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Weitere Ergänzungen zur Textsammlung Aufruhr & Revolte
 


Titelblatt der 1. Mai Zeitung

Der Berliner EXTRADIENST berichtet am 30.3.1968; Nr. 26/II

ERSTER MAI: PROJEKT- UND INITIATIVGRUPPEN BEGANNEN ARBEIT

In der kommenden Woche wird sich das Maikomitee der Opposition zur Vorbereitung des Maifeiertages in Westberlin konstituieren. Im Komitee werden die sozialistischen Gruppen der Außerparlamentarischen Opposition vertreten sein: die GSG, die Falken, die neue Arbeitsgemeinschaft Linker Jungsozialisten in der SPD, die Junge Linke in der SPD, der Gewerkschaftliche Arbeitskreis im Republikanischen Club, der Sozialistische Club Neukölln und die "Gruppe Nordwest" Wedding, der SDS und der SHB. Nicht-sozialistische Gruppen der Opposition werden Kongreß und Kundgebung durch ihre Teilnahme unterstützen. Es steht fest, daß am 30. April ein Kongreß stattfinden wird, über dessen Thematik eine Projektgruppe des SDS sitzt; "Thesen zur "Lage der Wirtschaft in Westberlin" werden erarbeitet. In zahlreichen Betrieben entstanden in den letzten Initiativgruppen, die die Maikundgebung der Sozialistischen Opposition vorbereiten. Die Initiativgruppen sollen nachdem Ersten Mai als Sozialistische Opposition Westberlins locker weiter zusammenarbeiten. Es wird zur Zeit auch der Versuch unternommen, Initiativgruppen in Wohngemeinschaften zustandezubringen. "Agitationsformeln", die sich speziell dazu mit der Thematik "Weißer Kreis" beschäftigen, werden in einer Projektgruppe des SDS diskutiert.

Der Berliner EXTRADIENST berichtet am 6.4.1968; Nr. 28/II

WESTBERLIN: SOZIALISTISCHES MAIKOMITEE KONSTITUIERT I

Das Regierungskartell von Gewerkschaftsspitzen und Parteien hat in Westberlin zustandegebracht, was weder im kaiserlichen Deutschland noch unter dem Einfluß der bewaffneten Noske-Macht in der Weimarer Republik möglich gewesen ist: den 1. Mai als Kampftag der Arbeiterklasse abzuschaffen. Das steht im Aufruf des in dieser Woche konstituierten "Sozialistischen Maikomitees 1968 Westberlin", dem Mitglieder des Republikanischen Clubs, der Gewerkschaftlichen Studentengruppe an der FU, dem Jüdischen Arbeitskreis, des SDS, des SHB, der Falken, des Sozialistischen Clubs, der Kampagne für Demokratie und Abrüstung und der Jungen Linken in der SPD angehören. Der 1. Mai sei in Westberlin ein Feiertag der "Volksgemeinschaft", die unter dem Druck stalinistischer Politik zustandegekommen sei. Heute, da wirtschaftliche Schwierigkeiten und eine demokratiefeindliche Senatspolitik die Stadt von innen her bedrohten, müsse die Arbeiterklasse Westberlins am 1. Mai ihre Interessen den Herren aus Wirtschaft und Politik deutlich machen. Wie weiter zu erfahren ist, wird das Sozialistische Maikomitee mit Unterstützung des Hamburger Rowohlt Verlags am Nachmittag des 1. Mai in der Deutschlandhalle eine Veranstaltung durchführen, die unter dem Motto "Kampf für direkte Demokratie" steht. Unter dem gleichen Motto findet am Vormittag des 1. Mai die Kampfdemonstration der Westberliner Sozialisten statt. Bis zum 1. Mai sollen Flugblätter und Veranstaltungen die Bevölkerung zur Teilnahme an dieser Kundgebung aufrufen.

Der Berliner EXTRADIENST berichtet am 27.4.1968; Nr. 34/II

SOZIALISTISCHER 1. MAI: STÖRAKTIONEN VON RECHTS ERWARTET

Auf einer Pressekonferenz im RC gab ein Sprecher des Sozialistischen Maikomitees bekannt, daß man inoffiziell über eventuelle Störaktionen von "agents provocateurs" informiert wurde, die der "Jungen Union" angehören sollen. Eine solche Gruppe unter Anleitung des CDU-Abgeordneten Wohlrabe war schon bei der Vietnam-Demonstration im Februaraktiv. Diesmal wollen einzelne Junge-Union-Mitglieder sich unter die Demonstranten mischen, um durch Steinwürfe auf Schaufenster oder ähnliche Aktionen der Polizei zum Einschreiten zu zwingen. Die Demonstranten werden versuchen, solche Provokateure festzustellen und sie in besonders krassen Fällen der Polizei zu übergeben. Die Demonstration - es wird mit einer Teilnehmerzahl von 20 000 bis 30 000 Menschen gerechnet - wird sich in 15 Blöcke teilen, in denen spezielle Ordnergruppen für einen friedlichen Ablauf sorgen werden. Die Route: Vom Karl-Marx-Platz, auf dem man sich ab 9. 30 Uhr sammelt, geht der Zug um 10 Uhr über die Karl-Marx-Straße, Reuterstraße, Sonnenallee, Urbanstraße, Graefestraße, Kottbusser Damm zum Hohenstaufenplatz in Schöneberg. Dort wird gegen 11 Uhr die Schlußkundgebung stattfinden. Redner sind der Verleger Giacomo Feltrinelli (Mailand); Lawrence Daly, Generalsekretär der schottischen Bergarbeiter-Gewerkschaft; Günter Tollusch, Betriebsratsvorsitzender der Ford-Werke Köln; Erwin Bürckmann, Betriebsrat Daimler Benz Mannheim; Klaus Meschkat VRC), Heinz Beinert (Falken), Bernd Rabehl (SDS) sowie ein Vertreter der Westberliner Schüler, der noch in einer Vollversammlung gewählt werden soll. Das Sozialistische Maikomitee warnte nach den Erfahrungen der "Dutschke-Raus-Kundgebung" am Rathaus Schöneberg Jugendliche mit Barten, Brillen, Cordhosen und roten Schlipsen an der "Gegenkundgebung" am Reichstag teilzunehmen. Am Dienstag, 30. April, 18 Uhr, wird in der Neuen Welt, Hasenheide, ein Sozialistisches Forum unter dem Motto "Klassenkampf statt Volksgemeinschaft" veranstaltet. Im Auditorium maximum der FU findet am Montag, 29. April, 20 Uhr, ein teach-in zur Frage "Was haben Studenten mit dem 1.Mai zu tun?" statt.

Die 1. Mai Zeitung wurde von Tilman Fichter(1), Peter Neitzke(2) und Wolfgang Hohmann(3) für das Komitee der Arbeiter, Schüler und Studenten herausgegeben.  Gedruckt wurde sie bei der Fa. Erich Lezinsky Verlag(4).

Die komplette Zeitung als Faksimile im
PDF-Format lesen.

1) Tilman Fichter 
Diplom Politologe, geboren am 1. August 1937 in Berlin-Wilmersdorf.
Besuch der Volks- bzw. Oberschule in Stuttgart bis zur Mittleren Reife und im Winter 1953/54 der Hamburger Seemannsschule. Danach Schiffsjunge. 1956 bis 1959 Lehre bei einer Stuttgarter Versicherungsfirma, 1959 bis 1961 Tätigkeit bei einer Londoner Rückversicherung. 1964 Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg am Berlin-Kolleg, danach Studium der Politischen Wissenschaft und Soziologie an der Freien Universität. 1963 bis 1970 Mitglied im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). 1973 Dipl. Politologe, 1986 Promotion zum Dr. phil. 1971 bis 1981 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stammer-Institut für sozialwissenschaftliche Forschung der FU. Seit 1982 Mitglied in der SPD. 1986 bis 2001 Referent für Schulung und Bildung beim Parteivorstand der SPD in Bonn und Berlin. Danach aktiv in der Berliner SPD, z.B. als Vorsitzender der Abteilung 74 in Charlottenburg. (Quelle: http://www.berlin.spd.de )

2) Peter Neitzke
"
Mich hat immer schon sehr viel eher Politisches angetrieben, entschieden mehr jedenfalls als Architektur."
 Neitzke begann Ende der 50er Jahre mit dem Architekturstudium an der TU Berlin. Er gehörte seit dem 12. Mai 1967 zu den führenden Mitgliedern des Westberliner SDS und gründete 1970 zusammen mit Christian Semler und Jürgen Horlemann  die Kommunistische Partei Deutschlands / Aufbauorganisation. Mitte der 70er Jahre kehrte er der KPD/AO den Rücken und wandte sich seinem Beruf als Architekt zu. (Quelle: Kleine Geschichte des SDS / Wikipedia / http://www.archplus.net)

3) wird nachgereicht

4) Der Erich-Lezinsky-Verlag,
an dem heute der Axel-Springer-Verlag mehrheitlich beteiligt ist, stellt die"
Berliner Woche", ein Anzeigenblatt, und das wöchentlich erscheinende. "Spandauer Voksblatt" her. (Quelle: http://de.wikipedia.org)

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