7. Gustav Adolfs historische
Stellung
Von Gustav Adolfs
Persönlichkeit wissen wir verhältnismäßig wenig.
Das wenige ist aber nicht ungünstig. Er war frei
von den gemeinen Lastern, in deren Pfuhle sich die
deutschen Zwergdespoten wälzten, und an Bildung
stand er hoch über ihnen. Natürlich wird er auch
dadurch nicht schlechter, dass die Annahme seiner
Verehrer, er sei wie ein fahrender Glaubensheld in
Deutschland eingebrochen, eine komische Einbildung
ist. Hätte er das getan oder auch nur tun wollen,
was angeblich „die Welt an ihm bewundert", so
hätten ihn die schwedischen Junker ins Narrenhaus
gesperrt, und das von Rechts wegen.
Seine historische Stellung wird bestimmt durch die
historischen Umstände, in denen er lebte. Die
junkerliche Militärmonarchie ist eine rückständige
Gesellschafts- und Staatsform; sie war es bis zu
einem gewissen Grade auch schon zu Gustav Adolfs
Zeit. Aber sie war noch immer eine vorgeschrittene
Staatsform gegenüber der polnischen
Adelsdemokratie, die im feudalen Sumpfe verfaulte,
und gegenüber der urwüchsigen Barbarei der Russen.
Im Kampfe mit Polen und Russland stieg Schweden zur
baltischen Großmacht empor. Im Kampfe mit Dänemark,
das auf gleicher Kulturstufe stand, trug es keine
Lorbeeren davon. Beide Länder mussten sich mit den
deutschen Ansprüchen auf die Ostsee abfinden.
Historisch stand die Frage nun nicht etwa so, ob
Dänemark oder Schweden stark genug sei, Deutschland
niederzuwerfen, denn davon konnte in alle Wege
keine Rede sein. Sondern es fragte sich, ob der
innere Auflösungsprozess des Deutschen Reiches je
so weit gedeihen könne, um es der Beutelust
Dänemarks oder Schwedens preiszugeben. Als Dänemark
angriff, hielt das Reich noch mit Ach und Krach in
seinen Fugen zusammen; dem schwedischen Angriffe
konnte es nicht mehr widerstehen, weil es von
seinen eigenen Gliedern entwaffnet wurde. Aber an
eine Beherrschung Deutschlands durch Schweden war
unter keinen Umständen zu denken. Schweden konnte
Deutschland nur ausrauben, und von diesem Raube
schuf es sich eine sehr vergängliche
Großmachtstellung. Denn der Raub ist nun einmal
nicht, wie uns die Bourgeoisökonomie hat lehren
wollen, eine Produktionsweise. Wie gewonnen, so
zerronnen, und kläglich genug stürzte Schweden von
dem kaum erstiegenen Gipfel der Macht. Seine
historische Stellung im siebzehnten Jahrhundert war
durchaus episodenhaft.
Demgemäß war auch Gustav Adolfs historische
Stellung durchaus episodenhaft. Nichts törichter,
als ihn mit historischen Gestalten zu vergleichen,
die die Vollstrecker großer gesellschaftlicher
Revolutionen gewesen sind. Napoleons Eroberungen
sind ihm unter den Händen zerflossen, aber er hat
Massen feudalen Unrates, an dem die europäische
Kultur zu ersticken drohte, mit eisernem Besen
weggefegt, und im Hinblick darauf durfte er auf
seiner einsamen Insel wohl sagen: Wer mein Andenken
schmäht, beißt auf Granit. Was ist aber auch nur
entfernt Ähnliches von Gustav Adolf zu rühmen? Sagt
man etwa, er habe das Luthertum in Deutschland
gerettet? Nun, das ist erstens nicht einmal wahr,
zweitens aber, wenn es wahr wäre, so hätte Gustav
Adolf ein System unseliger Verdummung auf ein paar
Jahrhunderte für Deutschland verewigt, und das
danke ihm der Teufel!
Als Feldherr und Staatsmann war Gustav Adolf der
ausführende Arm der schwedischen Ritterschaft. Im
Allgemeinen hat er nicht wider den Stachel gelöckt
und sich hübsch geduckt, wenn ihn sein Kanzler
Oxenstierna rüffelte, er solle keine „konfusen"
Pläne fassen, die doch nicht ausgeführt werden
könnten. Wie er den Plan der deutschen Expedition
vorher mit den Junkern bis in die entferntesten
Möglichkeiten durchsprach und sich ihrer vollen
Zustimmung in allen Einzelheiten versicherte, ehe
er ihn ausführte, so hat er auch aus Deutschland
für jeden wichtigeren Schritt, den er tat, die
Genehmigung der junkerlichen Regentschaft
eingeholt, die er in Schweden eingesetzt hatte, und
aus diesen Papieren kann man das Märchen seiner
Glaubensheldenschaft bis auf das kleinste Atom
widerlegen. Gustav Adolfs Abhängigkeit vom
Junkertum ließ seiner etwaigen „genialen
Individualität" geringen Spielraum, aber was man
etwa davon entdeckt, macht keinen erhebenden
Eindruck.
Zwar dass er als Feldherr eine starke Ader vom
Flibustier oder, um das Ding beim deutschen Namen
zu nennen, vom Seeräuber hatte, mag man nicht
seinem persönlichen Charakter, sondern der ganzen
Kriegführung der schwedischen Militärmonarchie
zuschreiben. Leider scheint er aber diesen
traurigen Zwang durchaus nicht als solchen
empfunden zu haben. Wenn er „Sengen, Brennen,
Plündern und Morden" androhte, so geschah es mit
einem wollüstigen Behagen, das den modernen
Kulturmenschen unmöglich anziehen kann. Mag man es
„Heldenmut" nennen, dass er mitten im Getümmel der
Feldschlacht seinen Tod fand, dass er im
bayerischen Feldzuge an die feindlichen Vorposten
herantritt und sie mit der Frage neckte: Monsieur,
was macht der alte Tilly? – als Feldherr stellte
sich Gustav Adolf dadurch selbst sehr tief, auch
schon für seine Zeit; er stellte sich tief unter
Wallenstein, der ihm in allem überlegen war und den
Krieg niemals um des Krieges willen führte. Immer,
wo es seine politischen Zwecke gestatteten, zog
Wallenstein den Frieden dem Kriege, die friedlichen
Mittel den kriegerischen vor. Im Gegensatze zu ihm
war Gustav Adolf ein rücksichtsloser Draufgänger
und Dreinschlager, ein Seekönig, der plündernd über
Länder und Meere strich, kein Eroberer, der neue
Reiche gründete.
Es ist auch nicht sein, sondern Wallensteins
Verdienst, eine höhere und menschlichere Art der
Kriegführung wenn nicht durchgeführt, so doch
erstrebt zu haben. Gefördert hat Gustav Adolf die
Kriegführung durch taktische Reformen, die zumeist
auf eine größere Beweglichkeit des Heeres
hinausliefen. Aber er hat nicht daran gedacht und
konnte auch gar nicht daran denken, die Wurzeln der
damaligen Kriegführung anzutasten. Was ihm in
dieser Beziehung nachgelobt worden ist, beruht auf
einem gründlichen Missverständnis.
Militärmonarchien führen immer zu technischen
Verbesserungen des Kriegshandwerks; es ist die
einseitige Virtuosität, die ein bestimmtes Werkzeug
umso geschickter handhabt, je länger sie damit
hantiert. Dagegen können Militärmonarchien nie die
Kriegführung ihrer Zeit umwälzen, die in denselben
historischen Verhältnissen wurzelt wie sie selbst.
König Friedrich brachte die Kriegführung seiner
Zeit auf den denkbar höchsten Gipfel der
Vollendung, aber ehe das preußische Heer eine
andere Kriegführung annehmen konnte, musste die
friderizianische Monarchie über den Haufen geworfen
werden.
Die Vorstellung, als ob Gustav Adolf an der Spitze
eines Heeres von gottbegeisterten schwedischen
Bauern in die kaiserlichen Söldnerscharen gestürmt
sei, erträgt keine ernsthafte Kritik. Als er nach
Deutschland aufbrach, bestand sein Heer zur Hälfte
aus Söldnern, die in aller Herren Ländern geworben
worden waren; auf deutschem Boden wurde es nach
Gustav Adolfs Programm aus Deutschland rekrutiert,
aus gewaltsam gepressten oder ausgehungerten Bauern
und Handwerkern oder auch aus jenem internationalen
Söldnertum, das heute unter dieser Fahne diente und
morgen unter jener, und das seit dem Beginne des
Dreißigjährigen Krieges schon zu einer furchtbaren
Landplage angeschwollen war. Gefangene wurden
sofort als Soldaten eingestellt. Es mag wohl
stimmen, dass schließlich kaum der zehnte Mann in
den schwedischen Heeren ein Schwede war. Natürlich
ist auch die berühmte Manneszucht Gustav Adolfs im
Wesentlichen und namentlich nach der moralischen
Seite hin eine Fabel. Dass er bei seinen
Eroberungszügen den ungeheuren Tross der damaligen
Heere möglichst zu beschränken suchte und deshalb
namentlich keine Weiber im Heere dulden wollte,
dass er bei seinen Einbrüchen in fremde Länder von
feierlichen Versicherungen überquoll, seine
Soldateska werde friedlichen Einwohnern kein Haar
krümmen, das verstand sich am Rande, und man muss
die Bescheidenheit der Leute anerkennen, die in
diesen allergewöhnlichsten Erobererpraktiken einen
Ausfluss protestantischer Gotteskindschaft
bewundern. Aber alles das hatte eine sehr enge
Grenze einmal an den Verhältnissen und dann auch an
dem Willen des Königs.
Solange er mit Brandenburg und Sachsen nicht einig
war, hatte er das dringende Interesse, die
strengste Disziplin in seinem Heere
aufrechtzuerhalten, und mit den Befehlen, die er
deshalb erließ, war es ihm gewiss voller Ernst.
Allein damals schon schrieb er in einem
vertraulichen Briefe an Oxenstierna, seine Armee
sei in der traurigsten Verfassung, er habe keine
Mittel, Fußvolk und Reiterei zu befriedigen, er
müsse alle Exzesse mit großem Verdruss hingehen
lassen und sei doch täglich in Gefahr vor Meuterei.
Nach der Schlacht bei Breitenfeld hat er aber auch
nicht mehr den Willen gehabt, seine Soldaten zu
irgendwelcher Manneszucht anzuhalten; wir hörten
schon, mit welchem geflügelten Worte er die Klagen
seines sächsischen Bundesgenossen über die
schwedischen Plünderungen in sächsischen Gebieten
zurückwies. Als ihn dann Wallenstein bei Nürnberg
in eine arge Klemme brachte, wurde er freilich
wieder höllisch gottselig. Eine Deputation der
Stadt Nürnberg, deren Beistand er dringend
brauchte, ermächtigte er, jeden plündernden
Gemeinen sofort zu hängen; er versicherte sie, wie
nahe es ihm gehe, dass es bei allen diesen
Plünderungen in Freundesland immer heiße, der
Schwed' tue dies, der Schwed' tue das. Beiläufig
ein unwillkürliches Eingeständnis, dass „der
Schwed'" damals schon den sprichwörtlichen Ruf des
Mordbrenners genoss. Seinen deutschen Offizieren
aber sagte Gustav Adolf: „Mir ist so wehe bei euch,
dass ich in meinem Königreich lieber die Säue hüten
will, als mit einer so verkehrten Nation umzugehen
gedenke." Als protestantischer Glaubensheld musste
Gustav Adolf schon einen tüchtigen Schuss
protestantischer Heuchelei besitzen. Man muss ihm
auf die Fäuste sehen, nicht aufs Maul, sagte
Wallenstein.
Als Staatsmann, soweit er als solcher überhaupt
individuelle Fähigkeiten beweisen konnte, besteht
Gustav Adolf ebenso mittelmäßig wie als Feldherr.
Der langwierige Streit über seine letzten
politischen Ziele ist deshalb ganz gegenstandslos,
weil er solche Ziele überhaupt nicht hatte. Der
Entschluss der schwedischen Militärmonarchie, im
nördlichen Deutschland keine starke Macht aufkommen
zu lassen, hatte von ihrem Standpunkt aus Hand und
Fuß; wie er aber aus- und durchzuführen sei, davon
hat sich Gustav Adolf nie ein klares Bild gemacht.
Über die Gründe und die Grenzen seiner Erfolge hat
er nie ernsthaft nachgedacht. Er lebte politisch
von der Hand in den Mund, wieder sehr im
Unterschied von Richelieu und Wallenstein, die ein
großes klares Ziel im Auge hatten, auf dessen
Erreichung sie ihre politischen Aktionen
zuschnitten. Es ist verlorene Mühe, überhaupt zu
bestreiten, dass Gustav Adolf auf die deutsche
Kaiserkrone spekuliert habe; einer seiner
offiziellen Unterhändler hat es in einer
offiziellen Unterhandlung ausdrücklich erklärt.
Aber freilich hat er auch diese imaginäre Idee
nicht mit irgendwelcher Konsequenz verfolgt. Nach
Oxenstiernas Behauptung hat er ein großes
skandinavisches Reich gründen wollen, das Schweden,
Norwegen, Dänemark und die Ostseeländer umfassen
sollte, was kaum weniger Zukunftsmusik war als die
deutsche Kaiserkrone. Gustav Adolf selbst hat sich
am deutlichsten dahin ausgelassen, dass er Pommern
und Mecklenburg kapern wolle, aber als deutscher
Reichsfürst und Direktor eines Corpus
Evangelicorum, also der protestantischen Fürsten
und Städte, was die dauernde Zerreißung
Deutschlands bedeutet hätte. Zum Lohn für diesen
sauberen Plan haben ihm deutsche
Geschichtsschreiber denn auch über den Schellendaus
gepriesen, weil er ein einiges starkes Deutschland
habe schaffen wollen.
In einem Punkte nur ist Gustav Adolfs historische
Stellung großartig und ganz unvergleichlich. Er hat
fertiggebracht, was keinem Eroberer vor und nach
ihm geglückt ist, von wie vielen Eroberern immer
die Geschichte zu erzählen weiß. Ein großes Volk,
dessen Todfeind er war und dessen Knochen er blutig
geschunden hat, feiert ihn als seinen Helden. Um
dies Wunder zu bewirken, musste freilich auch erst
ein „Volk der Dichter und Denker" auf der
geschichtlichen Bühne erscheinen.
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