Gustav Adolf
Ein Fürstenspiegel zu Lehr und Nutzen der deutschen Arbeiter

von Franz Mehring (1908)

7. Gustav Adolfs historische Stellung

Von Gustav Adolfs Persönlichkeit wissen wir verhältnismäßig wenig. Das wenige ist aber nicht ungünstig. Er war frei von den gemeinen Lastern, in deren Pfuhle sich die deutschen Zwergdespoten wälzten, und an Bildung stand er hoch über ihnen. Natürlich wird er auch dadurch nicht schlechter, dass die Annahme seiner Verehrer, er sei wie ein fahrender Glaubensheld in Deutschland eingebrochen, eine komische Einbildung ist. Hätte er das getan oder auch nur tun wollen, was angeblich „die Welt an ihm bewundert", so hätten ihn die schwedischen Junker ins Narrenhaus gesperrt, und das von Rechts wegen.

Seine historische Stellung wird bestimmt durch die historischen Umstände, in denen er lebte. Die junkerliche Militärmonarchie ist eine rückständige Gesellschafts- und Staatsform; sie war es bis zu einem gewissen Grade auch schon zu Gustav Adolfs Zeit. Aber sie war noch immer eine vorgeschrittene Staatsform gegenüber der polnischen Adelsdemokratie, die im feudalen Sumpfe verfaulte, und gegenüber der urwüchsigen Barbarei der Russen. Im Kampfe mit Polen und Russland stieg Schweden zur baltischen Großmacht empor. Im Kampfe mit Dänemark, das auf gleicher Kulturstufe stand, trug es keine Lorbeeren davon. Beide Länder mussten sich mit den deutschen Ansprüchen auf die Ostsee abfinden. Historisch stand die Frage nun nicht etwa so, ob Dänemark oder Schweden stark genug sei, Deutschland niederzuwerfen, denn davon konnte in alle Wege keine Rede sein. Sondern es fragte sich, ob der innere Auflösungsprozess des Deutschen Reiches je so weit gedeihen könne, um es der Beutelust Dänemarks oder Schwedens preiszugeben. Als Dänemark angriff, hielt das Reich noch mit Ach und Krach in seinen Fugen zusammen; dem schwedischen Angriffe konnte es nicht mehr widerstehen, weil es von seinen eigenen Gliedern entwaffnet wurde. Aber an eine Beherrschung Deutschlands durch Schweden war unter keinen Umständen zu denken. Schweden konnte Deutschland nur ausrauben, und von diesem Raube schuf es sich eine sehr vergängliche Großmachtstellung. Denn der Raub ist nun einmal nicht, wie uns die Bourgeoisökonomie hat lehren wollen, eine Produktionsweise. Wie gewonnen, so zerronnen, und kläglich genug stürzte Schweden von dem kaum erstiegenen Gipfel der Macht. Seine historische Stellung im siebzehnten Jahrhundert war durchaus episodenhaft.

Demgemäß war auch Gustav Adolfs historische Stellung durchaus episodenhaft. Nichts törichter, als ihn mit historischen Gestalten zu vergleichen, die die Vollstrecker großer gesellschaftlicher Revolutionen gewesen sind. Napoleons Eroberungen sind ihm unter den Händen zerflossen, aber er hat Massen feudalen Unrates, an dem die europäische Kultur zu ersticken drohte, mit eisernem Besen weggefegt, und im Hinblick darauf durfte er auf seiner einsamen Insel wohl sagen: Wer mein Andenken schmäht, beißt auf Granit. Was ist aber auch nur entfernt Ähnliches von Gustav Adolf zu rühmen? Sagt man etwa, er habe das Luthertum in Deutschland gerettet? Nun, das ist erstens nicht einmal wahr, zweitens aber, wenn es wahr wäre, so hätte Gustav Adolf ein System unseliger Verdummung auf ein paar Jahrhunderte für Deutschland verewigt, und das danke ihm der Teufel!

Als Feldherr und Staatsmann war Gustav Adolf der ausführende Arm der schwedischen Ritterschaft. Im Allgemeinen hat er nicht wider den Stachel gelöckt und sich hübsch geduckt, wenn ihn sein Kanzler Oxenstierna rüffelte, er solle keine „konfusen" Pläne fassen, die doch nicht ausgeführt werden könnten. Wie er den Plan der deutschen Expedition vorher mit den Junkern bis in die entferntesten Möglichkeiten durchsprach und sich ihrer vollen Zustimmung in allen Einzelheiten versicherte, ehe er ihn ausführte, so hat er auch aus Deutschland für jeden wichtigeren Schritt, den er tat, die Genehmigung der junkerlichen Regentschaft eingeholt, die er in Schweden eingesetzt hatte, und aus diesen Papieren kann man das Märchen seiner Glaubensheldenschaft bis auf das kleinste Atom widerlegen. Gustav Adolfs Abhängigkeit vom Junkertum ließ seiner etwaigen „genialen Individualität" geringen Spielraum, aber was man etwa davon entdeckt, macht keinen erhebenden Eindruck.

Zwar dass er als Feldherr eine starke Ader vom Flibustier oder, um das Ding beim deutschen Namen zu nennen, vom Seeräuber hatte, mag man nicht seinem persönlichen Charakter, sondern der ganzen Kriegführung der schwedischen Militärmonarchie zuschreiben. Leider scheint er aber diesen traurigen Zwang durchaus nicht als solchen empfunden zu haben. Wenn er „Sengen, Brennen, Plündern und Morden" androhte, so geschah es mit einem wollüstigen Behagen, das den modernen Kulturmenschen unmöglich anziehen kann. Mag man es „Heldenmut" nennen, dass er mitten im Getümmel der Feldschlacht seinen Tod fand, dass er im bayerischen Feldzuge an die feindlichen Vorposten herantritt und sie mit der Frage neckte: Monsieur, was macht der alte Tilly? – als Feldherr stellte sich Gustav Adolf dadurch selbst sehr tief, auch schon für seine Zeit; er stellte sich tief unter Wallenstein, der ihm in allem überlegen war und den Krieg niemals um des Krieges willen führte. Immer, wo es seine politischen Zwecke gestatteten, zog Wallenstein den Frieden dem Kriege, die friedlichen Mittel den kriegerischen vor. Im Gegensatze zu ihm war Gustav Adolf ein rücksichtsloser Draufgänger und Dreinschlager, ein Seekönig, der plündernd über Länder und Meere strich, kein Eroberer, der neue Reiche gründete.

Es ist auch nicht sein, sondern Wallensteins Verdienst, eine höhere und menschlichere Art der Kriegführung wenn nicht durchgeführt, so doch erstrebt zu haben. Gefördert hat Gustav Adolf die Kriegführung durch taktische Reformen, die zumeist auf eine größere Beweglichkeit des Heeres hinausliefen. Aber er hat nicht daran gedacht und konnte auch gar nicht daran denken, die Wurzeln der damaligen Kriegführung anzutasten. Was ihm in dieser Beziehung nachgelobt worden ist, beruht auf einem gründlichen Missverständnis. Militärmonarchien führen immer zu technischen Verbesserungen des Kriegshandwerks; es ist die einseitige Virtuosität, die ein bestimmtes Werkzeug umso geschickter handhabt, je länger sie damit hantiert. Dagegen können Militärmonarchien nie die Kriegführung ihrer Zeit umwälzen, die in denselben historischen Verhältnissen wurzelt wie sie selbst. König Friedrich brachte die Kriegführung seiner Zeit auf den denkbar höchsten Gipfel der Vollendung, aber ehe das preußische Heer eine andere Kriegführung annehmen konnte, musste die friderizianische Monarchie über den Haufen geworfen werden.

Die Vorstellung, als ob Gustav Adolf an der Spitze eines Heeres von gottbegeisterten schwedischen Bauern in die kaiserlichen Söldnerscharen gestürmt sei, erträgt keine ernsthafte Kritik. Als er nach Deutschland aufbrach, bestand sein Heer zur Hälfte aus Söldnern, die in aller Herren Ländern geworben worden waren; auf deutschem Boden wurde es nach Gustav Adolfs Programm aus Deutschland rekrutiert, aus gewaltsam gepressten oder ausgehungerten Bauern und Handwerkern oder auch aus jenem internationalen Söldnertum, das heute unter dieser Fahne diente und morgen unter jener, und das seit dem Beginne des Dreißigjährigen Krieges schon zu einer furchtbaren Landplage angeschwollen war. Gefangene wurden sofort als Soldaten eingestellt. Es mag wohl stimmen, dass schließlich kaum der zehnte Mann in den schwedischen Heeren ein Schwede war. Natürlich ist auch die berühmte Manneszucht Gustav Adolfs im Wesentlichen und namentlich nach der moralischen Seite hin eine Fabel. Dass er bei seinen Eroberungszügen den ungeheuren Tross der damaligen Heere möglichst zu beschränken suchte und deshalb namentlich keine Weiber im Heere dulden wollte, dass er bei seinen Einbrüchen in fremde Länder von feierlichen Versicherungen überquoll, seine Soldateska werde friedlichen Einwohnern kein Haar krümmen, das verstand sich am Rande, und man muss die Bescheidenheit der Leute anerkennen, die in diesen allergewöhnlichsten Erobererpraktiken einen Ausfluss protestantischer Gotteskindschaft bewundern. Aber alles das hatte eine sehr enge Grenze einmal an den Verhältnissen und dann auch an dem Willen des Königs.

Solange er mit Brandenburg und Sachsen nicht einig war, hatte er das dringende Interesse, die strengste Disziplin in seinem Heere aufrechtzuerhalten, und mit den Befehlen, die er deshalb erließ, war es ihm gewiss voller Ernst. Allein damals schon schrieb er in einem vertraulichen Briefe an Oxenstierna, seine Armee sei in der traurigsten Verfassung, er habe keine Mittel, Fußvolk und Reiterei zu befriedigen, er müsse alle Exzesse mit großem Verdruss hingehen lassen und sei doch täglich in Gefahr vor Meuterei. Nach der Schlacht bei Breitenfeld hat er aber auch nicht mehr den Willen gehabt, seine Soldaten zu irgendwelcher Manneszucht anzuhalten; wir hörten schon, mit welchem geflügelten Worte er die Klagen seines sächsischen Bundesgenossen über die schwedischen Plünderungen in sächsischen Gebieten zurückwies. Als ihn dann Wallenstein bei Nürnberg in eine arge Klemme brachte, wurde er freilich wieder höllisch gottselig. Eine Deputation der Stadt Nürnberg, deren Beistand er dringend brauchte, ermächtigte er, jeden plündernden Gemeinen sofort zu hängen; er versicherte sie, wie nahe es ihm gehe, dass es bei allen diesen Plünderungen in Freundesland immer heiße, der Schwed' tue dies, der Schwed' tue das. Beiläufig ein unwillkürliches Eingeständnis, dass „der Schwed'" damals schon den sprichwörtlichen Ruf des Mordbrenners genoss. Seinen deutschen Offizieren aber sagte Gustav Adolf: „Mir ist so wehe bei euch, dass ich in meinem Königreich lieber die Säue hüten will, als mit einer so verkehrten Nation umzugehen gedenke." Als protestantischer Glaubensheld musste Gustav Adolf schon einen tüchtigen Schuss protestantischer Heuchelei besitzen. Man muss ihm auf die Fäuste sehen, nicht aufs Maul, sagte Wallenstein.

Als Staatsmann, soweit er als solcher überhaupt individuelle Fähigkeiten beweisen konnte, besteht Gustav Adolf ebenso mittelmäßig wie als Feldherr. Der langwierige Streit über seine letzten politischen Ziele ist deshalb ganz gegenstandslos, weil er solche Ziele überhaupt nicht hatte. Der Entschluss der schwedischen Militärmonarchie, im nördlichen Deutschland keine starke Macht aufkommen zu lassen, hatte von ihrem Standpunkt aus Hand und Fuß; wie er aber aus- und durchzuführen sei, davon hat sich Gustav Adolf nie ein klares Bild gemacht. Über die Gründe und die Grenzen seiner Erfolge hat er nie ernsthaft nachgedacht. Er lebte politisch von der Hand in den Mund, wieder sehr im Unterschied von Richelieu und Wallenstein, die ein großes klares Ziel im Auge hatten, auf dessen Erreichung sie ihre politischen Aktionen zuschnitten. Es ist verlorene Mühe, überhaupt zu bestreiten, dass Gustav Adolf auf die deutsche Kaiserkrone spekuliert habe; einer seiner offiziellen Unterhändler hat es in einer offiziellen Unterhandlung ausdrücklich erklärt. Aber freilich hat er auch diese imaginäre Idee nicht mit irgendwelcher Konsequenz verfolgt. Nach Oxenstiernas Behauptung hat er ein großes skandinavisches Reich gründen wollen, das Schweden, Norwegen, Dänemark und die Ostseeländer umfassen sollte, was kaum weniger Zukunftsmusik war als die deutsche Kaiserkrone. Gustav Adolf selbst hat sich am deutlichsten dahin ausgelassen, dass er Pommern und Mecklenburg kapern wolle, aber als deutscher Reichsfürst und Direktor eines Corpus Evangelicorum, also der protestantischen Fürsten und Städte, was die dauernde Zerreißung Deutschlands bedeutet hätte. Zum Lohn für diesen sauberen Plan haben ihm deutsche Geschichtsschreiber denn auch über den Schellendaus gepriesen, weil er ein einiges starkes Deutschland habe schaffen wollen.

In einem Punkte nur ist Gustav Adolfs historische Stellung großartig und ganz unvergleichlich. Er hat fertiggebracht, was keinem Eroberer vor und nach ihm geglückt ist, von wie vielen Eroberern immer die Geschichte zu erzählen weiß. Ein großes Volk, dessen Todfeind er war und dessen Knochen er blutig geschunden hat, feiert ihn als seinen Helden. Um dies Wunder zu bewirken, musste freilich auch erst ein „Volk der Dichter und Denker" auf der geschichtlichen Bühne erscheinen.

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