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Materialsammlung zu den Filmveranstaltungen im September 2009
 


Klöckner-Streik
WILDER STREIK IN DER KLÖCKNERHÜTTE BREMEN
VOM ANTIGEWERKSCHAFTLICHEN ZUM ANTIKAPITALISTISCHEN KAMPF

von der Redaktion der Roten Pressekonferenz (RPK)

Von 1958 mit Beginn der Existenz der Klöcknerhütte bis 1966 stand die Arbeit des Betriebsrats unter kommunistischem Einfluß. Max Müller, heute Mitglied der DKP war während dieser Zeit durchgängig, zunächst kommissarischer, dann gewählter Betriebsratsvorsitzender. 1964 bis 1966 verstärkte sich der Einfluß der Kommunisten auf den Betriebsrat in einem für die Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbürokratie Bremens nicht mehr akzeptierbarem Maße. Bei den Betriebsratswahlen 1966 ergab sich aufgrund geschickter Manipulation in der Wahlpropaganda (geschickte Plazierung der Sozialdemokraten auf der Kandidatenliste, informationsgraphische Tricks usw.) eine sozialdemokratische Mehrheit im Betriebsrat unter Vorsitz des Opportunisten Prott. Mithilfe der SPD-Mehrheit wurden die linken Arbeitervertreter, die immerhin erhebliche Stimmen auf sich hatten vereinen können, rigoros aus allen Funktionen des Betriebsrats und der Gewerkschaftskommissionen entfernt. Z. B. wurde der mit der zweithöchsten Stimmenzahl gewählte Max Müller kurzerhand zur Beaufsichtigung des Küchendienstes abgeschoben, weil er als Kommunist der Gewerkschaft schon lange ein Dorn im Auge war. Ende Mai 1968 wurde der 2. Betriebsratsvorsitzende Benno Schütter fristlos entlassen, nachdem er die Angestellten für ein geschlossenes Auftreten der gesamten Belegschaft bei den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze agitiert hatte. In dem Prozeß, den Schütter daraufhin gegen Klöckner vor dem Arbeitsgericht anstrengte, trat Prott als Hauptzeuge gegen Schütter auf. Bestechung der Werksleitung machte Leute vom Schlage Protts vollends zu Arbeiterverrätern.

Trotz dieser Manipulationen der Bremer Reaktion, kam es während der Schulerdemonstrationen gegen die Fahrpreiserhöhung der Straßenbahnen zu Solidaritätsaktionen der Klöcknerarbeiter. In der Antinotstandskampagne beteiligten sich die Klöcknerarbeiter ebenfalls trotz innerbetrieblicher Abwiegelungsversuche durch die IG Metall am Sternmarsch auf Bonn und an einer Kundgebung in Bremen.

Immer wieder gelang es den Klöcknerarbeitern, vorbereitet durch eine jahrelange linke Betriebsratspolitik, selbst den opportunistischen SPD-Betriebsrat der Jahre 1966 bis 1969 zu offiziellen Solidaritätserklärungen mit der kämpfenden Linken (APO) zu zwingen. Die Folge war zunächst eine personalistisch verschleierte, schließlich zunehmend offenere politische Fraktionierung innerhalb des Betriebsrates gegen die Gewerkschaftsbürokratie. Die Klöcknerarbeiter kämpften sich auf diese Weise zäh ihre spätere Führung aus den Fesseln der Gewerkschaft frei. Während der Tarifverhandlungen im Sommer 1968 hatte die Klöcknerbelegschaft ursprünglich eine 10%ige Lohnerhöhung gefordert. Sie reduzierte diese Forderung zwar um 2 auf 8 %, hielt aer in darauf folgenden Auseinandersetzungen dieser Kompromißforderung gegenüber den für Nordrhein-Westfalen ausgehandelten 7% unerbittlich fest. In einer Urabstimmung erklärten sich 84, 7% der Belegschaft bereit, diese Forderung notfalls in einem Streik durchzusetzen. In letzter Sekunde gelang es der Gewerkschaftsbürokratie, die Klöcknerarbeiter noch einmal übers Ohr zu hauen. Diese Niederlage befähigte die Klöcknerarbeiter, den Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie jetzt direkt aufzunehmen, ihn auf einer qualifizierteren Stufe innerhalb des antigewerkschaftlichen Kampfes neu zu beginnen. Bei der Betriebsratswahl im Mai 1969 weigerte sich die Belegschaft, die von der Gewerkschaft offiziell präsentierte Kandidatenliste zu akzeptieren und setzte ihre linke Führung auf eine Gegenliste, die sogenannte Liste 2. Die Kandidaten dieser Liste, Kommunisten, Parteilose und wilde innerbetriebliche Kader konnten mit Benno Schütter an der Spitze, der zu dieser Zeit schon Werksverbot hatte, die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen. Es ergab sich das außerordentliche Politikum nicht nur eines von der Gewerkschaft nicht anerkannten Betriebsrates - gegen die 41 von der 2. Liste waren Ausschlußverfahren eingeleitet worden -, sondern dieser "Betriebsrat mußte, da Bonno Schütter als Vorsitzender fungierte, zudem noch außerhalb des Werkgeländes tagen.

Durch diesen Betriebsrat, dem objektiv jeglicher Boden für die ihm instituitionell angestammte Vermittlerrolle entzogen war, versetzten sich die Klöcknerarbeiter tendenziell in die Lage, den Lohnkampf 69 aus der vom Kapital diktierten Kanalisierung herauszusprengen. Erst der im wilden Streik entfesselte Lohnkampf legt den Grundwiderspruch von Lohnarbeit und Kapital wieder frei. Im Lohnkampf 69 entfalteten die Klöcknerarbeiter den Grundwiderspruch in der Form des antikapitalistischen Kampfes, der versteckter Klassenkampf ist und zur Vorform des revolutionären Kampfes gemacht werden muß.

2. ZUR LAGE DER KLÖCKNERARBEITER

Die Klöcknerbelegschaft rekrutierte sich in der Aufbauphase der Hütte (sie wurde 1958 gegründet) hauptsächlich aus der linksliberalen bis linksradikalen Belegschaft der bankrott gegangenen Borgwardwerke. Die Borgwardarbeiter haben mit Beendigung der Rekonstruktionsperiode Ende der 50iger Jahre als erste den Krisencharakter des westdeutschen Kapitalismus zu spüren bekommen. Die - wenn auch kurzfristige - Existenzunsicherheit, der folgende Zwang zur Umschulung beim Wechsel aus der metallverarbeitenden in die stahlerzeugende Industrie und die sich daran knüpfende anfängliche Verschlechterung der materiellen Lage sind Erfahrungen, die den für das westdeutsche Proletariat exemplarischen Charakter des Bewußtseins der Bremer Klöcknerarbeiter entscheidend mitbestimmt haben.

Mit ca. 6 000 Beschäftigten ist die Klöcknerhütte in Bremen eines der großen Werke im norddeutschen Raum. Allein für das kommende Jahr sind für die Hütte Bremen 540 Millionen DM an Investitionen vorgesehen. Die Hütte wurde bei ihrer Gründung vor 10 Jahren mit dem damals modernsten Siemens-Martinverfahren ausgerüstet. Inzwischen ist die Hütte fast völlig auf das neue LD-Verfahren umgerüstet worden. Der außerordentlich hohe Grad an technischer Rationalisierung, der dadurch erreicht wurde, läßt sich an der Relation des Produktionsausstoßes zur Anzahl der unmittelbar in der Stahlproduktion tätigen Arbeiter ablesen:

Vor der Umrüstung wurden von 700 Arbeitern 130 000 Tonnen Stahl pro Monat hergestellt, nach der Umrüstung produzieren 380 Arbeiter 280 000 Tonnen Stahl pro Monat. Das bedeutet eine Steigerung der Produktivität um nahezu 400%. Die Arbeiter, die vom SM Stahlwerk ins LD Stahlwerk überwechseln mußten, waren von erheblichem Lohnabbau betroffen - in einigen Fällen bis zu DM 1, 30 pro Stunde. Drei Momente sind vorrangig hierfür verantwortlich zu machen

1. die hochrationalisierte Stahlproduktion bedarf kaum noch der qualifizierten Facharbeit. Extremer denn je fungiert der Arbeiter als Lückenbüßer der Maschinerie. Der Schutz, den der Facharbeiterbrief bei früherem Arbeitsplatzwechsel für den Arbeiter bedeutete, wird bei zunehmender Rationalisierung der Arbeitsplätze zum verschwindenden Faktor. Der Wechsel von den SM-Arbeitsplätzen zu den LD-Arbeitsplätzen bedeutete für die Klöcknerarbeiter eine von der Unternehmensleitung als "Umschulung" getarnte Dequalifizierung ihrer Arbeit. Um den profitheischenden Sinn der verschleierten Dequalifizierung, nämlich geplante Kostensenkung auf dem Rücken der Arbeiter durchzusetzen, sollten "Umschulungskosten" den Arbeitern ihre Lohnrückstufungen um 2-3 Gruppen plausibel machen.

2. Dem Lohnabbau leisten vor allem aber die für die Stahlindustrie existierenden Tarifverträge selber Vorschub. Ihr Lohnzumessungssystem basiert nicht etwa auf dem Produktivitätsniveau, sondern auf einem analytischen Arbeitsplatzbewertungssystem, dessen hervorstechendste Eigenschaft es ist, daß der Lohn bei geringer werdender körperlicher Belastung sinkt. Solche Tarifgrundlagen schafften der technischen Rationalisierung in der Stahlindustrie erst grünes Licht.

3. Der dem Arbeitsplatzbewertungssystem zugeordnete Erschwerniskatalog, aus dem sich ein Teil der Lohnzulagen ableitet, wie bei Klöckner praktiziert, kann im Zuge der Rationalisierung durch manipulative Gestaltung der Arbeitsplätze als Quelle der Lohnerhöhung beliebig ausgeschaltet werden. Schmutz etwa wird diesem Katalog zufolge mit einer hohen, Hitze mit einer niedrigen Zulage bewertet: also sind die Arbeitsplätze in dem neuen LD-Stahlwerk sauber und heiß.

Diese direkt aus der kapitalistischen Weise der Rationalisierung resultierende Verschlechterung der Lohnsituation wird verschärft durch die indirekten, für das Kapital weniger eindeutig kontrollierbaren, Konsequenzen der Rationalisierung. Die große Masse der Klöcknerarbeiter (etwa 4 000 von 5 000) arbeitet in der der komplizierten Produktionsanlage zugeordneten werkseigenen Reparaturbetrieben. Aus ihrer Arbeitskraft vor allem versucht das Kapital, die Kosten für die Rationalisierungsinvestitionen wieder herauszuholen.

Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, die Arbeit unterbezahlt Kein Schlosser oder Elektriker arbeitet länger als 2-3 Jahre direkt für Klöckner. Der hieraus resultierenden hohen Fluktuation und dem Arbeitskräftemangel wirkte die Werksleitung nicht durch eine Besserstellung der Arbeiter entgegen. Sie leiht sich je nach Auftragslage Reparaturarbeiter bei anderen Firmen aus, deren Löhne zwangsläufig weit über denen der werkseigenen Arbeiter liegen, und dies gewiß nicht zum Schaden der Reparaturunternehmen. Den Klöcknerarbeitern fiel es nicht schwer, aus diesem riskanten Anschauungsunterricht über unmittelbare Profitmaximierung zu lernen.

Unter den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, von den langen Wegen zu schlechten Toiletten, über miserable Pausenunterkünfte bis hin zur Lebensgefahr für die Arbeiter an den beiden letzten noch arbeitenden SM-Hochöfen, die infolge der glänzenden Auftragslage mit überhöhter Tonnenzahl gefahren werden müssen, sei eine besonders hervorgehobene ie der ununterbrochen arbeitenden Produktionsanlage total angepaßten Arbeitszeiten nach dem Schichtenrhythmus. Die normale 4-wöchentliche Arbeitszeit unterliegt folgendem Schichtenablauf:

1. Woche: Montag bis Samstag Frühschicht, 6-14 Uhr Sonntag 6-18 Uhr
2. Woche: Montag bis Mittwoch Spätschicht 14-22 Uhr 4 Tage frei
3. Woche: Montag bis Samstag Nachtschicht 22-6 Uhr Sonntag 18-6 Uhr
4. Woche: 3 Tage frei, Donnerstag bis Samstag Spätschicht, 14-22 Uhr Sonntag frei
usw. Das sind 168 Stunden im Monat. Um auf die 40-Stunden-Woche zu kommen, wird in jede Frühschicht ein sogenannter "Waschtag", eine Freischicht eingeschoben. Klar ist, daß vor allem dieser freie Tag, wie auch der vierte Sonntag Freischichten sind, die sich für Überstundenarbeit bis zu 200 Stunden monatlich anbieten. Der Schichtenrhythmus ist ein weiterer Grund für die hohe Fluktuation. Man hält ihn nicht lange aus. Das Klöckner Werk liegt etwa 10 Kilometer vom Zentrum Bremens entfernt im Industriehafen. Nur wenige Klöcknerarbeiter wohnen in den relativ nahe gelegenen ehemals proletarischen Vierteln Gröpelingen oder Valle. Nachdem Valle im 2. Weltkrieg fast völlig zerstört worden war, zog der größte Teil des Bremer Proletariats in die Parzellengebiete zwischen dem Bürgerpark und Oslebshausen, in denen es bis heute keine Kanalisation und Wasserzapfstellen nur an jeder zweiten Straßenecke gibt. Nur zögernd lassen sie sich von hier aussiedeln in den sogenannten sozialen Wohnungsbau von Satellitenstädten wie der "Neuen Vahr". Die Mieten sind zu hoch (bis zu DM 300 für drei Zimmer), die Wohnungen zu klein und zu isoliert voneinander. Ehemalige Kleingärtnervereine vor allem, wie "Blockland" und "Blüh auf" organisieren den Widerstand. Klöcknerarbeiter. die nicht in den Satellitenstädten oder den Parzellengebieten wohnen, kommen aus Zeven, Bremerhaven oder Delmenhorst mit Anfahrtswegen bis zu zwei Stunden zur Arbeit in die Hütte. Für diese Arbeiter, (ihre genaue Zahl konnten wir nicht ermitteln, sie muß aber relativ hoch sein, denn sonst lohnte sich ein 'werkseigenes Transportsystem nicht) dauert der Arbeitstag bis zu 12 Stunden. Jeden zweiten bzw. dritten Sonntag verlängert er sich, da sonntags nur 12-stündige Schichten gefahren werden, bis zu 16 Stunden.

Die Frauen der meisten Klöcknerarbeiter verdienen mit. Sie arbeiten bei Nordmende, Siemens oder als Putzfrauen. Am Abend des ersten Streiktages zogen sie zusammen mit ihren Männern vor das Werkstor. Sie demonstrierten damit jene schon klassenmäßige proletarische Solidarität, der sich die Werksleitung, die versprochen hatte, eine Erklärung zu den Forderungen der Arbeiter abzugeben, nicht mehr zu stellen wagte.

Der Streik wurde inititiert und getragen hauptsächlich von älteren Arbeitern, die verheiratet sind und den Betrieb nicht mehr ohne weiteres verlassen können. Die Angestellten zögerten anfangs, sich dem Streik anzuschließen, obwohl die Lohnforderungen der Arbeiter Erhöhung auch ihrer Gehälter bedeuteten, während des Streiks haben sie die Arbeiter nur mäßig unterstützte Zwar bildeten sie vereinzelt mit den Arbeitern Streikposten, in der großen Mehrheit jedoch verhielten sie sich passiv, ohne Eigeninitiative, oder opportunistisch. Lehrlinge und jüngere Jungarbeiter, die größtenteils von sich selbst behaupten, sie sympathisierten mit der Linken und mit Sicherheit an den Bremer APO-Aktionen teilgenommen haben, wirkten ebenfalls weder initiierend noch organisierend. Die 250-300 ausländischen Arbeiter (vor allem Türken), die in der völlig unterbezahlten Verpackung mit Zweijahresverträgen arbeiten, und die ebenfalls dort beschäftigten Frauen unter den Klöcknerarbeitern haben aktiv mitgestreikt. Beide Parteiungen sind niemals Ursache von Spannungen in der Klöcknerarbeiterschaft gewesen.

3. Die Entlohnung der Klöcknerarbeiter ist miserabel. Die Löhne liegen sowohl weit unter denen der Stahlindustrie im Ruhrgebiet als auch unter denen der übrigen Bremer Industrie. Der Ecklohn liegt bei einer Lohngruppenskala von 10-2 bei der Lohngruppe 7 und beträgt zur Zeit ca. 3, 90 DM.

Der während der Rezession eingeleitete Lohnabbau in der Stahlindustrie traf die Klöcknerarbeiter auf zweierlei Weise; einmal über den von der Gewerkschaft eher geförderten als verhinderten Mechanismus kapitalistischer Rationalisierung, zum anderen in Form von Kürzungen aller vom Kapital in Zeiten der Hochkonjunktur zugestandenen, tariflich nicht gesicherten Extras zum normalen Lohn. Während die Klöcknerarbeiter von der Lohnkürzung durch Rationalisierung ungleichmäßig betroffen waren, machte sich der Schwund der 1964 zugestandenen 30-Pfennig-Zulage pro verdienter Mark auf traurige 11 1/2 Pfennige 1967 im Geldbeutel jedes einzelnen Klöcknerarbeiters unverschleiert und einheitlich bemerkbar.
Von dem grandiosen Boom in der Stahlindustrie 1968/69, an dem sich Klöckner dumm und dämlich verdiente i, handelten sich die Arbeiter ausschließlich Überstunden ein und deren beschissenen Gegenwert. Statt 160 Stunden wurden bis zu 200 Stunden im Monat gefahren. Die Ausbeutung war kaum noch zu steigern.

Die Sammlung der Arbeiter zum Kampf gegen die unerträglich gewordene Ausbeutung konzentrierte sich inhaltlich von vornherein auf zwei Losungen: "30 Pfennig für jede Mark" und "gleiche Löhne". Die erste Losung enthielt das die Solidarisierung auslösende Moment, da der Abbau der 30 Pfennig keinen Klöcknerarbeiter ungeschoren gelassen hatte. Die zweite Losung konnte den solidarischen Kampf weitertreiben und schließlich erfolgreich auf eine neue Stufe heben. Indem sie die gewerkschaftliche abgesicherte Lohnhierarchie durchbricht, durchkreuzt sie direkt die das Proletariat spaltende Strategie des Kapitals. Monate vor Beginn des Streiks formierte sich der Kampf in sporadischen Überstundenverweigerungen einzelner Abteilungen (die Klöcknerarbeiter knüpften damit an eine Kampfform an, die in einer Reihe von Bremer Elektrobetrieben zu Anfang des Jahres mit exemplarischem Erfolg praktiziert worden war). Aber der Kampf gegen die miese Lohnsituation in Form der Überstundenverweigerung führte zwangsläufig zu einer weiteren Verschärfung der materiellen Lage (der stark geschrumpfte Lohn garantierte kaum mehr das Existenzminimum). Erst der einmal beschlossene und begonnene Kampf konnte das wahre Ausmaß der materiellen Notlage zutage fördern, seine Notwendigkeit zunehmend klarer und eindeutiger im Bewußtsein der Arbeiter festigen, sich dialektisch zur materiellen Notlage bis hin zum Streik radikalieren.

Der 2 1/2 Monate vor Beginn des Streiks von der Belegschaft über die 2. Liste erkämpfte Betriebsrat unterstützte die Überstundenverweigerung, soweit das BVG dies zuließ. Er schrieb nur noch die für die Instandhaltung der Produktionsanlagen erforderlichen Überstunden aus. Von seinem Amtsantritt bis zum Streik konkretisierte er nur die erste noch gewerkschaftliche Forderung der Arbeiter: Wiederaufstockung der innerbetrieblichen Zulage auf 30 Pfennig pro verdiente Mark, d. h. für die Ecklohngruppe 7 eine Erhöhung von 70 Pfennigen. Aber schon am ersten Streiktag faßten die Arbeiter ihre ursprünglichen Losungen in einer Konkretion zusammen, die die des Betriebsrats überholte. Sie forderten eine Lohnerhöhung von absoluten 50 Pfennigen für alle Arbeiter.

Im Gegensatz zum Betriebsrat unterstützte der von SPD und Gewerkschaft eingesetzte Vertrauensleutekörper den Streik nicht.

"DENKT AN HOESCH"

Der Streik, der auf die Nachrichten aus dem Ruhrgebiet "spontan" durch einen 2-stündigen Warnstreik der Nachtschicht vom Donnerstag eingeleitet wurde, war nach Aussagen von Klöcknerarbeitern schon so weit vorbereitet, daß er auch ohne die Initialzündung "Hoesch" 4-6 Wochen später mit Sicherheit durchgeführt worden wäre.
Freitag, neun Uhr: die Arbeiter im Kaltwalzwerk frühstücken und frühstücken. Die Frühstückspause endet mit der Bildung eines Streiktrupps, der vom Kaltwalzwerk zum Verwaltungsgebäude zieht, dort die 50 Pfennig fordert und anschließend durch sämtliche Werke marschiert und zum Streik aufruft. In direkter Konfrontation mit einer streikenden Belegschaft zeigt sich die Unternehmensleitung bereit sofort 20 Pfennig, kurz darauf 30 Pfennig Lohnerhöhung auf den Ecklohn zuzugestehen. Die Streikenden lehnen ab.
Um 13 Uhr kommt die Werksleitung mit Vertretern des Arbeitgeberverbands zu einer Beratung der Lage zusammen, Ergebnis dieser Sitzung ist, mit der Gewerkschaft in Verbindung zu treten und sie aufzufordern, um den Preis vorgezogener Tarifverhandlungen ihre Rolle als Ordnungsfaktor wieder wahrzunehmen.
Setzt das Kapital in Zeiten des "Betriebsfriedens" alles daran, die Macht der Gewerkschaften einzuschränken, indem es versucht, die Tariflöhne möglichst niedrig zu halten und mit betrieblichen Vertretern der Arbeiter über jederzeit kündbare Sonderregelungen die eigentlichen Lohnerhöhungen auszuhandeln, so scheut es andererseits in Zeiten von Arbeitskämpfen kein Mittel, die Autorität der Gewerkschaften wieder herzustellen. Die Gewerkschaften bleiben so Spielbälle der Kräfte, die den Grundwiderspruch entfalten.

Noch in derselben Nacht wurde die Tarifkommission in Gelsenkirchen einberufen.

Samstag früh um 2 Uhr liegt als Ergebnis dieser "Koalitionsgespräche" ein 40 Pfennig - Angebot der Direktion vor: von diesen 40 Pfennig auf den Ecklohn hätten 10 auf jeden Fall, 30 im Falle einer mehr als Steigen Erhöhung auf die Ergebnisse der kommenden Tarifverhandlungen angerechnet werden sollen. Da aber von der IG Metall zu diesem Zeitpunkt bereits eine 14% Erhöhung gefordert wurde, war völlig klar, daß diese 40 Pfennig bluffen sollten. Sie wären in ihrer Gänze unter den Tisch gefallen. Die Arbeiter hätten für nichts gestreikt. Auch dieses Angebot wurde ausgeschlagen. Bis Mittwoch erfolgte kein weiteres Angebot.

In der Zwischenzeit inszeniert die Werksleitung eine Hetzkampagne gegen die Klöcknerarbeiter in der liberalen Öffentlichkeit. Im Zentrum steht das sogenannte Mischerproblem. Der fast leere Mischer war noch am Freitagnachmittag auf massiven Druck der Werksleitung mit dem flüssigen Rohstahl aus den stillgelegten Hochöfen vollgekippt worden. Das war offene Provokation der streikenden Arbeiter. Sie weigerten sich, den vollen Mischer, der zu einem Stahldenkmal einzufrieren drohte, wieder zu entleeren (da dies einer Wiederaufnahme der Produktion gleichgekommen wäre). Die Werksleitung verleumdete das als frühkapitalistische Maschinenstürmerei und versuchte so, die Kampfkraft der Arbeiter zu paralysieren.

Die Gewerkschaften mochten nicht zurückstehen. Sie verbreiteten unter den Arbeitern des Klöcknerstahlwerks und der Georgs-Marienhütte Osnabrück die infame Lüge, die Bremer Arbeiter zerstörten Produktionsanlagen und hätten einen Lokführer erschlagen. Sie seien gelenkt durch betriebsfremde Gruppen. Zu erklären ist der brutale Charakter solcher Diffamierungen aus der tiefsitzenden Furcht der Reaktion vor dem radikalisierenden Einfluß, den die Klöcknerarbeiter bei Arbeitskämpfen traditionellerweise auf die Arbeiterschaft ganz Norddeutschlands ausüben.

Mittwochmorgen offeriert die Betriebsleitung erneut ihr 20-Pfennig-Angebot vom Freitag. Die Arbeiter lehnen wiederum ab.

Diesmal per Abstimmung auf einer um 14 Uhr am Werkstor stattfindenden Belegschaftsversammlung. Mehr als tausend Arbeiter erklären einmütig, den Streik fortzusetzen. Zum ersten Mal treten Sprecher aus der Belegschaft hervor. Darunter ein Türke. Die Stimmung ist Begeisterung. Sprechchöre werden gebildet. Die Kampfbereitschaft ist ihrem Inhalt nach eindeutig antikapitalistisch. Betriebsrat Florien an die Versammelten: "Das Gesetz verbietet mir. Euch zu danken".

An diesem Mittwoch sind die Fronten klar. Der Kampf ist eindeutig geworden. Weder den Kapitalisten noch den Arbeitern geht es mehr ums Geld. Tendenziell ist die Machtfrage gestellt. Wer wen? Für die Arbeiter heißt das, wie kann ihr Kampf gegen die Kapitalisten eine neue offensive Stufe gewinnen) Entlang welcher Strategie;
Der im antigewerkschaftlichen Kampf geschaffene Betriebsrat, diese uneinheitliche, verstohlene, von der Kraft der Massen in jeder Phase des Streiks neu überraschte "Führung", findet sich Mittwoch vor eine Alternative gestellt, die sich ihm verschließt. Weder ist er der organisierte Kader, der die entschlossenen Massen organisierend im Kampf gegen die herrschende Klasse anleiten kann, noch kann er zurück in den Lakaienstatus des Vermittlers zwischen den Unternehmern und Arbeitern, die sich den Kampf angesagt haben. Wo Entscheidungen getroffen werden müssen, aber nicht getroffen werden können, blüht naturwüchsiger Opportunismus.

Die Handlungsunfähigkeit des Betriebsrats gebiert ein vielschichtiges Überlegen über die vermeintlich von ihnen versäumte "rechtzeitige Umfunktionierung" des Streiks und wie "man" hätte dieses oder jenes verhindern können. Nicht wie man, die eigene Einstellung zu den Massen korrigierend, sie in einen siegreichen Kampf hätte führen können, wurde analysiert, sondern imaginäre Zeitpunkte wurden beschworen, zu denen man die sich radikalisierenden Arbeiter hätte bremsen sollen, selbstverständlich in deren ureigenstem "Interesse". Denn den Arbeitern war, der Auffassung von Teilen des Betriebsrats zufolge, nicht klar, daß sie einen Zweifrontenkampf führten, gegen die Unternehmer und gegen die Gewerkschaften, und daß sie unterliegen mußten, wenn sie sich nicht auf eine der Fronten konzentrierten. Man hätte zum rechten Zeitpunkt alle Kräfte auf den Kampf gegen die Gewerkschaften, den angeschlageneren Gegner vereinen müssen, indem man die Forderungen der IG-Metall nach Vorverlegung der Tarifverhandlungen und nach 14%iger Lohnerhöhung zu Forderungen des wilden Streiks gemacht hätte. Der Gewerkschaft wäre dadurch (angeblich) der Wind aus den Segeln genommen worden. Diese imaginäre Strategie "post festum" baute auf dem ebenso imaginären Hang der Arbeiter zum Ökonomismus. Bei aller Radikalität ginge es den Arbeitern ja nur ums Geld, egal von wem. Nach Meinung von Teilen des Betriebsrats wären die Arbeiter todsicher auf den Trick der Gewerkschaften hereingefallen, deren Forderung von ca. 56 Pfennigen (=14%ige Erhöhung) für Lohngruppe 7 mit ihrer eigenen Forderung nach 50 Pfennig auf jede Lohngruppe gleichzusetzen. Da wäre es schon besser gewesen, die Arbeiter hätten bewußt von sich aus diese Gleichsetzung vollzogen. Abgesehen von der opportunistischen Überschätzung der "Macht" der Gewerkschaften zum Zeitpunkt der Streikwelle, steckt in dieser Argumentation vor allem eine ungeheuerliche Unterschätzung, ja Mißachtung der politischen Kraft der sich formie renden Arbeiter. Der Betriebsrat hatte den klassenbildenden Sinn der 50 Pfennig-Forderung offensichtlich nicht verstanden. Er hatte, irregeführt durch die Rolle, die er selber in der vergangenen Phase des Kampfes gespielt hatte, nicht begriffen, daß mit dem Sieg der Liste 2 der antigewerkschaftliche Kampf der Arbeiter sich zu einem offen antikapitalistischen entwickelt hatte.

Donnerstag. Der naturwüchsige Opportunismus des Betriebsrats, der hauptsächlich aus seiner objektiven Entscheidungsunfähigkeit resultierte, zeigte sich aber nicht nur in der post festum entwickelten "Strategie der verpaßten Gelegenheiten" und ihrer falschen Grundthese. Er wurde schließlich auf den Belegschaftsversammlungen am Donnerstag zur Quelle totaler Widerstandslosigkeit gegenüber den infamen Taktiken des Kapitals. Auch die Abwiegelungsmanöver nährten sich aus ihm ohne direkt zum Streikabbruch aufrufen zu müssen, sollten sie doch eindeutig Abbruchwilligkeit bei der Arbeiterschaft erzeugen. Die Werksleitung hatte am Morgen, zu einem Zeitpunkt, zu dem wenige Arbeiter auf dem Werksgelände sind, zu einer Belegschaftsversammlung aufgerufen, zu der sie überdies die Angestellten eigens per Post eingeladen hatte. Auf dieser "Belegschaftsbasis" inszenierte sie, getarnt als Abstimmung über das Schicksal des Mischers, eine Abstimmung über Abbruch oder Fortsetzung des Streiks. Der Mischer sollte jetzt auf seine Verwendungsfähigkeit überprüft werden, was eine wenn auch allmähliche so doch sichere Wiederaufnahme der Produktion zur Folge haben mußte.

Dank der Unentschlossenheit, Uninformiertheit und partiell offenen Arbeiterfeindlichkeit eines größeren Teils der Angestellten, die in der absoluten Mehrheit waren, ergab die Abstimmung keine eindeutige Ablehnung der Wiederaufnahme der Arbeit am Mischer.

Dieses Abstimmungsergebnis wirkte sich, wie geplant, paralysierend und demoralisierend aus auf die l 500 Arbeiter Inder Nachmittagsversammlung. Der Betriebsrat hatte sie einberufen unter dem Motto: "Die Belegschaft ist guten Willens, sie möchte auch lieber arbeiten als streiken. Aber auch der Konzern muß uns entgegenkommen."

Diffamierungen des Betriebsrats taten ein übriges. Auf die Feststellung eines klassenbewußten Arbeiters, es sei lächerlich, jetzt für 20 Pfennig wieder an die Arbeit zu gehen, antworte Müller, man wolle es hier nicht mit Goebbels und seiner Parole "wollt ihr den totalen Krieg" halten. Freitag wurde schließlich über den Zeitraum von drei Schichten hinweg über Annahme oder Ablehnung des letzten Angebots der Geschäftsleitung (20 Pfennig auf den Ecklohn bei Nichtanrechnung der Streikschichten) abgestimmt. Nur 54% der Belegschaft nahmen an dieser Abstimmung teil. Für die Annahme stimmten 1415, für die Fortsetzung des Streiks 1195. Das bedeutete sofortige Arbeitsaufnahme. Die Erbitterung unter den Arbeitern ist sehr groß. Es wird wieder gerechnet. Manche kommen zu dem Ergebnis, daß man 7 Monate arbeiten muß, bis sich die Lohnerhöhung bemerkbar macht.

4. ZUR ORGANISATION DES STREIKS

In der ersten Konfrontation mit der Unternehmensleitung, die versucht hatte, über einen von ihr organisierten, personell weit überbesetzten Notdienst die Produktion weiter laufen zu lassen, bildeten die bewußtesten Arbeiter, Facharbeiter, teilweise sogar Meister einen eigenen NOTDIENST, der mit drei Aufgaben betraut war:

1. die Wiederaufnahme der Produktion durch eventuelle Streikbrecher zu verhindern,
2. die Produktionsanlagen zu warten und
3. Sabotageakte durch eingeschleuste Provokateure abzuwehren. Hierzu gehörte auch die Überwachung des Werkschutzes, der zur Hälfte aus Spitzeln besteht, der Notdienst war zugleich potentielle Streikleitung.

Die STREIKPOSTEN waren nicht zentral organisiert. Einander bekannte Gruppen von Arbeitern lösten sich gegenseitig ab. Die Werkstore wurden auf diese Weise permanent von durchschnittlich 500 Arbeitern bewacht. Jeder, der ins Werk wollte, mußte eine dreifache Kontrolle passieren. Für den Notdienst hatten die Streikposten ein System täglich andersfarbiger Karten entwickelt, um das Eindringen von Provokateuren abzuwehren. Immer wieder neu bildeten sich im Verlauf des Streiks Gruppen, die am Aufbau eines INFORMATIONSnetzes arbeiteten. Die kursierenden Flugblätter enthielten ausschließlich Informationen a^tfnisatorischer Art, mit Ausnahme eines Flugzettels, mit Streikinformationen für die Arbeiter der anderen Bremer Betriebe.

Das Prinzip der dialektischen Beziehung von Führung und Masse wurde in der Geschichte der Arbeiterbewegung und wird auch heute noch von kommunistischen Parteien wiederholt verletzt.

Daraus resultiert auch das berechtigte Misstrauen der Arbeiter gegen kommunistische Parteien, wie es sich in der Reaktion der Klöckner-Arbeiter auf Einmischungsversuche der DKP zeigt. Dieses Mißtrauen ist nur dann gegen Resignation gefeit, wenn durch Arbeitskämpfe und politische Schulung der Masse der Arbeiter klar wird, daß die Kader im Kampf nur dadurch Kader sein können, und der Kampf nur dadurch in aufsteigender Linie bis zur Revolution verläuft, wenn diese Kader nicht ausschließlich im Betrieb verankert sind, sondern auch in einer kommunistischen Partei, deren oberstes Prinzip "von den Massen lernen, in die Massen tragen, aus den Massen schöpfen" ist.
 

  Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien in
Rote Presse Korrespondenz
DER STUDENTEN-SCHÜLER-UND ARBEITERBEWEGUNG
1969, 1. Jg, Nr. 32, 26.9.1969, S. 6-11
Redaktion: Solveig Ehrler, Günther Matthias Tripp, Betriebsbasisgruppen. Ad-hoc-Gruppen an den Hochschulen, Internationales Forschungsinstitut des SDS (INFI), Berufsbasisgruppen im Republikanischen Club Berlin, Zentralrat der Sozialistischen Kinderläden

OCR-San by red. trend 

virtuell erstveröffentlicht in Trend 10/2004

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