1. Einleitendes
Am 9. Dezember 1894 sind seit der Geburt des
schwedischen Königs Gustav Adolf dreihundert Jahre
verflossen. Die herrschenden Klassen in Schweden
wollen den Gedenktag durch ein sogenanntes
Nationalfest feiern, und die herrschenden Klassen
in Deutschland rüsten sich zu einer gleichen
Kulturtat. Der preußische Kultusminister hat für
den Tag Gebete in den Kirchen wie Gedenkreden in
den Schulen angeordnet, und was sich die Organe der
liberalen Bourgeoisie an Atem noch abmüßigen können
bei ihrem heftigen Geschrei nach Ausnahmegesetzen
gegen die arbeitenden Klassen, das verwenden sie
redlich zur Verherrlichung Gustav Adolfs, den sie
als „Löwen aus Mitternacht", als „Befreier
Deutschlands", als „Retter des Evangeliums", als
„teuren Gottesstreiter" feiern. Es ist wahr: Eine
bürgerliche Partei hält sich davon fern, nämlich
die Ultramontane; ihre Organe schelten ebenso
weidlich auf Gustav Adolf, wie die konservativen,
liberalen und nicht zuletzt offiziösen Blätter ihn
lobpreisen. Doch handelt es sich dabei nur um den
Protest einer Minderheit, die sich augenblicklich
nicht an der Macht befindet, und ihr kommt es
wesentlich auf religiöse Marotten an, mit denen das
Proletariat nichts zu tun hat.
Aber – so fragt man vielleicht – was geht der ganze
Zauber überhaupt die deutschen Arbeiter an? Keiner
von ihnen wird die salbungsvollen
Gedächtnispredigten über Gustav Adolf in den
Kirchen hören. Und wenn den Arbeiterkindern am 9.
Dezember in den Schulen einige Flausen über den
schwedischen König in den Kopf gesetzt werden, so
wird sich das in den hellen Köpfen der
proletarischen Brut ebenso schnell verflüchtigen
wie der ganze sonstige Märchenkram, der ihnen als
angeblicher Geschichtsunterricht verzapft wird.
Zudem hat der Gustav-Adolf-Kultus schon den
ultramontanen Widerhaken im Fleisch; soll das
Proletariat da nicht auch sagen, was Ulrich Hutten
von dem Mönchsgezänke seiner Zeit sagte: Fresset
euch, auf dass ihr voneinander gefressen werdet?
Wir können diese Fragen gründlich erst am Schluss
unserer Darstellung beantworten; einstweilen wird
der Hinweis darauf genügen, dass die deutsche
Arbeiterklasse bei dem heutigen Höhegrad ihrer
Entwicklung keine Gelegenheit vorübergehen lassen
darf, ihre geistige Überlegenheit über die
herrschenden Klassen zu beweisen. Sie darf, was
weder die katholischen noch die protestantischen
Geschichtsbaumeister dürfen, eine historische
Erscheinung wie Gustav Adolf mit wissenschaftlichem
Maßstabe messen.
Dazu kommt, dass in der sozialistischen Literatur
noch eine Untersuchung des Dreißigjährigen Krieges
an der Hand der materialistischen
Geschichtsauffassung fehlt, und wir werden sehen,
wie viel klärende Lichter eine solche Untersuchung
auf die Kämpfe der Gegenwart wirft.
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