlung der Streiktage durchsetzen. Die Werkleitung droht mit dem Verlust von Arbeitsplätzen.

In Osnabrück beschließen die Stahlwerker in einer Belegschaftsversammlung, schichtweise darüber abzustimmen, ob der Streik fortgesetzt werden soll. Knapp 2 ooo Stahlwerker beteiligen sich an der Abstimmung; 66°/o sind für eine Fortsetzung des Streiks. Der Betriebsrat stellt nun eigene Forderungen auf: 20 Pfennig betriebliche Zulage. Die Direktion will sich nach den Bremer Ergebnissen richten. Beeinflußt worden ist die Streikbereitschaft durch Informationen über die Lage in Bremen, die sich die Stahlwerker selber mit Hilfe einer eigenen Delegation verschafft haben, nachdem sie der Presse nicht mehr trauten.

Bei Howaldt in Kiel hat sich der Streik der Werftarbeiter erwartungsgemäß weiter ausgedehnt. Auch der Stammbetrieb in Dietrichsdorf steht nun still. 7 ooo Werftarbeiter befinden sich im Ausstand. Erste Verhandlungen haben keine Ergebnisse gebracht. Die Arbeitgeber stellen sich auf den Standpunkt, der Tarifvertrag von Anfang August 1969 könne nicht schon wieder gebrochen werden. Die Arbeiter rufen »Ausbeuter!«, sobald sich jemand am Fenster des Direktionsgebäudes zeigt. Die Arbeitgeber weigern sich, mit der Streikleitung zu sprechen.

Im Bergbau haben sich Gewerkschaft und Arbeitgeber in der Nacht zum Mittwoch auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt, von dem alle 260 000 Bergleute an Ruhr und Saar betroffen sind. Wichtigste Verbesserungen sind eine rückwirkende Erhöhung der Effektivlöhne um 3,50 DM pro Schicht für alle Arbeiter und Angestellten (rund 10-12%), ein erhöhter Mindesturlaub und eine Treueprämie nach dem Vermögensbildungsgesetz. An der Saar befriedigt das Ergebnis nicht. Während die Frühschicht noch keine klaren Ergebnisse erfahren hat und deshalb auch nicht einfährt, sind die Tausende, die im Laufe des Vormittags von Ministerpräsident Röder die endgültige Vereinbarung zu hören bekommen, nicht zufriedengestellt. Obwohl der Sprecher der Streikenden die Arbeitsaufnahme empfiehlt, denken die Kumpel vorerst nicht daran, den Streik abzubrechen. Man will auch die Streikschichten bezahlt haben. Als sich herausstellt, daß es dafür keine Zusage gibt, fährt die Mittagsschicht nicht in die Gruben ein. Auch die Nachtschicht wartet ab.

Aber auch im Ruhrgebiet stößt der IG-Bergbau-Vorsitzende, Walter Arendt, mit seinem Tarifabschluß nicht auf große Begeisterung. In Dortmund weigern sich die Kumpel der Zechen »Hansa«, »Germania-Zollern« und »Minister Stein«, den Streik mit diesem Ergebnis abzubrechen. 2 500 Bergarbeiter ziehen morgens von »Minister Stein« zum Dortmunder Gewerkschaftshaus. Sprechchor: »Was sind unsere Vertreter? - Arbeiterverräter«. Auf Transparenten wird gefordert: 1000 DM Nettolohn und vier Wochen Urlaub. IG-Bergbau-Bezirksleiter Franz Neumann wird ausgepfiffen. Die zusätzlichen 3,50 DM Schichtlohn würden doch wieder durch eine Erhöhung der Gedingesätze aufgefangen und nichts bliebe in einigen Monaten von der Erhöhung übrig. In Dortmund bildet sich eine zentrale Streikleitung. Ihr Sprecher, Fred Olschewski, kehrt unverrichteter Dinge von einem Gespräch mit der IG Bergbau in Bochum zurück. Die Gewerkschaft weist darauf hm, daß die Streikenden ab Mitternacht keinen Versicherungsschutz gegen Krankheit und Unfälle mehr genießen. Arendt erklärt diejenigen Bergarbeiter, die nach dem Tarifabschluß die Arbeit nicht wiederaufnehmen, für »notorische Unruhestifter«.

Der zehnte Tag: 11. September 1969 (Donnerstag)

An diesem Tag beginnen in Krefeld die Tarifverhandlungen zwischen der IG Metall und dem Arbeitgeberverband Eisen und Stahl.

Gestreikt wird im Bereich der Stahlindustrie nur noch bei Klöckner in Bremen und Osnabrück. In Bremen erklärt der Betriebsrat, angeschlagen durch die feindselige Kampagne in der Öffentlichkeit, man sei damit einverstanden, daß die für die Rettung des Mischers erforderliche Belegschaft ins Werk kommt; außerdem will er den Streikenden eine Abstimmung über alternative Forderungen und die Fortsetzung des Streiks vorschlagen. Mit Befriedigung wird das positive Abstimmungsergebnis aus Osnabrück zur Kenntnis genommen. In Osnabrück wird unterdessen entsprechend dem Abstimmungsergebnis vom Vortag weitergestreikt.

Einen Höhepunkt erreicht der Werftarbeiterstreik in Kiel. Fast 2000 Arbeiter marschieren an diesem Tag auf das Gerücht hin, daß die Verhandlungen im Kieler Yacht-Klub stattfinden, im Schweigemarsch und in Arbeitskluft durch die Stadt. Nach einem 20-Kilometer-Marsch dort angekommen, müssen sie erfahren, daß der Betriebsrat falsche Informationen verbreitet hat. Trotzdem ist der Marsch ein Erfolg; er stärkt die Solidarität. Die Arbeitgeber erörtern Gegenmaßnahmen. Es wird von Aussperrung gesprochen.

Im Saarbergbau beginnt der Streik abzubröckeln. Die Frühschicht ist nicht eingefahren, doch am Vormittag macht der Vorstand der Saarbergwerke neue Angebote, die zwar keine Bezahlung der Streikschichten bedeuten, aber Zugeständnisse, den Einkommensverlust durch Anrechnung auf die Ruhetage abzugleichen. Die Belegschaften spalten sich. Noch einmal demonstrieren weit über 3000 Bergleute in Saarbrücken für ihre Forderungen, die Mittagsschichten jedoch fahren teilweise wieder ein. Nachmittags arbeiten bereits zwei Dittel, und die Nachtschicht ist voll besetzt. Die Gewerkschaft hatte die Arbeiter darauf »hingewiesen«, daß die Krankenversicherung beim Weiterstreiken unterbrochen sei.

In Dortmund hat sich die Streiklage nicht wesentlich verändert. Knapp 10000 Kumpel streiken auch am Donnerstag weiter; sie wollen so lange streiken, »bis wir nicht mehr können«. 3 500 Bergarbeiter marschieren quer durch Dortmund von den Zechen »Germania« und »Hansa« zu »Minister Stein«. Der Sprecher der Streikenden verhandelt mit dem Arbeitsdirektor des Unternehmens, dann wieder mit dem Vorstand der IG Bergbau in Bochum. Die Forderung lautet jetzt statt der vereinbarten 3,50 DM Schichtzulage sechs DM und 28 statt 20 Urlaubstage sowie volle Bezahlung der Ausfallschichten. Die Streikenden drohen mit einer Ausweitung des Streiks auf andere Reviere. Als die Streikleitung am Abend aus dem Bochumer Gewerkschaftshaus zurückkehrt, rät sie den Streikenden, den Ausstand zu beenden. Die Gewerkschaft ziehe nicht mit. Buhrufe und Pfiffe der Streikenden gelten Walter Arendt. Ein Versuch der Streikleitung, Ministerpräsident Kühn als Vermittler einzuschalten, war an dessen Weigerung gescheitert, einen »wilden« Streik zu unterstützen. Er beließ es bei einem Appell an die Streikenden zur Wiederaufnahme der Arbeit.

Der elfte Tag: 12. September 1969 (Freitag)

Nach über 18stündigen Verhandlungen einigen sich IG Metall und Arbeitgeberverband auf eine rückwirkende Lohn- und Gehaltserhöhung für die Eisen- und Stahlindustrie um n°/o und eine stufenweise Verlängerung des Urlaubs um je einen Tag in den nächsten drei Jahren. Die IG Metall erklärt, sie sei mit dem Ergebnis zwar nicht zufrieden, halte es aber für vertretbar.

Bei der Klöckner-Hütte in Bremen beginnt am Freitagnachmittag die geheime Abstimmung über die Fortsetzung des Streiks. Das Direktorium bleibt bei seinem Angebot von 20 Pfennig, die nicht angerechnet werden sollen. Ausfallschichten wegen des Streiks will es aus grundsätzlichen Erwägungen nicht bezahlen. Bei vielen Arbeitern herrscht die Meinung vor,  eine Annahme dieses Angebots komme einer Kapitulation gleich. Aber die Einmischung der IG Metall läßt innerbetrieblich nicht viel Spielraum. Einige wollen den Hochofen wieder ausblasen, der angezündet wurde, um das Eisen im Mischer vor der Erstarrung zu bewahren. Das Entgegenkommen der Streikenden in dieser Sache sei nicht gewürdigt worden. Der in Bremen zu einer Angestelltenkonferenz erwartete IG-Metall-Vorsitzende Brenner, der bei den Tarifverhandlungen in Krefeld ist, läßt seine Rede verlesen und erklärt zu dem Klöckner-Streik, die IG Metall könne diese Art der Auseinandersetzung nicht billigen; politisch extreme Kräfte versuchten auf Kosten gutgläubiger Arbeitnehmer ihr Geschäft zu machen. Das Abstimmungsergebnis wird für den folgenden Tag erwartet. In Osnabrück warten die streikenden Stahlwerker weiter auf die Ergebnisse in Bremen.

Bei der Howaldtwerft macht die Direktion neue Angebote, die aber von den Streikenden als unzureichend zurückgewiesen werden. In einem der beiden Werke beginnen die Arbeiter Streikposten aufzustellen und blockieren damit den Werkverkehr. Aufforderungen der IG Metall und des Arbeitgeberverbandes, die Arbeit wieder aufzunehmen, bleiben wirkungslos. Die Arbeiter beharren auf einer vorherigen Angleichung ihrer Löhne an die Hamburger Verhältnisse.

Nachdem im Saarbergbau wieder Ruhe herrscht, bröckelt auch die Streikfront im Dortmunder Bergbau am Freitag endgültig ab. Schon in der Nacht hat sich angekündigt, daß eine weitere Solidarisierung von Ruhrzechen nicht mehr zu erwarten ist. Am Freitag wird die Arbeit überall wieder aufgenommen. Die Hauptfrage ist nur noch, ob die Ausfallschichten nachzuholen sind. Von Bezahlung ist keine Rede mehr. In Dortmund ist der Streik erfolglos zu Ende gegangen.

Der zwölfte Tag: 13. September 7969 (Sonnabend)

Nach neun Tagen ist der Streik in der Klöckner-Hütte Bremen zu Ende. In der geheimen Abstimmung hat sich eine Mehrheit von 52,3% für die Annahme des Angebots der Direktion und gegen eine Weiterführung des Streiks ausgesprochen; 44,1%) stimmen für eine Fortsetzung. Allerdings ist die Beteiligung an der Abstimmung schwach: nur 2000 von 5700 Abstimmungsberechtigten geben ihre Stimme ab. Erreicht haben die Streikenden zusätzlich zu der auch für sie geltenden 11%igen Tariflohnerhöhung eine innerbetriebliche Zulage von 20 Pfennig. Die Streikenden werten die n°/o als ihren Erfolg. Betriebsratsvorsitzender Röpke: »Das hätte die Gewerkschaft nie erreicht, wenn die Arbeiter nicht von sich aus aktiv geworden wären.« IG Metall und Arbeitsdirektor Düßmann verurteilen dagegen noch einmal die wilden Streiks. Bezirksleiter Scholz: »Es darf nicht zugelassen werden, daß unkontrollierte Gruppen das wirtschaftliche und politische Gestalten in unserem Staat ins Wanken bringen.«

Die Osnabrücker Stahlwerker entscheiden sich am Sonnabend ebenfalls mit Mehrheit für einen Abbruch des Streiks, nachdem ihnen die innerbetriebliche Lohnregulierung zugesagt worden ist.

Nur noch bei den Howaldt-Werken in Kiel wird an diesem Samstag gestreikt. Die große Streikbewegung scheint mit den Tarifabschlüssen, die die IG Metall und die IG Bergbau erreicht haben, endgültig vorüber zu sein.

Der dreizehnte bis achtzehnte Tag: 14. bis 19. September 1969 (Sonntag bis Freitag)

Die dritte Streikwoche erfaßt zahlenmäßig keine größeren Massen mehr. 10000 bis 12000 Streikende sind das Maximum an den einzelnen Tagen. Bemerkenswert ist lediglich, daß in dieser Woche auch in der Textilindustrie und im öffentlichen Dienst spontane Arbeitsniederlegungen stattfinden. Der Streik der Werftarbeiter wird allerdings noch die ganze Woche hindurch mit Härte geführt. Verhandlungen bringen zunächst keine Erfolge. Die Arbeiter entscheiden sich dafür, weiterzustreiken. Inzwischen haben auch die Beschäftigten der Lübecker Flender-Werke kurzfristig die Arbeit niedergelegt, um eine Angleichung an die Hamburger Schiffbaulöhne zu erreichen. Am Mittwoch, dem 17. September, ergibt eine weitere geheime Urabstimmung der Howaldt-Arbeiter eine große Mehrheit für die Fortsetzung des Streiks. Die Geschäftsleitung beginnt, die streikenden Arbeiter bei der Krankenkasse abzumelden, um so den Widerstand zu brechen. Daraufhin veranstalten 5000 Arbeiter, zum Teil mit ihren Frauen, einen Protestzug durch Kiel und fordern den Oberbürgermeister auf, Fürsorgeunterstützung im Notfall zu leisten.

Während in Flensburg die Gefahr eines wilden Streiks durch Verhandlungen gebannt wird, streiken die Kieler weiter. Erst nach 11 Tagen, am 19. September, kommt es zu einem Kompromiß. Der Kieler Lohn wird dem Hamburger Lohn um 11 Pfennig angeglichen. Die Werft bezahlt den Streikenden von dem elftägigen Ausstand 32 Arbeitsstunden. Der Krankenversicherungsschutz wird rückwirkend wiederhergestellt, und es wird zugesichert, daß keine Repressalien gegen die Streikenden eingeleitet werden. Die Arbeiter nehmen die Arbeit wieder auf. Als sich die Werkleitung allerdings wenige Tage später nicht mehr an ihre Zusage hält und zwei mißliebige Arbeiter entlassen will, gibt es erneute Warnstreiks. Die Kündigungen werden daraufhin zurückgenommen. Am Montag, dem 14. September, haben auch in der westfälischen Textilindustrie wilde Streiks begonnen. Die Streikenden wollen Lohnerhöhungen durchsetzen, um die Differenz zu den Erhöhungen in der Stahlindustrie und im Bergbau auszugleichen. 6% fordern die rund 600 Arbeiter der Westfälischen Jutespinnerei in Ahaus, 30-50 Pfennig die 1500 Arbeiter der Gebr. Laurenz-Textilwerke in Ochtrup, und verbesserte betriebliche Lohnfindungsmethoden. Nach dreitägigen Streiks können diese Forderungen durchgesetzt werden.

Im öffentlichen Dienst unterstützen die Arbeiter in den städtischen Versorgungsbetrieben die Forderung der ÖTV nach vorgezogenen Tarifverhandlungen mit spontanen Arbeitsniederlegungen. Die ersten Aktionen, die den Charakter von Warnstreiks haben, werden von den Bediensteten der Müllabfuhr in Duisburg, den Essener Verkehrsbetrieben, aber auch aus München, Nürnberg und Offenbach gemeldet. Es folgen am 18. September Berliner Müllarbeiter, Arbeiter der Wittener Stadtwerke, die Herner Fuhrparkarbeiter, die Kölner Stadtreinigungsarbeiter sowie städtische Bedienstete in verschiedenen Bundesländern. Die Forderungen, die erhoben werden, liegen im allgemeinen bei 15%. Oft bestehen die Streikenden auf Zulagen, die als Vorschuß auf die Tariferhöhung gezahlt werden sollen. Die Streiks dienen im allgemeinen der Unterstützung der gewerkschaftlichen Forderungen und werden von der Gewerkschaftsspitze wohlwollend betrachtet, wenn auch aus rechtlichen Gründen nicht unterstützt. Ein Konflikt zwischen den Streikenden und der Gewerkschaftsführung ist nicht zu beobachten.

 

 

Editorische Anmerkungen

Text wurde übernommen aus:
Eberhard Schmidt, Ordnungsfaktor oder Gegenmacht
Die politische Rolle der Gewerkschaften
Frankfurt/M, 1971,
S. 81-103

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