zurück Septemberstreiks 1969
Materialsammlung zu den Filmveranstaltungen im September 2009
 


 

Weiteres Material zum BVG-Streik
Ein Kommentar und zwei Flugblätter
entnommen der Roten Presse Korrespondenz

WARUM DER BVG-STREIK NICHT STATTFAND

Die zunächst am Dienstag letzter Woche, dann am Donnerstag erwartete Wiederholung des wilden Streiks in der BVG fand nicht statt.

Die angesichts der bevorstehenden Wahlen um "Arbeitsfrieden" bemühte Bundesregierung, insbesondere ihre CDU-Minister hatten in den eilig anberaumten Tarifgesprächen mit einer DM 3OO, Abfindung bis zu den neuen im Januar in Kraft tretenden Tarifen die Unruhe im öffentlichen Dienst zu dämpfen gewußt. Die Voraussagen, daß die Streiks der SPD bei den Wahlen zugute kommen würden, hatten offensichtlich den zunächst so hart auftretenden Benda umgestimmt.

Wie in der letzten RPK geschildert, hatte die ÖTV Berlin mit dem Hinweis auf die festgesetzten Tarifverhandlungen die Berliner Arbeiter der BVG zu disziplinieren versucht. Doch die erwartete Ruhe in der Belegschaft stellte sich nicht ein. Als am Mittwoch zur Frühschicht ein von Kollegen der BVG hergestelltes Flugblatt (s. Abdruck) die innerbetrieblichen Forderungen der BVG-Arbeiter noch einmal öffentlich formulierte und zugleich klarstellte, daß in Stuttgart nur die Tarife, die Belegschaftsforderungen aber mit der Verwaltung der BVG, d.h. mit dem Berliner Senat auszuhandeln seien, vereinbarte die ÖTV noch am selben Nachmittag ein Gespräch mit Senator Strick, das noch am Abend stattfand.

Die BVG-Arbeiter, die am folgenden Morgen um 4 Uhr ein zweites Flugblatt (s. Abdruck) von Kollegen der BVG formuliert und von Arbeitern anderer Betriebe und Studenten verteilt erhielten, wurden am Eingang vom Pförtner auf das noch in der Nacht von der ÖTV veröffentlichte Verhandlungsergebnis aufmerksam gemacht:

1. Zugeständnisse des Senats in der Veränderung des Großen Turnus von sieben auf sechs Tage,
2. Einführung der 42 -Stunden -Woche.

Die BVG- Arbeiter sahen einen Teil ihrer Forderungen erfüllt und streikten nicht.

1. Flugblatt / Abschrift                                            DAS ORIGINALFLUGBLATT

FLUGBLATT DER BETRIEBSGRUPPE BVG

"Kollegen!

Wir haben am letzten Donnerstag GESTREIKT!

  • Wir wissen warum:
    weil die betriebliche Situation bei der BVG unerträglich ist,
  • weil wir nicht sieben Tage arbeiten und nur zwei Tage frei haben wollen,
  • weil wir auch etwas Schlaf zwischen zwei Diensten brauchen, weil wir vor dem Vorsteher nicht wie Schuljungen stehen wollen, um zu erklären, warum wir trotz 1O Stunden Nachtruhe verschlafen haben,
  • weil wir den ausgeklügelten Dienstplan satt haben,
  • weil trotz erschwerter Bedingungen Fahrzeiten SOGAR NOCH GEKÜRZT WERDEN,
  • well der Wagenabstand zu groß ist, weil wir während des Dienstes auch manchmal auf die Toilette müssen und dabei nicht kotzen wollen,
  • weil wir nicht einsehen können, daß arbeitsfreie Sonnabende Urlaubstage sind,
  • weil wir meinen, daßl in einer Zeit der steigenden Preise und steigender Unternehmergewinne wir, wie alle Arbeiter, mehr Lohn brauchen und zu beanspruchen haben.

Erschreckt durch unseren Streik und die Streiks in Westdeutschland versprachen BVG -Direktion, Senat und der Verband Kommunaler Arbeitgeber Verhandlungen über unsere Probleme. UNSERE Gewerkschaft forderte uns daraufhin auf, die Arbeit wieder aufzunehmen.

Welche unserer Forderungen vertritt die Gewerkschaft?
Nur die selbstverständlichste von allen, die Lohnforderung und die Sonnabendurlaubsforderung.

Was ist aus den versprochenen Verhandlungen geworden?
Es gibt nur die Tarifverhandlungen in Stuttgart. An unserer beschissenen Arbeitssituation bei der BVG ändert sich NICHTS.

Wer's nicht glaubt, sollte am Mittwochabend genau hinhören, ob bei den Verhandlungen mehr herauskommt als ein paar mehr Pfennige in der Stunde und vielleicht eine stufenweise andere Urlaubsregelung.

Wir werden am Donnerstag früh sicher lange darüber nachdenken, warum wir letzten Freitag die Arbeit wieder aufgenommen haben.

Betriebsgruppe BVG
in Zusammenarbeit mit

Betriebsgruppe AEG - Brunnenstr.
Betriebsgruppe DWM


 

2. Flugblatt / Abschrift

FLUGBLATT DER BETRIEBSGRUPPE BVG

"Kollegen!

Unsere Entschlossenheit scheint Erfolge zu haben. Wir BVGer haben uns nicht durch die Aussicht auf Tarifverhandlungen Sand in die Augen streuen lassen!

In jedem Gespräch an den Endstellen oder in der Kantine klang die Meinung an, wir hätten uns verschaukeln lassen, als wir die Arbeit letzten Freitag wieder aufgenommen haben.

Jedem Beobachter wurde klar, wir werden wieder streiken, wenn unsere wesentlichsten Forderungen übergangen werden!

Die Direktion - und damit auch der Senat - muß das gespürt haben.

Gestern, Mittwoch, sind völlig überraschend Verhandlungen zwischen Senator Striek und der ÖTV begonnen worden Die Ergebnisse sind:

ab 2. 1. 197O sollen die Wochenstunden um eine verkürzt werden, d. h. wir werden die 42-Stundenwoche haben. Außerdem soll von diesem Zeitpunkt der 6-Tageturnus eingeführt werden. Sechs Tage Dienst, zwei Tage frei.

Das ist noch kein echter Erfolg. Diese Forderungen sollten schon beim Turnuswechsel erfüllt werden. Nun sind sie erst einmal vertagt worden. Unsere beschissene Arbeitssituation wird sich insgesamt nicht ändern. Deshalb müssen wir weiter bereit sein zu streiken, wenn unsere Forderungen nicht vollständig erfüllt werden.

WIR BEKOMMEN NUR BESSERE BEDINGUNGEN, WENN WIR KÄMPFEN! !

Wir müssen wissen, welche Kampfform die wirksamste ist. Wenn wir nachmittags streiken, leiden die heimkehrenden Arbeiter.

Wenn wir früh streiken, erhält die Berliner Großindustrie nicht ihre Arbeitskräfte und wird einen entsprechenden Druck auf den Senat ausüben.

KOLLEGEN, DAS NÄCHSTE MAL MÜSSEN WIR MORGENS STREIKEN! KOLLEGEN, SEID STREIKBEREIT!

Betriebsgruppe BVG
in Zusammenarbeit mit

Betriebsgruppe AEG - Brunnenstr.
Betriebsgruppe DWM

   

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien in
Rote Presse Korrespondenz
DER STUDENTEN-SCHÜLER-UND ARBEITERBEWEGUNG
1969, 1. Jg, Nr. 33, 3.10.1969, S. 4/5
Redaktion: Solveig Ehrler, Günther Matthias Tripp, Betriebsbasisgruppen. Ad-hoc-Gruppen an den Hochschulen, Internationales Forschungsinstitut des SDS (INFI), Berufsbasisgruppen im Republikanischen Club Berlin, Zentralrat der Sozialistischen Kinderläden
 

Die abgeschriebenen Flugblatttexte stammen ebenfalls aus der RPK. Das erste Flugblatt liegt im Original vor (Quelle TREND-Archiv)


OCR-San by red. trend 

nach oben