4. Der Dreißigjährige Krieg
In den österreichischen Erblanden hatte sich eine
ähnliche Entwicklung vollzogen wie im Deutschen
Reiche. Adel und Städte kämpften unter
protestantischem Banner gegen die monarchische
Gewalt, die an die katholische Kirche gekettet war.
Wie sich in den Niederlanden sieben rebellische
Provinzen gegen die spanische Linie des Hauses
Habsburg erhoben, so erhoben sich sieben
rebellische Provinzen gegen die österreichische
Linie dieses Hauses: Böhmen, Mähren, Schlesien,
Ober- und Niederlausitz, Ober- und
Niederösterreich. Aber auch hier feierte die
jesuitische Restauration glänzende Triumphe. Die
österreichischen Erblande schützten das europäische
Abendland vor den Angriffen der Türken; zerfielen
sie, sei es durch innere Zwistigkeiten des
Herrscherhauses, sei es durch die Rebellionen der
einzelnen Länder und ihrer Stände – und aus beiden
Ursachen standen sie im Anfange des siebzehnten
Jahrhunderts dicht vor dem Zerfalle –, so drohte
ein ungeheurer Zusammensturz. In diesem Verhältnis
wurzelten die großen Erfolge, welche die Jesuiten
in den österreichischen Erblanden errangen. Ihr
fanatisierter Zögling, der Erzherzog Ferdinand von
Steiermark, in seiner Art ein ganzer Mann wie der
bayerische Herzog Max, stellte die Einheit des
Herrscherhauses, das enge Bündnis mit der
spanischen Linie der Habsburger wieder her; für ihn
gab es keine Vermittlung mit den meuternden
Provinzen; er kannte nur die eine Politik, sie in
der Einheit des katholischen Glaubens zu bändigen.
Trotz seiner wohlbekannten Gesinnungen wurde er
auch von den protestantischen Kurfürsten zum
deutschen Kaiser gewählt; die habsburgische Macht
schickte sich noch einmal an, die ihr schon halb
entfallenen Zügel der Weltherrschaft zu ergreifen.
In dem alten Hussitenlande Böhmen kam es zur ersten
Entscheidung der Waffen. Die böhmischen Stände
hatten Ferdinand wegen seiner katholischen
Restaurationsversuche der Krone für verlustig
erklärt und den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz,
einen fahrigen Hans in allen Gassen, zum Könige
gewählt, in der Hoffnung, dadurch den Beistand der
Union zu erhalten. Aber die Union erwies sich als
völlig unfähig zum Handeln. In einem Vertrage, den
sie mit der Liga in Ulm schloss, verpflichtete sie
sich, von jeder Einmischung in die böhmischen
Händel abzusehen; sie erklärte, dass sie den
Pfälzer nur zu unterstützen verpflichtet sei, falls
er in seinen Erblanden angegriffen werden sollte.
Wie sehr sie sich dabei übertölpeln ließ, geht
schon aus der Tatsache hervor, dass Herzog Max von
Bayern als Haupt der Liga gleichzeitig mit dem
Kaiser verhandelte und sich von diesem als Preis
für die Bundesgenossenschaft der Liga – neben der
Verpfändung österreichischer Besitzungen – die
pfälzische Kurwürde und die Oberpfalz versprechen
ließ. Bei aller Frömmigkeit standen auch dem
bayerischen Herzoge seine dynastischen Interessen
obenan, und am wenigsten dachte er daran, den
Kaiser um dessen schöner Augen oder gar um der
kaiserlichen Gewalt willen aus der Patsche zu
helfen.
Er ließ deshalb zunächst den Grafen Tilly, einen
wallonischen Söldnergeneral, den er in seine
Dienste genommen hatte, mit 30.000 Mann die
österreichische Grenze überschreiten, um sich
seinen vertragsmäßigen Pfandbesitz zu sichern, und
dann erst nach Böhmen einrücken, um durch die
Vertreibung des neugebackenen Königs sich die
pfälzische Kurwürde und die Oberpfalz zu erwerben.
Am 8. November 1620 kam es am Weißen Berge, vor den
Toren Prags, zur entscheidenden Schlacht, in der
Tilly mit leichter Mühe siegte. Der Kurfürst floh
und ließ auch seine Erblande im Stich, um sich nach
Holland zu retten. Böhmen fiel durch diesen einen
Schlag wieder in die Hand des Kaisers, der es nun
erbarmungslos einer blutigen politischen und
religiösen Restauration unterwarf. „Zu Hunderten
wurden die Häupter des böhmischen Adels und des
protestantischen Bürgertums in Prag hingerichtet,
der größte Teil ihres Grundbesitzes konfisziert und
um Spottgelder an adlige kaiserliche Parteigänger
der verschiedensten Nationalitäten verschachert.
Deutsche, spanische, italienische, französische und
schottische Günstlinge des Kaisers teilten
untereinander die reiche Beute auf, und die
Namensliste der Feudalherren, die noch heute in
Böhmen Thron und Altar schützen, gleicht einer
Musterkarte aller Nationen." (Hugo Schulz.)
Der Kriegsbrand wäre nun aber ausgetreten gewesen,
wenn die Bundesgenossen des Kaisers nicht ihren
Lohn aus der Hinterlassenschaft des
landesflüchtigen und vom Kaiser geächteten
Kurfürsten von der Pfalz verlangt hätten. Die
Spanier sandten Truppen nach der Kurpfalz, die
ihnen trefflich zwischen ihren deutschen
Besitzungen gelegen war, während der bayerische
Herzog als Haupt der Liga die pfälzische Kurwürde
und die Oberpfalz beanspruchte. Ging Ferdinand
darauf ein, so zahlte er als deutscher Kaiser die
Schulden, die er als böhmischer König gemacht
hatte. Schon die Acht, die er eigenmächtig über den
flüchtigen Kurfürsten verhängt hatte, war nach
bestehendem Reichsrechte an die Zustimmung der
Kurfürsten gebunden; verfügte er nun gar aus
kaiserlicher Machtvollkommenheit über die
pfälzischen Besitzungen, so legte er die Axt an die
Wurzeln der fürstlichen Souveränität. Dabei war
auch nicht zu übersehen, dass mit der Übertragung
der pfälzischen Kur an Bayern das konfessionelle
Gleichgewicht im Kurfürstenrate gänzlich verschoben
wurde; es standen dann nur noch zwei
protestantische (Brandenburg, Sachsen) gegen vier
katholische Stimmen (Bayern, Mainz, Trier, Köln);
die siebente Kur gehörte dem Kaiser als Könige von
Böhmen. Trotz so dringender Anlässe waren die
protestantischen Fürsten viel zu feige, viel zu
eigen- und ränkesüchtig, um geschlossen für ihr
eigenstes Interesse einzutreten. Nur einige kleine
Bandenführer, wie der Graf Mansfeld und Christian
von Braunschweig, spielten die Ritter des
flüchtigen Kurfürsten, aber weniger, um seine
Länder zu schützen, als um in den geistlichen
Gebieten zu rauben und zu plündern. Tilly warf ihre
Haufen ohne große Mühe auseinander, und im Jahre
1623 übertrug der Kaiser auf einem Reichstage in
Regensburg die pfälzische Kurwürde an den Herzog
von Bayern – unter ohnmächtigem Proteste des
brandenburgischen und des sächsischen Kurfürsten.
Damit waren nun aber die europäischen Mächte mobil
gemacht. Das Haus Habsburg hatte eine Höhe der
Macht erreicht wie zur Zeit Karls V.; mit der
Übertragung einer protestantischen Kur auf einen
katholischen Fürsten hatte Kaiser Ferdinand sogar
mehr gewagt als sein Ahnherr nach der Schlacht von
Mühlberg; Spanien setzte sich in der Kurpfalz fest
und erneuerte die Feindseligkeiten gegen Holland.
Ein europäischer Widerstoß gegen den
österreichisch-spanischen Vorstoß war
unvermeidlich. In Frankreich kam eben Richelieu zur
Macht, doch banden die inneren Wirren seine Hände
noch in der europäischen Politik. So übernahmen
England und Holland die Führung. Sie schlossen ein
Schutz- und Trutzbündnis zum Seekriege gegen
Spanien und unterstützten den König von Dänemark
mit Geldmitteln, um an der Elbe und Weser ein
stattliches Heer aufzustellen als Sammel- und
Stützpunkt für die protestantischen Fürsten in
Deutschland. In loserem Verhältnis erstreckte sich
die antihabsburgische Koalition bis auf die Türkei,
die ihrem Vasallen Bethlen Gabor von Siebenbürgen,
einem sehr frommen Lutheraner, der Kirchenlieder
dichtete und die Bibel nicht weniger als
sechsundzwanzigmal durchlas, die Erlaubnis
erteilte, in die österreichischen Erblande
einzufallen. Auf der anderen Seite war nun aber der
Kaiser stark genug, eine eigene Kriegsmacht
aufzustellen; er nahm das Anerbieten des böhmischen
Magnaten Albrecht Wallenstein an, ihm ein großes
Heer zu werben, und Wallenstein löste seine Aufgabe
noch weit über sein Versprechen. Im Jahre 1625
begann der niedersächsisch-dänische Krieg, nach den
Kriegen um Böhmen und die Pfalz die dritte Periode
des Dreißigjährigen Krieges. Er endete nach
vierjähriger Dauer abermals mit gewaltigen Erfolgen
des Kaisers: Im Frieden von Lübeck verpflichtete
sich Dänemark, sich nicht mehr in die deutschen
Angelegenheiten zu mischen; auch über dem
nördlichen Deutschland herrschten die kaiserlichen
Waffen.
In erster Reihe verdankte der Kaiser diese Erfolge
seinem General. Wir sind gewohnt, in Wallenstein
vor allem den großen Kriegsfürsten zu sehen, doch
ist dagegen nicht ohne Grund eingewandt worden, ein
soldatischer Charakter sei Wallenstein nicht
gewesen und im Grunde nicht einmal ein militärisch
gerichteter Geist. „Wallenstein vermochte es, eine
machtvolle Feldherrnpersönlichkeit zu werden, ohne
eigentlich ein hervorragender Stratege zu sein."
(Hugo Schulz.) Man darf jedoch nicht so weit gehen
zu sagen, dass Wallenstein im rein militärischen
seiner Aufgaben unter dem Mittelmaße geblieben sei;
er hatte vielmehr schon vollkommen die Theorie des
Krieges begriffen, die Clausewitz im neunzehnten
Jahrhundert entwickelt hat: Der Krieg war ihm immer
nur ein Mittel der Politik, ein Verfolgen
politischer Zwecke mit gewaltsamen Mitteln, wo
friedliche Mittel versagten. Seine militärischen
Missgriffe erklären sich so aus irrtümlichen
Voraussetzungen seiner Politik, entlasten den
Feldherrn Wallenstein also mehr, als dass sie ihn
belasten.
Das politische Ziel Wallensteins aber war dasselbe
Ziel, das Richelieu in Frankreich verfolgte, war
das höchste Ziel, das zu erreichen war bei dem
Höhepunkt, auf dem sich damals die europäische
Entwicklung befand: die weltliche Monarchie als
nationale Einheit, frei von allem religiösen Spuk,
in überlegener Einsicht die widerstreitenden
Interessen der einzelnen Klassen ordnend, ihre
gemeinsamen Interessen kräftig gegen das Ausland
kehrend. Wenn Richelieu dies Ziel erreichte,
Wallenstein aber elend unterging, so war die
Verschiedenheit ihrer Schicksale begründet in der
Verschiedenheit der französischen und der deutschen
Zustände. Nicht, was man seinen Treubruch am Kaiser
nennt, macht Wallenstein zu einer echt tragischen
Gestalt, sondern die Selbsttäuschung, worin er die
„gemeine Wirklichkeit der Dinge" durch seine
überlegene Kraft zu bändigen gedachte. Der
phantastische Zug, der durch sein Tun und Treiben
ging, entsprang nicht seinem klaren und tiefen
Verstande, sondern der Notwendigkeit, mit
phantastischen Faktoren zu rechnen, wenn er eine
historische Entwicklung von Jahrhunderten umkehren
und eine deutsche Monarchie herstellen wollte.
Als Wallenstein dem Kaiser ein Heer aufrichtete,
soll er gesagt haben, nicht zwanzig-, aber wohl
fünfzigtausend Mann könne er im Felde halten. Die
Anekdote ist nicht beglaubigt, aber gleichviel, ob
Wallenstein so gesprochen hat oder nicht: Auf
keinen Fall hat er damit sagen wollen, wie ihm
sooft nachgeredet worden ist, dass er mit einem
umso größeren Heere umso gründlicher brandschatzen
könne. Im Gegenteil erkannte er die militärische
Schwäche des zügellosen Plünderungs- und
Raubsystems, von dem die protestantischen
Bandenführer eben erst wieder die scheußlichsten
Proben geliefert hatten. Er war der erste
Heerführer, der die Strategie des achtzehnten
Jahrhunderts anbahnte, der die Kriegführung
planmäßig auf der soldatischen Zucht und der
ökonomischen Fürsorge für das Heer aufbaute, so
zwar, dass Bauern und Bürger daneben bestehen
konnten. Damit ist weder gesagt, dass ihm diese
Absicht mit einem Schlage gelungen wäre und
Wallensteinsche Truppen überhaupt nicht geplündert
hätten, noch das Wallenstein vor harten
Konfiskationen und Kontributionen zurückgescheut
wäre, falls sie seinen politischen Zwecken dienten.
Je schwerer die deutschen Fürsten die Lasten des
Krieges empfanden, um so eher zwang er sie zum
Frieden, zwang er sie unter die kaiserliche
Autorität. Wallenstein sprach sich unumwunden dahin
aus, mit der Macht seiner Erblande könne der Kaiser
den Krieg nicht bestehen; dazu brauche er das
Deutsche Reich. Im Innern Deutschlands müsse er ein
mächtiges und zahlreiches Heer aufstellen, das alle
Feinde des Kaisers in Schach halte und nie in die
Gefahr gebracht werden dürfe, in Belagerungen oder
Schlachten aufgerieben zu werden. Mit diesem Heere
dürfe das Haus Österreich aber keine Eroberungen
machen wollen; nur dann werde es zusammenbleiben,
da die Obersten, deren man sich bedienen könne,
größtenteils Lutheraner seien. Darauf müsse man
denken, das Reich in Frieden zu setzen und darin zu
erhalten; dann werde der Kaiser allen Seiten
furchtbar werden. So legte Wallenstein dem ersten
Minister des Kaisers sein Programm dar, und danach
handelte er, unberührt von dem religiösen Hader,
allem Pfaffentum in tiefster Seele abhold; obwohl
selbst Katholik, sagte er wohl, es werde nicht eher
Friede im Reiche werden, als bis einem Bischof der
Kopf vor die Füße gelegt wäre.
Seine Politik trug reiche Früchte. Systematisch
belegte er ganz Norddeutschland mit seinen
Quartieren, verdrängte das ligistische Heer, das
unter Tilly neben ihm kämpfte, nahm bei seinen
Durchzügen, Requisitionen, Werbungen nicht die
geringste Rücksicht auf die Landesobrigkeiten,
gleichviel ob sie katholisch oder protestantisch
waren, konfiszierte die Länder der Fürsten, die
Güter der Junker, die gegen den Kaiser in Waffen
standen, stattete seine Generale und Obersten mit
diesen Ländereien aus, ließ sich selbst mit
Mecklenburg belehnen und zum Admiral des baltischen
Meeres ernennen. Über die Ostsee sollte fortan das
Szepter des Kaisers herrschen. In diesen Tagen, in
denen ihm nichts mehr unerreichbar schien, hat
Wallenstein wohl einen weit aussehenden Plan zur
Eroberung Konstantinopels, zur Vertreibung der
Türken aus Europa entworfen. Aber mit all seinem
Genie kam er nicht auf gegen die ökonomischen
Ursachen, die den Gang der deutschen Reformation
bestimmten. Nicht an den Mauern Konstantinopels
fand er die Grenze seiner Triumphe, sondern an den
Wällen des „Städtchens" Stralsund.
So tief die Macht der deutschen Hansastädte
gesunken war: Ihre Hilfe war für den Kaiser
unentbehrlich, wenn er über die Ostsee herrschen
wollte. Diese Städte aber hatten noch weniger als
hundert Jahre früher den Mut einer selbständigen
Politik. Sie waren nicht gegen den Kaiser, dessen
Hilfe sie oft genug beanspruchten, wo sie ihnen
nützen konnte, so Hamburg, Bremen, Lübeck, wenn sie
von Dänemark bedrängt wurden. Sie waren aber auch
nicht für den Kaiser, wenn dessen Freundschaft
ihnen etwas zu kosten drohte. Das Interesse des
süßen Handels stand ihnen über allen Rücksichten.
Auf einem Hansatage in Lübeck lehnten Hamburg,
Bremen, Lübeck, Köln, Braunschweig, Lüneburg,
Magdeburg, Stralsund, Rostock, Wismar das Gesuch
des Kaisers ab, ihm Schiffe zu stellen; sie gingen
auch nicht auf den Handelsvertrag mit Spanien ein,
den ihnen der Kaiser vorschlug, „da sie sich den
Potentaten, so auf dem Meere mächtig wären und
deren Pässe sie gebrauchen müssten, nicht
widersetzen oder selbige sich zu Feinden machen
könnten". Alle Mittel der gütlichen Überredung,
alle Angebote von Vorteilen, an denen es weder die
österreichische noch die spanische Linie des Hauses
Habsburg fehlen ließ, verschlugen nichts. Und als
Wallenstein nun Stralsund zur Aufnahme einer
kaiserlichen Besatzung zwingen wollte, widerstand
ihm die Stadt siegreich, dank der dänischen und der
schwedischen Hilfe, die sie auf dem Seewege
erhielt. Die kaiserliche Herrschaft über die Ostsee
erwies sich vorläufig als ein Phantom, freilich,
solange die mecklenburgisch-pommersche Ostseeküste
in der kaiserlichen Gewalt blieb, noch immer als
ein sehr sichtbares Phantom.
In denselben Tagen, wo Wallenstein vor den Wällen
Stralsunds lag, belagerte Richelieu Rochelle. Sein
Sieg war nicht nur ebenso vorbildlich für die
französischen Geschicke wie Wallensteins Niederlage
für die deutschen: Er gab auch der europäischen
Politik eine entscheidende Wendung. Frankreich
hatte nunmehr die Hände frei für seine auswärtigen
Interessen, und es unternahm den Krieg gegen das
Haus Habsburg mit um so größerem Nachdruck, als der
König Karl von England, der eben jetzt in einen
verhängnisvollen Kampf mit dem Parlamente trieb,
einen ruhmlosen Frieden mit Spanien geschlossen
hatte. Richelieu benutzte einen Erbschaftsstreit um
das Herzogtum Mantua, um mit Österreich-Spanien den
alten Kampf in Italien wiederaufzunehmen; es gelang
ihm, die kleinen italienischen Fürsten in
Oberitalien auf seine Seite zu ziehen; mit dem
Papst Urban VIII., dem Sohne eines florentinischen
Handelshauses, der sich durchaus als italienischer
Fürst fühlte und längst die spanische
Oberherrschaft abzuschütteln gedachte, stand er in
nahem Einvernehmen. Den Niederlanden zahlte
Richelieu beträchtliche Hilfsgelder, um sie zur
Fortsetzung des Krieges mit Spanien anzuspornen.
Die ligistischen Fürsten in Deutschland köderte er
mit den süßesten Versprechungen; am Münchener Hofe
ließ er andeuten, es sei Zeit, die habsburgische
Kaiserkrone mit einer wittelsbachischen zu
vertauschen. Endlich bemühte er sich um die
Beilegung des Krieges zwischen Polen und Schweden,
damit der schwedische König Gustav Adolf frei werde
zu einem Angriff auf das Deutsche Reich. Überall,
am Po, am Rhein, in den Niederlanden, an der Ostsee
wollte er die habsburgische Macht niederbrechen.
Nicht weniger schwer als durch den französischen
Angriff und den Misserfolg vor Stralsund wurde der
„absolute Dominat" über das Deutsche Reich, den
Wallenstein für den Kaiser erstrebte, durch den
Kaiser selbst getroffen. Gedrängt von der Liga,
beraten von jesuitischen Beichtvätern, betört mehr
von landesfürstlichem Eigennutze als erleuchtet von
kaiserlicher Gesinnung, erließ Ferdinand II.,
gleichzeitig mit dem Lübecker Frieden, das
Restitutionsedikt, das die Calvinisten nochmals
ausdrücklich vom Augsburger Religionsfrieden
ausschloss, dann aber anordnete, dass alle seit dem
Passauer Vertrage eingezogenen mittelbaren
Kirchengüter und alle seit dem Augsburger
Religionsfrieden reformierten reichsunmittelbaren
Stifte den Katholiken zurückgegeben werden sollten.
Das Edikt verfügte eine vollständige Umwälzung in
den bestehenden Besitzverhältnissen, namentlich des
nördlichen Deutschlands. Gleichviel ob diese
Verhältnisse zu Recht oder Unrecht bestanden,
gleichviel ob der Kaiser ein formelles Recht zum
Erlass des Edikts hatte oder nicht, so konnte er
nichts Törichteres tun, als eine solche Restitution
verfügen. Das Edikt stand in schroffstem Gegensatze
zu Wallensteins Politik, die über den religiösen
Gegensätzen und über den hadernden Fürsten eine
starke Reichsgewalt errichten wollte; mit dem
Edikte stellte sich der Kaiser auf die eine Seite
der Fürsten, er selbst spekulierte namentlich auf
Magdeburg und Halberstadt. Statt die Liga zu
beschwichtigen, schwellte er vielmehr durch das
Edikt ihren Übermut und machte sie umso ungefügiger
gegen die kaiserliche Autorität. Nachdem die Union
längst zerronnen war und die protestantischen
Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen sich im
niedersächsisch-dänischen Kriege neutral verhalten
hatten, brachte das Edikt sie von neuem auf die
Beine, denn es drohte, sie ihrer besten Domänen zu
berauben. Es erregte namentlich auch die
protestantische Bevölkerung, die an den
österreichischen Erblanden gesehen hatte, was der
Kaiser unter katholischer Restauration verstand.
Wallenstein hat damals gereimt:
Des
Kaisers unnötige Reformation
Bringt mich um meine Reputation,
Den Kaiser um die Römische Kron,
Bayern wird auch kriegn sein Lohn.
Er
klagte, nicht Reformen brauche der Kaiser, sondern
Rekruten; über das Edikt freue sich nur der
Schwed', der Türk' und Bethlehem (Bethlen Gabor).
Ebenso dachten seine Offiziere, die zum großen Teil
Protestanten waren. Sogar Tilly, der General der
Liga, soll das Edikt mit Rücksicht auf der
„ausländischen Potentaten vorhabende Invasion" für
sehr unzeitig erklärt haben.
So herrschte im nördlichen Deutschland eine heftige
Gärung, als Gustav Adolf von Schweden am 26. Juni
1630 an der Spitze von 13.000 Mann in Pommern
landete.
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