Texte zur Oktoberrevolution


Die Fronten des Bürgerkrieges



von A. Engelhardt

Die Rote Garde hatte die Kornilow-Kaledinsche Gruppierung am Don auseinandergetrieben, die Banden des Generals Dutow in die Steppen gejagt und das Operettenlager der Gajdamaken in der Ukraine der Erde gleichgemacht.

Aber zum Kampfe gegen den planmäßigen Druck regulärer Streitkräfte war die in eine Unmenge kleiner Abteilungen zerbröckelte, schwach ausgebildete, mangels geregelten Nachschubs an die Eisenbahnlinien gebundene Rote Garde ungeeignet.

Und schon der Angriff der hohenzollernschen Truppen hatte bewiesen, daß die bewaffnete Macht der Republik und ihre Organisation unzureichend waren.

Die Abteilungen der Roten Garde waren bei ihren vergeblichen Versuchen, den Druck der deutschen Korps aufzuhalten, verblutet.

Eine geringe Zahl Regimenter der alten Armee, die ihre Kriegstüchtigkeit bewahrt und bei der Niederwerfung der Konterrevolution geholfen, Kiew wiedergenommen und der rumänischen Soldateska bei Ribnitze eine schmähliche Niederlage bei gebracht hatten, mußte jetzt demobilisiert werden. So wurde die Bildung einer festen, unter einheitlicher Leitung vereinigten regulären Armee zur dringendsten Aufgabe. Am 23. Februar 1918 wurde das Dekret über die Gründung der Roten Armee der Arbeiter und Bauern veröffentlicht.

Die unvorstellbare Müdigkeit der Massen des Volkes, die sich eben erst aus dem imperialistischen Kriege befreit hatten, ließ es nicht zu, daß man zu einer Mobilisierung greife, man mußte vielmehr zunächst die junge Armee als eine freiwillige aufbauen.

Die Löhnung war mäßig (50 Rubel monatlich) und zur Aufnahme als Freiwilliger benötigte man der Empfehlung der Partei-, Gewerkschafts- oder Sowjet-Organisation.

Ungeachtet dessen ergaben schon die zwei ersten Monate der Anwerbung 106.000 Freiwillige; die Hälfte davon waren Arbeiter aus Moskau und Leningrad.

Diese Arbeiter-Regimenter sowie die Reste der ukrainischen Partisanen undWolgabauern, welche Brust an Brust mit dem tschechischen Korps standen, bildeten den Kern der neuen Armee, einer Armee, die schon in den ersten Tagen ihres BeStehens auf einen ernsthaften Gegner stoßen sollte.

Die Tschechoslowaken. Krassnow. Die Entente.

Die Regierungen der Entente, die sich in ihrer Erwartung eines raschen Zusammenbruchs der Sowjetmacht getäuscht sahen, begannen nun, selbst deren Sturz vorzubereiten und verfielen, auf der Suche nach einem geeigneten Hebel, auf das 60.000köpfige tschechoslowakische Korps.
Aus früheren Kriegsgefangenen der Habsburgischen Armee zusammengestellt und vortrefflich ausgerüstet und auf dem Wege nach Frankreich über Wladiwostok, hatte das tschechoslowakische Korps die ganze sibirische Eisenbahn in seiner Gewalt.

Einige Millionen Franks, die aus der französischen Staatskasse ihren Weg in die Hände der tschechoslowakischen Hauptmacher fanden, taten ihre Wirkung. Am 25. Mai 1918 trat das Korps in Aktion, jagte die lokalen Sowjets auseinander und rieb die zerstreuten Abteilungen der eben erst in Bildung begriffenen Abtei* lungen der Roten Armee dort auf.

Und unter den Salven der tschechischen Gewehre, hinter Bergen von Leichen aus der Blüte des sibirischen und Uralproletariats, beginnt die Sozialrevolutionäre Bande, aus der bürgerlichen Intelligenz und den Offizieren eine Armee zu formieren, die sie eine „Volksarmee" nannte.

Gleichzeitig stifteten Hunderte sozialrevolutionärer Agitatoren, Schulter an Schulter mit den englischen Spionen und den monarchistischen Offizieren, eine Reihe von Aufständen im zentralen Gouvernement an. In kurzer Zeit befand sich auch Jaroslaw in ihren Händen.

Im August 1918 bildete der General Krassnow, unter dem Schütze der Hohenzollern-Bajonette eine 100.000köpfige Armee aus begüterten Donkosaken und weißen Offizieren und marschierte auf Zarizyn.

Im Nordkaukasus und Kuban half englisches Geld rasch zur Formierung der „Freiwilligen"-Armee Denikins, die fast ausschließlich aus Offizieren bestand.

In Archangelsk kam eine englische Landung zustande.

Und die Japaner, die ihre Hand fest auf Wladiwostok legten, halfen den Tschechen und den zahlreichen kleinen Atamanen, den Widerstand der Rotarmisten des Fernen Ostens zu brechen, aus deren unversehrt bleibenden Teilen im Jahre 1919 die Kaders und Führer des Bauernaufstandes hervorgingen.

Angesichts solcher Gefahren entfaltete die Sowjetregierung angespannte Energie bei der Bildung neuer, kriegstüchtiger Truppenteile. Die schon im April gebildeten lokalen Kriegskommissariate unternahmen jetzt gemäß der Verordnung des Sowjetkongresses die Anwerbungen für die Rote Armee.

Tausende von Kommunisten, die die Partei in die Armee schickte, verliehen dieser die ungeheuere moralische Standhaftigkeit. Die besten und ehrenhaftesten unter den Offizieren, die als Kriegsspezialisten in Dienst gestellt wurden, hoben wesentlich die Kriegstüchtigkeit der Armee.

Und schon im August kamen die Tschechoslowaken, die Kasan eingenommen hatten, nicht mehr vorwärts, als sie bei Swijazschsk gegen die unerschütterliche Mauer der Bajonette der Roten Armee anrannten.

Das wütende Anspringen der Reiterhorden Krassnows auf Zarizyn scheiterte am Widerstande der sich dort bis zur Station Liski bildenden Roten Front.

Die „Volksarmee" der Sozialrevolutionäre, ergänzt durch Mobilisierung der Bauernschaft, fiel von selbst auseinander.

Die Rote Armee ging an der Wolga zum Angriff über. Die Tschechen schlichen sich in der Nacht auf den 10. September aus Kasan davon, nachdem sie vorher den Goldschatz gestohlen hatten. Nach hartnäckigen Kämpfen wurden sie aus Simbirsk vertrieben. Nach einem Monate zogen in Samara, das die dort befindlichen, kleinen und erschöpften Sowjetabteilungen im Juli verlassen hatten, ehernen Schrittes die festgeschlossenen Regimenter der siegreichen Roten Armee ein.

Die Tschechen zogen sich eilig auf den Ural zurück und ließen zahlreiche Kriegsgefangene und ungeheure Kriegsbeute in den Händen der I., IV. und V. Armee zurück.

Nach der Einnahme Ufas durch die Rote Armee, am 31. Dezember, hörte die „Volksarmee" auf zu existieren. Und die tschechische Armee verwandelte sich in einen Bahnschutz der sibirischen Eisenbahn und bildete ein riesiges Spekulanten-Syndikat, in dem sie durch Schiebungen und Bestechungsgelder das Kapital der sprichwörtlich gewordenen „Bank der Legionäre" zusammenraffte.

Die Organisationsformen der Roten Armee.

Die angespannte Arbeit der bolschewistischen Partei hatte, unter tätiger Unterstützung der breiten Schichten der Werktätigen, an der Schwelle des Jahres 1919 eine Armee mit einem Gefechtsstand von 485 000 Mann, mit 500 Geschützen und 2700 Maschinengewehren aufgestellt.

Diese Armee hatte, obwohl einzelne ihrer Teile noch vom Fieber der mühevoll umgebildeten Partisanentätigkeit geschüttelt wurden, bereits allgemeine, sich auf das ganze Land erstreckende Organisationsformen.

Eine Division setzte sich zusammen aus drei Brigaden zu je drei Regimentern, die drei Bataillone mit zugehörigem Kavallerieregiment (von vier Eskadronen), eine schwere Artilleriedivision, nebst vier Geschützbatterien und technischen Truppen führten.

In der Mitte des Jahres 1919 zählten diese Divisionen in ihren Reihen schon mehr als anderthalb Millionen Kämpfer und gliederten sich unter gemeinsamer Leitung durch den Revolutionären Kriegssowjet der Republik und die Politische Verwaltung der Republik in 16 Armeen.

Durch Auffüllung der Verluste aus den Reservebataillonen und immer neuen und neuen Nachschub hatte diese Armee gegen das Jahr 1921 einen Stand von 5.300.000 Mann erreicht und hielt zwei Jahre zähen Kampfes mit den zahlreichen Feinden aus.

Koltschak

In Sibirien hatte der Admiral Koltschak unter dem Wohlwollen des englischen Generals Knox sich der Herrschaft bemächtigt und stürzte sich an der Spitze einer Armee von 300 000 Mann auf die erschöpften Truppen der Ostfront.

Das zahlenmäßige Übergewicht, die englische Ausrüstung machten es den Truppen des Admirals möglich, fast bis zur Wolga vorzudringen.

Die Partei spannte alle ihre Kräfte an. Zu Zehntausenden strömten ihre Mitglieder in die Armee. Ein breiter Nachschubstrom ergoß sich nach der Ostfront.

Auserlesene Regimenter der Weber von Iwanowo-Wosnessensk durchbrachen die feindliche Front bei Boguruslan und führten so den Stoß im Rücken des Feindes aus.

Diesem Stoß in den Rücken seiner Hauptgruppe in Samara hielt der Gegner nicht stand und begann, unter zäher Verteidigung, seinen Rückzug. Im Juli erreichte die Armee der Ostfront, nachdem sie sich unter schweren Kämpfen durch den Ural gewälzt hatte, das von Bauernkämpfen aufflammende Sibirien.

Im Rücken Koltschaks loderte der Aufstand auf. Seine verzweifelten Versuche, von der Linie des Flusses Ischim aus zum Angriff überzugehen, hielten den Vormarsch der Roten nur drei Wochen des September auf. Die Begeisterung der werktätigen Bevölkerung Sibiriens, die zu Zehntausenden als Freiwillige in die Rote Armee strömte, die Weigerung der von Koltschak Zwangsmobilisierten, sich zu schlagen, ganze Armeen aufständischer sibirischer Bauern, all dies führte, gemeinsam mit dem unaufhaltsamen Elan der Roten, zur Liquidation der Koltschak-Truppen im Januar des Jahres 1920. Im März zogen die roten Truppen in Irkutsk ein, das schon von Aufständischen besetzt war. Im Fernen Osten hielt der Ataman Semenow sich noch bis Oktober 1920, doch der Abzug der japanischen Truppen, seiner Hauptbeschützer, veranlaßte auch diesen Abenteurer, Tschita zu räumen und nach China zu fliehen.

Gegen Anfang des Jahres 1920 wurde auch die turkestanische Front liquidiert. Die Kapitulation von 50.000 Weißen und die Einnahme von Gurjew machten den ernsten Kämpfen in den kaspischen Steppen ein Ende.

Die Weißgardisten im Süden

Bedeutend schwieriger verlief der Kampf an der Südfront.

Am 4. Januar 1919 schritten die Roten Armeen der Südfront zum erfolgreichen Angriff gegen die Truppen des Generals Krassnow. Aber die roten Truppen waren, nachdem sie die Don-Armeen vertrieben und zum Februar bereits den Donbezirk bis zu den Flüssen Nischnij Don und Manitsch besetzt hatten, gezwungen, ihre Bewegungen wegen Überschwemmungen durch die genannten Flüsse einzustellen und auch deshalb, weil der Roten Armee neue Feinde erstanden waren.

Der General Denikin hatte, unter Ausnützung der Abneigung der Oberschichten der Kubankosaken, auf ihre Privilegien zu verzichten, und gestützt auf Zehntausende von Offizieren, die sich im Süden angesammelt hatten, bei verstärkter Unterstützung der Entente eine „Freiwilligen"-Armee gebildet, mit der er im Kampfe während eines Jahres die Abteilungen der Roten Armee im Nordkaukasus überwältigte. Diese Abteilungen, die vom Zentrum abgeschnitten waren, wur­den auch durch den Typhus dezimiert.

Im Februar 1919 trat Denikin, nachdem er den Oberbefehl der südlichen Weißgardisten-Formationen in seinen Händen vereinigt hatte, mit den Roten Armeen in der Richtung auf Rostow und Tscherkask in Kampf.

Zur Zeit seines Auftauchens hatte die Rote Armee die ganze Ukraine in Besitz, nachdem sie die griechischen und französischen Landungstruppen verdrängt hatte.

Am 19. Mai durchbrach Denikin durch einen Stoß gegen die vom Anarchisten Machno geführten Partisanentruppen, den rechten Flügel der roten Front und begann, seine Armee im Donbassin auszudehnen. Der Kosakenaufstand im Rücken des rechten Flügels der Roten Südarmee verhalf Denikin auch hier zu großen Erfolgen.

Der frühere Petljura*Ataman Grigorjew inszenierte eine große Meuterei, zu deren Unterdrückung Frontreserven in Anspruch genommen wurden. Die ukrai* nischen Großbauern, die kein Getreide an die Stadt lieferten und den Boden nicht mit der Dorfarmut teilen wollten, überzogen die ganze Ukraine mit einem Netz von Banden und lieferten ihrem Anführer Petljura Soldaten.

Teile der Südfront wurden zum Rückzug gezwungen, doch der Sieg wurde dem General Denikin nicht leicht. Astrachan leistete heroischen Widerstand. Den Versuch der Roten Armee, im August am Nischnij Don und bei Charkow zum Gegenangriff überzugehen, konnte Denikin nur mit Anspannung all seiner Kräfte abwehren. Sein Angriff nach dem Norden längs der Wolga wurde bei Saratow durch Divisionen, die von der Ostfront hierher geworfen wurden, zum Stillstand gebracht. Die Freiwilligen-Formationen gingen unter im Meere der mobilisierten Bauernschaft, die die sie aufrufenden Gutsbesitzer haßten.

Die kriegstüchtigen Truppen des Gegners, die Kubankosaken, waren in dumpfer Bewegung wegen der Vernichtung ihrer militärischen Autonomie und der Henker* politik der Denikinschen Generale. Die Kosaken-Armut trat in die roten Reiterkorps, von Budjonny und Woroschilow gegründet, ein, jene Korps, aus welchen die unbesiegbare Erste Reiterarmee entstand.

Die Sowjetarmee stählte sich in diesen Kämpfen. Sie legte die in den ersten Monaten ihrer Existenz zutage tretende Plumpheit des Manöverierens ab. Das Wort „Panik" geriet in ihren Reihen in Vergessenheit. Die feindlichen Kavallerie* Gewitter brachen sich an ihren Bajonetten. Die Armee der Arbeiter und Soldaten lieferte eine Unmenge begabter Kommandeure. Ihre schwache militärische Schulung glich diese Armee durch klares Verständnis der Kampfziele aus. Die nirgends noch und nie vorher erlebte Arbeit der politischen Organe zeitigte außerordentliche Ergebnisse. Unter dem Donner der Geschütze vergaß diese Armee nicht den Unterricht. Das klare Bewußtsein ihrer Ziele verlieh ihr eine unerhörte Standhaftigkeit. Der Verrat einzelner Offiziere nahm keine größere Bedeutung an.

In dieser Periode war das ganze Land den Forderungen des Kampfes unterordnet: die Industrie zentralisiert, um die geringsten Möglichkeiten für die Versorgung der Armee auszunützen, das Getreide rationiert, die besten Arbeiter in der Armee — 300.000 Kommunisten schlugen sich in den ersten Reihen. Der Transport, der schon zu Zeiten des imperialistischen Krieges vollkommen erschöpft war, machte heroische Anstrengungen und brachte es auf den ausgefahrenen Gleisen zu 4.986 Zugsgarnituren und zum Wiederaufbau von 3.305 zerstörten Brücken.

Die Bauernschaft, als sie die Rückkehr der Gutsbesitzer nach ihren Nestern sah, griff im Rücken Denikins zu den Waffen. Machno, der lange Zeit den Train der Roten Armee geplündert und Kommunisten niedergemacht hatte, geriet zeitweilig mit der „Freiwilligen"-Armee in Händel. Die letztere hatte mit der Einnahme von Kiew und Odessa schon ihren Höhepunkt erreicht.

Das Kommando der Roten Armee formierte Stoßtruppen. Davon lenkte es auch das ruhmlose Abenteuer der 30.000 Armee Judenitschs nicht ab, die versuchte, Petrograd zu nehmen. Mitte Oktober brachte die Rote Armee dem rechten Flügel der Hauptgruppe des Gegners eine Niederlage bei Orla und unterhalb Woronesch bei.

Gegen Dezember war die Niederlage der Denikinschen Armee augenscheinlich geworden. Bei Woronesch hatte das junge Korps Budjonny die Denikinsche Reiterei in Stücke gehauen. Verzweifelte Gegenangriffe der verendenden Denikinade vermochten wohl, das nachdrückliche Vorwärtsdrängen der Roten Armee zu verzögern, nicht aber aufzuhalten.

Im Januar zerfiel die Front Denikins in zwei Teile: die westliche Gruppe, welche an die rumänische Grenze gedrückt wurde, ergab sich am Jahrestage des Erscheinens Denikins in der Richtung auf den Don. Die östliche Gruppe der Denikin-Armee, die sich in befestigten Positionen am Manitsch eingegraben hatte, vermochte es, unsere ermüdeten, einer Umgruppierung bedürftigen Truppen durch zwei Monate aufzuhalten.

Der März 1920 brachte den roten Fahnen den entscheidenden Sieg. Die feindliche Front zerbröckelte, 112.000 Gefangene, 330 Geschütze, Vorräte an englischen Uniformen, zahlreiche Tanks, dies sind die Haupttrophäen der Roten Armee, die am 30. März in Petrowsk einzog.

Am 27. April besetzte die Rote Armee, auf den Ruf der Werktätigen von Azerbeidschan, Baku. Reste von unversöhnlichen Denikinisten zogen sich in der Krim zusammen, wo die enge Landzunge von Perekop ihnen die Möglichkeit gab, unter dem Kommando ihres Generals Wrangel unser Nachdrängen aufzuhalten.

Der polnische Angriff, welcher die Hauptkräfte der Roten Armee an die Westfront abzog, gab Wrangel, der seine Truppen mit Hilfe von England umformiert und neu bewaffnet hatte, die Möglichkeit, am 6. Juni aus der Krim vorzubrechen und bis zur Linie Alexandrowsk-Berdjansk vorzudringen.

Dort verbrachten beide Seiten in erbitterten Kämpfen den Sommer.

Der Oktober-Waffenstillstand mit den Polen gestattete, die Erste Reiterarmee nach dem Süden zu werfen und Wrangel zu liquidieren. Schon im September hatten rote Truppen am linken Ufer des Dnjepr bei Kachowka einen befestigten Brückenkopf errichtet, zum Zwecke eines Vorstoßes gegen den Perekop. Alle Vers suche Wrangeis, die Verteidiger der Überfahrt bei Kachowka in den Dnjepr zu jagen, blieben erfolglos. Dies entschied das Ende des Kampfes im voraus. Am 26. Oktober schritt die Rote Armee unter Frunses Führung zum allgemeinen Angriff. Diesmal nahmen die roten Truppen in heroischem Sturm auch die Perekoper Befestigungen und die Siwaschsker Mündung. Die Offiziersbataillone, die drei Jahre lang den ganzen Süden mit dem Blute der Werktätigen überschwemmt hatten, wurden weggefegt. Am 16. November wurde die Krim zur Gänze von den Roten besetzt. Die Reste der Wrangel-Armee segelten nach Konstantinopel.

Unter Bedingungen, die wesentlich von jenen an der Süd; und Ostfront verschieden waren, hatte die Rote Armee sich an der West- und Nordfront zu schlagen.

Die Nordfront

Im Norden konzentrierte der Kampf sich lange, angesichts der Weglosigkeit, um den Besitz der Eisenbahnlinien und der Flußübergänge. Auf plumpen, in aller Eile armierten Barken und Handelsschiffen mußten die Versuche der mächtigen englischen Monitore, ins Innere des Landes vorzudringen, abgewehrt werden. Die schlecht bekleideten Rotarmisten mußten bei 40 Grad Frost das Vordringen der in Flanell eingewickelten englischen Brigaden aufhalten.

Nachdem sie einige Male kräftige Hiebe bekommen hatten, forderten die eng« lischen Truppen von ihrem Kommando entschieden die Heimkehr. Mit ihrem Ab marsch zogen unsere ersten Erfolge die lokalen Truppen zu uns herüber und die lächerliche Regierung Tschaikowskis flüchtete im März 1920 zu ihrem Gebieter nach England.

Die Westfront. Der Kampf mit Polen.

Die Westfront bildete sich bald nach dem Abzüge der Deutschen aus dem Baltikum und Polen. Unbedeutende Abteilungen der Roten Armee drangen anfangs bis Wilna und Kowno vor, wo sie von der Bevölkerung begeistert begrüßt wurden und überall gegen alle weißgardistischen Gruppen Erfolge erzielten. Die rasch gebildeten Roten Armeen Estlands und Lettlands marschierten bis an die Ostsee und besetzten Riga und Narwa.

Doch die englische Flotte nötigte sie zur Aufgabe von Narwa. Die deutschen Monarchisten halfen mit bedeutenden Kräften der lettischen Bourgeoisie.

Am 22. Mai zwang der Gegner die Truppen der Roten Armee, Riga aufzugeben. In der weiteren Entwicklung mußten die Roten wegen Mangels an Reserven das ganze Gebiet von Estland und Lettland räumen.

Die polnische Regierung setzte jetzt ihre Truppen gegen die Sowjets in Bewegung. Durch einen unerwarteten Handstreich bemächtigten die Legionäre sich im April Wilnas. In der Richtung auf Kowno begannen deutsche Abteilungen vorzudringen.

Die Westfront blieb ohne Unterstützung, weil die Verstärkungen von der Süd- und Ostfront aufgesogen wurden. Die Divisiönchen der 16. Armee hatten geringe Vorräte, und da sie in einer armen Gegend, die überdies durch die deutsche Okkupation zerstört war, zu operieren hatten, waren sie zum Abzuge gezwungen. Aber jeder Zoll Bodens wurde blutig aufgegeben. Mit der Einnahme von Minsk im August kam der polnische Angriff auf der Linie Borissow-Bobruisk zum Stehen. Das Jahresende 1919 verlief in verhältnismäßiger Ruhe. Polen rüstete mit verdoppelten Kräften zum Frühjahrsangriff.

Am 25. April 1920 durchbrachen die Polen, den Verrat der galizischen Division, deren Petljurischer Teil einige Tage vorher auf unsere Seite übergegangen war, zum Vorwand nehmend, unsere Positionen bei Kazakin und drängten auf Kiew vor.

Die vom Typhus fast aufgeriebenen Truppen der 12. Armee konnten die vortrefflich ausgerüsteten Kräfte des Gegners nicht aufhalten, und am 6. Mai rückten die polnischen Regimenter, in ihren englischen Uniformen und mit französischen Gewehren daherstolzierend, in Kiew ein.

Am 14. Mai antwortete die Rote Armee bei Minsk mit einem Gegenstoß. Doch die Streitkräfte der Westfront waren immer noch zahlenmäßig gering und der Stoß erschöpfte sich in einem dreiwöchigen Kampfe ohne entscheidendes Resultat.

Die Erste Reiterarmee, vom Ruhm zahlloser Siege über die Weißen umkränzt, wurde in Kriegsordnung vom Nordkaukasus nach der Ukraine geworfen. Truppen der südwestlichen Front nahmen die Kiewer Gruppe der Polen zwischen ihre Zange. Der Gegner trat den Rückzug an, der sich mitunter in panische Flucht verwandelte. Anfang August standen die Eskadrons der roten Reiterei schon in Galizien. Am 4. Juli warfen die 16., 15. und 4. Armee sowie das Reiterkorps Gay die ganze polnische Armee zurück. Mitte August kämpften unsere Truppen, nach einer Reihe ruhmvoller Siege, schon vor den Warschauer Forts.

Die über das Schicksal ihres Vasallen beunruhigte Entente lieferte der zerzausten polnischen Armee schleunigst Munition. Die polnischen Kommandostäbe wurden mit französischen Offizieren angefüllt.
Die roten Divisionen wurden nicht, wie dies an den anderen Fronten der Fall war, im Maßstab ihres Vorwärtsdringens mit Freiwilligen aufgefüllt. Der Nachschub aus dem Hinterlande konnte dem stürmischen Tempo des Angriffs nicht folgen. Die Zeit reichte nicht, den von den fliehenden Polen zerstörten Eisenbahnkörper wieder herzustellen. Als die Roten die Weichsel erblickten, zählten ihre Regimenter 150 Mann, sie hatten bloße Füße, ihre Artillerie war ohne Munition, auch an Patronen mangelte es. Die neu formierten polnischen Truppen aber stan« den in befestigten Positionen.
Ein Durchbruch zwischen dem rechten Flügel der Roten, der Warschau überflügelt hatte, und dem Zentrum, das gegen die Warschauer Forts anrannte, zwang, nach vieltägigem, erbittertem Kampfe, Teile des rechten Flügels, sich in Ostpreußen internieren zu lassen, das Zentrum aber begann den Rückzug. Die Erste Reiterarmee, die im befestigten Rayon von Lemberg in Kämpfe verwickelt war, konnte nicht zu Hilfe kommen.

Empfindliche Hiebe, die die Polen bei Verfolgung der zurückweichenden Roten erhielten (die Vernichtung der Südgruppe bei Wolchowisk usw.), zwangen die Polen, ihrem Traume von den „Grenzen von 1772" zu entsagen.

Im Oktober erloschen die Kämpfe auf der Linie: Minsk—Slutsch. Am 12. Oktober wurde der Waffenstillstand unterzeichnet.

Der Friede mit Estland und Lettland war schon früher abgeschlossen worden.

Die Versuche der Söldner Polens, der Atamane Balachowitsch und Petljura, selbständig zu kämpfen, endeten mit vollständiger Vernichtung.

Die schon in Demobilisierung begriffene Armee nahm in beispiellosem Sturm über schmelzendes Eis das zur Meuterei angestiftete Kronstadt; die ruhmreiche Armee Budjonnys verjagte Machno nach Rumänien und liquidierte das Banditentum in Turkestan.

Ende August 1922 beendete die V. Armee, nachdem sie die Reste der Koltschak-Armee im Fernen Osten eingeholt und das von den Japanern geräumte Wladiwostok besetzt hatte, ihren vierjährigen Feldzug von der Wolga bis an den Stillen Ozean.

Quelle: Illustrierte Geschichte der russischen Revolution, Berlin 1928,  S.537-550