zurück Remember 1968
Weitere Ergänzungen zur Textsammlung Aufruhr & Revolte
  Nach dem Vietnamkongress
Die Stellungnahme der westberliner FALKEN
zu den skandalösen Vorgängen am 21.2.1968

 

Zu den Oster-Aktionen

I.

Die Springer-Blockaden haben die politische Polarisierung produziert, die wir schon vorher für diesen Sommer erwartet hatten. Die Ungleichzeitigkeit der westdeutschen im Verhältnis zur Berliner Entwicklung hat sich dabei gleichermaßen bestätigt und verändert. Daß der Mordanschlag jetzt in Berlin geschah, ist eher akzidentell, als es die organisierte Polizeischlacht am 2. Juni und der Tod Ohnesorgs waren. Damals war der Schah-Besuch zwar schon im nationalen Maßstab als Notstandsmanöver angelegt, hatte jedoch nur in Berlin den politischen Charakter, daß die radikale Opposition physisch zerschlagen werden sollte. Unsere Analyse des neuen autoritären Staates orientierte sich mit Recht an diesem fortgeschrittenen Stadium der Reaktion. Das Machtkartell von Senat, Springer-Presse, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften entspricht der Tendenz, die ebenso in Westdeutschland sidi durchsetzt. Die Massen werden nicht wie am Ende der Weimarer Republik in der faschistischen Bewegung gegen den Parlamentarismus geführt, sondern von diesem selbst in eigene Regie genommen. Die Herrschenden imitieren sich bis in die einzelnen Sprachfiguren; sie sind die neuen kollektiven Führer. Jedoch sind sie trotz ihrer täglichen Brutalität eine bloße Karikatur. Die klägliche Konter-Demonstration am 21. Februar belegt den Widerspruch, die Massen gleichzeitig passiv halten zu müssen und sie gegen den inneren Feind mobilisieren zu wollen.

Während in Berlin derweil die Unterstützung durch Nichtstudenten zunahm, und die Kooperation mit ihnen, wurde in Westdeutschland die offizielle Propaganda gegen die oppositionelle Minderheit gewissermaßen nachgeholt. Hier wie dort wurde sie nach dem Muster organisiert, den politischen Protest als kriminell und asozial, nicht der Gemeinschaft der Anständigen zugehörig, zu qualifizieren. Die latente Gewalt war damit zur Pogromstimmung artikuliert worden. Jetzt, nachdem wir gegen diese Gewalt unseren Widerstand spontan organisiert haben, haben wir sie freilich nicht gebrochen, vielmehr hat sich das institutionelle und lebendige Potential an Gewalt gefährlich gesammelt. Der verfassungswidrige Einsatz von Bundesgrenzschutz und Technischem Hilfswerk in Esslingen, die freiwillige staatsbürgerliche Mithilfe von Schäferhundvereinen geben einen Geschmack davon ebenso wie der untergründige Aufruf zur Selbstjustiz und die Erwägung der Vorbeugehaft durch den Bundesinnenminister.

Die Konfrontation von herrschender Gewalt und unserer Opposition hat sich auf erweiterter Stufenleiter wiederholt. Die Studentenbewegung ist damit auch in der Bundesrepublik im ambivalenten Sinn wirksam geworden. Sieht man von den Differenzen ab — daß etwa in dieser Dimension lokale und primär politische Gegner nicht stets zusammenfallen —, so zeigen sich folgenreiche Analogien zur Berliner Entwicklung. Die Konfrontation mit dem Monopol Springer hatte dort dieselben Formen angenommen wie jetzt auf der neuen Ebene: Die Staatsgewalt identifizierte sich uneingeschränkt mit dem Konzern und ebenso ein großer Teil der Konkurrenzpresse, d. h. ein Entscheidungsdruck ist entstanden, der formal-liberale Positionen liquidiert und damit die Herrschaftsverhältnisse offenlegt. Die liberale Forderung nach einer demokratischen Öffentlichkeit kann inhaltlich sich nur revolutionär umsetzen. Das Institut des Privateigentums an Produktionsmitteln ist direkt zum Teil der Machtauseinandersetzung geworden.

Diese Auseinandersetzung ist der Entwicklung bis zum vergangenen Faschismus keineswegs völlig parallel, jedoch auch nicht von ganz neuer Qualität. Die These, daß der Faschismus sich heute im Zentrum der parlamentarischen Institutionen selber entwickle, etwa durch Notstandsgesetze, trifft abstrakt auch auf die Weimarer Republik zu — vgl. Präsidialdiktatur, Hugenberg-Konzern usw.; die wesentliche Differenz kommt darin zur Erscheinung, daß mit dem Trauma des offenen Faschismus die systeminterne Radikalisierung im ,Kampf gegen Rechts- und Linksradikalismus' verschleiert werden kann. Es ist ein Komplement zur ökonomischen Krisenverschleppung. Die Frage steht zur Diskussion, ob die Verschärfung von Konflikten, ökonomischen wie politischen, eine umfassende, offene Brutalisierung der Machtverhältnisse erwarten läßt oder eine Fortentwicklung des manipulativen Instrumentariums im Rahmen schleichend sich verändernder Institutionen.

II.

Daß der SDS schlecht auf die kommenden Konfrontationen vorbereitet ist, wissen wir. Zwar ist die These der Isolation sowohl in der Universität als auch außerhalb widerlegt; die inhaltliche Solidarisierung scheint haltbarer als früher zu sein. Aber vielfach ist der SDS nur die nominelle Spitze der Opposition, ein Warenzeichen, und weniger die praktisch organisierende Kraft. Noch ist es unklar, wie die Zusammenarbeit mit den jungen Angestellten und Arbeitern organisiert werden soll, die erstmals zu einer Aktionseinheit mit uns gekommen sind. Clubs zu gründen ist ein pragmatischer, improvisatorischer Weg. Richtig ist daran, daß wir jetzt nicht wie nach dem 2. Juni als moralisch engagierte Studenten in einer Mini-Narodniki-Bewegung in dem Abstraktum Bevölkerung Aufklärung betreiben können, sondern daß die Zusammenarbeit mit Betriebsund Lehrlingsgruppen und Gewerkschaftern organisiert werden muß. Mit welchem Ziel? Keinesfalls, um kritiklos Koalitionen zu bilden. Der Gefahr, daß sich die radikale Opposition integriert, ist nur mit inhaltlich konsequenten Bündnissen zu entgehen; sie allein geben uns auch die Möglichkeit neuer praktischer Erfahrungen.

Der SDS hat seine Grenze als Studentenverband mit den letzten Aktionen überschritten. So wenig sie die Einleitung des Bürgerkriegs bedeuten, so sehr haben sie doch die SDS-Gruppen überfordert, die sich häufig unfähig gezeigt haben, die Demonstrationen praktisch zu organisieren. Der organisierten Staatsgewalt gegenüber haben nicht nur unerfahrene Demonstranten, sondern auch manche Genossen sich völlig irrational und unpolitisch verhalten. Mit der Wut der Verzweiflung sind sie in die Konfrontation gegangen, sie folgten weniger einer revolutionären Strategie als einer der psychisch — durch Angst — vermittelten Gewalt. Haben wir aber den Schwindel der bloß sprachlichen Kommunikation als eine Ideologie der herrschenden Gewalt durchschaut, müssen wir um so klarer unsere Strategie der Abschaffung von Gewalt formulieren. Sie ist durch bloße Konfession zur Gewalt nicht zu ersetzen. Vielmehr müssen wir den primitiven und fetischisierten Begriff von Gewalt, wie er vorherrscht, permanent durchbrechen. Oskar Negt hat in seiner Rede über .Politik und Gewalt' Wesentliches dazu gesagt; gerade weil als Terror, Krawall und Gewalt prinzipiell alles verstanden wird, was dem Normalen, der alltäglichen Normenerwartung zuwiderläuft, dürfen wir diesen Begriff nicht stur erfüllen und ihn nur privat negativ interpretieren. Die Parole, sich gegen die Polizeigewalt zu bewaffnen, z. B. am Ostermontag auf Flugblättern auszugeben und damit die direkte Aggressivität zu stärken, statt sie zu politisieren, war falsch. Nichts hätte man schlechter durchstehen können als eine direkte Kraftprobe mit der in groteskem Verhältnis militärisch überlegenen Polizei. Ebenso hilflos erschei-

 

Quelle:

NEUE KRITIK -Zeitschrift für sozialistische Theorie und Politik Nr. 47, April 1968, 9. Jahrgang

Herausgegeben vom Bundesvorstand des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in Zusammenarbeit mit dem Verlag Neue Kritik KG Herausgeber: Wolfgang Abendroth, Hans-Jürgen Krahl, Herbert Lederer, Klaus Mesdikat, Oskar Negt, Bernd Rabehl, Helmut Schauer, Klaus Vack, Frank Wolff, Karl-Dietrich Wolff. Redaktion: Bernhard Blanke, Reimut Reiche, Wolf Rosenbaum, Ursula Schiniederer (verantwortlich) Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion Verlag und Redaktion: 6 Frankfurt l, Wilhelm-Hauff-Straße 5 Telefon 776068/778670

NEUE KRITIK erscheint jeden zweiten Monat. Jahresabonnement (6 Ausgaben): DM 18,— zuzüglich DM 1,50 Porto, Einzelheft DM 3,— zuzüglich Porto Postscheckkonto: Ff m 150774. Dresdner Bank Ff m 282680 Umschlagen t wurf: Eberhard Fiebig. Druck: Alfred W. Dunker, Frankfurt/M.

 

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